Staatssozialismus
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*Der Beitrag ist in gekürzter Form auch im Begleitkatalog zu der Sonderausstellung "1870/71. Reichsgründung in Versailles" der Otto-von-Bismarck-Stiftung in Friedrichsruh erschienen (Die DDR und die Reichsgründung, in: Ulrich Lappenküper/Maik Ohnezeit (Hrsg.), 1870/71. Reichsgründung in Versailles, Friedrichsruh 2021, S. 200-205).
Die Arbeitsumstände der westlichen Korrespondenten, die während des Ost-West-Konflikts aus der Hauptstadt der Sowjetunion berichteten, waren ein alltäglicher Ausdruck gerade jener widersprüchlichen politischen Entwicklungen, über die sie eigentlich informieren wollten, zu denen ihnen aber oft der Informationszugang und die erforderlichen Übermittlungswege versperrt waren. Der Beitrag beleuchtet die Hindernisse, mit denen die Journalisten um 1960 zu kämpfen hatten und die ihnen selbst nur in zweiter Linie berichtenswert erschienen. Wie gingen die Journalisten an der Schnittstelle zwischen Ost und West mit solchen Schwierigkeiten um? Wenn man die Tätigkeit der westlichen, speziell der westdeutschen Korrespondenten in Moskau näher betrachtet, wird es möglich, ein vielschichtiges und präzises Bild des Ost-West-Konflikts jenseits der außenpolitisch-diplomatischen Ebene zu erhalten sowie die in den westlichen Medien verbreiteten Nachrichten als kontextgebundene Produkte zu analysieren.
Die Problematik, die mit dem Alltagsleben in den Betrieben und mit der Sozialgeschichte der Arbeitermilieus verbunden ist, stellt keine Spezialität der polnischen Historiographie dar. Aber ähnlich wie anderswo wurden die Forschungen zu den Anpassungsstrategien oder auch zu ambivalenten und konformistischen Haltungen gegenüber dem Regime, die für die Erforschung des Alltags so wichtig sind, durch Arbeiten dominiert, die dem Widerstand und der politischen Opposition gegen die Macht gewidmet waren. Doch treten die Publikationen aus dem Grenzbereich von Wirtschafts- und Sozialgeschichte langsam heraus aus dem Schatten der Vielzahl von Büchern über das Martyrium der Soldaten des bewaffneten und politischen Untergrunds der vierziger Jahre, über die Repressalien gegen die katholische Kirche, über die politischen Gefangenen oder die spektakulären gesellschaftlichen Aufstände. Wenig vorangekommen sind die Forschungen, die zeitlich über die Epoche des Stalinismus hinausreichen. Teilweise wird das durch die zeitgenössische soziologische Literatur kompensiert, die eine ziemlich glaubwürdige Informationsquelle zur Realität in der Volksrepublik Polen (VRP) darstellt. Aus allen erwähnten Gründen sind die Sozialhistoriker, die sich in Polen mit dieser Epoche beschäftigen, auf ihren Gebieten Pioniere oder schreiten auf kaum gebahnten Wegen.
Gerichte handeln reaktiv; das heißt, sie werden nicht aus eigener Initiative, sondern erst durch Anruf von außen in Bewegung gesetzt, der auch in sozialistischen Staaten (vom Strafrecht einmal abgesehen) in aller Regel nicht vom Staatsanwalt, sondern von Bürgern (und zivilrechtlich handelnden volkseigenen Betrieben) kam. Um sein Rechtssystem im Justizalltag durchzusetzen, war also auch der sozialistische Staat auf die Mithilfe seiner Bürger angewiesen. Durch Nicht-Anrufen konnten Bürger das Recht unterlaufen; durch die Art und Weise, wie sie Gerichte benutzten, konnten sie seine Wirksamkeit beeinflussen; durch ihre Erfahrungen vor Gericht wurden die Bürger ihrerseits in bestimmten Haltungen und Wertvorstellungen bestätigt. In diesem Beitrag will ich die gegenseitige Abhängigkeit von Bürger und Rechtssystem im sozialistischen Rechtsalltag untersuchen. In welchen Angelegenheiten wandten sich Lüritzer Bürger an ihr Gericht? Wie wurden sie vom Gericht behandelt und wie verhielten sie sich selbst? Wie beeinflußte die Alltagspraxis der ostdeutschen Justiz die Wirksamkeit des Rechts als Instrument gesellschaftlicher Veränderungen? Und welche Nachwirkungen können wir heute beobachten?
Die Revolution in der Produktkultur kommt unspektakulär daher: Im Herbstheft der Zeitschrift „Kultur im Heim“ von 1967 werben die Deutschen Werkstätten Hellerau mit einem Rastermotiv, das das Möbelprogramm Deutsche Werkstätten (MDW) ankündigt. Zwar steht im Vordergrund noch das Holz als Qualitätshinweis, doch ist alles in das kommende Maßsystem eingepasst - selbst das historisierende, an deutsche Handwerkskunst erinnernde Markenzeichen.
„La vie avant tout“ („Zuerst das Leben“) ist die Ausstellung im Versailler Museum Espace Richaud betitelt, die im Sommer/Herbst 2021 die Fotografien zeigt, die Willy Ronis 1967 in der DDR aufgenommen hat. Sie ist als Einladung zu verstehen, die Bilder eines der wichtigsten Repräsentanten der französischen Fotografie kennenzulernen. Ronis bereiste die DDR für einige Wochen und erarbeitete aus seinen Fotografien eine in Frankreich vielfach (nicht aber in Ost- oder Westdeutschland) gezeigte Ausstellung. Doch seitdem sind nur wenige dieser Bilder in der Öffentlichkeit zu sehen gewesen. Die aktuelle Versailler Exposition und der Katalog sind eine Rekonstruktion dieser Ausstellung nach mehr als fünfzig Jahren. Die Fotografien zeigen nicht nur den fotografischen Ansatz von Willy Ronis und seine Bildsprache, sondern sie erweisen sich bei näherer Betrachtung auch als zeithistorische Quelle und als widerspenstiges Dokument kultureller Aneignung auch jenseits des Kalten Kriegs.
Der Aufsatz geht der Frage nach, welche Formen von Armut es in der DDR in den Jahrzehnten nach dem Mauerbau gab und wie über sie kommuniziert wurde. Sozialhistorisch rekonstruiert wird die Unterversorgung zweier ausgewählter Armuts-Gruppen: Rentner und kinderreiche Familien. Auf der Basis von Akten, zeitgenössischen wissenschaftlichen Arbeiten und Medienberichten wird zudem betrachtet, welche Images von „Armut“ zirkulierten. Zwar galt Armut im Selbstverständnis des SED-Staats als überwunden. Dennoch war offenkundig, dass es soziale Ungleichheiten, ja Notlagen auch in der DDR gab, und diese fanden in der damaligen Sozialforschung ein breites Interesse. Die Einkommens- und Wohnverhältnisse von Rentnern, besonders von Rentnerinnen, waren häufig prekär, so dass viele von ihnen eine zusätzliche Arbeit aufnehmen mussten – was mit dem Bild des „rüstigen“ Alten beschönigt wurde. Bei Kinderreichen wurde differenziert zwischen den „würdigen“, „wohlorganisierten“ und den „liederlichen“, „dissozialen“ Familien. So ging es im Hinblick auf beide Gruppen nicht allein darum, ihre Armut zu lindern. Das vorrangige Ziel war vielmehr, sie mit positiven Images zu versehen und abweichendes Verhalten zu sanktionieren.
Angela Davis war eine der intellektuellen Leitfiguren der afroamerikanischen Bewegungen für Freiheit und Gleichheit in den USA. Als sie von 1970 bis 1972 inhaftiert war, gab es in der DDR eine breite Solidaritätskampagne, initiiert von der SED-Führung und mobilisiert durch die Massenorganisationen. Diese Kampagne verweist auf eine transnationale Dimension in der Geschichte der DDR; Davis wurde als „unsere Genossin“ vereinnahmt. Der Beitrag zeigt, welche Bedeutung die Kampagne im Rahmen der internationalen Anerkennungsbestrebungen der DDR hatte, welchen Stellenwert sie aber auch innenpolitisch gewann. Nach ihrer Freilassung besuchte Davis 1972 und 1973 die DDR und wurde als sozialistische Heldin präsentiert. Dies ist nicht allein als Ausdruck propagandistischer Steuerung zu verstehen, sondern zugleich als Teil einer genuinen Alltagskultur des Kalten Kriegs in der DDR.
Der Beitrag untersucht den Wandel der Freizeit- und Kurinfrastruktur für behinderte Menschen und ihre Angehörigen in der deutsch-deutschen Systemkonkurrenz. In der Bundesrepublik und in der DDR waren diese Maßnahmen sehr unterschiedlich organisiert und an die jeweiligen Familienideale angelehnt. Während das westdeutsche Müttergenesungswerk seit den 1950er-Jahren Sonderkuren für besonders belastete Hausfrauen anbot, blieben staatliche Freizeiten in der DDR zunächst Werktätigen vorbehalten. Gerade für Mütter behinderter Kinder ließ die DDR-Staatsführung der Diakonie eine Nische. Trotz solcher divergierenden Trägerstrukturen verlief der Wandel ost- und westdeutscher Angebote in ähnlichen Phasen. Im Westen war es der Contergan-Skandal Anfang der 1960er-Jahre, der eine stärkere Aufmerksamkeit auf die betroffenen Familien lenkte. Der Ausbau von Erholungsangeboten setzte sich auch »nach dem Boom« fort. Im Osten erkannte die SED-Führung ab den 1960er-Jahren die Versorgung der Angehörigen behinderter Menschen als Staatsaufgabe an und intensivierte ihr Engagement auch auf Druck von Eingaben Betroffener. Auffällig ist für beide deutsche Staaten, dass Väter lange Zeit eher abwesend blieben. Eine andere Gemeinsamkeit waren die fortbestehenden Barrieren an vielen Urlaubsorten.
„Da hat er uns wieder mal einen ordentlichen Sprengsatz untergeschoben!“, ließ ein leitender Kulturfunktionär der SED-Bezirksleitung mit gepresster Stimme vernehmen, als er während seines Rundgangs durch die 11. Kunstausstellung des Bezirkes Leipzig Anfang Mai 1985 auf die Plastik „Jahrhundertschritt“ von Wolfgang Mattheuer stieß. Und so oft sich Funktionäre in der Geschichte der DDR in Sachen Kunst irrten - hier sollten sie einmal Recht behalten, und zwar im doppelten Sinn des Wortes: Wie aufgesprengt wirkt nicht nur der schrundige, eingerissene Brustkorb von Mattheuers ‚kopfloser‘ Figur; Sprengkraft enthielt vor allem die künstlerische Botschaft des Werkes, in dem der Künstler das 20. Jahrhundert Gestalt werden ließ. Die vier Gliedmaßen der Figur streben so heftig auseinander, dass sie diese schier zu zerreißen drohen: Den rechten Arm zum faschistischen Gruß ausgestreckt, die linke Hand zur proletarischen Faust geballt, hinkt das von einer Blutspur gezeichnete linke Stiefelbein dem ungestüm ausschreitenden, makellos weißen rechten Bein unheilschwer hinterher. „Symbolhaft“ hat Mattheuer in dieser Plastik „die Unsicherheit und Zerrissenheit unserer Zeit eingefangen“. Und da der nahezu gesichtslose Kopf der Figur fast vollständig in ihrem aufgerissenen Rumpf zu versinken droht, fehlt diesem Jahrhundert zugleich die (geistige) Mitte, die es zusammenhält. „Verlorene Mitte“ und „Verlust der Mitte“ heißen denn auch zwei Grafiken, mit denen Mattheuer 1980 das Ringen um diese Figur aufnahm.
„Es darf kein Gebiet der Landwirtschaft geben, das die Volkspolizei nicht kennt.“ Mit dieser Forderung begann ein Mitarbeiter der Hauptverwaltung Deutsche Volkspolizei im September 1952 einen Artikel in der Zeitschrift Die Volkspolizei. Ähnliche Forderungen finden sich in zahlreichen anderen Artikeln der polizeilichen Fachpresse der fünfziger Jahre. Als ein Sicherheitsorgan der „Arbeiter-und-Bauem-Macht“ hatte auch die Deutsche Volkspolizei (DVP) ihren Beitrag zur „sozialistischen Umgestaltung der Landwirtschaft“ zu leisten. Für dessen Untersuchung ist zunächst von folgenden Voraussetzungen auszugehen.
Gemeinschaften sind immer durch ein Verhältnis von Einschließung und Ausschließung konstruiert. Die von den SED-Ideologen imaginierte sozialistische Menschengemeinschaft war darin keine Ausnahme. Auch sie definierte Grenzen zwischen dem Eigenen und dem Fremden, wobei das Fremde nicht in erster Linie ethnisch, sondern sozial, d. h. als einer fremden Klasse zugehörig repräsentiert wurde. Dieser binären Logik wurde dann aber zusehends durch die soziale „Liquidierung“ der nicht werktätigen Klassen in der DDR der konkret-historische Inhalt entzogen. Wie der SED-Staat und die ihm zuarbeitende Rechtswissenschaft auf dieses Problem reagierten und welche „Lösungen“ sie dafür entwickelten, versuche ich im folgenden anhand des juristischen Diskurses über das „asoziale Verhalten“ aufzuzeigen.
Von einer „Gesellschaft“ der DDR zu reden, ist auch zehn Jahre nach ihrem Ende noch immer alles andere als selbstverständlich. Als „Staat“ war und ist sie allemal leichter auszumachen: ein Ensemble von Institutionen, Ordnungen und Verfahren in Deutschland, dessen äußerer Bestand von einer Weltmacht garantiert wurde und das sich nicht zuletzt durch seine Entgegensetzung zur Bundesrepublik zu legitimieren suchte. Von einem totalitären Gestaltungswillen durchdrungen, der sich auf alle sozialen Beziehungen und Lebensbereiche auf seinem Territorium erstreckte, repräsentierte der „Arbeiter-und-Bauern-Staat“ im Selbstbild wie in der Fremdwahmehmung die historische Alternative zum bürgerlich-liberalen Rechtsstaat in Westdeutschland. Diese Eindeutigkeit seiner Konturen begleitete ihn bis in den Untergang, der vertraglich definiert und exekutiert werden konnte. Infolge der Privatisierung staatlichen Vermögens kann, wer will, auch den „Marktwert“ dieses Staates im nachhinein bestimmen.
Verlagstext, s. http://www.boehlau-verlag.com/978-3-412-02003-3.html:
"Wie in jeder modernen Gesellschaft gab es in der DDR eine "öffentliche", uniformierte Polizei, die im Alltag für "Ordnung und Sicherheit" sorgen sollte. In den Forschungen zur Geschichte der zweiten deutschen Diktatur stand ihre Bedeutung bislang im Schatten der allgegenwärtigen Geheimpolizei, der Stasi. Die vorliegende Studie stellt die erste auf unveröffentlichte Quellen gestützte wissenschaftliche Monografie zur Geschichte der Deutschen Volkspolizei dar. Direkt den Weisungen der SED-Sicherheitspolitiker unterstellt, war dieses "Organ" der "Arbeiter-und-Bauern-Macht" ein wichtiges Bindeglied zwischen dem SED-Staat und seinen Bürgern. Fast ausschließlich aus Arbeiterkreisen rekrutiert, sollte die "VP" nicht nur politisch zuverlässig, sondern auch eine Polizei "aus dem Volk und für das Volk" sein. Oberstes Motto ihrer Arbeitsweise war die "enge Verbindung zur Bevölkerung". Ihre Symbolfigur, der "Abschnittsbevollmächtigte", kurz "ABV", verkörperte gerade auf dem Land als gutmütig-gestrenger "Dorfsheriff" die harmoniesüchtige Utopie einer "sozialistischen Polizei". Deren repressiv-autoritäre Kehrseite wird anhand der Überwachung und Drangsalierung jugendlicher "Rowdys" und "Beatfans" dargestellt."
Die gezeigte Szene war Teil der täglichen Sendung »Medizin nach Noten«, einem Fernsehformat, das die DDR jahrzehntelang begleitete – und bis über ihr Ende hinausreichte. Die Erstausstrahlung erfolgte zu Beginn der 1960er-Jahre, die letzte Ausstrahlung 1994. Bemerkenswert ist diese Sendung nicht nur wegen der sehr langen Laufzeit, sondern auch, weil sie besondere Einblicke in die Geschichte des Sports und gleichzeitig in diejenige des Fernsehens der DDR liefert. Der folgende Beitrag versucht zu zeigen, in welcher Weise durch die Verbindung dieser beiden Geschichten neue Perspektiven für das Konvergenz- oder auch Spannungsfeld von Gesundheit, Politik und Ökonomie hervortreten.
Die von der SED-Führung unter Einfluß der sowjetischen Hegemonialmacht seit 1952 betriebene „sozialistische Umgestaltung der Landwirtschaft der DDR“ läßt sich nicht auf die formale „Kollektivierung“ reduzieren, auch wenn deren Wirkungsmächtigkeit bis in die heutigen Transformationsprozesse hinein nachzuweisen ist. Tempo, Ausmaß und Folgen des Übergangs zur genossenschaftlichen Produktion finden weder in der historischen Entwicklung bis 1945 noch im (etwa zeitgleich einsetzenden) agrarstrukturellen Wandel in der Bundesrepublik eine Entsprechung. Das Genossenschaftsmodell war zwar bestimmendes Merkmal (Ausnahme: Polen) der jeweiligen Agrarstruktur in den Diktaturen sowjetischen Typs, aber die agrarprogrammatischen Vorstellungen griffen weiter. Sie umfaßten nicht nur Veränderungen der Organisation der Produktion, der Eigentums- und Besitzverhältnisse sowie der Sozialstruktur. Vor dem Hintergrund der Durchsetzung und Sicherung herrschaftspolitischer Interessen der SED und des anhaltenden Modemisierungsdrucks in der Landwirtschaft der DDR zielten sie auf die Konstruktion einer neuen ländlichen Gesellschaft, die bereits mit der Bodenreform 1945 eingeleitet worden war. Die gesamte Arbeits- und Lebensweise der dörflichen Bevölkerung sollte in der Perspektive auf „sozialistische Art umgestaltet“ werden.
Von ihren Lebensläufen her könnten sie kaum unterschiedlicher sein: Georg Picht, 1913 als Sohn des damals als Vordenker der „Erwachsenenbildung“ geltenden Werner Picht geboren, entschied sich früh für die akademische Laufbahn. Er studierte Philosophie und Pädagogik, arbeitete als Assistent an der Universität Freiburg und wurde 1942 zum Dr. phil. promoviert. Johannes Hörnig, Jahrgang 1921, arbeitete hingegen als Schlosser, nahm von 1940 bis 1945 als Wehrmachtssoldat am Zweiten Weltkrieg teil und erwarb erst 1952 sein Diplom in Gesellschaftswissenschaften. Während Picht dem evangelischen Milieu entstammte, engagierte sich Hörnig direkt nach dem Krieg in der SPD und dann in der SED. Praktische Erfahrungen im Bildungssektor sammelten beide in Schulen, jedoch auch hier auf unterschiedlichen Ebenen: Während Picht als Schulleiter versuchte, erste reformpädagogische Akzente zu setzen (Förderung der persönlichen Entfaltung der Lernenden durch Gemeinschaftserziehung und Mitverantwortung), war Hörnig als Grundschullehrer tätig.
Armut in China. Anspruch und Wirklichkeit der chinesischen Agrarpolitik seit den 1950er-Jahren
(2022)
Es sind vor allem die Erfolge bei der Überwindung der Armut, die der von der chinesischen Kommunistischen Partei unter Xi Jinping geführten Regierung Legitimation im Inneren und internationale Reputation verschaffen. Diese Erfolge werden von Institutionen wie der Weltbank oder der UNESCO bestätigt, die in ihren Veröffentlichungen die Zahl von über 800 Millionen Menschen nennen, die in China ab 1978 »aus der Armut gehoben worden« seien. Aber wie plausibel sind solche Erfolgsmeldungen? Die Analyse einer Vielzahl von Quellen zur Entwicklung der Armut seit den 1950er-Jahren zeigt, dass die Armutsdaten unzuverlässig und widersprüchlich sind. Des Weiteren wird deutlich, dass die sich wandelnden Strategien für die Landwirtschaft nicht das Ziel hatten, die Armut zu überwinden. Vielmehr sollte die staatliche Agrarpolitik vor allem billige Arbeitskräfte und finanzielle Ressourcen für Investitionen in Industrie und Infrastruktur bereitstellen. Nicht die agrarpolitischen Maßnahmen des chinesischen Staates, sondern die ländliche Bevölkerung selbst sorgte durch vielfältige Aktionsformen und Anpassungsstrategien für eine bescheidene Verbesserung ihrer Lebensbedingungen. Entgegen dem ersten Augenschein in den glitzernden Metropolen ist China weiterhin kein reiches Land. Nach wie vor bildet die Armut der Landbevölkerung die strukturelle Voraussetzung für das industrielle Wachstum.
Die Stasi führt ein intensives Nachleben, zumindest auf der Leinwand. Im Kino erfreut sich der ostdeutsche Geheimdienst schon seit vielen Jahren einer anhaltend großen Beliebtheit, vor allem in Filmen über die DDR-Vergangenheit, in denen Stasi-Figuren meist den repressiven Charakter der SED-Diktatur symbolisieren. Doch die Zeiten, in denen Stasioffiziere als simple Bösewichte mit grauen Anzügen und schlechtsitzenden Frisuren in Erscheinung traten, scheinen vorbei zu sein. Die Ambivalenz der Figuren hat in den vergangenen Jahren deutlich zugenommen, auch positiv besetze Heldenfiguren sind keine Seltenheit mehr. Das Spektrum der Filme reicht dabei von authentischen Annäherungen an widersprüchliche IM-Biografien („Gundermann“, 2018, Regie: Andreas Dresen) über radikal stilisierte Dramen („Nahschuss“, 2021, Regie: Franziska Stünkel) bis hin zu grotesk überzeichneten Satiren („Stasikomödie“, 2022, Regie: Leander Haußmann).
Während die DDR-Geschichte bislang meist im Genre der Komödie oder des Familiendramas erzählt wurde, zeigt sich in neuen filmischen Inszenierungen eine Offenheit für andere Formen. Dabei rückt wieder die Staatssicherheit in den Mittelpunkt. Mit „Kleo“ zeigt Netflix aktuell eine Serie über eine Profikillerin im Dienst des MfS, die mit Anspielungen auf die Popkultur der 1980er und 1990er Jahre gespickt ist. „Kleo“ knüpft dabei an die erfolgreichen Erzählmuster der Serie „Deutschland 83/86/89“ (2015-2020) an, die eine Agenten-Story mit einem ironischen Blick auf das MfS verknüpfte. Doch während die Geschichte von „Deutschland 83/86/89“ noch vor einem realen historischen Hintergrund angesiedelt war, geht „Kleo“ ein ganzes Stück weiter: Die Serienmacher nutzen die DDR-Vergangenheit nur noch als Aufhänger für eine blutig inszenierte und trashig überspitzte Rachegeschichte im Stil amerikanischer B-Movies. Das wirft die Frage auf, was einen an sich eher biederen Geheimdienst wie das MfS anschlussfähig für das Genre-Kino und die zeitgenössische Popkultur macht.
The paper explores representations of economic reform in Czechoslovakia immediately before and after the fall of the centrally planned economy in 1989/90. By what means was the concept of rapid economic transition towards a liberal market setting mediated into the academic and the public sphere? How did it achieve wide public consent? In the first part, the paper analyzes the Czechoslovak academic discussion about perestroika in the late 1980s, where a rapid liberal transition was cast by a distinct group of younger scholars as the only possible way of reforming the socialist economy. Their training was based above all on Paul A. Samuelson’s canonical textbook Economics, which presented this discipline almost as a natural science with universal standards. Immediately after 1989/90, when some of these scholars assumed executive positions within the new Czechoslovak government, what were at first purely economic ways of reasoning merged with certain images of the national past, creating a mixture of liberal economic knowledge and national exceptionalism.
Keine andere Periode der russischen Geschichte zog derartig grundlegende Veränderungen in Europa und der Welt nach sich wie die Zeit der Perestroika in den Jahren 1985-1991. Trotz der Bedeutung der Reformjahre unter Führung des letzten Generalsekretärs der KPdSU Michail Gorbatschows steht die historische Erforschung dieser Periode in vielen Bereichen noch am Anfang. Corinna Kuhr-Korolev fasst das bestehende Wissen zusammen und plädiert für unterschiedliche historische Zugriffe und Blickweisen, um die Vielschichtigkeit der dynamischen Prozesse in dieser Periode auf der Grundlage bisher noch kaum erschlossener Quellenbestände besser zu verstehen.
Welches Maß an Gleichheit muss eine sozialistische Gesellschaft garantieren, und wie viel Ungleichheit benötigt sie, um nicht in Stagnation zu versinken? Solche Fragen beschäftigten die sowjetischen Bürger nicht erst seit der perestrojka, aber in dieser Phase wurde der von der Kommunistischen Partei vorgegebene Diskursrahmen erweitert und schließlich gesprengt. Die Privilegien der Nomenklatura boten das Feld, auf dem über Ungleichheit und Verteilungsgerechtigkeit gestritten wurde. Briefe von Bürgern an die Deputierten des Obersten Sowjets aus den Jahren 1989/90, die in diesem Aufsatz erstmals näher erschlossen werden, geben Einblick in unterschiedliche Positionen. Deutlich wird, dass nicht die Prinzipien der Verteilung als ungerecht galten (Leistungen für Staat und Gesellschaft als primäres Kriterium), aber ihre Ergebnisse. Ausgehend von Fragen sozialer Gerechtigkeit erweiterte sich die Debatte um Fragen politischer Gerechtigkeit; sie mündete in eine grundlegende Kritik an der Parteiherrschaft und beschleunigte den Zusammenbruch der bisherigen Ordnung.
Der Artikel betrachtet die späten 1960er- und die 1970er-Jahre als eine Umbruchszeit, in der in West- wie in Osteuropa fundamental neue Gesellschaftsentwürfe formuliert wurden. Ausgehend von 1968 als transnationalem Protestjahr wird gefragt, inwieweit sich die an Bedeutung zunehmenden Oppositionsbewegungen im östlichen Teil Europas von den neuen sozialen Bewegungen in Westeuropa unterschieden. Dabei werden die Geschlechterbeziehungen in den staatssozialistischen Gesellschaften ins Zentrum der Analyse gerückt, und es wird herausgearbeitet, inwieweit die Formung der Geschlechterverhältnisse durch staatliche wie oppositionelle Politik neue Gesellschaftsentwürfe beeinflusste. Die Konservierung traditioneller Geschlechterverhältnisse war sowohl für die Regime als auch für die oppositionellen Bewegungen funktional. Vor diesem Hintergrund wird verständlich, dass im östlichen Europa - im Gegensatz zu Westeuropa und den USA - aus den gesamtgesellschaftlichen Protestbewegungen keine einflussreiche Frauenbewegung hervorging.
Nach Hobsbawm hätte sich der westliche Welfare State ohne die Existenz eines sozialistischen Gegenmodells und ohne die Bedrohung, die dieses Modell für die westlichen Mächte darstellte, niemals so umfassend entwickelt. Dies ist eine Grundannahme, die schon öfter aufgegriffen und verbreitet worden ist. Sie scheint auch deshalb berechtigt zu sein, weil mehrere Beobachter den Zusammenhang zwischen dem Ende des Kommunismus und dem Niedergang des Sozialstaats unterstrichen haben. Zwar hat man schon seit Ende der 1970er-Jahre von der Krise des Sozialstaats gesprochen, aber erst in den 1990ern wurde die zentrale Bedeutung der Sozialpolitik für die Stabilität und Prosperität der westeuropäischen Staaten infrage gestellt. International wurden Stimmen laut, die die Relevanz und Nützlichkeit einer International Labour Organization und die Legitimität von internationalen Arbeitsnormen anzweifelten. Parallel dazu wurde 1994 die World Trade Organization gegründet, die sich zum Ziel gesetzt hatte, die Liberalisierung des internationalen Handels zu fördern, was mit Deregulierung und sozialem Dumping einherging. Aber Gleichzeitigkeit heißt nicht Kausalität. Es muss daher noch untersucht werden, welche Verbindungen es zwischen den drei Punkten des Dreiecks gab: Staatssozialismus im Osten, westliche kommunistische Parteien und westliches Sozialstaatmodell.
Ausverkauf des Ost-Erbes?. Spurensuche zur Privatisierung des VEB Deutsche Schallplatten nach 1989
(2020)
Die zur Umbruchszeit verschmähte Popmusik der DDR erlebte ab Mitte der 1990er Jahre eine bemerkenswerte Renaissance. Unter der Genrebezeichnung „Ostrock“ wurden sehr verschiedene Musiker*innen mit ostdeutschem Hintergrund erfolgreich vermarktet. Erlebte dieser Teil des DDR-Musikerbes damit ein bemerkenswertes Fortleben, bestimmte hingegen in Vertrieb und Produktion nicht Kontinuität, sondern Bruch und Veränderung die Zeit nach 1989. Im Schatten der allgemeinen Transformationsgeschichte Ostdeutschlands fand ein musikwirtschaftlicher Überlebenskampf statt. Diesen aus historischer Perspektive nachzuvollziehen, ist allerdings keinesfalls einfach, denn für die Zeit vor und nach 1990 herrscht eine asymmetrische Aktenlage bzw. viele Archivbestände aus dieser Periode sind immer noch unter Verschluss. Das macht es bislang auch so schwierig, die geschichtswissenschaftliche Forderung nach mehr thematisch eng gefassten Studien zur Transformationszeit einzulösen. Davon betroffen ist auch die Geschichte der DDR-Schallplattenlabel und des „Ostrocks“ nach 1990. Ihr Ringen um Weiterexistenz muss aus diversen Überlieferungsresten und Einzelberichten rekonstruiert werden – ein lohnendes Unterfangen, wie erste Einsichten und Ergebnisse zeigen.
Im offiziellen Selbstverständnis von Staat und Partei war die DDR eine Arbeitsgesellschaft - die (Aufbau-)Arbeit für den Sozialismus bildete eine zentrale Sinnressource. Wer sich diesem übergreifenden Prinzip nicht unterordnen wollte, aus welchen Gründen auch immer, sah sich oft beruflich diskriminiert. Besonders in den 1970er- und 1980er-Jahren versuchte der SED-Staat berufliche Ausgrenzung als politisches Kontroll- und Erziehungsmittel einzusetzen. Vielfach führte diese Strategie jedoch zum Gegenteil des Gewünschten: Beruflich Benachteiligte wurden gerade durch die Praxis der Ausgrenzung stärker politisiert und schufen sich neue widerständige Handlungsräume. Anhand von zwei Beispielen des individuellen Umgangs mit beruflicher Diskriminierung wird das Wechselverhältnis zwischen dieser Diskriminierung und politischer Gegnerschaft untersucht - ein Aspekt, der in bisherigen Forschungen zur DDR-Opposition kaum berücksichtigt wurde und der zu einer stärker gesellschaftsgeschichtlichen Fundierung solcher Forschungen beitragen kann.
Der Beruf nimmt im Leben eines Menschen einen sehr wichtigen Platz ein. Über den reinen Broterwerb hinaus, bestimmt er seine Rolle und Bedeutung in der Gesellschaft. Berufe strukturieren also die Gesellschaft und die Interaktion ihrer Mitglieder. In der DDR waren Arbeit und Beruf zentrale Elemente, die dem Einzelnen gesellschaftliche Teilhabe ermöglichen sollten. In der Tat wurden soziale Dienstleistungen wie Kinderbetreuung über berufliche, speziell betriebliche Netzwerke verteilt. Die Arbeitsbeziehungen waren für den Einzelnen von zentraler Bedeutung, nicht so sehr hinsichtlich der materiellen Tätigkeit, sondern eher in Bezug auf den „Betrieb als sozialen Ort“, also dem Betrieb als „Verteilungsinstanz von Sozialleistungen“, der Anknüpfungspunkte für informelle soziale Beziehungen“ bot, „die ihr Anwendungsfeld hauptsächlich jenseits der Arbeit und zum Teil auch außerhalb des Betriebes fanden“. So las man in der Erklärung zum 1977 in Kraft getretenen Arbeitsgesetzbuch der DDR, dass die „Arbeit [...] die wichtigste Sphäre des gesellschaftlichen Lebens“ sei. Weiter wurde in dieser Erklärung die Rolle von Arbeit und Beruf nicht nur für die Gesellschaft benannt, sondern ebenso für „die Entwicklung jedes einzelnen ihrer Mitglieder“.
Im Januar 1957 verfilmte die DEFA eine Kabarettnummer. Der Sketch „Hausbeleuchtung“ aus dem achten Programm der Ost-Berliner „Distel“ lieferte die Grundlage für die 98. Folge der satirisch-humoristischen Kurzfilmserie „Das Stacheltier“. Was ist im Film zu sehen? Wir erleben das Ende einer Hausversammlung, auf der ein Funktionär versucht hatte, ausschweifend die „brennenden Probleme des Zeitgeschehens immer noch heller zu beleuchten“. Seine Frage „Was bewegt Sie, wenn Sie einen Blick auf das Weltgeschehen werfen?“ wird durch einen Kameraschwenk über die Hausbewohner beantwortet, die eingenickt sind: Sie bewegt nichts. Vom Redner „zur Diskussion“ geweckt, stellen sie Fragen, die sie tatsächlich interessieren, nach der Reparatur der Hausbeleuchtung und der morschen Treppe. „Aber Freunde“, geht der Referent darüber hinweg, „das sind doch Kleinigkeiten [...] Wir müssen doch immer das große Ganze sehen [...]“ - „Aber das können wir doch nicht, wenn wir kein Licht haben!“, versucht ein Bewohner spitzfindig, den Redner auf die Niederungen des Alltags zu zwingen. Nur seinen Auftrag im Blick - die Belehrung in Sachen Weltgeschehen - weigert sich dieser jedoch hartnäckig, auf die konkreten Fragen der Hausbewohner einzugehen. Auf diese Ignoranz folgt in der Szene umgehend die Strafe: Als der Funktionär die Versammlung beendet und forsch abgeht, bricht unter ihm die unbeleuchtete, morsche Treppe zusammen. Lädiert, aber mit unerschüttertem Optimismus, verabschiedet er sich von uns, dem Publikum: „Für wahre Demokratie und Frieden! Und für eine lichtere Zukunft!“
Verlagstext Böhlau: "Satirische Kritik, die sich auf die DDR richtete, widersprach dem Optimismus, den die SED in ihren Medien verbreiten ließ. Und dennoch war die Partei gezwungen, satirische Kurzfilme, Berufskabaretts und eine Satirezeitung, deren verkaufte Auflage eine halbe Million erreichte, zu etablieren. Worin
bestand dieses Paradox DDR-Satire? Wie kam es zum ersten satirischen Großprojekt in der DDR, der DEFA-Stacheltier-Produktion? Weshalb gab es in den siebziger Jahren eine zweite Gründerzeit für Kabaretts? Worin unterschied sich der frühe Eulenspiegel vom späten?
Die Untersuchungen zur frühen und späten Satire in der DDR richten sich auf satirische Kurzfilme, die DEFA-Stacheltiere, die Satirezeitschrift Eulenspiegel und Kabarettprogramme des Potsdamer Kabaretts am Obelisk, der Dresdner Herkuleskeule und des Leipziger Studentenkabaretts Rat der Spötter. In den Blick genommen werden Grenzbereiche: Die ersten satirischen Unternehmungen und späte Satiren im letzten Jahrzehnt der DDR, Phasen, in denen Funken sprühten, die in Höhepunkten und Niederlagen endeten."
In den letzten Jahren ist eine Vielzahl neuer Veröffentlichungen zur Verfolgung von Sozialdemokraten in der SBZ/DDR vorgelegt worden, die dieses auch schon zuvor sehr aufmerksam verfolgte Kapitel der Repressionsgeschichte, basierend auf jetzt gut zugänglichen Dokumenten aus Archivbeständen der SED und auf russischen Quellen, anreichern. Jene Akten belegen auch die Härte und den Stellenwert der Verfolgung von oppositionellen Kommunisten innerhalb und außerhalb der SED. Der linke Widerstand gegen den Nachkriegskurs der KPD, gegen die Stalinisierung der SED, schließlich die Verfolgung von linken Kritikern und Oppositionellen innerhalb und außerhalb dieser Partei sowie der westdeutschen KPD und endlich die Säuberung beider Parteien war aus mehreren Gründen immer eine besondere Dunkelzone der Parteigeschichte. Daß dabei weder die Stalinisten noch das vielfältige sozialismusfeindliche politische Spektrum an der Würdigung linker Dissidenz interessiert waren und sind, bleibt durchaus nachvollziehbar. Doch unabhängig davon gibt es ebenso zeithistorische Interpretationsdefizite.
Das Buch bietet einen historischen Abriss der innerparteilichen Kontrollorgane der SED bis 1971 und ihrer Vorgeschichte. Die Kontrollorgane spielten im Prozess der Stalinisierung der SED und später während ihrer poststalinistischen Transformation und "Modernisierung" eine besondere Rolle. Sie galten als innerparteiliche "politische Polizei" bzw. als Wächter über "Einheit und Reinheit". Die Wirkungsgeschichte dieser Organe - insbesondere ihre Funktion bei den Parteisäuberungen, bei der Verfolgung von oppositionellen und widerständigen Sozialdemokraten und Kommunisten, bei der "Immunisierung" der SED gegen abweichende politische Konzeptbildungen und bei der Konditionierung ihrer Kader und Mitglieder - wird über den gesamten Untersuchungszeitraum dargestellt und in die allgemeine Partei- und Gesellschaftsgeschichte eingebettet. Besonderer Wert wird auf die Entschlüsselung der "internen Logik" dieser Organe sowie auf die Entwicklung ihrer Handlungsmaximen gelegt. Aus der Vielzahl von Fallbeispielen und Einzelschicksalen entsteht ein plastisches Bild der gesellschaftlichen Wirklichkeit in der DDR. (Verlagstext, siehe: http://www.boehlau-verlag.com/978-3-412-13401-3.html)
In der Volksrepublik Ungarn erschien seit 1986 auf Initiative des Zentralkomitees der Ungarischen Sozialistischen Arbeiterpartei (MSZMP) sowie des Politbüros die Publikumszeitschrift »Képes 7« (»Bebilderte Woche« oder »Die bebilderten Sieben«), die den Lesern als Vorzeigeprojekt der modernen sozialistischen Magazingestaltung angekündigt wurde. Anhand des turbulenten ersten Erscheinungsjahrs von »Képes 7« werden unterschiedliche Praktiken des Umgangs mit Fotografien beleuchtet. Wie sah die bislang kaum untersuchte sozialistische Bildpolitik bzw. Bildlenkung im Alltag aus? Die Bandbreite der Haltungen und Handlungen der Akteure reichte von der Übernahme von Fotos aus westlichen Zeitschriften (»Scherenarbeit«) über die Produktion eigener Reportagen bis hin zu massiven Konflikten um einzelne Bilder oder Themenfelder. Näher betrachtet werden Personen und Institutionen, die am Prozess der Bilderzeugung und massenwirksamen Verbreitung beteiligt waren. Der Aufsatz stützt sich auf die veröffentlichten Ausgaben von »Képes 7«, auf zeitgenössisches Archivmaterial sowie auf eigene Interviews mit ausgewählten Akteuren.
Gegenstand dieses Buches ist die SED-Politik gegenüber den Juden bis zum israelisch-arabischen krieg vom Juni 1967. Im Verständnis der SED-Führung galten vorrangig die aktiven Mitglieder der Jüdischen Gemeinde als Juden. Doch läßt sich eine spezifische Politik gegenüber Menschen jüdischer Herkunft (auch Parteimitgliedern) wie gegenüber dem Staat Israel beobachten, die eine eigenständige Untersuchung rechtfertigt. Diese Politik bewegte sich zwischen zeitweiliger repression (1952/53) und schließlicher Toleranz, wobei letztere Komponente der Politik das ursprüngliche sozialistisch-kommunistische Assimilationskonzept aber nicht in Frage stellte: Juden sollten sich in die "sozialistische" Gesellschaft integrieren, jüdische Identität sollte gegenüber dieser Integration zurücktreten. Sie wurde toleriert, aber nicht unbedingt gefördert, wobei die SED-Führung das Maß an Toleranz bestimmte.
Der ostdeutsche Fotograf Christian Borchert (1942–2000) verstand sich als „Chronist seiner Zeit“. Seine Serie „Familienporträts“ wurde schon vor 1989 in der DDR und in der Bundesrepublik im Kontext bildender Kunst gezeigt – trotz oder sogar wegen der sachlichen, dokumentarischen Perspektive auf die DDR-Gesellschaft. Mittlerweile ist Borchert unverrückbar in den kunsthistorischen Kanon eingegangen, und seine Bilder fehlen auf kaum einer Ausstellung zur Fotokunst in der DDR. Besonders 2009 fand anlässlich der 20-jährigen Jubiläen des Mauerfalls und der „friedlichen Revolution“ eine Fülle von Ausstellungseröffnungen zur DDR-Fotografie statt. Sozialdokumentarische Bilder konnten – als vermeintlich ideologiefreie „Wirklichkeitsbilder“ rezipiert – problemlos im Kunstkontext untergebracht und zugleich als aussagekräftige Quellen der Vergangenheit präsentiert werden. Der Interessenschwerpunkt lag dabei auf der „inoffiziellen“ Fotografie aus der DDR. Diese Tendenz hält bis heute an, und so ließ auch die 2012 eröffnete Ausstellung „Geschlossene Gesellschaft“ in der Berlinischen Galerie, wo einige der „Familienporträts“ vertreten waren, die „offiziellen Bildwelten“, den Bereich der angewandten Fotografie und der Amateurfotografie außen vor. Zwar bildete die sozialdokumentarische, erzählerische Fotografie, die sich ab den 1970er-Jahren als Autorenfotografie emanzipiert hatte, in der DDR tatsächlich den Kern der künstlerischen Fotografie, doch haben sich deren Spezifika grundlegend aus der sozialistischen Fotografieästhetik entwickelt. Dass zwischen „non-konform“ und „offiziell“ nicht klar zu trennen ist, lässt sich mit Christian Borcherts Familienbildern sehr gut belegen.
Fürsorgediktatur
(2023)
Neu in einer aktualisierten Version 2.0: In seinem Artikel erörtert Konrad H. Jarausch den Neologismus „Fürsorgediktatur“, ein Spannungsbegriff, der den widersprüchlichen Charakter der DDR vor allem unter Honecker auf einen präzisen Nenner bringen sollte. Mit dem Gedanken entworfen, die festgefahrene Auseinandersetzung um die Geschichtspolitik anzustoßen und eine analytische Debatte zu beginnen, beschreibt Jarausch Kritiken und Interpretationsmöglichkeiten des Begriffs.
As a striking phenomenon of Soviet consumption, Beriozka stores appeared in the late 1950s and existed until the end of the 1980s. This chain of stores was a state trade organization selling goods that were otherwise in short supply (cars, fashionable clothes, household appliances, etc.) for special ‘checks’ used as equivalents of foreign currency by special groups of Soviet citizens. Similar stores existed in other socialist countries. The article shows that these stores on the one hand became an element of the existing system of state-granted entitlements. The customers were Soviet citizens who earned money abroad as well as people who did not go abroad but received remittances from foreign sources. On the other hand, the development of the black market (barely persecuted by the state) made it possible to purchase Beriozka checks for roubles; so it granted access to sought-after goods (among them even goods from the West) to a wide range of consumers. Paradoxically, Beriozka was criticized and much frequented at the same time.
Im vorliegenden Artikel wird eine Entwicklung des Konfliktverhaltens von Beschäftigten in den Betrieben der DDR beschrieben, das in den fünfziger Jahren noch deutliche Bezüge einer traditionellen Arbeiterbewegungskultur aufwies, jedoch zunehmend einen individualisierten und privatisierten Charakter annehmen sollte. Die Tradition eines in Gewerkschaften oder Parteien organisierten Arbeiterwiderstandes war in Deutschland bereits 1933 durch das NS-Regime gewaltsam unterbrochen worden und konnte, von einer kurzen Nachkriegszeit abgesehen, in der DDR nicht wieder aufleben. Das diktatorische System hatte die Eigenständigkeit sämtlicher Arbeiterorganisationen, darunter die der Gewerkschaften, bald unterbunden und sie zum Bestandteil seines Herrschaftsapparates gemacht. Die organisierte Arbeiterbewegung war in der DDR eine „verstaatlichte“, sie hatte damit ihren Charakter als autonome Bewegung der abhängig Beschäftigten verloren. Auch die noch bis in die sechziger Jahre häufiger praktizierten individuellen betrieblichen Konfliktaustragungen und die weit weniger verbreiteten kollektiven Widerstände wie Streiks oder Protestversammlungen waren kaum noch mit dezidiert politischen Forderungen verbunden und mit ihren ökonomischen Zielstellungen auf die Verbesserung der Situation meist kleiner Belegschaftsgruppen gerichtet. „Arbeitsniederlegungen“ hatten am Ende der siebziger und in den achtziger Jahren an Zahl und Menge der Beteiligten keine gesellschaftliche Relevanz. Die DDR-Arbei- terschaft war atomisiert, in die Betriebe war nun „Friedhofsruhe“ eingezogen.
Der DDR-Staats- und Parteiführung als Herrschaftsequipe eines der ökonomisch reichsten Länder im sogenannten Ostblock war es lange Zeit gelungen, ihre abhängig Beschäftigten im Rahmen eines staatlich organisierten Sozialprogramms weitgehend zu pazifizieren. Im Ergebnis machte sich relative Ruhe in den Betrieben breit, selbst unter den in den frühen Jahren der DDR besonders renitenten Arbeitern der Bau-, Chemie- und Metallbranche. Konfliktarmut und Stagnation wurden in den siebziger und namentlich den achtziger Jahren zu hervorstechenden Merkmalen des DDR-Betriebsalltags. Der, wie es scheint, im großen und ganzen zufriedengestellte Arbeiter, hatte sich vorteilhaft dem ihm zugewiesenen Arbeits- und Lebensregime angepaßt, seine Nische und sein Auskommen gefunden.
Verlagstext Böhlau: "Der Kalte Krieg wurde nicht nur von Staatsmännern und Militärstrategen in den Spitzenetagen der politischen Macht geführt. In Ost und West machte er sich vielmehr in allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens bemerkbar. Der öffentlichen Kommunikation kam dabei eine zentrale Funktion zu: Filmemacher und Journalisten, Parteipolitiker und Kirchenvertreter, Wochenschauen und Fernsehstationen kommentierten und interpretierten, legitimierten und kritisierten die lebensbedrohliche Teilung der Welt. Durch den alltäglichen Medienkonsum war der Kalte Krieg im Leben des breiten Publikums präsent. Der ideologische Gegensatz von liberalen Demokratien und kommunistischen Diktaturen schlug sich in gegensätzlichen Vorstellungen von den Grundlagen des menschlichen Zusammenlebens nieder, die in Massenmedien propagiert und diskutiert wurden. Die Beiträge der Autorinnen und Autoren über Spielfilme, Zeitungs- und Rundfunksjournalismus tragen zu einer neuen, kultur- und mediengeschichtliche Aspekte integrierenden Sichtweise des Kalten Krieges bei.
Die Geschichte setzt ihre Symbole: „IKW 69“ heißt eines davon und bezeichnet die wohl jüngste Investitionsruine im Lausitzer Braunkohlenrevier, ein Industriekraftwerk in Lauchhammer, das acht der umliegenden Brikettfabriken mit Dampf versorgen sollte. Mitte 1991 wurde der nach drei Jahren fast fertige Bau eingestellt, denn dieser Dampf fand keine Abnehmer mehr: Nach rund einem Jahrhundert endete hier die Brikettproduktion, nicht zuletzt, weil einer ihrer Großkunden, die Kokerei Lauchhammer, die Tore geschlossen hat. Auf andere Art symbolhaft erscheint auch der Wandel der regionaltypischen Textilindustrie, wo sich hinter den bröckelnden Fassaden alter Fabrikarchitektur seit 1990 zunehmend Stille ausbreitete.
Existierten in der Gesellschaft der DDR überhaupt Eliten? Die Antwort auf diese Frage ist umstritten. Wenn es Eliten gab, was machte sie dazu, wie agierten sie, wer gehörte zu ihnen? Andererseits, wenn sie fehlten, wer oder was befand sich an ihrer Stelle und warum? Oder gab es in der sozialen Struktur der sozialistischen Gesellschaft gar keine adäquaten Funktionen und Positionen, die sich einer Elite zuschreiben ließen? Solche Fragen verweisen auf ein kontrovers diskutiertes Thema, dem sich im Laufe der neunziger Jahre auch die zeithistorische DDR-Forschung verstärkt zuwandte. Die in diesem Sammelband vereinten Beiträge sind aus dieser Diskussion hervorgegangen.
Das Verhältnis von Arbeitern und Staat beschäftigte die Protagonisten der in unterschiedlichen historischen Kontexten entstandenen Arbeiterbewegungen von deren Anfängen an. Der Plural des Begriffs, wie ihn Klaus Tenfelde in seinem Einführungsvortrag „Arbeiter, Arbeiterbewegungen und Staat im Europa des ,kurzen' 20. Jahrhunderts“ verwendet, signalisiert nicht allein Unterschiede der Entstehungs- und Entwicklungsbedingungen, sondern auch Differenz im Politischen, in der Programmatik ebenso wie in der täglichen Praxis. In besonderem Maße spiegelten sich Gemeinsamkeiten und Unterschiede der Arbeiterbewegungen, wie überhaupt der Arbeiterschaft in der Perzeption des Staates. Doch auch „der Staat“ präsentierte sich Arbeitern gegenüber in sehr verschiedener Weise. Insofern ließ sich die Beziehung zwischen beiden nie über einen Kamm scheren. Gleichwohl weist sie im internatio-nalen Vergleich ebenso wie im Hinblick auf die Arbeiterbewegungen strukturelle Übereinstimmungen auf.
Am 19. Juli 2001 tagte im Rathaus des nordbayrischen Heroldsbach der Zweckverband zur Wasserversorgung der in der Heroldsbacher Gruppe zusammengefassten Orte. „Weitreichenster (sic) Beschluss“ sei die „Zustimmung zur Übernahme der Unterhaltskosten für die Feuerlöscheinrichtungen (Hydranten) der Kreisstraße und der Bundesstraße“ gewesen, vermerkte die Pressemitteilung. Aber zu Beginn der Sitzung habe der Verbandsrat aus Heroldsbach das Fehlen von Haushaltsunterlagen moniert und im „lebhaften Wortaustausch mit dem Vorsitzenden“ die „Seilschaft zwischen Landratsamt und Gemeinden nach DDR- Muster“ kritisiert. Man wird dieser Episode imschwer zweierlei entnehmen können: Erstens galt die Existenz von Seilschaften in der DDR als ein Faktum. Zweitens erfuhr dieses eine negative Konnotation. Nicht ganz klar ist, ob der pejorative Akzent auf „Seilschaft“ oder auf „DDR“ lag, vielleicht aber auch auf beiden. Wie dem auch sei, hier wurde auf ein Beziehungsgefüge aufmerksam gemacht, das man offenbar in verschiedenen politischen und sozialen Kontexten antreffen konnte. Wie sollte das Phänomen sonst in Heroldsbach auftauchen? Der Hinweis freilich, es handele sich um Seilschaften „nach DDR-Muster“, legte immerhin nahe, dass es auch Seilschaften anderen Musters geben dürfte. Es ist dabei nicht gleich an Strukturen zu denken, wie sie die sizilianische Mafia und ihre Nachahmer in den verschiedensten Ländern der Welt hervorgebracht haben. Aber Personenbündnisse, vielleicht sogar etwas vom Geheimnis umweht, mindestens aber als simple Kungelrunden stehen dann schon vor Augen. Die Annahme eines „DDR-Musters“ setzt jedoch voraus, dass in der DDR Seilschaften sui generis existierten. Es mag lohnend erscheinen, dieser Frage etwas genauer nachzugehen.
Das politische und soziale Verhalten der Industriearbeiterschaft, einer für die DDR-Gesellschaft wesentlichen Bevölkerungsgruppe, stehen im Mittelpunkt der Untersuchung. Gefragt wird nach den Interessenlagen, die das Politik- und Sozialverhalten unter den Bedingungen einer sich herausbildenden und konsolidierenden "Diktatur des Proletariats" bestimmen. Dabei geht es besonders um die Konstituierung, Artikulation und um die Durchsetzungsversuche sozialer Interessen. In diesem Kontext werden Modalitäten und Verläufe von Interessenarrangements und Konflikten analysiert.
Der nachfolgende Aufsatz, Zwischenergebnis eines größeren Forschungsprojektes, zeichnet zunächst die Grundlinien dieses Prozesses - hier als Stalinisierung bezeichnet - auf bildungspolitischem Gebiet nach. Da in den Jahren 1947 bis 1949 von der SED-Führung auch eine grundlegende konzeptionelle und strukturelle Akzentverschiebung im Erziehungssystem durchgesetzt wurde, wird dieser Phase im ersten Abschnitt besondere Aufmerksamkeit gewidmet. Dabei soll verdeutlicht werden, daß die SED-Führung den Schulen bei der Erziehung eines systemkonformen Nachwuchses und damit bei der Verwirklichung ihres Herrschaftsanspruches eine große Bedeutung beimaß. Mit dem parteipolitischen Wandel der SED begann in der SBZ zugleich die Instrumentalisierung der Bildungsinhalte und der Institution Schule unter dem Diktat der Partei. Insgesamt ging es in den beiden Jahren vor der Gründung der DDR in erster Linie um das Zurückdrängen von schulkonzeptionellen Alternativen und, mit deutlich antidemokratischer Zielrichtung, um das Durchsetzen des Führungsanspruchs der SED im Bildungsbereich.
Russlands Krieg gegen die Ukraine enthüllte nicht nur den imperialen Großmachtanspruch herrschender Eliten in Russland, sondern auch ein generelles kulturelles Überlegenheitsgefühl gegenüber Ukrainer:innen. Darüber hinaus beklagen immer wieder Stimmen aus Kasachstan, Georgien und Usbekistan den kolonialistischen Habitus einiger geflüchteter Russ:innen. Diese Einstellungen haben ihre Wurzeln im russländischen Imperium, denn die Revolution und Gründung der Sowjetunion brachen nur bedingt mit dem imperialen Erbe des Zarenreiches. Spätestens seit den 1930er Jahren stand, nach einigem nationalpolitischen Hin- und Her, das russische Volk auch in öffentlichen Diskursen an der Spitze der sowjetischen Völker. In einem kurzen, aber besonders repräsentativen Beispiel möchte ich zeigen, wie in der Zwischenkriegszeit diese Hierarchisierung durch öffentlich publizierte Fotografien suggestiv vermittelt wurde.
Die Regularien der Austragung von Arbeitskämpfen, die in der tschechoslowakischen Republik zwischen 1918 und 1938 institutionalisiert und kodifiziert wurden, sind bereits vor der kommunistischen Machtübernahme (Februar 1948) so weit ausgehöhlt worden, daß die Errichtung des Machtmonopols der Kommunistischen Partei der Tschechoslowakei (KPTsch) unter diesem Gesichtspunkt nicht als qualitative Zäsur betrachtet werden kann. Ausschlaggebend für die Erosion der rechtlichen, organisatorischen und politisch-sozialen Grundlagen von Arbeitskämpfen war das machtpolitische Konfliktszenarium der formal demokratisch verfaßten Nachkriegsrepublik (1945-1948), d. h. die oft dargestellten Auseinandersetzungen zwischen der KPTsch und den anderen Parteien der Nationalen Front, in deren Verlauf die legitime Verfolgung von Gruppeninteressen und das freie Ausschwingen sozialer Konflikte in beiden politischen Lagern rigoros parteipolitischem Kalkül untergeordnet wurden. Unser Thema ist dafür ein besonders anschauliches Beispiel. Die Parteien rechts von Kommunisten und Sozialdemokraten forderten einen restriktiven Umgang mit Arbeitskämpfen, um dem sozialen Radikalismus und der politischen Mobilisierung der Industriearbeiterschaft, die in der Masse zur Klientel der KPTsch gehörte, das Wasser abgraben zu können. Auf der Gegenseite akzeptierte und unterstützte das linke Machtkartell, das die kommunistische Partei und die im Mai 1945 als Einheitsgewerkschaft gegründete Revolutionäre Gewerkschaftsbewegung (ROH) bildeten, industrielle Konflikte nur insoweit, als diese mit seinen klassenpolitischen Zielsetzungen und dem - wenn auch zunächst vage formulierten - volksdemokratischen Konzept vereinbar erschienen. Das verdeutlichen in erster Linie die von den beiden Organisationen teils selbst organisierten, teils nachträglich in Regie genommenen politischen Streiks für die Verstaatlichung von Industriebetrieben oder gegen die Restitution industrieller Konfiskatę in privates Eigentum.
Im April 1953 stand es schlecht um die monatliche Planerfüllung in den Vereinigten Stahlwerken Kladno. Der Direktor der Stahlwerke nannte einem Emissär des Ministeriums für Hüttenindustrie und Erzgruben die Gründe. Vor allem gehe es mit dem sozialistischen Wettbewerb nicht voran, dem Motor der Planerfüllung. Die Materialzufuhr sei unregelmäßig, die Auftragslage decke nicht alle Werksabteilungen ab, die künftige Auslastung der einzelnen Produktionsbereiche sei wegen einer sich hinziehenden Entscheidung der Planungsbehörde über eine Senkung des Plansolls offen. Der Emissär beruhigte den besorgten Direktor. Die Vereinigten Stahlwerke sollten nicht versuchen, bei der Planerfüllung „Wunder zu vollbringen“, denn Luppen und Schrott für die Hochöfen seien rar. Einige Tage vor diesem Gespräch hatten Partei und Regierung einen „mobilisierenden“ Beschluss zum Plansoll der Stahlwerke in Kladno gefasst und ließen im „Rüde prävo“, dem Zentralorgan der Kommunistischen Partei der Tschechoslowakei (KPTsch), die Werbetrommel für den „Kampf an den Hochöfen“ in Kladno rühren.
Die Computerindustrie entwickelte sich in den USA und der UdSSR sehr unterschiedlich. Während in den Vereinigten Staaten der Konzern IBM nahezu ein Monopol erlangte, herrschte in der Sowjetunion ein Konkurrenzkampf. Mehrere Akteure verfolgten an unterschiedlichen Standorten eigene Entwicklungslinien; ein Austausch fand kaum statt. Als Reaktion auf eine von IBM 1963 vorgestellte neue Modellreihe kam es in der UdSSR zu einer Diskussion über die Computerindustrie, die den hartnäckigen Widerstand lokaler Entscheidungsträger bei der Durchsetzung zentraler Direktiven offenbarte. Es bedurfte mehrerer Machtworte von führenden Vertretern der Rüstungsindustrie, um das IBM System /360 als Vorbild einer eigenen Reihe durchzusetzen. Dabei berief man sich vor allem auf die Erfolge, die beim Nachbau von IBM-Rechnern in der DDR erzielt worden waren. Das Ministerium für Staatssicherheit hatte Entwicklungsdokumente aus dem Westen beschafft, und diese Wirtschaftsspionage trug wesentlich dazu bei, den innersowjetischen Konflikt zu entscheiden. Der technologische Rückstand der UdSSR gegenüber den USA blieb gleichwohl bestehen.
Magdeburg, 18. September 1985: Das neue Schuljahr in der DDR ist zwei Wochen alt, als eine junge Lehrerin für die Vertretungsstunde in der 9. Klasse eingeteilt wird. Ihren Englischunterricht kann sie nicht fortsetzen und so gibt sie den Schüler:innen spontan eine andere Aufgabe: „Schreibt doch mal auf, wie ihr euch das Leben im Jahr 2010 vorstellt!“ Im Gegensatz zum regulären Unterricht macht sie den Jugendlichen keinerlei Vorgaben, was der Text beinhalten soll, und wartet gespannt auf die Ergebnisse. Als sie die Aufsätze am Abend liest, überraschen die Zukunftsträume der Jugendlichen sie völlig. Die Schüler:innen träumen von offenen Grenzen, von schnellen Autos und dem Besitz eines Eigenheims. „Wenn das deine Parteisekretärin findet, dann ist deine Karriere ja ganz schnell vorbei!“[1], befürchtet sie und beschließt daher, die 23 Texte für sich zu behalten.
Über 30 Jahre später blicken wir nicht nur auf das Jahr 2010, sondern auch auf die untergegangene DDR zurück.
Die sozialistischen Vordenker Marx, Engels und Lenin begründeten die „sozialen Ursachen“ der Kriminalität mit dem herrschenden kapitalistischen Gesellschaftssystem, dessen „ökonomische Basis die Wurzel allen Übels“ sei. Das Verbrechen sei keine dem Menschen angeborene Eigenschaft, sondern „historisch entstanden und wird mit dem Sozialismus/Kommunismus allmählich überwunden“. Entsprechend teilte auch die DDR-Führung die Sicht, dass „mit der Liquidierung der Ausbeuterordnung in der DDR die wesentlichen Wurzeln der Kriminalität verschwunden [sind]. Das ermöglicht [es] erstmalig in der deutschen Geschichte, die Vorbeugung der Verbrechen zur Aufgabe der gesamten Gesellschaft zu machen.“
Wie kein zweiter Gedächtnisort prägte die Gedenkstätte Buchenwald auf dem Ettersberg bei Weimar den antifaschistischen Kanon und die Erinnerungspolitik in der DDR. Ebenso nachhaltig beeinflußten die Kino- und Fernsehadaptionen des Romans "Nackt unter Wölfen" die Vorstellungen vom heroischen Kampf der Buchenwald-Häftlinge um ihre Selbstbefreiung. Weitere Kinofilme und Fernsehbeiträge popularisierten in der Folgezeit diese Lesart der Ereignisse.
Der Band zeichnet das Entstehen der filmischen Bilder nach und setzt Gedenkpolitik und Bildproduktion zueinander in Beziehung. Anhand alten und neuen Archivmaterials rekonstruiert der Autor den Entstehungs- und Gebrauchskontext der in der Nationalen Mahn- und Gedenkstätte Buchenwald gezeigten Einführungsfilme. Dabei weist er Ausblendungen unbearbeiteter Erinnerungen von ehemaligen Buchenwald-Häftlingen nach und dokumentiert vielschichtige, widersprüchliche Kontrollmechanismen des offiziellen Geschichtsbildes. (Quelle: Verlag. http://www.boehlau-verlag.com/978-3-412-09804-9.html)
»Du sollst Solidarität mit den um nationale Befreiung kämpfenden und den ihre nationale Unabhängigkeit verteidigenden Völkern üben.« So lautet das letzte der 1958 von Walter Ulbricht verkündeten »Zehn Gebote der sozialistischen Moral und Ethik« (auch: »Zehn Gebote für den neuen sozialistischen Menschen«), die von 1963 bis 1976 Teil des SED-Parteiprogramms waren.1 Die sozialistische Variante der christlichen Zehn Gebote findet sich häufig auf der ersten Seite von »Brigadetagebüchern«, die Beschäftigtenkollektive in der DDR und in anderen staatssozialistischen Ländern verfassten. Über die Grenzen der DDR hinaus stellten auch »Freundschaftsbrigaden« der Freien Deutschen Jugend (FDJ) solche Brigadetagebücher zusammen, um ihre Aufenthalte in Ländern Afrikas, Asiens und Lateinamerikas zu dokumentieren. Diese Quellen geben einen wertvollen Einblick in die sozialistische Globalisierung und deren Alltagspraktiken.
Mit dem Erwerb von rund 20.000 Negativen aus dem Nachlass des tschechischen Fotografen Ivan Kyncl (1953–2004) hat die Forschungsstelle Osteuropa an der Universität Bremen einen bedeutenden Grundstock für eine fotografische Sammlung zur tschechoslowakischen Bürgerrechtsbewegung der 1970er-Jahre gelegt.1 Das Archiv der Forschungsstelle beherbergt die europaweit umfangreichste Sammlung von so genanntem Samizdat, d.h. von Schriftstücken, die jenseits der staatlichen Zensur im ‚Selbstverlag‘ publiziert worden sind.2 Den Hunderttausenden von schriftlichen Dokumenten steht eine kaum geringere Zahl von Fotografien gegenüber. Diese gelangten eher zufällig zusammen mit den schriftlichen Quellen oder mit gesamten Nachlässen von Dissidenten aus der ehemaligen Sowjetunion, aus Polen, der Tschechoslowakei und Ungarn in das Archiv.
Von den Toten der Berliner Mauer nimmt Peter Fechter (1944-1962) im kollektiven Gedächtnis einen herausgehobenen Rang ein. Schon unmittelbar nach seiner gescheiterten Flucht wurde in der Berliner Zimmerstraße nahe dem ehemaligen Checkpoint Charlie ein Denkmal in der Form eines Holzkreuzes errichtet, das man am 13. August 1999 durch eine Stahlstele ersetzte. Jährlich legten und legen Delegationen Kränze am Denkmal nieder. Fernsehdokumentationen informierten 1997 aus Anlass des Prozesses gegen die Mauerschützen. In der öffentlichen Wahrnehmung gilt Peter Fechter deswegen für viele als der erste Tote an der Berliner Mauer überhaupt.
Warum ist der keine fünf Jahre nach dem Ende des SED-Regimes erschienene Aufsatzband „Sozialgeschichte der DDR" ein Meilenstein der historischen Forschung zum untergegangenen ostdeutschen Staat? Vor allem deshalb, weil dort differenzierte Fragestellungen und Arbeitshypothesen formuliert wurden, die die Forschung zur DDR bis heute prägen. Die einzelnen Beiträge vereint die Frage, wie sich die Geschichte der DDR in die deutsche Geschichte des 20. Jahrhunderts einordnen lässt, ob die Brüche oder doch eher die Kontinuitäten überwogen und wie sich die historischen Vörprägungen durch die NS-Diktatur auf den verschiedenen Ebenen von Staat und Gesellschaft bemerkbar machten. Der Gesichtspunkt der nationalen Pfadabhängigkeit wird in immer wieder neuer Perspektive aufgegriffen: Die Autoren diskutieren neben den Ähnlichkeiten mit der NS-Diktatur Aspekte des Systemvergleichs und der Systemkonkurrenz der DDR mit der Bundesrepublik; aber auch die Weimarer Republik und selbst das Kaiserreich werden keineswegs ausgeblendet. Kursorische Vergleiche mit anderen ost- und westeuropäischen Ländern erlauben schließlich wichtige Thesen über das spezifisch „Deutsche" in der DDR-Geschichte.
Überlegungen zur Vergleichbarkeit von Deutscher Arbeitsfront und Freiem Deutschen Gewerkschaftsbund
(2003)
Ein Vergleich von Diktaturen, nicht zuletzt von »Drittem Reich« und DDR, ist ein schwieriges Unterfangen, ebenso der Vergleich einzelner Institutionen, Organisationen oder anderer, gesonderter Aspekte beider deutscher Diktaturen. Das gilt auch, wenn Organisationen wie die beiden Pseudo- Gewerkschaften Deutsche Arbeitsfront (DAF) und Freier Deutscher Gewerkschaftsbund (FDGB) untersucht werden, die - oberflächlich betrachtet - eine ganze Reihe frappierender Ähnlichkeiten aufwiesen und bereits deshalb einen Vergleich nahelegen.
Wenn man ein Buch nennen müsste, das am meisten zum Zerfall der Sowjetunion beigetragen hat, stünde Solženicyns „Archipel Gulag“ sicher an vorderer Stelle. Aleksandr Isaevič Solženicyn, Jahrgang 1918, war als Offizier wegen einiger abfälliger Briefzeilen über Stalin 1945 verhaftet worden und brachte acht Jahre in sowjetischen Lagern und Haftanstalten zu. Nach seiner Freilassung wurde er nach Kasachstan verbannt und 1956 rehabilitiert. Mit der Publikation der Erzählung „Ein Tag im Leben des Ivan Denisovič“ (1962) gelangte er rasch zu literarischem Ruhm, sah sich aber mit dem Ende des sowjetischen „Tauwetters“ seiner Publikationsmöglichkeiten zunehmend beraubt. Seit 1958 hatte er an dem monumentalen „Archipel Gulag“ gearbeitet, dies aber geheimgehalten. Als der KGB im August 1973 das Manuskript beschlagnahmte, ließ Solženicyn den ersten Band im Pariser Emigranten-Verlag YMCA-Press veröffentlichen. Der zweite und der dritte Band erschienen 1974 und 1976. Im Jahr 1985 folgte eine einbändige, gestraffte Fassung des Werks. In der Sowjetunion konnte der „Archipel Gulag“ erst 1989 veröffentlicht werden. Solženicyn war 1974 aus der Sowjetunion ausgewiesen worden und lebte im amerikanischen Exil, bis er 1994 nach Russland zurückkehrte.
Anhand von Kemritualen der DDR, erweitert und ergänzt um Beispiele aus der Sowjetunion, den Volksrepubliken Polen und Ungarn, aus der Tschechoslowakei und aus Albanien sollen hier strukturelle Elemente einer politischen , Rhetorik des Performativen‘ im Sozialismus der fünfziger, sechziger und siebziger Jahre bilanzierend herausgearbeitet werden. Sodann wird eine methodologische Faustskizze die kommunikationstheoretischen und kulturgeschichtlichen Implikationen einer Ritualforschung zwischen ,Botschaft' und ,Bedeutung' umreißen, um schließlich eine erste Annäherung an die Aneignungsgeschichte sozialistischer Rituale zu wagen - nicht zuletzt auch unter generationengeschichtlicher Perspektive.
Während des Kalten Krieges wurde in Millionen Wohnzimmern, Kasernen und Schulen gespielt: Klassische Unterhaltungsspiele wie Memory bzw. Merk-Fix, aber auch Spiele wie Fulda Gap oder Klassenkampf, die die Systemkonfrontation als Auseinandersetzung zwischen Gut und Böse erleb- und simulierbar machten. Der Aufsatz betrachtet eine in der zeithistorischen Forschung und in den Cold War Studies bislang vernachlässigte Quellengattung, die gerade in den 1970er- und 1980er-Jahren für die populärkulturelle Vermittlung von Grundcharakteristika des Ost-West-Konflikts sehr bedeutsam war. Untersucht wird, wie sich Brett- und Computerspiele in die Wettkampflogik des Kalten Krieges einschrieben, inwiefern sie für die Systemkonfrontation auf beiden Seiten sinnbildend waren, nationale Spezifika aufwiesen oder aber als Foren der Gesellschaftskritik dienten. Deutlich wird auch, wo für die jeweiligen Obrigkeiten die Grenzen des »Spielbaren« lagen. Den eigenen Untergang als Handlungsmöglichkeit oder Dystopie zu erproben, erschien vielfach als moralisch und politisch bedenklich, weil die in Spielen entwickelten Szenarien womöglich den Blick auf die Realität verändern und Kritik verstärken konnten. Andererseits konnten die Spiele aber auch die Veralltäglichung des Kalten Krieges unterstützen: Sie bereiteten Wissen über militärische Sachverhalte auf und trugen zur Gewöhnung an das atomare Drohpotential bei.
Der Zusammenbruch der UdSSR lässt sich als Ergebnis einer zweifachen Dynamik beschrei-ben: zum einen die Implosionsdynamik des Systems in Gestalt der Staatspartei. Die KPdSU, die Kommunistische Partei der UdSSR und das Herz der Föderation, wurde im August 1991 vom Obersten Sowjet aufgelöst. Ihre ideologischen Ziele hatten sich erschöpft und die ein-geleiteten Reformen zahlreiche Widersprüche hervorgebracht, was die Starrheit und den Kräfteverfall der Partei deutlich machte. Zum anderen ging die Implosion der Zentralmacht mit einer beeindruckenden Explosionsdynamik der Nationalitäten einher, die vielfältige Formen annahm.
In 1967, an exhibition opened in East Berlin that proposed, through an overload of images, to unite the histories of the Soviet Union and the GDR, and to confront international photography exhibitions produced in the United States and West Germany. More than the design principles and methods of this show, entitled Vom Glück des Menschen or On the Happiness of People, directly connect it with Edward Steichen’s The Family of Man exhibition, first presented at MoMA in New York in 1953. Its original title was in fact The Socialist Family of Man, and its designers addressed Steichen’s show directly with a scathing critique that echoes the critical discourse in general around The Family of Man. Ultimately, and despite the acknowledged relationship of the exhibition to its Western model, Vom Glück des Menschen also departed from it, crafting a narrative through photographs specifically designed for a socialist society under construction.
Der Aufsatz untersucht die Rolle und die Grenzen der Stimmungsberichte des Ministeriums für Staatssicherheit an die SED-Führung als „Öffentlichkeitsersatz“ in der staatssozialistischen Diktatur. Im Zentrum stehen dabei die 1960er- und 1970er-Jahre als relativ stabile Jahrzehnte des DDR-Systems. Trotz aller ideologisch bedingten Verzerrungen zeigen die Berichte eine subkutane Orientierung am westdeutschen System und relativ leicht mobilisierbare Hoffnungen auf eine Abkehr von Grenzregime und Reiseverboten. Gleichwohl erschöpften sich die Werthaltungen nicht in einer Selbstwahrnehmung als „verhinderte“ Bundesbürger. Der Diskurs über Versorgungsprobleme und die materielle Lage enthielt neben dem Westvergleich auch Bezugnahmen auf den offiziellen Egalitarismus und ein sehr genaues Bewusstsein für dessen Grenzen in der DDR-Gesellschaft; Kaderprivilegien und ungleich verteiltes Westgeld sorgten vielfach für Unmut. Die Staats- und Parteiführung nahm die MfS-Berichte letztlich nur selektiv wahr – langfristig zu ihrem eigenen Schaden.
Wie lässt sich soziale Ungleichheit in staatssozialistischen Gesellschaften konzeptionell fassen? Der Beitrag stützt sich auf neuere Ungleichheitskonzepte der Soziologie und führt die Debatte um das Verhältnis von Sozial- und Geschichtswissenschaften fort – im Hinblick auf aktuelle Fragen einer Gesellschaftsgeschichte der kommunistischen Diktaturen. Diskutiert werden die gewollten und ungewollten Verteilungen sozialer Vor- und Nachteile, die innergesellschaftlichen Diskurse über „Privilegien“ und „arbeiterlichen Egalitarismus“ sowie die sozialen Dynamiken im Vorfeld der Systemtransformationen Ende der 1980er-Jahre. Besonders am Beispiel der DDR zeigt der Aufsatz die „intersektionale“ Verteilung von Armut und Reichtum nach Einkommen, bürokratischen Mechanismen und Effekten des „grauen“ Marktes. Eine weiterführende These lautet: Es gab einen engen Zusammenhang zwischen der sozialen Differenzierung im späten Staatssozialismus vor 1989/90 und der „Verungleichung“ danach.
Noch immer machen sie Schlagzeilen in der postkommunistischen Welt – die Enthüllungen über Informanten und Agenten der kommunistischen Geheimpolizeien. Was in Ostdeutschland mit den Debatten um Ibrahim Böhme, Lothar de Maizière oder Manfred Stolpe begann, setzte sich fort mit den Affären um Milan Kundera in Tschechien oder Lech Wałęsa in Polen. Überall dort, wo die Akten geöffnet wurden, verschob sich die Aufmerksamkeit – weg von den Offizieren der Geheimpolizeien oder den Funktionären der Kommunistischen Parteien. Ein ganz eigener Diskurs entstand um die Frage der Belastungen von Politikern und öffentlichen Autoritäten als Denunzianten und angeworbenen Informanten des vergangenen Systems. Der „inoffizielle Mitarbeiter“ oder „IM“, um dem deutschen Sprachgebrauch zu folgen, hat sich als symbolische Verdichtung in die Sprache des Postkommunismus eingebrannt.
Wann und wie wandelten sich in der DDR-Gesellschaft langfristig politische Einstellungen und Wertorientierungen, wie sie dann 1989 in der Herbstrevolution sichtbar wurden? Anknüpfend an Konrad H. Jarauschs These von der »Umkehr« als fundamentalem Demokratisierungsprozess im geteilten Nachkriegsdeutschland untersucht der Beitrag die Möglichkeiten und Grenzen der Stellvertreterbefragungen, die das westdeutsche Meinungsforschungsunternehmen Infratest im Auftrag der Bundesregierung von 1968 bis 1989 durchgeführt hat. Befragt wurden westdeutsche Besucher der DDR über die Ansichten eines von ihnen definierten Gesprächspartners im ostdeutschen Staat, den sie besucht und mit dem sie ausführlich gesprochen hatten. Dieser Serie zufolge stand eine breite und wachsende »schweigende Mehrheit« der DDR-Einwohner dem System distanziert gegenüber, war aber weder im westlichen noch im östlichen Sinne besonders ideologisch präformiert. Sie maß die DDR vor allem an ihren praktischen Leistungen im Hinblick auf Lebensstandard und Perspektiven. Das Interesse an Politik sank ab Mitte der 1970er-Jahre, stieg dann aber wieder an und orientierte sich zunehmend an westlichen Politikformen.
Der Homo Sovieticus und der Zerfall des Sowjetimperiums. Jurij Levadas unliebsame Sozialdiagnosen
(2013)
Der Mythos vom „neuen Menschen“ ist keine sowjetische Erfindung, sondern Teil der europäischen Ideengeschichte seit dem 18. Jahrhundert. Er nahm unterschiedliche Formen und Gestalten an, um zahlreichen politischen Ideologien zu überwältigenden Zielen und damit zu gesellschaftlichem Zuspruch zu verhelfen. In keinem anderen Land hatte der Mythos vom „neuen Menschen“ aber einen so starken Einfluss auf soziale Identitäten und politisches Handeln wie in der Sowjetunion. Die in den 1930er-Jahren zementierte Konzeption vom „Homo Sovieticus“ war zentral für die triumphale Selbstdarstellung des ersten sozialistischen Staats. Sie brachte eine historische Mission der Weltbefreiung und -eroberung und damit einen kollektiven Erlösungsglauben eindrucksvoll zur Anschauung. Darin ging sowohl das klassische marxistische Bild vom kämpferischen, siegreichen Proletariat ein als auch die überlieferte Vision von einer besonderen historischen Bestimmung des russischen Volks. Das sich aus den „neuen Sowjetmenschen“ bildende „Sowjetvolk“ werde aller Ausbeutung und Unterdrückung ein Ende bereiten und neben der Freiheit auch den hehren revolutionären Idealen der Gleichheit und Brüderlichkeit den Weg in die Wirklichkeit ebnen.
Die Arbeiter im Staatssozialismus als Gegenstand der zeithistorischen Forschung sind in Bulgarien nach 1989 noch nicht entdeckt worden. Aus zwei Perspektiven tasten sich bulgarische Wissenschaftler jedoch langsam an das Thema heran - somit lassen sich aus deren Publikationen in den letzten Jahren schon einige interessante Fragen und Hypothesen ableiten. In politologischen Untersuchungen zur bulgarischen Transformation nach 1989 erscheinen die Arbeiter als eine eher konforme Bevölkerungsschicht, die definitiv nicht zu den Akteuren der Wende gehörte. Unter den vielen Ursachen und Voraussetzungen für den Systemwechsel vor 15 Jahren spielte die Unzufriedenheit der Arbeiterschaft eine sehr geringe Rolle. Offene Proteste der Arbeitnehmer oder gar Arbeitsniederlegungen blieben bis in die späten achtziger Jahre eine Ausnahme.
Was ist der Unterschied zwischen einem Trabi und einem Düsenjäger?
Den Düsenjäger sieht man, bevor man ihn hört. Beim Trabi ist es umgekehrt.
Autos aus der Produktion der sozialistischen Staaten gelten als überholt, schadstoffreich und besonders laut. Dies ist nicht erst eine retrospektive Sicht. Für die Besitzer solcher Autos in der Zeit der deutschen und europäischen Teilung waren sie sehr ambivalente Artefakte: Einerseits waren die Mängel offenkundig, anderseits erfuhren die Autos Wertschätzung und Zuneigung, weil der Erwerb eines Pkws nach jahrelanger Wartezeit als wichtiges Zeichen der sozialen Distinktion galt. Die Achtung gegenüber diesen Fahrzeugen war sogar derart verbreitet, dass selbst ein Kind schon anhand der Motorengeräusche erkennen konnte, ob es sich um einen Trabant oder einen Volga handelte. Ein Grund dafür ist selbstverständlich, dass es im Ostblock nur eine begrenzte Anzahl von Autoherstellern gab. Aber hauptsächlich beruhte diese Fähigkeit, Motorgeräusche voneinander zu unterscheiden, auf der persönlichen Erfahrung mit den Autos, die sehr intensiv sein konnte. Der Fokus auf die Geräusche und die Materialität dieser Fahrzeuge erlaubt es daher zum einen, manche Missstände der staatssozialistischen automobilen Gesellschaften kenntlich zu machen; zum anderen gewährt er einen tieferen Einblick in die Alltags- und Erfahrungsgeschichte der Autofahrergemeinschaften.
Die DDR ist vierzig Jahre am Leben geblieben, bevor sie - unwahrscheinlich schnell - unterging. Jetzt, wo der Westen der „Sieger der Geschichte“ zu sein scheint, sagen viele, daß die DDR im Grunde nur auf Terror und Repression aufgebaut war. Der alte Begriff vom „Unrechtsstaat“, wie auch das Konzept des „Totalitarismus“, die in den fünfziger Jahren so beliebt waren, finden wieder Gefallen. Manche sagen auch, daß „die Deutschen“ seit eh und je besonders gehorsam gewesen sind.
Workers always have something to complain about - even in the ,workers’ and peasants’ states’ of state socialism. Many of the causes of worker discontent across eastern European states in the period from the late 1940s to 1990 were similar, although varying in level and intensity at different times in different areas. What differed were the ,hard‘ and ,soft‘ institutional strategies for dealing with worker discontent; the varying resources, alliances and interests of workers; and the varying forms of protest, in the light of particular historical conditions and distinctive heritages of experience and culture. A comparative approach, paying attention both to changes within the working classes and to wider social changes across time, can yield some potentially very fruitful hypotheses about patterns of worker protest in eastern European communist states.
Im September 1976 veröffentlichte Heinrich Böll, Literaturnobelpreisträger und einer der meistbeachteten Schriftsteller der Bundesrepublik, die Besprechung eines gerade veröffentlichten Buches, dessen Autor zwar in der DDR lebte, seinen Text jedoch beim kleinen Werner Gebühr Verlag in Stuttgart zum Druck gegeben hatte. Faszination und Anziehung versprach der schmale Band schon wegen seiner Entstehung »im Grenzstreifen zwischen DDR und Bundesrepublik« (so Böll); deshalb wurde er unter einem Pseudonym – Carl-Jacob Danziger – veröffentlicht. Größer noch war das Interesse aber, weil es sich bei dem Buch mit dem ironisch distanzierten und in Anführungszeichen gesetzten Titel »Die Partei hat immer recht« um den autobiographischen Roman eines Schriftstellers handelte, der sich zuerst voll und ganz dem sozialistischen Selbstverständnis der DDR verschrieben, mit seinem Buch nun jedoch die Geschichte seiner Enttäuschungen vorgelegt hatte. »Danzigers schlimmste Sünde aber ist, daß er sich für Realismus und nicht für sozialistischen Realismus entscheidet«, fasste Böll die von Danziger niedergelegte Konfrontation seiner einstigen sozialistischen Utopie mit der Realität des DDR-Sozialismus zusammen. Hier lag die Geschichte einer Entfremdung und Abwendung vor. Auch deshalb wurde Danzigers Roman in der Bundesrepublik schnell große Aufmerksamkeit zuteil; Journalisten würdigten ihn als Ausdruck von »zivilem Ungehorsam«, »Auswurf des Gewissens« und einer persönlichen Abrechnung mit der Partei.
Mit grandiosem Erfolg war 1995/96 am gleichen Ort die Vorgängerausstellung „Berlin - Moskau 1900-1950“ gezeigt worden. Diesen Begeisterungsvorschuss haben die Veranstalter nun entschlossen aufs Spiel gesetzt. Die Fortsetzung erinnert daran, was damals so faszinierte: Als eine Art Zeitmaschine machte „Berlin - Moskau 1900-1950“ den Besuchern die politischen und ästhetischen (Alb-)Träume der ersten Jahrhunderthälfte sinnlich-intellektuell erfahrbar. Anstatt aber auch unsere posttotalitären Nachkriegszivilisationen durch ein solches Prisma zu betrachten, präsentierte man im Herbst 2003 eine umfangreiche Zusammenstellung moderner Kunst aus sechs Jahrzehnten.Über Bord geworfen wurde alles andere, was das öffentliche Leben dieser Zeit geprägt hat: Architektur, Kino, Radio, Theater, Presse, Fernsehen, Denk- und Mahnmäler, Freizeitparks, Werbung, Wohnkultur, Sport und Städtebau. Übrig blieben rund 500 Kunstwerke, von denen die meisten zu den Städten Moskau und Berlin in keiner erkennbaren Beziehung stehen.
Der Western im Osten. Genre, Zeitlichkeit und Authentizität im DEFA- und im Hollywood-Western
(2004)
„Die Söhne der großen Bärin“ (1966) war der erste von insgesamt 13 Westernfilmen der DEFA. Die Resonanz des DDR-Publikums war überwältigend – ähnlich wie bei den Karl-May-Verfilmungen in der Bundesrepublik. Der Anspruch der DEFA lautete, „Abenteuerfilme in historischem Gewand“ zu zeigen. Durch geschichtliche Korrektheit wollte man den Gründungsmythos der USA, der im Filmgenre des Western massenmediale Verbreitung erfahren hatte, und auch das tagespolitische Geschehen kritisch kommentieren. Bei einem Vergleich des DEFA-Films „Ulzana“ (1974) und der US-Produktion „Broken Arrow“ (1950), die beide Authentizität reklamierten, wird deutlich, wie an Konventionen von Filmgenres angeknüpft und zugleich durch eine Fiktion von historischer Realität versucht wurde, diese Konventionen zu überwinden. Der Aufsatz untersucht, ob und inwieweit die DEFA-Produktionen das Genre Western ästhetisch und inhaltlich umwandelten.
Friedliches Auseinanderwachsen. Überlegungen zu einer Sozialgeschichte der Entspannung 1960–1980
(2007)
Der Artikel skizziert die politische, kulturelle und wirtschaftliche Entwicklung der Gesellschaften Ost- und Westeuropas in der Ära der Entspannungspolitik. Die Hauptthese lautet, dass die diplomatische Annäherung der beiden Blöcke von einem gegenläufigen Auseinanderwachsen der west- und osteuropäischen Länder begleitet war. Während die westlichen Gesellschaften neue politische Aktionsmöglichkeiten in Form von sozialen Bewegungen erlebten, blieb dies im Osten wegen des Machtmonopols der kommunistischen Parteien unmöglich bzw. war mit weitaus größeren Schwierigkeiten verbunden. Auch neue (jugend)kulturelle Erscheinungsformen wie bestimmte Mode- und Musikströmungen konnten im Westen eine Normalität erreichen, die im Osten nicht möglich war. Die Wirtschaftskrise der 1970er-Jahre führte im Westen zu einem Ab- bzw. Umbau der fordistischen Produktionsweise, während die realsozialistischen Staaten an alten Strukturen festhielten. Während diese Trends der 1970er-Jahre heute fast teleologisch auf den Zusammenbruch des Kommunismus vorauszudeuten scheinen, war dies für die Zeitgenossen nicht der Fall. Im Gegenteil: Viele Beobachter sahen eine mögliche Konvergenz der beiden Systeme.
Schwitzende Werkarbeiter in der DDR, Menschen im Porträt, Bilder als kombinierte Triaden, die ihnen einen neuen Sinn geben – die aktuelle Werkschau des Berliner Fotografen Ludwig Rauch erzählt im Cottbusser Dieselkraftwerk Geschichte und Geschichten. Es geht um die DDR, um Menschen und ihre Biografien: sichtbar gemacht in Porträts und Serien. Das Altern, der Tod und vor allem das Leben sind Motive in Rauchs Werkschau, die er unter dem Titel Noch ein Leben zusammenfasst. Auf drei Etagen begegnen die Ausstellungsbesucher unterschiedlichsten Arbeiten, die auf teilweise überraschende Weise zusammengehören.
Different factors have been proposed to explain the longevity of the communist system in Romania: social control by the secret police, external pressures, or foreign control. However, the most common explanation is that of the Romanian people’s ‘passivity’. Many commentators distinguish between two groups in Romanian society, victims and collaborators, and hold the entire Romanian nation responsible for communism since it did not oppose the system and its authorities. Over the last few years, Romanian sociologists have begun to study communist society more systematically. They have developed new interpretations of the causes of the longevity of the system in terms of the transformation of social identity under communism and general fear. This article advances a complementary explanation, focusing on the perception of social security, and draws on a series of interviews conducted in the summer of 2009 in Romania and a number of public surveys conducted between 1999 and 2009.
Sehnsucht nach einem stillen Land. Wie zwei Reporter der „ZEIT“ im Jahr 1979 die DDR darstellten.
(2009)
Die heutige Lektüre des Buches irritiert, so eigenartig und doch auch vertraut wirkt das vor 30 Jahren entworfene DDR-Bild. Die Texte und Fotos wurden zwischen Herbst 1978 und Sommer 1979 zunächst als einzelne Reportagen im „ZEIT“-Magazin veröffentlicht. Die Journalistin Marlies Menge und der Fotograf Rudi Meisel waren seit 1977/78 die ersten akkreditierten „ZEIT“-Korrespondenten in der DDR - und blieben es bis 1990. Der Hanser-Verlag brachte sieben dieser Beiträge als großformatigen Bildband heraus. Meisel erhielt dafür 1979 den Kodak-Fotobuchpreis.
Sowohl der Blick nach Westeuropa als auch nationale Selbstpositionierungen bestimmten Europavorstellungen im Ostblock. Besonders in den siebziger und achtziger Jahren des 20. Jahrhunderts dynamisierten sich hier Debatten um Europa, und verschiedene Narrationen von Europa standen dabei in einer Bedeutungskonkurrenz. Die politische Integration im westlichen Teil des Kontinents strahlte in die Kreise unabhängiger Intellektueller positiv aus, doch es wurden auch Debatten um eine regionale Identität Zentraleuropas geführt. Beide Stränge traten in der bekannten „Mitteleuropa-Debatte“ in einen Widerstreit. Auch wurde die Auseinandersetzung um „Polens Platz in Europa“ über die Jahre des Staatssozialismus hinweg fortgeführt, und in den Friedensbewegungen suchte man länderübergreifend nach einer europäischen Ordnung außerhalb der Systemkonfrontation. Sogar in den Parteieliten wurde darüber nachgedacht, wie sich die westlichen Staaten des Ostblocks angesichts des schwachen Zusammenhalts im Rat für Gegenseitige Wirtschaftshilfe (RGW) wirtschaftlich neu orientieren könnten. So wurden den westeuropäischen Staaten Angebote zur wirtschaftlichen Zusammenarbeit, zu einer Verstärkung des Ost-West-Handels und gar zum politischen Dialog gemacht. Selbst in sich ideologisch stark vom Westen distanzierenden Staaten wie der DDR kam zur aus der Nachkriegszeit stammenden antikapitalistischen Rhetorik das intensive Reden über Ost-West-Kooperationen hinzu. Zwar wurde die Nachkriegspropaganda der Abgrenzung vom westlichen „Kleineuropa“ noch bis 1989 verfolgt, parallel wurde jedoch versucht, sich der Bundesrepublik und der Europäischen Gemeinschaft anzunähem, um wirtschaftliche Vorteile zu realisieren und damit die Herrschaft zu stabilisieren. Oppositionelle Vorstellungen von Europa befanden sich trotz der restriktiven Bedingungen der staatssozialistischen Diktaturen nicht allein in einem abgrenzenden Gegensatz, sondern auch in einem Austausch mit denen der offiziellen Propaganda.
Die Gründung der DDR im Jahre 1949 und die Konsolidierung der von der SED im Einklang mit der sowjetischen Besatzungsmacht etablierten gesellschaftspolitischen Ordnung markieren einen folgenreichen Transformationsprozeß hinsichtlich des Umgangs mit der Widerstandstradition und der Erfahrung nationalsozialistischer Verfolgung. Mit der Herausbildung des „Antifaschismus“ als für die DDR identitätsbestimmendem und staatstragendem ideologischen Konstrukt kulminiert die bereits in den Vorjahren in der SBZ einsetzende Vereinnahmung einer ursprünglich breitgefächerten und weitestgehend spontanen Erinnerungskultur verschiedener Opfer- und Verfolgtengruppen durch die parteipolitischen Sonderinteressen der KPD/SED. Die nach 1945 in den verschiedensten politischen Lagern favorisierten Vision eines antifaschistischen-demokratischen Neubeginns wurde zu einer bloßen Formel für eine Neuordnung nach sowjetischem Muster ausgedünnt, mit der die noch vorhandenen Grundlagen der bürgerlichen Gesellschaft abgebaut und die Chance einer plural verfaßten Ordnung aufgekündigt wurde. Für das sehr differenzierte und hinsichtlich seiner Neuordnungsvorstellungen oft diffuse nichtkommunistische Spektrum der Verfolgten des NS-Regimes lief dies auf die Alternative hinaus, sich entweder unter die kommunistische Hegemonie unterzuordnen oder den Ausstieg aus dem politischen Projekt DDR zu vollziehen. Dabei ist allerdings die Zäsur des Jahres 1949 nicht absolut, vielmehr handelt es sich bei den genannten Entwicklungen um einen längerfristigen Übergang mit deutlichen Phasenverschiebungen in verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen. Waren die machtpolitischen Prämissen bereits 1947/48 in der SBZ weitgehend geklärt, hielt in anderen Bereichen wie etwa der Kultur, Kunst und Wissenschaft oder auf dem Feld der öffentlichen Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus der Eindruck von offenen und wandelbaren Strukturen länger an - wie anders ließe sich die Attraktivität der frühen DDR für ein breites Spektrum emigrierter Intellektueller erklären.
Jeder Kontinent, jedes Land hat seine eigenen Schwerpunkte umwelthistorischer Forschung, die sich aus der Quellenlage, den Forschungstraditionen und dem jeweiligen Charakter der Umwelt ergeben. Die amerikanische Forschung leistete für die Umweltgeschichte Pionierarbeit. Seit über vier Jahrzehnten geben ihre Werke wichtige Impulse für die Entwicklung dieses Teilgebiets der Geschichtswissenschaft in anderen Regionen der Welt. Dies gilt auch für China, das zwar auf eine jahrhundertealte Tradition staatlichen Umweltmanagements zurückblickt, wo sich eine umwelthistorische Forschung aber noch in der Aufbauphase befindet. Zur fachlichen Spezialisierung kam es erst, als sich die realen Umweltprobleme nicht mehr leugnen ließen und die Staatsführung die Bedeutung von Umweltpolitik erkannte. Chinas Historiker wandten sich Umweltfragen zu einem Zeitpunkt zu, als sich das Land verstärkt in globale Strukturen integrierte und auch auf wissenschaftlicher Ebene zunehmend globalgeschichtliche Fragen diskutiert wurden. Anders als in der Umweltgeschichte gab es bei der Globalgeschichte einen Vorläufer: eine bereits in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in Ansätzen erkennbare Weltgeschichtsschreibung, die sich allerdings auf die Beziehungen zwischen und den Vergleich von Nationalstaaten beschränkte. Wichtige Impulse für die Weiterentwicklung zur Globalgeschichte erfolgten – wie bei der Umweltgeschichte – erst im Kontext von Chinas Globalisierung am Ende des 20. Jahrhunderts.
Geteilte Geschichte. Plädoyer für eine deutsch-deutsche Perspektive auf die jüngere Zeitgeschichte
(2015)
In der Geschichtswissenschaft boomen derzeit grenzübergreifende Studien. Aus transnationaler Perspektive werden nicht nur Beziehungen zwischen europäischen Ländern untersucht, sondern zunehmend auch globale und außereuropäische Verflechtungen, die bis nach Ostasien oder Afrika reichen. Umso mehr erstaunt, dass 25 Jahre nach dem Mauerfall übergreifende deutsch-deutsche Studien weiterhin selten zu finden sind. Selbst die großen Überblickswerke zur deutschen Zeitgeschichte wähl(t)en selten grenzüberschreitende Perspektiven. Die meisten Historiker/innen im alten Westen empfanden die DDR lange als eine Art »fernes Land«, dessen Erforschung, bis auf wenige Ausnahmen wie die deutsch-deutsche Politikgeschichte und der Mauerfall, den Kolleginnen und Kollegen an ostdeutschen oder Berliner Universitäten überlassen wurde. Auch in den vielfältigen theoretischen Debatten um eine transnationale Geschichte, eine »shared history« oder »entangled history« hat die deutsch-deutsche Geschichte bisher keine Rolle gespielt. Zu unklar erschien vermutlich der Status des Trans-»Nationalen« – in diesem Fall ja eine »trans-staatliche« Geschichte einer später wiedervereinigten Nation. Eine umfassende gesamtdeutsche Gesellschaftsgeschichte steht daher weiterhin aus; ebenso fehlt es an Einzelstudien zu vielen relevanten Feldern.
Die Ausgangsfrage der – hier notwendig kursorischen – Analyse des persönlichen Sachbesitzes einer Schenkerin für die Sammlung eines Museums war diejenige nach dem Quellencharakter der Dingsammlung und ihrer sozialen Dimension. Der erhebliche Umfang der Schenkung könnte, so die Hypothese, ein von den Dingen ausgehendes Bild von einem Leben in der DDR ermöglichen. In der Tat zeigen sich mehrere lebensweltliche Dimensionen, die als Sedimente nunmehr im Museumsdepot zu finden und damit der Forschung zugänglich sind: soziale Praktiken und soziale Beziehungen, Informationen zur Arbeitswelt und zur Einstellung gegenüber der DDR, dazu Fragen eines kommunikativen Gedächtnisses in Dingensembles und biographische Hinweise, die auf die historischen Kontexte eines Lebensverlaufs Bezug nehmen. Die Überlieferungsstruktur ist nach den Aufbewahrungsorten organisiert, reicht aber deutlich über eine Lebensspanne hinaus. Damit wird erkennbar, dass der historisch-analytischen Ordnung eine lebensweltliche voranging, die schließlich zur Übergabe an eine öffentliche Institution führte.
Elektronisches Publizieren und online verfügbare Quellenbestände haben die Geschichtswissenschaft verändert. Gesunkene Zugangshürden und einfache Suchmöglichkeiten beschleunigen den Blick in Quellen sowie Literatur und verbreitern die empirische Basis. Programme zum Bibliographieren, Recherchieren und Exzerpieren ersetzen den Zettelkasten, strukturieren unser Wissen neu und vereinfachen den Blick über geographische und disziplinäre Grenzen hinaus. In der Geschichtswissenschaft viel weniger bekannt sind dagegen Möglichkeiten zur Untersuchung großer Textkorpora mittels computerlinguistischer Methoden. Solche Forschungen versuchen qualitative und quantitative Analyseschritte miteinander zu verbinden. Dieser Sprung von der »digitalisierten« zu einer »digitalen« Geschichtswissenschaft, die algorithmische Analyseverfahren methodisch innovativ nutzt und reflektiert, ist längst noch nicht vollzogen.
Die Restitution von Wohneigentum stellte ein großes Konfliktfeld im deutschen Einigungsprozess dar, das zugleich durch eine lange Vorgeschichte geprägt war. Eigentumsideen und -notationsformen aus dem 19. Jahrhundert sowie Praktiken aus der DDR spielten nach 1990 in die Entscheidungen der Ämter zur Regelung offener Vermögensfragen hinein; sie prägten Erfahrungen und Bewertungen des 1990 eingeführten Prinzips »Rückgabe vor Entschädigung«. Das zugrundeliegende Vermögensgesetz wurde in den 1990er-Jahren modifiziert und berücksichtigte vermehrt DDR-Praktiken. Trotzdem dominieren in den öffentlichen Darstellungen Verlusterzählungen, vor allem aufgrund der langen Zeit der Unsicherheit bis zur endgültigen Entscheidung. Das für den ersten Teil des Aufsatzes gewählte Beispiel Kleinmachnow, das unmittelbar an das frühere West-Berlin angrenzte, stand in den 1990er-Jahren besonders im Medieninteresse. Unklar blieb aber, welche Aussagekraft es für Ostdeutschland hat. Im zweiten Teil wird deshalb nach dem Typischen dieses Falles gefragt. Zugleich wird dafür auf die besonderen Quellen der Transformationsgeschichte eingegangen: Die Sozialwissenschaften produzierten seit 1990 eine Vielzahl qualitativer und quantitativer Daten, die nun auch der Geschichtswissenschaft als Quellen zur Verfügung stehen. Vor einer Sekundäranalyse müssen sie aber wissensgeschichtlich eingeordnet werden: Die Sozialwissenschaften beobachteten den Transformationsprozess nicht nur, sondern gestalteten ihn mit. Vorgeschlagen wird hier ein integratives Verfahren, um quantitative und qualitative Ergebnisse für die Geschichtswissenschaft zu verbinden und somit zu einem besseren Verständnis der komplexen Transformationsgeschichte zu gelangen.
Der Aufsatz entwirft eine Zeitgeschichte der Vorsorge, die sich für den hygienepolitischen Übergang von Praktiken der Intervention und Krisenbewältigung zu Praktiken der Prävention interessiert. Am Beispiel der Pestvorsorge in der Sowjetunion wird erstens ein Prozess der Institutionalisierung, Professionalisierung und Verwissenschaftlichung dargestellt. Zweitens werden die Eigenheiten des sowjetischen Falls herausgearbeitet. Die dortige Pestbekämpfung war bis in die 1930er-Jahre von Interventionen geprägt, die aus einem Repertoire repressiver, im Kontext der Zwangskollektivierung etablierter Maßnahmen schöpften. Der Umgang mit der Pest war nicht mit Aufklärung verknüpft, sondern mit Geheimhaltung. Die Einrichtung eines Netzwerks wissenschaftlicher Forschungsstätten führte zu einem Wandel im Umgang mit der Seuche. Dies war eingebettet in parallele Diskurse über administrative Grenzen und geographisches Wissen. Der Aufsatz stützt sich auf Quellen aus Staats- und Partei-Archiven in der Russischen Föderation und der Republik Aserbaidschan.
Zeit seines Lebens hat sich Stanisław Lem (1921–2006) dagegen verwehrt, Science-Fiction-Autor genannt zu werden. Natürlich war er selbst an dieser Etikettierung nicht ganz schuldlos, denn wer einen Großteil seiner literarischen Sujets in außerirdische Welten verlagert, von denen »Robotermärchen« und »Sterntagebücher« künden, dem mag es leicht passieren, dass er im Regal des Buchladens neben Perry Rhodan landet. Doch hat Lem nicht allein futuristische Szenerien entworfen. Sein erster Roman »Das Hospital der Verklärung« war ein überaus realistisches Werk, noch dazu mit dem Blick in einen historischen Abgrund: Beschrieben wird die Konfrontation eines jungen polnischen Arztes mit dem Patientenmord an den Bewohner*innen einer Nervenheilanstalt während des Zweiten Weltkrieges durch die deutschen Besatzungstruppen. Dieser Erstling ist hinter den Spiralnebeln der späteren Bestseller des Autors lange Zeit weitgehend verborgen geblieben. Doch ist die Darstellung nicht allein aufgrund ihrer literarischen Qualität bedeutsam, sondern stellt, 1948 geschrieben, eine der ersten intellektuellen Reflexionen des nationalsozialistischen Krankenmordes dar. Vor allem trägt der Text zur Erhellung einer wesentlichen biographischen Dimension von Stanisław Lem bei: seiner eigenen und familiären Erfahrung von Gewaltherrschaft und Besatzungszeit.
Politische Medizin. Ideologie und Gesundheitsökonomie im SED-Staat der 1950er- und 1960er-Jahre
(2020)
Mitte der 1950er-Jahre feierte ein bundesdeutscher Film auch in DDR-Kinos Premiere: »Weil Du arm bist, mußt Du früher sterben« thematisierte im Gewand eines Sozialdramas die Mängel des Gesundheitssystems der Bonner Republik. Schon die Präsentation eines »Westfilms« an sich war keineswegs selbstverständlich. Darüber hinaus durfte der Streifen mit Bernhard Wicki in der Hauptrolle in der DDR gezeigt werden, obgleich als Drehbuch-Autor Ernst von Salomon verantwortlich zeichnete. Das Werk des Schriftstellers, der 1922 das Attentat auf Walter Rathenau mit vorbereitet hatte, stand eigentlich weitgehend auf dem politischen Index der DDR. Doch passte die radikale Kritik am bundesdeutschen Gesundheitswesen den Partei-Verantwortlichen hervorragend in ihr propagandistisches Konzept: Der Film sei geeignet, so das »Neue Deutschland«, »die Legende, die um den ›goldenen Westen‹ gewoben wird, zu zerstören und uns bewußt zu machen, wieviel Licht in unserem Arbeiter-und-Bauern-Staat bereits ist, wo dort noch tiefe Dunkelheit herrscht«.
Längst hat eine die Kultur, Alltags- und Lebenswelt einbeziehende Öffnung der Sozialgeschichte im allgemeinen, der Sozialgeschichte der Arbeiterschaft im besonderen, der der Arbeiterschaft im Staatssozialismus im speziellen stattgefunden. Trotzdem tut man nach wie vor gut daran, soziale Mikrokosmen und Milieus, Identitäten und Mentalitäten in der politischen Ökonomie zu erden. Sind deren „große“ Institutionen auch keine ehernen Gehäuse, so erweisen sie sich doch als träge, oft nur in der longue durée und mit großem Aufwand verschiebbare Koordinaten des Handelns. Sie sind von beträchtlicher, Menschen und Lebenswelten prägender Wirkmacht: reale, im doppelten Sinn harte Fakten.
Die DDR-Elitenforschung geht zunehmend über politikgeschichtliche Problemformulierungen bzw. die „klassische“ Sozialprofilanalyse hinaus und nimmt kultur-, mentalitäts- und alltagsgschichtliche Fragestellungen in den Blick; das Interesse richtet sich auf Einstellungen und Wertorientierungen, Arbeits- und Lebensstile, auf Habitus und Alltagspraxis von Eliten. Die folgende Studie thematisiert, mit exemplarischem Anspruch, einen Ausschnitt aus dieser Problematik: den Verwaltungsstil der zentralen Planbürokratie der DDR - der Staatlichen Plankommission (SPK) und der Branchenministerien - in der ersten Fünfjahrplanperiode.
Als der Generalsekretär L. I. Breshnew 1977 das sechzigjährige Jubiläum der Revolution feierte, hielt er mit dem Schlagwort vom „entwickelten Sozialismus“ einen Zustand fest, der das Vermächtnis der Revolution als einen Besitzstand beschwor. Dieses Schlagwort war 1971 auf dem XXIV. Parteitag der KPdSU in Umlauf gesetzt worden und sollte ein gleichgewichtiges Wachstum mit einer stärkeren Berücksichtigung der Konsumwünsche der Bevölkerung signalisieren. Die alternde Sowjetführung verstand „entwickelten Sozialismus“ als das realisierte, aber zunehmend pragmatisch umgesetzte Erbe Lenins (und Stalins). Der Name des letzteren wurde seit 1967 nur noch im Zusammenhang mit dem Triumph im Großen Vaterländischen Krieg genannt, obwohl die Nachkriegsstruktur der Sowjetunion auf den Fundamenten ruhte, die Stalins Regime gelegt hatte. Was Breshnew unter seiner Definition von Sozialismus subsumierte, gab sich als das Resultat einer Spirale von Kämpfen und Siegen aus. Nun konnte sich im entwickelten Sozialismus eine „sozialistische Lebensweise“ entfalten. Diese wurde auf dem XXV. Parteitag (1976) als eine „Atmosphäre genuinen Kollektivismus und Kameradschaft“ beschrieben, „als Solidarität und Freundschaft aller Nationen und Völker des Landes“, und schließlich als „moralische Gesundheit, die uns stark und standhaft macht“. In diesem Sozialkitsch manifestierte sich die Selbstzufriedenheit eines juste milieu, der Breshnew-Generation, die unter Stalins Terror sozialisiert, einen beispiellosen Aufstieg aus subalternen Schichten erlebt hatte und den eigenen Erfolg - zu Recht oder zu Unrecht - mit den Siegen im Großen Vaterländischen Krieg und dem Aufstieg der Sowjetunion zur Weltmacht verknüpfte.
Moskau, Anfang Februar 1974. Der Moskau-Gor’kij-Nachtzug, der die sowjetische Hauptstadt mit der 450 Kilometer weiter nordöstlich gelegenen Industriestadt verband, hatte an diesem Abend eine Schar illustrer Fahrgäste – darunter die bekannte Jazzband »Melodija« unter Georgij Garanjan, ein ganzes Symphonieorchester, bekannte Musikkritiker und zahlreiche Musikenthusiasten. Sie alle folgten dem Dirigenten Gennadij Roždestvenskij, der bereits einen Tag zuvor angereist war, um in Gor’kij (heute Nižnij Novgorod) die letzten Vorbereitungen für die Uraufführung einer Symphonie zu treffen. Ein vielversprechender Komponist mit dem Namen Alfred Schnittke (russ. Al’fred Garrievič Šnitke, 1934–1998) hatte sein erstes symphonisches Werk vorgelegt. Schon sein Abschlusswerk am Moskauer Konservatorium, das Oratorium »Nagasaki« (1958), hatte für Aufsehen und heftige Diskussionen gesorgt. Eine Vielzahl kammermusikalischer und konzertanter Werke war seitdem zur Aufführung gekommen. Die erste Symphonie eines solchen Komponisten versprach aufregende Klänge und neue Perspektiven für die künftige Musikentwicklung. Gespannt warteten die Zuhörer nach ihrer Ankunft im Konzertsaal des Kremls von Gor’kij, welche musikalischen Eindrücke sie erleben würden. Sie wurden nicht enttäuscht.
Der Einmarsch der Roten Armee in die östlichen Gebiete des Deutschen Reiches im Frühjahr 1945 stellte eine einschneidende Erfahrung dar, die sich deutlich von den gleichzeitigen Erlebnissen des Kriegsendes im Westen unterschied. Die Möglichkeiten, von diesen Erfahrungen mit den „fremden Russen“ zu erzählen, waren jedoch in den vierzig Jahren SED-Herrschaft stark beschränkt. Darum verschwanden die Erinnerungen „zunehmend aus der Öffentlichkeit, um sich im Privaten einzunisten. Hier, im privaten Kreis, existierten sie bis zum Ende der DDR.“ In der kontrollierten Öffentlichkeit der DDR verhinderten die herrschenden Kommunisten einen offenen Umgang mit der Erinnerung an den Einmarsch jener „fremden“ Soldaten, die ein neues Gesellschaftssystem mitgebracht hatten. In den Jahren der Besatzungsherrschaft hatte die Sowjetische Militäradministration (SMAD) entscheidenden Anteil an der Durchsetzung des staatssozialistischen Herrschaftssystems. Während der folgenden 40 Jahre bildeten dann die sowjetischen Soldaten nicht nur die Rückversicherung für die SED-Herrschaft, sondern auch die größte Gruppe von „Fremden“ in der DDR. Als Militärs lebten sie stark abgeschirmt von der Zivilbevölkerung in ihren Standorten.
Da seit Sommer 1949 behauptet wurde, das Verhältnis zwischen der deutschen Zivilbevölkerung und den sowjetischen Truppen beruhe auf „freundschaftlicher Grundlage“, gab es auch nach dem Ende der Besatzungszeit kaum Möglichkeiten, Konflikte zwischen beiden Seiten zu thematisieren. Vielmehr setzte die SED - im Einvernehmen mit ihren sowjetischen Partnern - der Rede übereinander und dem Umgang miteinander enge Grenzen'. Die öffentliche Rede über die Sowjets wurde durch die Freundschaftsideologie eingegrenzt, in ihren Standorten lebten die sowjetischen Soldaten abgegrenzt und schließlich stieß die herrschende SED bei ihrem Versuch, die Bevölkerung im Sinne der Freundschaft zur Sowjetunion umzuerziehen, beständig an die Grenzen ihres Einflusses.4 Wie die Freundschaft zur Sowjetunion erfunden wurde, welchen Stellenwert sie hatte, wie Teile der Bevölkerung auf den Versuch der SED reagierten, ein neues Bild von den Sowjets als verpflichtend durchzusetzen, und welche Konflikte trotz des Anspruchs einer allseitigen Harmonisierung der Beziehungen zwischen Deutschen und Russen weiterexistierten, soll im folgenden umrissen werden.
Verlagstext, s. http://www.boehlau-verlag.com/978-3-412-23005-0.html: "Zu den Instrumenten kommunistischer Herrschaft zählten neben Repression und Gewalt auch Erziehung und Propaganda. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden die im Stalinismus ausgebildeten Herrschaftspraktiken nach Ostmitteleuropa transferiert. Vor dem Hintergrund eines historisch belasteten Verhältnisses zu Rußland versuchten die Staatsparteien in Polen und in der DDR, ihre Bevölkerung für die enge Bindung an die UdSSR zu gewinnen und für die Sowjetisierung zu mobilisieren. Diese Freundschaftspropaganda für die Sowjetunion steht im Zentrum der Studie. In transnationaler Perspektive werden die parteistaatlichen Apparate, der Herrschaftsdiskurs, die Strukturen der Öffentlichkeit und die gesellschaftliche Rezeption der Propaganda untersucht. Der Autor analysiert insbesondere die Rede über die Sowjetunion, die "Erfindung der Freundschaft" in den vierziger Jahren, den Führerkult um Stalin und die Herrschaftskrisen der Jahre 1953 und 1956. Abschließend fragt er nach der Wirkungsmacht von Propaganda in der kommunistischen Diktatur."
In der DDR nahmen Recht, Markt und Geld im wirtschaftlichen Austausch und im Prozess der sozialen Interaktion nur einen geringen Stellenwert ein. Die - im Vergleich zu westlich-kapitalistischen Gesellschaften - geringe Geltungskraft dieser „differenzierten Rationalitäts-kriterien“ wirkte sich nicht nur auf die Ausübung der politischen Herrschaft und die Ent-scheidungsprozesse aus, sondern auch auf die Allokation ökonomischer Ressourcen und die Ausprägung gesellschaftlicher Ungleichheit. So waren der Zugang zu Verbrauchsgütem - vor allem zu den begehrten Konsumgütem -, die damit verbundenen sozialen Differenzen und kulturellen Distinktionen in der Gesellschaft der DDR weitgehend nicht monetär bestimmt.
Das Buch zeigt, inwiefern es den Machthabern in der SBZ/DDR gelang, auf dem Land eine neue "sozialistische" Gesellschaft zu errichten. Über die Agrarpolitik des Regimes hinaus behandelt die Studie die Auswirkungen von Bodenreform und Kollektivierung, insbesondere in Brandenburg. Dabei geht es auch um den Umgang gesellschaftlicher Gruppen und einzelner Dorfbewohner mit den politischen Eingriffen sowie um die Reaktionen der Menschen auf den Wandel ihrer Lebenswelt. Die Durchsetzung der Bodenreform und die schwierige Bildung der Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften werden ebenso untersucht wie die Not der Neubauern, das Lavieren der Funktionäre auf dem Lande, die Vertreibung der "Großbauern" und der Wandel innerhalb der Landarbeiterschaft. (Quelle: Verlag)
Ein Denkmal in Gursuf, einem Schwarzmeerküstenort auf der Krim – man könnte es betiteln mit »Lenin spannt aus«. Statt der gewohnten Lenin-Statuen aus sowjetischer Zeit, die aufrecht stehend mit großer Geste den Weg in eine »strahlende Zukunft« (so auch ein weiterer Romantitel Sinowjews) weisen, finden wir in Gursuf einen ebenso überlebensgroßen, erhabenen Lenin vor; er sitzt mit übereinander geschlagenen Beinen, fast in Urlaubshaltung auf einer Bank vor einer prunkvollen Villa, die in der UdSSR dem Sanatorium des Verteidigungsministeriums zugeordnet war. Bereits in der frühen Sowjetunion – in den 1920er-Jahren – hatte Lenin dekretiert, die Kurorte der Krim seien für die Arbeiter und Bauern zu nutzen sowie die Villen und Besitztümer der Adligen in entsprechende Sanatorien umzuwandeln. Die gesamte Schwarzmeerküste der Sowjetunion wurde als Kurregion entwickelt. So ließ Stalin einst Sotschi – 2014 die Stadt Putins subtropischer Winterolympiade – als Modell-Kurstadt und Prestigeprojekt ausbauen. Die Krim, deren Badeorte bereits auf das 19. Jahrhundert zurückgingen, und vor allem die Gegend um Jalta – auch russische Riviera genannt – wurde zur wichtigsten Erholungs- und Sanatorienregion der UdSSR.