Medien
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Neuzeitliche Kunstwörter entbehren häufig der Anschaulichkeit und semantischen Eindeutigkeit. Was genau unter gegenwartsbezogenen Kreuz- und Kofferwörtern wie »Bionik«, »Glokalisierung« oder »Stagflation« zu verstehen ist, bleibt im allgemeinen Sprachgebrauch diffus, und nicht anders ergeht es fachsprachlichen Neologismen wie »Demokratur« oder »autolitär« in der Zeitgeschichte. Diese Feststellung gilt in noch höherem Maße für Wortschöpfungen an der Schwelle zur Moderne, die erst nach Auswanderung aus ihrem Fachkontext sprachliche Popularität gewannen, während ihre Ursprungsverwendung sich wieder verlor: Mit Monomanie, Neurasthenie und auch Nostalgie werden in der Medizin pathologische Phänomene im Grenzbereich von Gesundheit und Krankheit bezeichnet, die erst durch die Sprachschöpfung als Krankheit konstituiert wurden und heute als »vergängliche Krankheitskonzepte« gelten, stattdessen aber zeitweilig oder dauerhaft Eingang in die Alltagssprache fanden.
Historische Authentizität im Spielfilm. Ein Zusammenspiel von Ähnlichkeits- und Differenzerfahrung
(2021)
Der Beitrag beschäftigt sich mit Diskursen, Konzepten und Konventionen von »historischer Authentizität« in populären fiktionalen Spielfilmen, insbesondere, aber nicht ausschließlich im deutschsprachigen Kontext. Der erste Teil widmet sich einer typisch deutschen Tradition der Verknüpfung von filmischer Geschichtsdarstellung und Realismus, die als notwendige Grundlage für die Forderung nach Authentizität in fiktionalen Ausdrücken begründet wird. Der zweite Teil erläutert ein theoretisches Modell, das die Herstellung des Realismus-Eindrucks als Zusammenspiel von ästhetischer Ähnlichkeits- und Differenzerfahrung begreift. Wie sich dies für die Analyse von historisch situierten Spielfilmen anwenden lässt, erläutert der dritte Teil des Beitrags, der zugleich eine Systematisierung von ästhetischen Strategien der Authentifizierung vorschlägt. Zum Abschluss, im vierten Schritt, wird ein Ausblick auf mögliche Bezugspunkte für eine verstärkt kritische Auseinandersetzung mit dem Thema »historische Authentizität im Spielfilm« gegeben.
Radio Luxemburg gilt als Sonderfall in der deutschen Rundfunkgeschichte: Ab 1957 strahlte der kommerzielle Radiosender mit Sitz im Großherzogtum ein deutschsprachiges Hörfunkprogramm ins Nachbarland aus. Damit importierte er bis dato ungekannte Marktlogiken und Marketingstrategien in das bundesdeutsche Mediensystem. Die Mitarbeiter des öffentlich-rechtlichen Hörfunks standen somit vor großen Herausforderungen: Während sie sich vor allem dem gesetzlichen Programmauftrag verpflichtet fühlten, orientierte sich Radio Luxemburg fast ausschließlich an der Nachfrage des Publikums. Von beiden Seiten fanden inhaltliche Annäherungsprozesse statt. Der Rundfunk als primäres Kulturgut wandelte sich immer stärker zu einem Wirtschaftsgut.
Katja Berg zeigt, welche Debatten und Veränderungen aus der Konfrontation zweier unterschiedlicher Rundfunksysteme folgten. Sie kommt zu dem Ergebnis, dass durch die Existenz Radio Luxemburgs in der Bundesrepublik de facto bereits vor der Liberalisierung des Rundfunks in den 1980er Jahren ein duales Mediensystem entstand.
Der Beitrag beschäftigt sich mit den Gladiatoren-Darstellungen des französischen Salon-Künstlers Jean-Léon Gérôme, der in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts mit nahezu fotorealistischen Inszenierungen des antiken Alltagslebens große Berühmtheit erlangte. Herausgearbeitet werden die Authentizitätsstrategien des Künstlers, die als grundlegend für die Popularität seiner Werke bis ins 21. Jahrhundert betrachtet werden. Gérômes Vorgehen ist äußerst medienreflexiv und operiert mit einer Verschränkung von Authentizitätszuschreibungen auf mehreren Ebenen. Ein entscheidender Schritt zur Authentizitätssteigerung ist der Medientransfer von der Malerei zur Skulptur, der abschließend in zeitgenössische Praktiken der Wissensproduktion eingeordnet wird.
Die Allgegenwart der NS-Zeit in Massenmedien und Populärkultur ist heute nichts Besonderes mehr. Als jedoch seit Beginn der 1970er-Jahre in der Bundesrepublik in rascher Folge viele neue Bücher, Filme und Ausstellungen über Adolf Hitler herauskamen, erschien dies vielen als suspekt, wenn nicht gar als gefährlich: Vor dem Hintergrund des sich formierenden Rechtsradikalismus beschwor die »Hitler-Welle« das Gespenst einer »Nazi-Nostalgie« herauf. Warum dieser von heute aus gesehen vielleicht befremdliche Begriff damals nahelag, demonstriert der vorliegende Aufsatz. Er trägt zu einer Historisierung des Nostalgie-Konzepts bei und akzentuiert dessen politische Aufladung. Zugleich benutzt er den Begriff und die Debatte, um die Auseinandersetzung mit der NS-Vergangenheit in den 1970er-Jahren genauer zu ergründen. In der Konzentration auf Hitler und mit der Ausblendung der NS-Verbrechen als Gesellschaftsgeschichte stand die »Hitler-Welle« einerseits in der Kontinuität der 1950er-Jahre. Andererseits wies sie nach vorn, nämlich auf die in der Bundesrepublik 1979 ausgestrahlte US-Serie »Holocaust«, deren Resonanz ohne die vorangegangene »Hitler-Welle« kaum zu verstehen ist, sowie auf den »Historikerstreit« der 1980er-Jahre.
Eine Reise nach Flensburg zum Visual Historian Gerhard Paul wäre ohne eine beispielhafte Bildanalyse von ihm sicherlich unvollständig. Genau aus diesem Grund baten Christine Bartlitz und Josephine Kuban ihn im Rahmen des im September 2020 geführten Interviews (https://visual-history.de/2021/03/15/gelernt-habe-ich-im-laufe-der-zeit-viel-mehr-auf-das-bild-selbst-zu-achten-interview-gerhard-paul/) um die Auswahl eines Bildes und eine anschließende Bildbeschreibung, -analyse und -interpretation. Keine zehn Minuten später lag eine Analyse der Fotografie des vietnamesischen Mädchens Kim Phúc vom 8. Juni 1972 des Fotografen Nick Ùt vor. Sie kann exemplarisch als eine Anleitung zum Umgang mit Bildern in der Geschichtswissenschaft genutzt werden – und ist der Auftakt für weitere Grundlagentexte und methodische Einführungen in die Visual History auf visual-history.de.
Christoph Classen, Achim Saupe, Hans-Ulrich Wagner
Wie stellt sich das Verhältnis von Authentizität, Medien und Geschichte
unter den Bedingungen der fortgeschrittenen Moderne dar? Der Sammelband
führt kursorisch in dieses Dreiecksverhältnis ein und zeigt die Probleme
auf, in die das Konzept von Authentizität angesichts der
Unvermeidbarkeit von Medien in historischen und generell kommunikativen
Zusammenhängen führt.
Mit Beiträgen von: Christoph Classen, Miriam Frank, Juliane Hornung,
Judith Keilbach, Sylvia Kesper-Biermann, Georg Koch, Helmut Lethen,
Michael Ostheimer, Raphael Rauch, Brigitte Sahler, Magdalena
Saryusz-Wolska, Achim Saupe, Franziska Schaaf, Julia Schumacher, Daniel
Siemens, Katja Stopka, Hans-Ulrich Wagner
Der Beitrag untersucht Authentizitätskonstruktionen und ihr Verhältnis zu Medialität im deutschsprachigen Mediendiskurs über »altes« Handwerk, handwerkliches Selbermachen und Do It Yourself (DIY) seit 1990. Dabei wird ebenfalls auf historische Spezialdiskurse eingegangen, auf welche die Deutungen in der Gegenwart zurückgreifen. Drei Paradoxien strukturieren die Untersuchung: das Paradoxon der materialbasierten Entmaterialisierung, das Paradoxon der schnellen Entschleunigung und das Paradoxon der massenmedialen Fortschrittskritik. Daran wird deutlich, dass Medien Authentizität zuschreiben und dabei in einen Widerspruch zu ihrer eigenen Verfasstheit gelangen. Über den Gegenstand »Handwerksdiskurs« hinaus wird dies als inhärenter Bestandteil von Authentisierungsstrategien identifiziert.
Jonas Nesselhauf stellt die Ausstellung „9/11: Vom Ereignis zum Gedächtnis“ vor, die noch an diesem Wochenende in den Räumen des Literaturarchiv Saar-Lor-Lux-Elsass der Saarländischen Universitäts- und Landesbibliothek zu sehen ist. Der Beitrag reflektiert anlässlich des 20. Jahrestages des 11. September 2001 über die Möglichkeiten einer Ausstellung gerade angesichts der enormen Visualität der Anschläge und ihres Charakters als globales Medienereignis, das bis heute das kulturelle Gedächtnis unserer Zeit zutiefst prägt. Herzstück der Ausstellung sind die Augenzeugen-Fotografien von Richard Karger, der die Skyline Manhattans am 11. September 2001 in beeindruckenden Bildern festhielt.
Beyond Nostalgia and the Prison of English. Positioning Japan in a Global History of Emotions
(2021)
This article interrogates the history of emotions at a pivotal moment in its growth as a discipline. It does so by bringing into conversation the ways in which scholars in Japan have approached ›nostalgia‹ (and emotions more broadly) as an object of study with concepts, theories, and methods prioritised by a predominantly Eurocentric field. It argues that Anglocentric notions of nostalgia as conceptual frameworks often neglect the particularisms that underlie the way that the Japanese language communicates and operationalizes cultural norms and codes of feeling. It also examines the aisthetic work of musicologist Tsugami Eisuke to help understand historical and psychological distinctions between ›nostalgia‹ and Japanese ideas of temporal ›longing‹, working towards a global history of emotions that meaningfully embraces multilateral and multi-lingual interaction. This article thus argues for a more nuanced way of discussing nostalgia cross-culturally, transcending dominant approaches in the field which are often grounded in a specifically Euro-Western experience but claim universal reach.
Wie stellt sich das Verhältnis von Authentizität, Medien und Geschichte unter den Bedingungen der fortgeschrittenen Moderne dar? Der Text führt kursorisch in dieses Dreiecksverhältnis ein und zeigt die Probleme auf, in die das Konzept von Authentizität angesichts der Unvermeidbarkeit von Medien in historischen und generell kommunikativen Zusammenhängen führt. Plädiert wird daher für eine heuristische Perspektive, die solche Widersprüche und Spannungen für die Analyse von Geschichtsbildern sowie in historischer Perspektive produktiv macht.
Der Beitrag geht der filmischen Konstruktion von Authentizität nach. Hierfür werden zunächst verschiedene filmtheoretische Positionen zum Realitätsgehalt von fotografischen Bildern vorgestellt, um divergierende Konzeptionen von Realität aufzuzeigen. Anschließend werden unterschiedliche filmische Verfahren aus dem Bereich des Dokumentarfilms besprochen, die zum Eindruck von Authentizität beitragen. Um die paradoxale Struktur des Authentischen aufzuzeigen, werden die eingangs vorgestellten filmtheoretischen Überlegungen anhand des Spielfilms »Come Back, Africa« (1959) diskutiert. Abschließend beschäftigt sich der Beitrag mit der Inszenierung der Produktion von dokumentarischen Bildern, mit der die Fernsehserie »Holocaust« (1978) und der Spielfilm »Son of Saul« (2015) die Glaubwürdigkeit ihrer Erzählung unterstreichen.
Befasst sich die historische Forschung mit Fotografie, so teilen sich die Quellen grob in vier verschiedene Zugangsarten auf: veröffentlichte Bilder in Printmedien, in Ausstellungen, semi-öffentlich-zugängliches Bildmaterial aus Archiven/Sammlungen oder privaten Archiven sowie der immer wichtiger werdende Bereich der Social Media. Mit der digitalen Fotografie und der Nutzung des Internets als Informationspool und für zwischenmenschliche Kommunikation ist Instagram dabei zu einer zentralen Social Media-Plattform zum Teilen visueller Inhalte avanciert. Die Richtlinien für akzeptiertes Material und die Nutzungsbedingungen legt die Betreibergesellschaft selbst fest.
Wir gehen im Folgenden der Frage nach, in welchem Verhältnis die veröffentlichten Bilder auf der zeitgenössischen populären Plattform zur allgemeinen Öffentlichkeit von Ausstellungen und Presse stehen. Welche bildethischen Vorstellungen drücken sich in den Praktiken von Instagram aus? Und inwieweit kann das digitale öffentliche Bildersammeln als Archiv gelten und auf gesellschaftliche zeithistorische Fragen Antworten geben?
Der Beitrag untersucht, inwiefern dem Comic aufgrund seiner medienspezifischen Merkmale das Potenzial für eine authentische Darstellung der Vergangenheit zugeschrieben bzw. abgesprochen wurde. Im Mittelpunkt der Analyse stehen in Deutschland zwischen 1965 und 2015 veröffentlichte Geschichtscomics über den Ersten Weltkrieg. Vor dem Hintergrund einer in der Geschichtsdidaktik entwickelten Typologie von (historischer) Authentizität im Comic werden die dort angewandten Authentisierungs- und Beglaubigungsstrategien untersucht. Besondere Bedeutung kommt dabei der seit den 1970er Jahren anzutreffenden Auffassung zu, der Erwachsenen- bzw. Autor*innencomic sei ein besonders geeignetes Ausdrucksmittel des authentischen Selbst und verfüge gerade über die deutliche Ausstellung der subjektiven Sicht der Verfasser*in auf die Vergangenheit über besondere Authentizität.
Ziel dieses Aufsatzes ist es, Authentizität als medienwissenschaftliche Analysekategorie im geschichtsdokumentarischen Kontext zu konturieren und nach Besprechung der Referenzebenen und dem Umreißen von Authentizität als Textstrategie und Zuschreibungsphänomen diese als interdiskursive Analysekategorie beispielhaft an der Serie »14 – Tagebücher des Ersten Weltkriegs« zu erproben. Die derzeitigen Vorstellungen »authentischer« Geschichtsdarstellung im doku-dramatischen Bereich implizieren demnach sowohl personalisierende als auch depersonalisierende Strategien. Dabei sind die unter den Kategorisierungen zusammengefassten Merkmale, die im Zusammenhang mit der Serie »14« als »authentisch« verhandelt werden, nicht disjunkt, sondern konturieren die Authentizität über wechselseitige Verweisstrukturen. Und da Authentizität nicht über einen Parameter garantiert werden kann, sondern als Verhältnis von Faktoren und in der Synthese des Ensembles im Text zu untersuchen ist, entsteht eine längere Liste von Merkmalen, welche die Zuschreibung des Prädikats »authentisch« anregen, die allerdings selbst nicht als abgeschlossen zu begreifen ist.