regional übergreifend
Refine
Year of publication
Document Type
- Journal Article (292)
- Online Publication (63)
- Part of a Book (4)
- Preprint (3)
Has Fulltext
- yes (362) (remove)
Keywords
- Forschungsfelder (22)
- Begriffe (15)
- Methoden (4)
- Periodisierung (2)
- Prozesse (2)
- Klassiker (1)
- Schnittmengen (1)
Wie haben sich die Perspektiven auf die NS-Zeit seit 1989/90 verändert? Nach einem knappen Rückblick auf die „historiographische Systemkonkurrenz“ in der Ära des Kalten Krieges werden zunächst wichtige Blickerweiterungen skizziert, die bereits vor 1989/90 einsetzten: die wachsende Aufmerksamkeit für alltagsgeschichtliche Zusammenhänge sowie vor allem für die Verfolgung und Ermordung der Juden. Die Zäsur von 1989/90 brachte für die NS-Forschung einen zusätzlichen Schub, weil sie die Bedeutung von Akteuren in historischen Entscheidungssituationen nachhaltig in den Vordergrund rückte. Der Aufsatz erläutert darüber hinaus drei Stränge der aktuellen NS-Forschung: Ansätze einer integrierten Geschichte, die eine dichotomische Betrachtung von Opfern und Tätern überwinden; die Europäisierung und Globalisierung nicht nur der Erinnerungspolitik, sondern auch der wissenschaftlichen Arbeiten zur NS-Zeit; sowie das übergreifende Phänomen einer verstärkten Medialisierung von Geschichte.
Als die im April 2006 mit 89 Jahren verstorbene Stadtforscherin Jane Jacobs im Oktober 2004 für einen letzten Vortrag in ihre ehemalige Heimatstadt New York zurückkehrte, bereitete ihr das Publikum einen großen Empfang. Fast die gesamte Urbanisten- und Planungsprominenz der Stadt war erschienen und feierte die 1968 nach Kanada ausgewanderte „Grande Dame“ der nordamerikanischen Stadtforschung mit stehenden Ovationen. Einer Einladung des New Yorker City Colleges folgend, war sie gekommen, um die Auftaktrede für eine neue Vorlesungsreihe zu Ehren Lewis Mumfords zu halten, der an dem besagten College im Norden Manhattans studiert hatte. Es war, als schlösse sich ein Kreis: Jacobs’ Karriere hatte 1961 mit der Publikation ihres Erstlingswerks „Death and Life of Great American Cities“ in New York ihren Anfang genommen; der Inhalt dieses Buchs verwickelte sie dann in einen Jahre andauernden Streit mit Mumford. Am Ende ihres Schaffens angelangt, entschied sie sich als erste Referentin der zu Mumfords Ehren eingerichteten Vorlesungsreihe, in New York ihren alten Gegenspieler zu würdigen. Bedeutungsschwer war Jacobs’ Auftritt aber auch deshalb, weil er zum Ausdruck brachte, wie sehr sich das Verhältnis zwischen der Planungskritikerin Jacobs und der planenden Zunft in den USA über die Jahrzehnte geändert hatte. Zu Beginn ihrer Karriere wegen ihrer mangelnden akademischen Ausbildung in der von Männern dominierten Profession noch als „Hausfrau“ belächelt, stieg Jacobs innerhalb weniger Jahre zu einer der meistbeachteten Persönlichkeiten der amerikanischen Stadtforschung auf. Jacobs’ Bedeutung als Kritikerin modernistischer Planungsexzesse und Mitbegründerin eines neuen Verständnisses städtischer Entwicklung und Planung ist Grund genug, sich ihres ersten und wohl wichtigsten Werks erneut zu widmen - dem Essay „Death and Life of Great American Cities“, der in einem deutschen Nachruf auf Jacobs als „urbanistische Bibel des späten 20. Jahrhunderts“ bezeichnet wurde.
Sowohl der Aufstieg der christlichen Rechten in den USA als auch der 11. September 2001 und seine Folgen haben erneut gezeigt, dass Religion und Politik keine Dichotomien darstellen, sondern vielfach miteinander verflochten sind. Das für die Erklärung dieses Sachverhaltes eminent wichtige Konzept der „Zivilreligion“ ist aber bislang hauptsächlich in den USA diskutiert worden und gerade von HistorikerInnen (sträflich) vernachlässigt worden. Wir plädieren im Folgenden für eine „offenere“ Definition von Zivilreligion sowie für eine intensivere Nutzung des Konzepts, um Phänomene des Religiösen im Politischen zu erklären sowie Politik-, Kultur- und Kirchengeschichte stärker miteinander zu vernetzen.
Die Aktualität der Antiquiertheit. Günther Anders’ Anthropologie des industriellen Zeitalters
(2006)
Der Titel von Günther Anders’ philosophischem Hauptwerk, das vor 50 Jahren erschienen ist, macht es leicht, die historische Distanz, die uns heute von diesem Buch trennt, mit seinem eigenen Begriff zum Ausdruck zu bringen: Die „Antiquiertheit des Menschen“ erscheint heute selbst in vielerlei Hinsicht antiquiert. Anders’ „Gelegenheitsphilosophie“ (S. 8) blieb auf spezifische Weise an die Gelegenheit ihres Entstehens gebunden. Seine Studie „über die Seele im Zeitalter der zweiten industriellen Revolution“, so der Untertitel, ist damit zugleich ein Dokument der Zeitgeschichte und der Biographie ihres Autors. Als solches enthält sie aber auch Anregungen für die Zeitgeschichtsforschung, die durchaus noch aktuell sind.
Die zeitgeschichtliche Forschung hat sich erst vor kurzem den 1970er-Jahren zugewandt. In der öffentlichen Erinnerung ist dieses Jahrzehnt hingegen sehr präsent, wie sich an Erfolgsbüchern wie Florian Illies’ „Generation Golf. Eine Inspektion“ und „Generation Golf zwei“ (München 2000/03 u.ö.) oder jüngst an den Debatten um den „Deutschen Herbst“ 1977 und seine Folgen gezeigt hat. Besonders in der Populärkultur - Mode, Musik, Möbel etc. - erfreuen sich die 1970er-Jahre (zumindest in Deutschland) großer Beliebtheit; man kann geradezu von einer „Retrowelle“ sprechen. Während diese Dekade aus Sicht der Geschichtswissenschaft vor allem eine Zeit der Krisen und beginnenden Transformationen darstellt, erscheint sie im alltäglichen Geschichtsbewusstsein eher als buntes Experimentierfeld unterschiedlicher Lebensstile und als eine Phase vergleichsweise gesicherten Wohlstands.
Destination Vergangenheit. David Lowenthals Panorama geschichtskultureller Aneignungen (1985/2015)
(2021)
»The Past is a Foreign Country« ist ein Zentralmassiv der Heritage Studies, der Cultural and Historical Geography und der Public History. Das 1985 erschienene Buch nimmt populäre Zugänge und Formen der Bewahrung und Repräsentation der Vergangenheit in den Blick; dabei spannt es den Bogen von der Gegenwart bis zurück in die Renaissance. Lowenthal zitiert mit seinem Titel den britischen Schriftsteller Leslie Poles (L.P.) Hartley (1895–1972), der seinen Roman »The Go-Between« (1953) mit den Worten begann: »The past is a foreign country; they do things differently there.« Schon die Umschlagbilder legen eine Reise in ferne Vergangenheiten nahe und wecken zugleich den mit dem (Geschichts-)Tourismus verbundenen Exotismus, der aus dem Fremden ebenso wie aus dem Vergangenen das unberührt-unverfälscht Natürliche und Authentische macht. Die Destinationen, die Lowenthal bei seiner Reise in vergangene Geschichtskulturen aufsuchte, lagen vor allem im Vereinigten Königreich, in Nordamerika und im westlichen Europa. Das Buch durchzieht die These, dass alle populären Versuche, die Vergangenheit möglichst authentisch zu bewahren, zu rekonstruieren, darzustellen oder wahrzunehmen, auf die eine oder andere Weise zum Scheitern verurteilt sind, dass sich aber gerade aus der Formbarkeit der Vergangenheit ihre identitätsbildende Kraft erschließt.
Der Western im Osten. Genre, Zeitlichkeit und Authentizität im DEFA- und im Hollywood-Western
(2004)
„Die Söhne der großen Bärin“ (1966) war der erste von insgesamt 13 Westernfilmen der DEFA. Die Resonanz des DDR-Publikums war überwältigend – ähnlich wie bei den Karl-May-Verfilmungen in der Bundesrepublik. Der Anspruch der DEFA lautete, „Abenteuerfilme in historischem Gewand“ zu zeigen. Durch geschichtliche Korrektheit wollte man den Gründungsmythos der USA, der im Filmgenre des Western massenmediale Verbreitung erfahren hatte, und auch das tagespolitische Geschehen kritisch kommentieren. Bei einem Vergleich des DEFA-Films „Ulzana“ (1974) und der US-Produktion „Broken Arrow“ (1950), die beide Authentizität reklamierten, wird deutlich, wie an Konventionen von Filmgenres angeknüpft und zugleich durch eine Fiktion von historischer Realität versucht wurde, diese Konventionen zu überwinden. Der Aufsatz untersucht, ob und inwieweit die DEFA-Produktionen das Genre Western ästhetisch und inhaltlich umwandelten.
In den heutigen »wissens- und technologieintensiven« Zeiten, so könnte man annehmen, drehen sich Wirtschaft und Gesellschaft immer mehr um Immaterielles. Manche hoffen sogar, dass diese post-industrielle Revolution der Weltwirtschaft den Schub geben wird, den sie braucht, um weiterhin auf einem Wachstumspfad zu bleiben und – dieses kleine Detail bleibt oft unerwähnt – weiterhin eine asymmetrische Verteilung von Produktivität und Einkommen sicherzustellen. Warum sollte sich also ein Themenheft der »Zeithistorischen Forschungen« ausgerechnet jetzt mit dem »Wert der Dinge« beschäftigen, wo diese doch gerade zusammen mit der industriellen Produktion an Bedeutung zu verlieren scheinen? Gewählt haben wir dieses Thema nicht primär aufgrund der Konjunktur, welche die dinglichen Dimensionen der Vergangenheit momentan in der Geschichtswissenschaft genießen, sondern eben aufgrund der Rede vom Bedeutungsverlust des Materiellen. Sie macht es notwendig, den vermeintlichen Gegensatz zwischen Dingen und Menschen oder zwischen Stoffen und Gedanken neu zu fassen.
1967 rückte der Palästinakonflikt in den Fokus der politischen Arbeit des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes (SDS), der diesen Konflikt im Zusammenhang mit den Befreiungsbewegungen der sogenannten Dritten Welt deutete. Politischen Zuspruch erhielt der SDS von palästinensischen wie auch israelischen Studentengruppen, die in Frankfurt am Main ihr Wirkungszentrum hatten. Diese sich als antizionistisch verstehenden Akteure fanden in dem ebenfalls in Frankfurt sitzenden Bundesverband Jüdischer Studenten in Deutschland (BJSD) einen Kontrahenten. Die Präsenz dieser zentralen Protagonisten transformierte das studentische Milieu im Frankfurter Westend zum bundesrepublikanischen Nukleus eines Deutungskampfes um die Geschehnisse im Nahen Osten. Eine sabotierte Veranstaltung mit dem israelischen Botschafter Asher Ben-Natan im Frankfurter Hörsaal VI am 9. Juni 1969 dient dem Aufsatz als Beispiel, um diesen Konflikt zu historisieren. Neben schriftlichen Quellen stützt sich der Beitrag auf Bildmaterial des Frankfurter Fotografen Kurt Weiner.
„Die Seele im technischen Zeitalter“ war Arnold Gehlens meistverkauftes Buch. Von 1957 bis zu Gehlens Todesjahr 1976 erschienen 15 Auflagen mit insgesamt 106.000 Exemplaren. Die Abhandlung wird seitdem nicht nur zu den „Klassikern der Technikphilosophie“ gezählt, sondern gar zu den „Büchern, die das Jahrhundert bewegten“. Der Verkaufserfolg war dabei sicher auch der Tatsache geschuldet, dass das Buch nach einer ersten und kürzeren, 1949 unter dem späteren Untertitel „Sozialpsychologische Probleme in der industriellen Gesellschaft“ erschienenen Fassung 1957 mit klangvollerem Obertitel und zusätzlichen Kapiteln in „rowohlts deutsche enzyklopädie“ aufgenommen wurde. Diese von Ernesto Grassi herausgegebene Reihe, in der unter anderem Hans Sedlmayrs „Revolution der modernen Kunst“, Ortega y Gassets „Aufstand der Massen“ und Margret Boveris „Verrat im 20. Jahrhundert“ erschienen waren, war eines der einflussreichsten Publikationsforen der 1950er-Jahre, so dass sich für diese Zeit von einer der späteren „Suhrkamp-Kultur“ vergleichbaren „rde-Kultur“ sprechen lässt.
Im Juni/Juli 1976 wurde eine Air France-Maschine nach Entebbe (Uganda) entführt; dabei trennte ein deutsch-palästinensisches Terrorkommando die jüdischen von den nichtjüdischen Passagieren und behielt allein die jüdischen Geiseln in seiner Gewalt. Skizziert wird, welche Bedeutung den äußerst medienwirksamen Flugzeugentführungen der Jahre 1968–1977 im Kontext der Entwicklung des internationalen Terrorismus zukam. Vor allem anhand der Reaktionen auf den Sechstagekrieg von 1967 und die Entebbe-Entführung von 1976 wird gezeigt, dass das Verhältnis der deutschen Linken zum Staat Israel und zur NS-Vergangenheit entgegen früheren Annahmen ambivalent und problematisch blieb. Unter dem Deckmantel des Antiimperialismus schlug die Haltung der vorgeblich geschichtsbewussten ‚68er‘ zum Nahostkonflikt zeitweise in offenen Antisemitismus um.
Wir haben den Klang der Zeitgeschichte im Ohr. Wenn wir diese Zitate lesen, dann hören wir sie auch. Wir kennen die Stimmen ihrer Urheber ebenso wie diejenigen vieler anderer Personen der Zeitgeschichte, von Adolf Hitler bis Willy Brandt. Daneben kennen wir auch den musikalischen Soundtrack des 20. Jahrhunderts, der spätestens seit den 1940er-Jahren vornehmlich von der Populärmusik geprägt wurde – von Lale Andersen und Elvis Presley über die Beatles und Jimi Hendrix bis hin zur Neuen Deutschen Welle und Michael Jackson. Wir wissen, wie sich Luftschutzsirenen anhören und wie Geschützdonner klingt. Wir können einen Radiosprecher der 1950er-Jahre schon anhand seiner Redeweise von einem Radiosprecher der 1980er-Jahre unterscheiden. Zeitgeschichte, so folgt daraus, ist uns nicht nur visuell präsent, über ikonische Motive aus dem „Jahrhundert der Bilder“ (Gerhard Paul), sondern ebenso auditiv. Alle die genannten Stimmen, Klänge und Geräusche rufen ein historisches Wissen in uns auf, sobald wir sie hören.
Es herrscht Bürgerkrieg, Bürokratie und Korruption lähmen die Regierung, das Parlament ergeht sich in endlosen Debatten - dies ist die Situation, in der sich die Demokratie selbst den Todesstoß versetzt: Sie ruft nach einem starken Mann. Damit beginnt der Aufstieg eines Politikers zur Herrschaft über das Imperium in der Star-Wars-Galaxis. „Um weiterhin allgemeine Sicherheit und Stabilität zu gewährleisten, wird die Republik umgestaltet werden, und zwar zum ersten galaktischen Imperium zum Wohle und Nutzen einer stabilen und sicheren Gesellschaft“, erklärt der künftige Diktator, während sich die Kamera öffnet und den Blick auf eine unüberschaubare Masse begeistert zustimmender Parlamentarier freigibt. Nur sehr leise gibt es auch eine kritische Stimme zu hören: „So geht die Freiheit zu Grunde mit donnerndem Applaus.“ Die imperiale Machtübernahme steht im Mittelpunkt der Handlung des Star-Wars-Films „Die Rache der Sith“, der im Mai 2005 als sechster und letzter Film der Serie in die Kinos kam.
Der »Weltkrieg« oder »Große Krieg« wurde von vielen Zeitgenossen als eines der ruhmreichsten, denkwürdigsten Ereignisse der Weltgeschichte und insbesondere der beteiligten Mächte aufgefasst. So standen auch von Anfang an gestalterische Konzepte zur Ehrung der Gefallenen als »Helden einer großen Zeit« mittels Kriegerdenkmälern, Totenhainen und Ehrenhallen zur Diskussion. Im Gegensatz zu dieser übergreifenden heroisierenden Deutung waren die Erinnerungserzählungen seit 1918 sehr heterogen. Modellhaft für die Bewahrung des Ersten Weltkriegs im »Funktionsgedächtnis« (Aleida Assmann) ist Großbritannien, wo beiden Weltkriegen eine ähnliche Relevanz zuerkannt wird. Der »Armistice Day« am 11. November repräsentiert seit 1920 kontinuierlich die öffentliche Erinnerung an das Ende des »Great War«. Zwei Schweigeminuten »at the 11th hour of the 11th day of the 11th month«, Gedenkveranstaltungen wie jene am »Tomb of the Unknown Warrior« in der Westminster Abbey oder auch historische Fernsehserien, in denen der »Große Krieg« regelmäßig vorkommt, sind Belege für seine Sichtbarkeit und mediale Verbreitung bis heute. Ein Beispiel für das Gegenmodell, in dem der Zweite Weltkrieg den Ersten weitgehend überschrieben hat, ist Österreich, wo nach 1945 dem Ersten Weltkrieg nur geringe Relevanz für aktuelle Identitätskonzepte und Erinnerungserzählungen beigemessen wurde. Zeichensetzungen im öffentlichen Raum beschränken sich (mit regionalen Ausnahmen wie Tirol) weitgehend auf einige Straßennamen und auf Kriegerdenkmäler, die für die Gefallenen des Zweiten Weltkriegs adaptiert wurden. Zwischen diesen Optionen – der Gleichrangigkeit beider Weltkriege oder der Dominanz des Zweiten Weltkriegs – lässt sich die Gedächtnislandschaft in den europäischen Ländern einordnen.
Der Bau der neuen UNESCO-Gebäude in Paris war in den 1950er-Jahren von Konflikten begleitet, die auf die schwierige Genese einer neuen internationalen Ordnung nach dem Zweiten Weltkrieg verweisen. Der Aufsatz knüpft an jüngere Forschungen zur internationalen Geschichte sowie zu internationalen Organisationen an. Im Hinblick auf die UNESCO interessieren erstens die Etappen der Auseinandersetzung und zweitens die Bauten selbst. Drittens geht es um Gebrauchsweisen und Lesarten des Gebäudeensembles. Die Analyse beruht auf der These, dass die durch die Architektur geschaffene räumliche Ordnung und die verwendeten Materialien als bedeutungstragend zu verstehen sind. Allerdings deckte sich das realisierte Gebäude nicht völlig mit den Programmen und Wunschvorstellungen seiner Initiatoren. Die zeitgenössischen Kritiken sowie heutige Analysen geben den Blick frei auf nicht weiter explizierte Annahmen und Hierarchien, die die Organisation als politische und soziale Ordnung in den 1950er-Jahren prägten – und sie möglicherweise nach wie vor bestimmen.
Nach dem Ende des Kalten Krieges gewann ein spezifisches Genre von Büchern an Popularität, die durch klangvolle Titel auf sich aufmerksam machten und versprachen, sowohl das globale Geschehen zu erklären als auch die künftige Rolle der USA in der Welt zu skizzieren. Dabei wurde der große Wurf meist eher angekündigt als tatsächlich erzielt. Wenige dieser Bücher erwiesen sich jedoch als so breitenwirksam und langlebig wie das 1996 veröffentlichte Werk »The Clash of Civilizations and the Remaking of World Order« des US-amerikanischen Politikwissenschaftlers Samuel P. Huntington (1927–2008). Der Verfasser schien kaum zu übertreiben, wenn er im Vorwort schrieb, dass seine These »in jeder Zivilisation« einen »Nerv getroffen« habe. Laut einem »Newsweek«-Bericht bestellte die Iranische Revolutionsgarde in den 1990er-Jahren stapelweise übersetzte Kopien, um sie an ihre Mitglieder zu verteilen. Übersetzungen mit nicht weniger griffigen Titeln – »Der Kampf der Kulturen« oder »Le Choc des civilisations« – fanden sich rasch auf den Bestsellerlisten verschiedener Länder. Die Rede von einem »Clash« war aber auch besonders geeignet, sich zu verselbstständigen. Ihr wurde eine unmittelbare Plausibilität und Erklärungskraft beigemessen, ganz gleich, ob es um internationale Konflikte, Terrorakte oder innergesellschaftliche Auseinandersetzungen ging – das zeigte insbesondere die Verbreitung der Formel nach den Anschlägen vom 11. September 2001.
Der chinesische Premierminister Zhou Enlai soll in den 1970er-Jahren einmal bemerkt haben, es sei noch zu früh, die Bedeutung der Französischen Revolution zu beurteilen. Obwohl das Zitat vermutlich apokryph ist, wird es immer wieder gern bemüht, um die Flüchtigkeit des historischen Urteils zu illustrieren. Wer in solchen Zeiträumen wie der virtuelle Zhou denkt, dem muss der Versuch, nach gerade einmal zehn Jahren die Frage zu beantworten, ob die Terroranschläge des 11. September 2001 eine historische Zäsur markieren, einigermaßen absurd vorkommen. In der Tat ist gegenüber dem inflationären Gebrauch bedeutungsschwerer Begriffe wie Revolution, Epoche und Zäsur eine gesunde Skepsis angezeigt, denn in der Rückschau pflegt sich der historische Stellenwert vieler Ereignisse, welche die Zeitgenossen in Atem hielten, zu relativieren. Historiker sind sich bewusst, dass es sich bei Zäsuren um nachträgliche Konstruktionen von begrenzter räumlicher, zeitlicher und sachlicher Reichweite handelt. Dass mit wachsendem Zeitabstand auch die Klarheit des historischen Urteils zunimmt, wie es das Zhou-Zitat offenbar zum Ausdruck bringen soll, ist jedoch nicht zwingend. Genauso gut lässt sich argumentieren, nur Zeitgenossenschaft befähige zu der Empathie, die nötig sei, das Bewusstsein der Mitlebenden für einen unerwarteten und intuitiv als fundamental empfundenen historischen Bruch zu erfassen. Wer, wie der Verfasser, den Fall der Berliner Mauer vor Ort erlebt hat, wird alle Versuche, den Zäsurcharakter des 9. Novembers 1989 zu bestreiten, als blutleere Stubengelehrsamkeit empfinden.
Denkmäler haben wieder Konjunktur – nicht nur in der Kontroverse um Erinnerungs- und Ehrungszeichen im öffentlichen Raum, die einen kolonialgeschichtlichen oder rassistischen Hintergrund besitzen. In der letzten Zeit wurde zwar heftig darüber gestritten, ob derartige Denkmäler, die im Konflikt oder sogar Widerspruch zum heutigen Wertekonsens stehen, erhalten bleiben, kommentiert oder ergänzt werden, ins Museum wandern oder besser ganz verschwinden sollten. Neben der Debatte über die Entrümpelung der deutschen Denkmallandschaft werden aber auch Vorschläge für eine Neumöblierung des öffentlichen Gedenkraumes gemacht. Alternative oder zusätzliche Denkmäler werden ins Gespräch gebracht, initiiert und auch errichtet, die dem gesellschaftlichen Selbstverständnis der Gegenwart besser entsprechen, es genauer zum Ausdruck bringen und gleichzeitig mitprägen sollen. Dazu gehören nicht zuletzt Denkmäler, die an Migration und Zuwanderung erinnern.
Während des Kalten Krieges wurde in Millionen Wohnzimmern, Kasernen und Schulen gespielt: Klassische Unterhaltungsspiele wie Memory bzw. Merk-Fix, aber auch Spiele wie Fulda Gap oder Klassenkampf, die die Systemkonfrontation als Auseinandersetzung zwischen Gut und Böse erleb- und simulierbar machten. Der Aufsatz betrachtet eine in der zeithistorischen Forschung und in den Cold War Studies bislang vernachlässigte Quellengattung, die gerade in den 1970er- und 1980er-Jahren für die populärkulturelle Vermittlung von Grundcharakteristika des Ost-West-Konflikts sehr bedeutsam war. Untersucht wird, wie sich Brett- und Computerspiele in die Wettkampflogik des Kalten Krieges einschrieben, inwiefern sie für die Systemkonfrontation auf beiden Seiten sinnbildend waren, nationale Spezifika aufwiesen oder aber als Foren der Gesellschaftskritik dienten. Deutlich wird auch, wo für die jeweiligen Obrigkeiten die Grenzen des »Spielbaren« lagen. Den eigenen Untergang als Handlungsmöglichkeit oder Dystopie zu erproben, erschien vielfach als moralisch und politisch bedenklich, weil die in Spielen entwickelten Szenarien womöglich den Blick auf die Realität verändern und Kritik verstärken konnten. Andererseits konnten die Spiele aber auch die Veralltäglichung des Kalten Krieges unterstützen: Sie bereiteten Wissen über militärische Sachverhalte auf und trugen zur Gewöhnung an das atomare Drohpotential bei.
Selten gerinnt „ein Stück empirisch orientierter, projektiver Gesellschaftstheorie“ (S. 13) aus der Feder eines Soziologen so rasch zum Schlagwort der Feuilletons wie Ulrich Becks „Risikogesellschaft“. Kurz vor der Drucklegung mit einem zweiten Vorwort versehen („Aus gegebenem Anlaß“), offerierte sich der Text selbst als Kommentar zur Reaktorkatastrophe von Tschernobyl; Beck ordnete den Vorfall historisch am Ende einer Kette von „zwei Weltkriege[n], Auschwitz, Nagasaki, dann Harrisburg und Bhopal, nun Tschernobyl“ ein (S. 7). Rhetorisch beginnend mit einem Paukenschlag, bleibt das Zugespitzte, Provokante für seinen Stil bis zur letzten Seite kennzeichnend. Die erste Auflage war schnell verkauft, schon 1987 erschien eine zweite, mittlerweile liegt das Buch in der 19. Auflage vor. Seit 1992 ist es auf Englisch und in vielen weiteren Sprachen auf dem Markt.
Seit sich die republikanische Regierungsform in Frankreich endgültig durchgesetzt hatte (1875), waren vier Gruppen von Franzosen Diskriminierungen ausgesetzt, die im Staatsangehörigkeitsrecht festgeschrieben waren: französische Frauen, die Ausländer heirateten; algerische Muslime, Eingebürgerte und Juden. Die Republik erkannte sie als Franzosen an, gewährte ihnen aber nicht in jeder Hinsicht gleiche Rechte. Heute sind diese Diskriminierungen verschwunden. Doch zwei der vier Gruppen – die Juden und die algerischen Muslime – tragen weiterhin die gelebte Erfahrung und die Erinnerung früherer Diskriminierungen, auch wenn sie inzwischen völlig gleichberechtigt sind und zum Teil Anerkennung oder Reparationen erhalten haben. Der Aufsatz soll verstehen helfen, warum dies so ist, und greift dafür auf psychoanalytische Erklärungsansätze zurück. In beiden Fällen gab es ein zweites Ereignis, das die schmerzliche Vergangenheit reaktivierte: eine Rede de Gaulles 1967 bzw. die Reform des Staatsangehörigkeitsrechts 1993. Dieses zweite Ereignis geschah in einer Zeit formaler Rechtsgleichheit und wies dennoch auf die Zeit der Diskriminierung zurück.
I first came across Harlan Lane’s work towards the end of my PhD, which I was undertaking at University College London, UK. My dissertation was on the construction of ›difference‹ in the British Empire, particularly the differences ascribed to race and gender. Using nineteenth-century medical missionaries as a way in, I had started to think about differences evoked by health, disability, and the body. In particular, I noted the way in which missionaries used the language of disability as a discourse of racialisation. The African and Indian colonial subjects they encountered were described throughout missionary literature as ›deaf to the Word‹, ›blind to the light‹ and ›too lame‹ to walk alone. I have two d/Deaf cousins, one of whom is the sign language sociolinguist Nick Palfreyman, and around about this time Nick had started to familiarise me with some of the issues surrounding Deaf politics. Becoming interested and wanting to know more, I began to learn British Sign Language (BSL) and contemplate the connections between the historical work I was doing and contemporary struggles of Deaf politics and disability politics (I was particularly interested in DPAC – Disabled People Against Cuts – given the contemporary climate of austerity in the UK). As I did so I became acquainted with the work of Harlan Lane. Here, although acutely aware of my own positionality as a white, British, hearing woman, I have taken up the challenge set by the editors of this special issue to re-read his work twelve years on from my initial encounter with it, using the insights into postcolonial study I have gained through my historical work.
Im 20. Jahrhundert fanden es die Deutschen kaum verwunderlich, dass es wenig Zuwanderung aus den (ehemaligen) Kolonien gab. Aus Politik, Gesellschaft und Wissenschaft kam niemand auf die Idee, überhaupt die Frage nach (post-)kolonialer Einwanderung zu stellen. Die ausbleibende Verwunderung lässt sich durch die Selbstverständlichkeit erklären, mit der man annahm, Weiß-Sein sei eine Bedingung für Deutschsein und die deutsche Nation „kein Einwanderungsland” (Zitat Helmut Kohl, 1992). Beim Blick nach Frankreich und Großbritannien hätte man zwar ein Defizit bei der nachkolonialen Einwanderung nach Deutschland feststellen können (1974 gab es in Frankreich regulär über eine Million Menschen allein aus den ehemaligen afrikanischen Kolonien). Das Gegenteil war jedoch der Fall. Man bemühte in Deutschland den Vergleich mit Frankreich und Großbritannien lediglich, um zu behaupten, dass das deutsche Kolonialreich nur kurze Zeit existierte und zeitlich zu weit zurück lag, um einen dauernden Einfluss zu hinterlassen. Kohls Zitat, das deutsche Einwanderungsbehörden schon seit 1945 zum Leitmotiv ihrer Arbeit gemacht hatten, war weniger deskriptiv als präskriptiv gemeint. Bei der Zuwanderung nach Deutschland sollte es weder einen „Kolonialbonus“ für Auswanderungswillige aus den ehemaligen Überseegebieten geben, noch kam die deutsche Regierung auf die Idee, durch Bevorzugung von Migrant:innen oder „Gastarbeiter:innen“-Rekrutierung aus den ehemaligen Kolonien Wiedergutmachungspolitik zu betreiben, wie es zum Beispiel die englische Regierung mit der Einladung an die „Windrush-Generation“ aus karibischen Ländern zwischen 1948 und 1971 getan hatte.
Die amerikanische Aggression in Vietnam ist in Europa und Nordamerika als „der Vietnamkrieg" bekannt. Sinnvoller wäre es aber, den Konflikt im Kontext von nationalen Befreiungskriegen als „Indochinakonflikt" zu bezeichnen. Es handelte sich um mehrere Kriege, die miteinander verwoben sowie durch lokale, metropolitane und internationale Faktoren geprägt waren. Der Indochinakonflikt verdeutlicht die Handlungsautonomie von Klientelsystemen im Kalten Krieg; er verweist auf die ideologische und machtpolitische Fragmentierung des so genannten kommunistischen Blocks. Unterhalb der Ebene der globalen Auseinandersetzung war das System des Kalten Krieges multipolar konfiguriert.
In dem letztlich gescheiterten Bemühen, seine Existenz zu sichern, zeigt das Osmanische Reich Ähnlichkeiten zum Habsburger- und zum Zarenreich. Einen deutlich imperialen Status besaß das Osmanische Reich vor allem vom 15. bis zum 18. Jahrhundert, während der imperiale Charakter osmanischer Herrschaft im 19. und frühen 20. Jahrhundert weniger ausgeprägt war. Eine islamisch-christliche Konfrontation zur Erklärungsgrundlage des Verständnisses zwischen dem Osmanischen Reich und den anderen europäischen Großmächten machen zu wollen würde in eine Sackgasse führen; so zeigte die von Sultan Abdülhamid II. um 1900 verfolgte Option eines Panislamismus deutlich machtstrategisch-utilitaristische Züge. Nach wie vor wird in der internationalen Geschichtsforschung jedoch debattiert, wie die Elemente einer Gleichrangigkeit oder einer Marginalisierung des Osmanischen Reichs im Verhältnis zu den europäischen Großmächten im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert zu bewerten sind. Das imperiale Erbe der Osmanen in Südosteuropa und in den arabischen Nachfolgestaaten ist umstritten und bisher nicht ernsthaft erforscht worden; ob es zu einer Erklärung der heutigen Konfrontation von Islamismus und amerikanischem Imperium beitragen könnte, wäre noch zu untersuchen.
Der erste Flüchtlingsausweis der Welt war gleich ein Sondermodell: International ausgehandelt, wurde er im Völkerbund 1922 für staatenlose russische Flüchtlinge entwickelt, um eine neue Massenerscheinung im sortie de guerre zu kanalisieren – die von Krieg und Bürgerkrieg, Revolution und Vertreibungen ausgelösten Fluchtbewegungen. Dieses für ganz bestimmte Gruppen reservierte Identitätsdokument war unter Flüchtenden und Exilanten ebenso heiß begehrt wie auch verachtet, denn der während der 1920er-Jahre in mehr als 50 Ländern ausgestellte Pass-Ersatz war in seiner Rechtsqualität äußerst zwiespältig. Das Personendokument soll im Folgenden aus mehreren Forschungsperspektiven knapp beleuchtet werden, um zu einer Historisierung dieser ambivalenten Quelle der internationalen Flucht- und Asylgeschichte des 20. Jahrhunderts beizutragen. Um dieses zweidimensionale »Ding« der Rechtsgeschichte zum Sprechen zu bringen, sind auch Zugänge der Politik- und der Mediengeschichte sowie der Sozial- und der Alltagsgeschichte zu berücksichtigen.
Der Aufsatz skizziert die Geschichte und die Veränderungen eines der bedeutendsten Porträts der Zeitgeschichte: des Mao-Porträts auf dem Platz des Himmlischen Friedens (Tiananmen-Platz) in Peking. Er spannt den Bogen von 1949 bis in die Gegenwart und untersucht dabei die unterschiedlichen Funktionen und Gebrauchsweisen des Bildes als Herrschaftssymbol, als Ikone der studentischen Protestbewegungen des Westens und der Pop Art um 1968, als kollektivem Protestobjekt im Frühjahr 1989, als Motiv der chinesischen Gegenwartskunst sowie als Bestandteil des Alltagskults. Ein besonderer Akzent wird dabei auf die immanenten Wirkungspotenziale des Bildes und den Ort seiner Präsentation gelegt. In allgemeinerer Perspektive versteht sich der Aufsatz als Plädoyer für eine Visual History von Herrscherbildern der Zeitgeschichte.
»WAS IST WAS« – hinter diesem etwas kryptischen Titel verbarg sich für Kinder und Jugendliche der 1960er- bis 1980er-Jahre das Wissen der Welt. Mindestens einige dieser etwa 40-seitigen Bildbände über »Dinosaurier«, »Das Weltall«, »Seeschlachten«, »Das Mittelalter«, »Autos« »Päpste« oder »Insekten« standen in so gut wie jedem westdeutschen Kinderzimmer. Und wer sie besaß, wird zugeben müssen, noch heute von diesem Wissen zu zehren. »WAS IST WAS« war die deutsche Variante einer amerikanischen Kindersachbuchreihe, die unter dem Titel »How and Why – Wonderbooks« seit den 1950er-Jahren erschien. Der Nürnberger Tessloff-Verlag erwarb die Rechte an diesem Titel, übersetzte ihn in »WAS IST WAS« und brachte die ersten vier Kindersachbücher 1961 heraus (zunächst als Zeitschriftenreihe, ab 1963 dann in Buchform). Über 140 Bände sind bisher erschienen, und viele von ihnen sind in aktualisierten Neuauflagen weiterhin lieferbar. Die Reihe ist nicht abgeschlossen, inzwischen aber multi-medialisiert – und sie hat Konkurrenz bekommen.
Mit dem Übergang zum 21. Jahrhundert stellt sich die Frage nach den spezifischen Konturen des vergangenen 20. Jahrhunderts. Je nach Perspektive lassen sich unterschiedliche Aspekte herausarbeiten, die das letzte Jahrhundert über die Epochengrenzen hinweg entscheidend geprägt haben. Wenn Zeithistoriker versuchten, das – „kurze“ oder „lange“ – 20. Jahrhundert auf einen Begriff zu bringen, nannten sie es beispielsweise das „Zeitalter der Extreme“, „A Century of Genocide“, das „Jahrhundert des Industrialismus“ oder auch das „Zeitalter der (Hoch-)Moderne“, welches sich durch umfassendes technokratisches Ordnungs- und Planungsdenken ausgezeichnet habe. Unumstritten dürfte sein, dass der Fordismus und die damit verbundenen betrieblichen Rationalisierungsbewegungen ebenso zu den markanten Signaturen des vergangenen Jahrhunderts gehören wie die mit dem Fordismus verknüpfte Vision, gesellschaftliche Interessenkonflikte sozialtechnisch regulieren zu können. Darüber hinaus sollten die Volkswirtschaften, die Gesellschaften, die Städte und die Menschen analog zu den maschinengesteuerten Prozessen in den Fabriken rationalisiert werden, um eine größtmögliche Effizienz zu erzielen. Viele dieser technischen, ökonomischen, sozialen und kulturellen Bestrebungen verbanden sich bereits für die Zeitgenossen mit dem Namen des US-amerikanischen „Automobilkönigs“ Henry Ford.
Bildagenturen, die zwischen Fotografen und Redaktionen vermitteln, sind zentrale Akteure bei der Produktion massenmedialer Sichtbarkeit. Ihre Rolle im System der NS-Bildpropaganda ist weitgehend unerforscht. Der Aufsatz widmet sich einem brisanten Spezialfall, der amerikanischen Associated Press und ihrer Niederlassung im Deutschen Reich. 1935 unterstellte sich die deutsche AP GmbH dem Schriftleitergesetz und ließ sich damit »gleichschalten«. Bis zum Kriegseintritt der USA im Dezember 1941 hatte sie eine eminente Bedeutung als transatlantischer Bildlieferant für die nationalsozialistische Propaganda. Außerdem durfte AP weiterhin im Deutschen Reich produzieren. Die von der Agentur unter der Ägide des Propagandaministeriums, der Wehrmacht und der SS aufgenommenen Fotos bestückten die NS-Presse, aber die New Yorker AP-Zentrale stellte sie auch der nordamerikanischen Presse zur Verfügung, wo sie mal als scheinbar neutrale Nachrichtenbilder erschienen, mal ausdrücklich als Propagandabilder gekennzeichnet wurden.
Computerliebe. Die Anfänge der elektronischen Partnervermittlung in den USA und in Westeuropa
(2020)
Lange vor der Ära des Online-Datings begannen Heiratsagenturen und Partnerschaftsvermittlungen in den USA und in Europa den Computer einzusetzen, um die Märkte der »einsamen Herzen« zu erobern. Der Beitrag untersucht die Geschichte dieser elektronischen Kontaktvermittlung zwischen den 1950er- und den 1980er-Jahren. Wie änderten sich Vorstellungen von Liebe, Partnerschaft und Ehe im Zeitalter der »technokratischen Hochmoderne«? Und welche Rolle spielte der Computer dabei als »Elektronen-Amor« und »Matchmaking Machine«? Schon kurz nach dem Zweiten Weltkrieg avancierte der Rechner zum »wissenschaftlichen« Werkzeug einer Optimierung des Privaten. Dabei reflektierte die Geschichte der elektronischen Partnervermittlung – von der »Eheanbahnung« bis zum »Single-Dating« – einen tiefgreifenden soziokulturellen Wandel. Allerdings gab es zugleich eine erstaunliche Persistenz tradierter Werte und Muster des Kennenlernens. So eröffnete das Computer-Dating einerseits gerade für Frauen neue Wege der Partnerwahl. Andererseits (re)produzierte es soziale, ökonomische, religiöse und kulturelle Trennlinien der Gesellschaft. Die »Algorithmen der Liebe« suchten vornehmlich nach Übereinstimmungen; sie schrieben dabei konventionelle Geschlechterbilder und soziale Rollenzuweisungen fort.
Computeranschaffungen in Deutschland und weltweit, in Auszügen. Die Tabellen und Daten schlüsseln auf, welche Institutionen zu welchem Zeitpunkt welche Computer zu welchem Zweck angeschafft und eingesetzt haben. Abgedeckt werden vor allem die Banken und Sparkassen der Bundesrepublik, der DDR und international. Darüber hinaus bietet die Aufstellung breiterer Anschaffungsprozesse in Wirtschaft, Staat, Wissenschaft, Militär und Gesellschaft eine Einordnung dieser Daten.
Bernd Greiner präsentiert in seinem konzisen Überblick die jüngeren Tendenzen der Cold War Studies. In dreifacher Hinsicht habe sich der historische Blick geöffnet: Zum einen seien die Cold War Studies einer multipolaren bzw. transnationalen Perspektive verpflichtet, zum Zweiten führten sie zu einer Neugewichtung der beteiligten Akteure, und zum Dritten entwickelten sie eine Gesellschaftsgeschichte des Kalten Kriegs, die Bereiche des kulturellen und sozialen Lebens berücksichtige, die in den klassischen Meistererzählungen bisher vernachlässigt würden.
In 1892, the year the American writer Pearl S. Buck was born, the US Congress renewed the Chinese Exclusion Act, initially passed in 1882, for another ten years. It sought to prevent all laborers of Chinese ethnicity from entering or reentering the US, with breaches punishable by law. Three months after her birth, Buck moved with her missionary parents to China and spent most of her life until her early forties there. During the global Cold War, Buck, already a Nobel Laureate (1938), sharply criticized US foreign policy and its racism, the ignorance of American diplomats about China, and the arrogant belief in solving conflicts in Asia through military means in her book Friend to Friend (1958). While there is little doubt about Buck’s official US nationality, her cultural belonging of choice – which decisively shaped her lifelong literary writing, in particular the novel The Good Earth (1931) that earned her the Nobel Prize – is inherently multivalent. In The Good Earth, Buck depicts the lives of Chinese peasants and their loyalty to the earth that nurtures humanity and provides all that lives on it with nutrition. In the following pages, I will discuss Buck’s bicultural biography and several aspects of this extremely popular and influential novel and, rather than viewing it as a piece of classic American literature, I will propose re-reading it as a work in the Chinese tradition of literary realism and in the context of the emerging trend of rural realism in the early twentieth century. The purpose of my re-reading of The Good Earth is to highlight less apparent global connections in the tradition of rural nostalgia and to complicate the paradigm of national literature and national history. Indeed, the earth, ruralism, nutrition, and food, as the novel describes, constitute the very foundation of human existence across borders, political camps, language barriers, and cultural differences from antiquity to the present day.
Blick durchs Ökoskop. Rachel Carsons Klassiker und die Anfänge des modernen Umweltbewusstseins
(2012)
Kaum ein anderes amerikanisches Buch hat in aller Welt so hohe Wellen geschlagen wie „Silent Spring“. Einem Tsunami vergleichbar, der sich von seinem unterirdischen Ursprung über lange Perioden und große Entfernungen hinweg ausbreitet, hat Rachel Carsons Buch tradierte Sichtweisen auf die Natur erschüttert, unerhörte Zerstörungen sichtbar gemacht und den Ausblick auf eine gefährdete Welt zurückgelassen. Eine „Flutwelle von Briefen“ fegte unmittelbar nach der Veröffentlichung des ersten Kapitels im „New Yorker“ im Juni 1962 über die USA hinweg. Carson sah in den anhaltenden Reaktionen auf ihr Buch dessen eigentliche Bedeutung. Vieles spricht dafür, dass „Silent Spring“ einer der Auslöser für die ‚ökologische Revolution‘ der 1960er-Jahre war. Woher kam diese Sprengkraft? Und welche Bedeutung hat Carsons Klassiker heute – ein halbes Jahrhundert nach seinem Erscheinen?
Seit 2004 ist in Berlin vielfach die Einrichtung eines speziellen Museums zur Geschichte des Kalten Krieges gefordert worden. Auslöser war ein Projekt Alexandra Hildebrandts, der Leiterin des Mauermuseums/Haus am Checkpoint Charlie. Auf einer Freifläche neben dem Grundstück des Mauermuseums eröffnete sie am 31. Oktober 2004 ein privates Denkmal. Es bestand aus einem aus Originalteilen neu zusammengesetzten Stück der Berliner Mauer und 1.065 Holzkreuzen. Die Kreuze waren überwiegend mit Namen und Fotografien versehen und sollten an diejenigen erinnern, die infolge der deutschen Teilung zu Tode gekommen waren. Im Juli 2005 wurde das Areal von der Polizei zwangsgeräumt, da Hildebrandt die Pacht für das Grundstück nicht mehr bezahlen konnte. In der publizistischen Debatte, die diese Aktion begleitete, ging es zunächst einmal um die genaue Zahl der Mauertoten und um angemessene Formen des Gedenkens an die Opfer der deutschen Teilung, mittelbar aber auch um die historische Bewertung der Rolle Berlins im Kalten Krieg. Der Streit über die Umsetzung eines fachlich fundierten Erinnerungskonzepts am Checkpoint Charlie und somit über die Deutungshoheit im Hinblick auf den Kalten Krieg entbrannte zwischen Pressevertretern unterschiedlicher politischer Lager, der Berliner Landespolitik und engagierten Wissenschaftlern – ein klassischer geschichtspolitischer Konflikt.
The American evangelist Billy Graham held several revival meetings – so-called crusades – in West Germany in the 1950s and 1960s. Many thousands of Germans came to hear him. This article explores the reasons for Graham’s success in the Federal Republic in the context of a transatlantic religious and cultural history. Graham’s campaigns were embedded in the discourse of rechristianization and secularization after the end of the Second World War. Leading Protestant bishops such as Otto Dibelius and Hanns Lilje supported him. Furthermore, Graham’s campaigns played an important role in the West German culture of the Cold War as political stagings of the Free World consensus. In addition, the orchestration of the crusades reconciled religion and consumerism. Billy Graham’s crusades are a prism through which to explore important modernization processes in German Protestantism in the first two decades of the Federal Republic.
Beyond Nostalgia and the Prison of English. Positioning Japan in a Global History of Emotions
(2021)
This article interrogates the history of emotions at a pivotal moment in its growth as a discipline. It does so by bringing into conversation the ways in which scholars in Japan have approached ›nostalgia‹ (and emotions more broadly) as an object of study with concepts, theories, and methods prioritised by a predominantly Eurocentric field. It argues that Anglocentric notions of nostalgia as conceptual frameworks often neglect the particularisms that underlie the way that the Japanese language communicates and operationalizes cultural norms and codes of feeling. It also examines the aisthetic work of musicologist Tsugami Eisuke to help understand historical and psychological distinctions between ›nostalgia‹ and Japanese ideas of temporal ›longing‹, working towards a global history of emotions that meaningfully embraces multilateral and multi-lingual interaction. This article thus argues for a more nuanced way of discussing nostalgia cross-culturally, transcending dominant approaches in the field which are often grounded in a specifically Euro-Western experience but claim universal reach.
Bilder von Flüchtlingslagern rufen in der Regel emotionale Reaktionen, ja Bestürzung über die enormen Ausmaße dieser prekären Einrichtungen hervor. Manchmal führen sie gar zur Frage, ob und wie diese Orte überhaupt existieren können. Bei der Betrachtung von Fotos und der gesamten Bildwelt der Flüchtlingslager stellen sich spontan Assoziationen ein: materielle Not, eine offensichtlich nur provisorische Organisation der Räume, schwach ausgeprägte Spuren, die das Lager als Form von der natürlichen Umgebung und dem Boden kaum abheben. All dies vermittelt den Eindruck, dass morgen bereits verschwunden sein könnte, was uns heute vor Augen steht. Wir werden von einem Gefühl der Unwirklichkeit ergriffen, das mit der europäischen Geschichte verknüpft ist, mit den in Europa vorherrschenden Normen der Raumorganisation und den Lebensweisen des Westens. Dieses Gefühl legt eine bestimmte Einordnung nahe. Es mischt sich mit einer von den Themen Ausnahmezustand und Thanatopolitik geprägten Vorstellung des Lagers. Manche Sozialwissenschaftler/innen, Journalist/innen und Fotograf/innen haben sich von dieser stark vereinfachenden Repräsentation täuschen lassen und die Lager der Gegenwart vor dem Hintergrund der Shoah betrachtet. Global gesehen, ist die Wirklichkeit der Lager des 21. Jahrhunderts jedoch wesentlich komplexer und ambivalenter. Einerseits muss das Modell der Ausnahme relativiert werden durch die sowohl globale als auch lokale Kontextualisierung der Lager – selbst wenn sich die für die Sicherheit verantwortlichen oder humanitären Mächte gern von diesem Modell inspirieren lassen. Andererseits prallen im Alltag der Flüchtlingslager zwei unterschiedliche Zeitregime aufeinander, ereignet sich gleichsam ein Schock zwischen der Langsamkeit des Alltags der Ein-Gelagerten (encampés) und der von der humanitären Dringlichkeit bzw. der Brutalität der Sicherheitseinsätze verursachten Hektik und Betriebsamkeit (urgentisme). Aus diesem Grund sind Spannung und Ungewissheit stets Teil des Handelns, der Sinnzuschreibung solcher Orte und ihrer Zukunft.
„Nach Weltkrieg und Holocaust scheint heute erreicht, was undenkbar war: Deutschland ist ein Musterbeispiel für eine gelungene Demokratisierung und eine Nation unter Gleichen.“1 Interessanterweise könnte dieser Satz, der ein Buch des Jahres 2004 bewirbt, nicht in Merritts Übersichtswerk zur Umfrageforschung der amerikanischen Militärregierung stehen, das doch gerade den Anfang der gelungenen Demokratisierung schilderte.
Eine Betrachtung von Berufungen unter der Kategorie Geschlecht eignet sich in besonderem Masse dazu, gleichsam wie in einem Vergrösserungsspiegel, die soziale Bedingtheit von Berufungen aufzuzeigen. Diese werden bis heute von den an Berufungsverfahren Beteiligten wenig oder gar nicht reflektiert, besteht doch die unhinterfragte illusio[1] des akademischen Feldes darin, nach dem vermeintlich harten Kriterium der wissenschaftlichen Leistungsfähigkeit ›die besten Köpfe‹ zu berufen. Bislang gibt es für das 19. und 20. Jahrhundert, d.h. die Phase der sogenannten modernen Universität, keine historische, quellenbasierte Untersuchung zur inhaltlichen Ausgestaltung und zum Wandel von Berufungskriterien. Bisher ist auch das Verhältnis von Berufung und Geschlecht in historischer Längsschnittperspektive nicht systematisch untersucht worden.
Der folgende Beitrag erschien erstmals im Jahr 2012 in der Publikation „Professorinnen und Professoren gewinnen. Zur Geschichte des Berufungswesens an den Universitäten Mitteleuropas“, die von Christian Hesse und Rainer Christoph Schwinges herausgegeben wurde. Mit freundlicher Erlaubnis der Autorin Sylvia Paletschek veröffentlicht zeitgeschichte|online die Einleitung des Aufsatzes. Eine vollständige Version findet sich auf dem freien Dokumentenserver FreiDoks plus, ein Angebot der Universitätsbibliothek der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg und im Material zu diesem Beitrag.
In der langen Geschichte technomorpher Modellierungen des Politischen markiert „The Nerves of Government“ einen Paradigmenwechsel. Hatte Thomas Hobbes rund 300 Jahre zuvor das moderne politische Denken mit einer geometrisch-mechanischen Staatsphilosophie begründet, so durfte Karl W. Deutschs umfassende Modellstudie als erster ernstzunehmender Versuch gelten, die in den 1940er-Jahren angestoßene informationstechnische Revolution in ein politisches Vokabular zu übersetzen. Tatsächlich konnte (und wollte) das Ensemble von Begrifflichkeiten, das auf diese Weise Einzug in die politische Rationalität des 20. Jahrhunderts hielt, seine Wurzeln im Feld der Nachrichten- und Regelungstechnik nicht verbergen. Vielmehr bestand Deutschs Grundannahme gerade darin, „daß Regierungsapparate und politische Parteien nichts anderes als Netzwerke zur Entscheidung und Steuerung sind, daß sie auf Kommunikationsprozessen beruhen und daß in gewisser Hinsicht ihre Ähnlichkeit mit der Technologie der Nachrichtenübertragung groß genug ist, um unser Interesse zu erregen“ (S. 211).
Für Alexander Kluge gibt es keine abgeschlossenen Werke: „Bücher halten nicht still. Sie sind auch nie ‚beendet‘“. So ist es auch im Fall der „Schlachtbeschreibung“ nicht bei der Erstausgabe von 1964 geblieben. Kluge versteht seine Bücher als „work in progress“, als „Baustellen“ und als Produkte einer Sammlertätigkeit, die nicht beendet werden kann. Ein Buch wie die „Schlachtbeschreibung“ ist in diesem Sinne lediglich ein kleiner Teil eines stetig wachsenden und sich immer wieder aufs Neue verändernden multimedialen Netzwerks, das nicht nur literarische Texte umfasst, sondern auch philosophische Arbeiten, Kinofilme und Fernsehmagazine. Bis heute sind nicht weniger als sieben zum Teil sehr stark voneinander abweichende – gekürzte, erweiterte, neu arrangierte und um Abbildungen ergänzte – Ausgaben des Stalingrad-Buchs erschienen. Die vorerst letzte (gedruckte) Überarbeitung stammt aus dem Jahr 2000, als Kluge sein erzählerisches Gesamtwerk, ergänzt durch neu entstandene Texte, unter dem Titel „Chronik der Gefühle“ in einer umfangreichen zweibändigen Ausgabe versammelte. Darin findet sich die „Schlachtbeschreibung“ – als ein Kapitel unter vielen – in einen neuen Zusammenhang gestellt.
Ernst Friedrich Schumachers vor 50 Jahren erschienenes Buch »Small is Beautiful« wurde in den 1970er-Jahren schnell zu einem Standardwerk der Technikkritik und der Debatten um alternative Wirtschaftsformen im globalen Zusammenhang. Vor allem im expandierenden Feld der Nichtregierungsorganisationen (NGOs) und Bürgerinitiativen wurde Schumacher zu einem wichtigen Stichwortgeber. Bis heute wird das Buch als Referenz für alternative Konzepte von Wirtschaft und Gesellschaft angeführt – vom »Green New Deal« über die »Donut-Ökonomie« bis zur »Postwachstumsgesellschaft«. Gerade im Kontext der ökologischen Krisen der Gegenwart und der kritischen Sicht auf Wachstumsziele als Selbstzweck ist Schumachers Plädoyer für eine »Rückkehr zum menschlichen Maß« hoch aktuell. Von den Traditionen des ökonomischen Denkens des 20. Jahrhunderts geprägt, scheint sein Buch in besonderem Maße geeignet, Anknüpfungspunkte für das Wirtschaften »in einer endlichen Welt« zu liefern. Aber es sind auch andere, stärker historisierende Lesarten möglich.
Like any political, economic, or social happening, the building of architecture can be understood as an historical event. But unlike those other, particularly discrete, types of events, an architectural “event” takes on a concrete form that not only preserves the moment of its beginning but also registers, to a palpable extent, further developments within its context - a process that can be understood as the development of scars upon the architectural surface. It is no coincidence, then, that Reinhart Koselleck used an architectural metaphor to describe the layering of "geschichtliche Zeiten" (historical times) that emerge between "Vergangenheit" and "Zukunft" (past and future), "Erfahrung" and "Erwartung" (experience and expectation): „Wer sich im Alltag von geschichtlicher Zeit eine Anschauung zu machen sucht, der mag auf die Runzeln eines alten Menschen achten oder auf Narben, in denen ein vergangenes Lebensschicksal gegenwärtig ist. Oder er wird sich das Nebeneinander von Trümmern und Neubauten in Erinnerung rufen, und er wird auf den augenfälligen Stilwandel blicken, der einer räumlichen Häuserflucht ihre zeitliche Tiefendimension verleiht, oder er wird auf das Neben-, Unter- und Übereinander unterschiedlicher modernisierter Verkehrsmittel schauen [...].“
Arbeitergeschichte
(2010)
In der Anti-Apartheid-Bewegung spielte Musik als politisches Medium eine herausragende Rolle, besonders in den 1980er-Jahren. Auf der Basis von Quellenmaterial aus England und aus Südafrika untersucht der Aufsatz die Kontroverse um Paul Simons Album »Graceland« (1986) vor dem Hintergrund des Kulturboykotts. Dieser sollte das Apartheid-Regime auf dem Gebiet der Kultur isolieren, wurde aber seit Mitte der 1980er-Jahre von der Opposition innerhalb Südafrikas immer mehr als Fessel betrachtet. Der African National Congress (ANC) betrieb eine Modifikation des Boykotts – gegen den Widerstand der britischen Anti-Apartheid-Bewegung. Die Kontroverse um »Graceland« steigerte noch die Verwirrung: Es gab unterschiedliche Meinungen zu der Frage, ob Simon durch seine Zusammenarbeit mit südafrikanischen Musikern den Kulturboykott gebrochen habe und wie dies eventuell zu sanktionieren sei. Der Versuch, in Zeiten gesteigerter Medialisierung grenzüberschreitende kulturelle Ströme durch politische Instanzen kontrollieren zu wollen, war letztlich zum Scheitern verurteilt.
Music played an important role as a political medium for the anti-apartheid movement, particularly in the 1980s. Drawing on sources from the UK and South Africa, the article investigates the controversy surrounding Paul Simon’s album Graceland (1986) against the backdrop of the cultural boycott against South Africa. The aim of the boycott was to isolate the apartheid regime in the field of culture, but from the middle of the 1980s, the opposition within South Africa increasingly regarded it as an obstacle. The African National Congress (ANC) pursued a modification of the boycott against the resistance of the British Anti-Apartheid Movement (AAM). The controversy over Graceland only served to compound the confusion: opinions differed as to whether Simon had really breached the cultural boycott by collaborating with South African musicians, and on how this could potentially be sanctioned (in either sense of the word). The incident shows that the attempt to control transnational cultural currents through political institutions in times of increased mediatisation was ultimately doomed to failure.
Die südafrikanische Apartheid ist zum Bestandteil des »kollektiven Gedächtnisses« nationaler und transnationaler Erinnerungskulturen geworden. Dies betrifft nicht allein die Ereignisse in Südafrika selbst, sondern auch die weltweiten Diskussionen über den Umgang mit der Apartheid, die in den Vereinten Nationen und anderen internationalen Organisationen ebenso wie in einzelnen Ländern geführt wurden. Die seit den 1960er-Jahren zunehmende weltweite Ächtung der Apartheid als rassistisches Regime hing zusammen mit einem Anwachsen von Anti-Apartheid-Bewegungen in zahlreichen Ländern und neuen Legitimationen westlicher Außenpolitiken. Von den sowjetisch kontrollierten, aber auch skandinavischen Ländern wurden die Befreiungsbewegungen – vor allem der African National Congress (ANC) – materiell unterstützt. Die Auseinandersetzungen über Apartheid und den Umgang mit einem Land, in dem Menschenrechtsverletzungen gesetzlich abgesichert waren, trugen in einem erheblichen Maße zur Etablierung der Menschenrechte als international verbindlicher Norm bei. Das Thema Apartheid bietet die Möglichkeit, transnationale Verflechtungen und gesellschaftliche Wahrnehmungen vertiefend auszuloten sowie die Bedeutung der 1970er- und 1980er-Jahre für die Ausbildung einer »reflexiven Moderne« zu erkunden.
Few of Hannah Arendt’s declarations have had as enduringly a controversial legacy as the one she gave in her famous 1964 West German television conversation with Günter Gaus, proclaiming uncompromised loyalty to her first language – German – despite Hitler. The statement was misconstrued as a privileging of the language of the perpetrators and expressing a bias against Eastern European Jews. In conversation with the recent ›Taytsh turn‹ (Saul Zaritt) in Yiddish Studies, this article focuses instead on two Yiddish newspaper articles published by Arendt in 1942 and 1944 and explores what I call a ›Taytsh move‹ in Arendtʼs language politics. Taytsh, an alternative name for the Yiddish language meaning, literally, German, foregrounds (Jewish) cultures’ inherent translational mode and interconnectivity with the world that makes and sustains these cultures. Arendt reactivated the inherent unbordered nature of languages – with an awareness of the dangers of monolingualism; for the sake of overcoming reductive constructions of Jewishness and modern identity; against the atomizing forces of fascism.
In seinem Beitrag über „Amerikanisierung und Westernisierung“ widmet sich Anselm Doering-Manteuffel zwei bedeutenden Formen des Kulturtransfers in der Mitte des 20. Jahrhunderts. „Amerikanisierung“ bezeichnet im Wesentlichen den wirtschaftlichen und kulturellen Einfluss Amerikas und die Adaption von Gebräuchen, Verhaltensweisen, Bildern und Symbolen in Politik, Kunst und Alltagswelt. „Westernisierung“ beschreibt hingegen die politisch-ideelle Homogenisierung Westeuropas, die Sozialliberalisierung sozialistischer und sozialdemokratischer Parteien sowie ganz konkret die Beeinflussung der westdeutschen publizistischen und akademischen Öffentlichkeit mit dem Ziel, deren antiwestliche und antiliberale Traditionen zu durchbrechen.
Der Begriff „Imperium“ kehrt verstärkt in den historisch-politischen Diskurs zurück, und wer ihn heute benutzt, redet in der Regel über die Vereinigten Staaten von Amerika.1 Während des Kalten Krieges sprach man von „Blöcken“ oder „Lagern“, doch seit Beginn des neuen Jahrhunderts hat der Versuch, Geschichte als eine Folge von Großreichen zu denken, spürbar Aufwind. Eine solche Perspektive ist keineswegs neu; vielmehr kann sie auf eine lange Tradition zurückblicken. Der Klassiker des imperialen Genres ist Edward Gibbons Werk „Decline and Fall of the Roman Empire“ (1776-1788), das man zu seiner Zeit als Kritik an der westlichen Welt und Parabel auf die Krise des britischen Weltreiches lesen konnte.2 Parallel zur Rede über den Niedergang von Imperien diskutierte man seit dem Ende Roms ihre Übertragung. So prophezeite der britische Philosoph George Berkeley bereits 1752 eine transatlantische translatio imperii: „Westward the course of empire takes its way“, schrieb er und meinte die Neue Welt.3 Im 19. Jahrhundert war die Erwartung amerikanischer Größe schon ein Allgemeinplatz des politischen Denkens.4 Mit dem Eingreifen der USA im Ersten Weltkrieg und Woodrow Wilsons Credo, Amerikas Mission sei „to make the world safe for democracy“, endete die von den Gründervätern verordnete Ära der Isolation endgültig. Seit Beginn des 20. Jahrhunderts waren die USA eine globale Weltmacht, und seit Ende des Zweiten Weltkrieges überstieg ihre militärische, ökonomische und kulturelle Macht diejenige anderer Nationalstaaten. Hier setzte die gegenwärtige Rede vom amerikanischen Imperium und dem „US-Imperialismus“ ein.
Ambivalente Metaphorik. Ein kritischer Rückblick auf Zygmunt Baumans "Dialektik der Ordnung" (1989)
(2017)
Lange vor Baumans »Dialektik der Ordnung« war mir ein Text von Yvonne Hirdman in die Hände gefallen, als ich mich für ein Forschungsprojekt zum »social engineering« in die Forschungsliteratur zur schwedischen Geschichte und Gesellschaftspolitik einzulesen begann. Hirdman, Historikerin, hatte 1989 ein schlankes Buch mit dem aus dem Deutschen abgeleiteten Titel »Att lägga livet tillrätta« publiziert, »Das Leben zurechtlegen«.[1] Die Studie war im Rahmen einer Enquête entstanden, mit deren Hilfe der schwedische Staat sein eigenes Funktionieren untersuchte. Hirdman, die zehn Jahre zuvor eine Geschichte der Sozialdemokratie unter dem selbstsicheren Titel »Wir bauen das Land« verfasst hatte, hielt nun derselben sozialdemokratisch dominierten Gesellschaftspolitik vor, die Menschen systematisch übermächtigt zu haben.
Am Beispiel Willy Brandts und seiner Beziehungen zu den USA wird deutsche und amerikanische Außenpolitik als transnationale Mediengeschichte interpretiert. Wie wirkte sich das besondere Verhältnis zu den USA auf den medialen und politischen Stil der Bundesrepublik aus? Dies wird erstens anhand der publizistischen Vermittlung von Brandts Reisen in die USA und der daraus resultierenden Imagebildung untersucht. Zweitens wird nach amerikanischen Einflüssen auf Brandts Inszenierungspraktiken und die damit verbundene Medienberichterstattung gefragt; dabei steht John F. Kennedy als Vorbild im Zentrum. Der Untersuchungsschwerpunkt liegt auf der Zeit von 1958 bis 1961.
Modeled after the Soviet propaganda magazine SSSR na stroike (›USSR in Construction‹, published 1930–1941, 1949), the Japanese overseas propaganda photo magazine FRONT (1942–1945) provided visual propaganda for the so-called ›Greater East Asia Co-Prosperity Sphere‹, a concept that was proclaimed in 1940 and served to disguise Japan’s quest for hegemony in Asia. Employing the aesthetics of Russian Constructivism and Socialist Realism of SSSR na stroike, FRONT created a visual aesthetic that could be termed Japanese Co-Prosperity Realism. Its dynamic and modernistic design was a transculturally inspired practice by Japanese photographers, graphic designers, journalists and producers of visual media, some of whom had been left-wing intellectuals or had lived and worked in the Soviet Union. In a comparative perspective, this paper carves out the political, cultural and gendered semantics of the (in)visibility of power, political religion and ethnic diversity that such aesthetics entailed. It explores some of the shifting backgrounds against which photographic techniques were enacted, from their avant-garde beginnings to their application in authoritarian regimes.
Access Activism. The Politicization of Wheelchairs and Wheelchair Users in the Twentieth Century
(2022)
For millions of disabled people around the world the wheelchair has been one of the most important technological innovations of the twentieth century. From its inception as a relatively cumbersome, heavy machine, designed principally for indoor use, the wheelchair has evolved into a sophisticated and highly technical mode of transport. Wheelchairs are, at least in the Global North, relatively widely used and universally recognizable – so recognizable that they have become the cultural symbol to represent all disabled people. Wheelchairs are often viewed with trepidation: as machines that disable, confine, and deprive their occupant of independence – as medical devices that doctors prescribe only to the sick, the wounded or the elderly. Such definitions and perceptions infiltrate the public lives of wheelchair users, cause considerable macro and micro political difficulties, and consequently disable users in a myriad of different ways.
A Cold War Museum for Berlin
(2009)
The Cold War is ancient history to young people now. They have no idea of the underlying issues that fueled the Cold War or how it evolved and affected people’s lives. Current college and university students (aged 18-26) were between zero and six years old when the Berlin Wall came down, which is to say they did not live during the Cold War and have no direct understanding of what it was. It really is history to them, seemingly as distant as World War II or maybe even the French Revolution. The Cold War world, of mutually assured destruction, communism vs. capitalism, and Berlin on the front line divided by a wall, has been replaced by fears of terrorism, global warming, and financial crisis.
„Wir schreiben das Jahr 50 vor Christus. Ganz Gallien ist von den Römern besetzt... Ganz Gallien? Nein! Ein von unbeugsamen Galliern bevölkertes Dorf hört nicht auf, den Eindringlingen Widerstand zu leisten...“ Mit dieser mittlerweile fast legendären Eröffnung startete vor 50 Jahren eine der meist gelesenen Comicserien in Europa. Asterix, eine Geschichtsgroteske über den gleichnamigen gallischen Antihelden, wurde von Albert Uderzo und René Goscinny erschaffen. Im französischen Jugendmagazin „Pilote“ erschien erstmals im Herbst 1959 ein Abenteuer der kampflustigen Gallier. Bereits zwei Jahre später war die Serie so populär, dass ein erstes Comicalbum „Astérix le Gaulois“ produziert wurde. Es folgten weitere 33 Alben, die mehr als 310 Millionen Mal in über 100 Sprachen und Dialekten verkauft wurden, acht abendfüllende Zeichentrickfilme und drei Realverfilmungen. Asterix wurde zu einem westeuropäischen Comicphänomen.
Das Jahr 1989 ist oft als „annus mirabilis" bezeichnet worden. Es handelt sich um eine der wenigen Zäsuren der Zeitgeschichte, die in den meisten europäischen Ländern eindeutig positiv besetzt ist. Mit dem Fall der Berliner Mauer existiert obendrein ein symbolischer und medial vermarktbarer Erinnerungsort, der das Bild von 1989 prägt.
Timothy S. Brown highlights in his article that the year „1968” must be conceived as a cipher for the political and social change in the second half of the 20th century. He inquires the generational connection and the transnational entanglement of the “Global Sixties”. Despite the numerous research in the course of the 50th anniversary of “1968” remains the subject fruitful: Brown points out the potential of interdisciplinary studies, which give more weight to the cultural aspects of “1968” and the new kinds of the political, focus on the analysis of reactions of the states and their elites as well as on the changes in gender relations and in general on the long-term effects of this “epoch-making” year.
Seit einiger Zeit löst sich die Schockstarre, die bei Bekanntwerden des Ergebnisses des Referendums vom Juni 2016 über die EU-Mitgliedschaft des Vereinigten Königreichs eingesetzt hatte. Mittlerweile wird sie außerdem gelegentlich durch Entwicklungen in den USA, Italien und anderswo überlagert, die alle ihrerseits für die weitere Entwicklung in Bezug auf den Brexit folgenreich sind. Weiterhin ist das Vereinigte Königreich Teil der Europäischen Union, wobei die Perspektive eines Austritts längst ihren Schatten vorauswirft. Viel ist in den vergangenen Monaten international gesagt und geschrieben worden, um das lange Zeit Undenkbare zu erklären. Eine beachtliche Reihe von Kommentatoren hat sich zu Ergründungen des britischen Nationalcharakters hinreißen lassen und etwa Beispiele für ein tief verankertes Sonderbewusstsein und Anzeichen für einen Sonderweg in Kultur und Geschichte bemüht.