Körper
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Wie viele andere, inzwischen zumeist und zu Unrecht als randständig behandelte Ideenlieferanten in der Bundesrepublik Deutschland der 1970er- oder 1980er-Jahre ist auch die amerikanische Wissenschaftsjournalistin Marilyn Ferguson bislang noch kaum in den Genuss historiographischer Weihen gekommen. Im Gegensatz zu den Meisterdenkern der Frankfurter Schule oder liberalen und konservativen Cheftheoretikern sind Ferguson und andere Bezugsgrößen der „Gegenkultur“ und „alternativer“ Lebensweisen nach „1968“ selten zum Gegen-stand der Zeitgeschichtsschreibung geworden – zumal sich diese erst seit wenigen Jahren verstärkt Fragen der Religion zuwendet. Obwohl „Die sanfte Verschwörung“ in deutscher Übersetzung bis 1989 acht Auflagen erreichte und vom „Spiegel“ sehr treffend als „New-Age-Bibel“ bezeichnet wurde, findet sich in keiner der großen Überblicksdarstellungen zur Geschichte der Bundesrepublik auch nur ein kurzer Verweis auf dieses Vademekum esoterischer Praktiken und Diskurse.
Das Taschenbuch „Medizin ohne Menschlichkeit“ wurde ein Best- und Longseller. Binnen sechs Wochen nach Erscheinen, im Frühjahr 1960, konnte der Fischer-Verlag bereits 29.000 Exemplare absetzen. 2004 erreichte der Band die 16. Auflage. Ein erstaunlicher Erfolg für die Neuausgabe eines Buches von 1949; eines Buches zudem, das, wie der Untertitel anzeigte, „Dokumente des Nürnberger Ärzteprozesses von 1946/47“ präsentierte. Seither waren immerhin 13 Jahre vergangen. Auch die Herausgeber waren einem breiten Publikum unbekannt: Der Psychoanalytiker und Heidelberger Extraordinarius Alexander Mitscherlich war eben erst dabei, in Frankfurt das spätere Sigmund-Freud-Institut zu begründen. Fred Mielke, in den ersten Nachkriegsjahren Medizinstudent bei Mitscherlich, war bereits im Frühjahr 1959 an Leukämie verstorben.
Im 20. Jahrhundert fanden es die Deutschen kaum verwunderlich, dass es wenig Zuwanderung aus den (ehemaligen) Kolonien gab. Aus Politik, Gesellschaft und Wissenschaft kam niemand auf die Idee, überhaupt die Frage nach (post-)kolonialer Einwanderung zu stellen. Die ausbleibende Verwunderung lässt sich durch die Selbstverständlichkeit erklären, mit der man annahm, Weiß-Sein sei eine Bedingung für Deutschsein und die deutsche Nation „kein Einwanderungsland” (Zitat Helmut Kohl, 1992). Beim Blick nach Frankreich und Großbritannien hätte man zwar ein Defizit bei der nachkolonialen Einwanderung nach Deutschland feststellen können (1974 gab es in Frankreich regulär über eine Million Menschen allein aus den ehemaligen afrikanischen Kolonien). Das Gegenteil war jedoch der Fall. Man bemühte in Deutschland den Vergleich mit Frankreich und Großbritannien lediglich, um zu behaupten, dass das deutsche Kolonialreich nur kurze Zeit existierte und zeitlich zu weit zurück lag, um einen dauernden Einfluss zu hinterlassen. Kohls Zitat, das deutsche Einwanderungsbehörden schon seit 1945 zum Leitmotiv ihrer Arbeit gemacht hatten, war weniger deskriptiv als präskriptiv gemeint. Bei der Zuwanderung nach Deutschland sollte es weder einen „Kolonialbonus“ für Auswanderungswillige aus den ehemaligen Überseegebieten geben, noch kam die deutsche Regierung auf die Idee, durch Bevorzugung von Migrant:innen oder „Gastarbeiter:innen“-Rekrutierung aus den ehemaligen Kolonien Wiedergutmachungspolitik zu betreiben, wie es zum Beispiel die englische Regierung mit der Einladung an die „Windrush-Generation“ aus karibischen Ländern zwischen 1948 und 1971 getan hatte.
Angesichts heutiger Debatten über sexuelle und geschlechtliche Vielfalt sowie über die Frage, wer in der Öffentlichkeit sicht- und hörbar werden sollte, ist »Epistemology of the Closet« brandaktuell. Immer öfter beschweren sich alte, heterosexuelle und weiße Cis-Männer darüber, dass sie angeblich nichts mehr sagen dürften. Im Zeichen einer neuen Identitätspolitik, so die Sorge, beschäftige sich eine Vielzahl kleiner Gruppen mit ihren je eigenen Anliegen, aber niemand habe mehr das große Ganze, den gesellschaftlichen Zusammenhang im Blick. Dabei geht es doch eher darum, dass die Beschwerdeführer nicht mehr so selbstherrlich wie noch vor 30 Jahren für die Allgemeinheit sprechen und die Diskurshoheit für sich beanspruchen können. Das Buch »Epistemology of the Closet« steht am Anfang dieser Entwicklung. Es handelt von der Sichtbarmachung des lange verheimlichten gleichgeschlechtlichen Begehrens und nimmt der heterosexuellen Dominanz ihre Unschuld, markiert sie als eine Struktur der Unterdrückung. Gleichzeitig enthält das Buch aber auch Zweifel an allzu festgefahrenen Vorstellungen von individueller und kollektiver Identität. Es begründet also das, was man heutzutage als Identitätspolitik bezeichnet, und unterläuft es zugleich.
Diesen Spielfilm umgab nicht nur hierzulande lange ein hartnäckiges Missverständnis. Er feiere, so hieß es, eine glitzernde Scheinwelt, in der narzisstische Mitmacher konsumierten statt kritisierten. Er repräsentiere den neukonservativen Wertehimme der „Lord-Extra-Generation angepaßter Jungen und Mädchen“.1 Andere sahen eher Resignation und Flucht vor bedrückenden Gegenwartsproblemen. 1978, auf dem Höhepunkt der so genannten Disco-Welle, waren sich westdeutsche Beobachter aber darin einig, das massenhafte Tanzen zu elektronisch reproduzierter Musik als Anpassung und Entpolitisierung der jungen Generation deuten zu dürfen. Auch nachdem die Welle und die mit ihr verbundene Kulturkritik abgeflaut waren, blieb „Saturday Night Fever“ als belangloses „Sozialaufsteigerfilmchen“ gespeichert. Poststrukturalistisch gewendet lässt sich der Streifen als Auftakt zu einer Reihe international erfolgreicher Tanzfilme wie „Fame“ (1980), „Flashdance“ (1983) oder „Footlose“ (1984) verstehen, die in den neoliberalen 1980er-Jahren dem Publikum ein unternehmerisches Verhältnis zum eigenen Körper nahebrachten.
»Von neuem aufgeladen«. Anzeigenwerbung für Verjüngungsmittel in Illustrierten der Weimarer Republik
(2020)
Ewige Jugend ist ein uralter Menschheitstraum. Er war schon lange zur Ware geworden, bevor Anfang der 1990er-Jahre der Ausdruck »Anti-Aging« geprägt wurde. Das macht bereits ein flüchtiger Blick in die illustrierten Magazine der Weimarer Republik deutlich. In fast jeder Ausgabe finden sich Anzeigen, mit denen für den verjüngenden Effekt eines Nahrungsergänzungsmittels oder eines Hormonpräparats, einer Schönheitsoperation oder eines Fitnessprogramms geworben wurde. Hundertfach gewähren solche Anzeigen, die unter anderem von (inter)nationalen Kosmetik- und Pharmaherstellern, Privatkliniken und Kureinrichtungen in Auftrag gegeben wurden, einen Einblick in den Verjüngungsdiskurs der 1920er- und frühen 1930er-Jahre. Zudem zeugen sie von der raschen Expansion der damaligen Verjüngungsindustrie und belegen, wie sehr diese Industrie und die Weimarer Bilderblätter, die wie »kaum ein zweites Medium [...] die Befindlichkeiten der Epoche« spiegeln, voneinander profitierten.
Gholamreza Takhti (1930–1968), Olympiasieger im Freistil-Ringen 1956 und zweifacher Weltmeister, gilt in Iran bis heute nicht nur als sportliche Legende, sondern wird über nahezu alle politischen Lager hinweg als Repräsentant einer authentisch iranischen Männlichkeit verehrt. Die Faszination Takhtis gründet sich insbesondere auch auf seine einfache Herkunft und seinen demütigen, bodenständigen Charakter, der ihn schon zu Lebzeiten glaubwürdig als »Mann aus der eigenen Mitte« erscheinen ließ. Seine Heroisierung ist nicht loszulösen von kollektiven Subordinationserfahrungen vor dem Hintergrund ausländischer Hegemonie in Iran während des 20. Jahrhunderts, der in den 1960er-Jahren formulierten Diagnose einer »Westbefallenheit« der iranischen Gesellschaft und der damit verbundenen Suche nach Authentizität. Ausgehend von der Biographie des Ringers werden im Beitrag die geschlechtlich aufgeladenen Dimensionen dieser Erfahrungen besprochen und die dafür verwendeten Begriffe untersucht. Über die Sportart Ringen konnte die iranische Gegenwart mit der nationalen Mythologie verbunden werden, und Takhti wurde in einzigartiger Weise zum Modell des iranischen Helden, zum idealen Mann – noch verstärkt durch die Tragik seines frühen Todes.
Gholamreza Takhti (1930–1968), Olympic wrestling champion in 1956 and two-time world champion, is regarded in Iran to this day as a sporting legend. Across almost all political camps, he is also revered as a representative of authentic Iranian masculinity. The fascination with Takhti derives in particular from his simple origins and his humble, down-to-earth character, which made him appear credible as ›one of us‹ to huge sections of Iranian society during his lifetime. His heroisation thus cannot be detached from collective experiences of subordination against the background of foreign hegemony in Iran during the twentieth century, the diagnosis of a ›Westoxication‹ of Iranian society formulated in the 1960s and the related search for authenticity. Based on the wrestler’s biography, the article explores the gendered dimensions of these experiences and examines the language used to describe them. Wrestling created a link between the Iranian present and the national mythology, and Takhti became the model of the Iranian hero, the ideal man – reinforced by the tragedy of his untimely death.
Stress ist ein ubiquitärer Begriff – seine geschichtswissenschaftliche Erforschung aber hat erst begonnen. Der Aufsatz skizziert programmatisch die Genese und die Funktionen des Stresskonzepts im 20. Jahrhundert. Dabei wird Stress nicht in erster Linie als Syndrom und Krisenphänomen betrachtet, sondern als Deutungs- und Handlungsangebot westlicher Gesellschaften, die sich als instabil, wandelbar, innovativ und dynamisch begreifen. Die performative Kraft des Stresses als Modus gesellschaftlicher Selbstreflexion wird in vier historisch und systematisch aufeinander bezogenen semantischen Feldern untersucht: Stress als Regulations- und Anpassungsmodell, Stress als Prinzip der Wettbewerbsgesellschaft (mit engen Beziehungen zu Arbeit, Leistung und Erfolg), Stress als Zivilisationskritik (mit der stressfreien Gesellschaft als utopischem Gegenbild) sowie Stress als flexible Ökologie von Mensch-Umwelt-Verhältnissen. Dabei handelt es sich weniger um eine chronologische Ordnung als vielmehr um Deutungsvarianten, die in unterschiedlichen Verwendungskontexten aufkamen und sich im heutigen Stressbegriff überlagern.
»Anyone writing about the history of wellness would have an easy time at the beginning of the endeavor. Regarding the origin there is no doubt.« Am Anfang des Diskurses über Wellness, so war sich der »Wellness-Evangelist« Donald Ardell 1985 sicher, steht eine Person: Halbert L. Dunn, der im Jahr 1959 insgesamt 29 Vorträge zum Thema »High-Level Wellness« in der Unitarian Church in Arlington, Virginia hielt. 1961 erschienen diese Vorträge in Buchform. »Wellness«, bis dahin ein wenig gebräuchliches Wort für das Gegenteil von »Sickness«, wurde infolge dieser Publikation zu einer Antwort auf »Stress«. Dass Dunn die Vorträge in einer Kirche hielt, passte zu seiner epochalen Mission. Der Mensch stehe an einem Scheitelpunkt: Er könne sich für sein kreatives Potential entscheiden oder in den Abgrund des Krieges zurückrutschen.
In der westdeutschen Universitätsmedizin galt Stress zunächst als deskriptive Laborbeobachtung und nur wenig origineller Versuch des Hormonforschers Hans Selye, die Regulationsmechanismen des Körpers mit einem ganzheitlichen Konzept zu beschreiben. Selyes in Kanada entwickelte Ansätze fanden in der Bundesrepublik kaum positive Resonanz; das Stresskonzept schien in den 1950er-Jahren keine Zukunft zu haben. Dies änderte sich in den 1960er-Jahren, als Stress über das Risikofaktoren-Modell mit der Diskussion um Herz- und Kreislauferkrankungen verbunden wurde. Stress wurde nun Leitbegriff und Forschungsressource von Disziplinen wie Sozialmedizin, Psychosomatische Medizin, Arbeitsmedizin und Präventivmedizin. Um 1970 trat zu den Bezugsebenen »Zivilisation« und »Gesellschaft« noch »Umwelt« hinzu. Insbesondere drei Bedrohungsszenarien erwiesen sich als Stimuli der medizinischen Stressforschung: Überbevölkerung und Verstädterung, Verkehr und Lärm sowie der Wandel der Arbeitswelt. Weit über wissenschaftliche Verwendungen hinaus wurde der Stressbegriff populär, weil er zeitdiagnostisches Deutungspotential gewann und sich als eine Verständigungsplattform der Verunsicherten eignete.