Staatssozialismus
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Gleich nach dem Erscheinen im August 1977 erntete das Buch von damaligen Stars der linksintellektuellen Szene wie Herbert Marcuse oder Ernest Mandel allerhöchstes Lob. Marcuse stellte fest, das Werk des bis zum Zeitpunkt seiner Verhaftung durch die Staatsorgane der DDR nur Insidern bekannten Autors Rudolf Bahro sei „der wichtigste Beitrag zur marxistischen Theorie und Praxis, der in den letzten Jahrzehnten erschienen ist“. Mandel, der führende Denker der trotzkistischen Vierten Internationale, bezeugte, Bahro sei ein „wirklicher Kommunist“ und „Revolutionär“. Keinen Gefallen an Bahros Werk fanden hingegen jene Theoriearbeiter, die dem „real existierenden Sozialismus“ nahe standen. So erklärte beispielsweise der Marburger Politologe Wolfgang Abendroth, Bahro verliere sich „in gelegentlich zutreffender, aber häufig verzerrter und übersteigerter Kritik der sozialistischen Länder“. Ihm hielt der Theologe Helmut Gollwitzer entgegen, Abendroth beschränke sich in seiner Auseinandersetzung mit Bahro auf eine Rechtfertigung des Sowjetsystems und übersehe die Herausforderung der „Alternative“ für die marxistische Theoriebildung: „Die kommunistische Zielsetzung wird hier endlich einmal wieder ernst genommen, wird aus dem Himmel der Ideale heruntergeholt in ‚konkrete Denkbarkeit‘; den schon erreichten Verhältnissen wird die Melodie ihrer Möglichkeiten vorgesungen, und diese wird zum Kriterium der Kritik - zu einem Kriterium, dem keiner sich entziehen kann, dem es um das Ziel des Sozialismus noch ernst ist.“
Impfungen sind ein Traum der Moderne: Sie versprechen den Schutz ganzer Gesellschaften. In den beiden deutschen Staaten wurde dieser Schutz mit unterschiedlichen Methoden vorangetrieben – das Mobilisieren von Ängsten, Appelle an die Sorge um das Gemeinwohl oder die Durchsetzung von Impfpflichten sollten die Gesundheit des Einzelnen und den „Herdenschutz“ der Gesellschaft sichern. Der Aufsatz erkundet die deutsch-deutsche Geschichte des Impfens von den 1950er-Jahren bis 1989/90. Im Fokus stehen Aushandlungen von Risiko- und Sicherheitsvorstellungen, Versuche eines „Emotion Management“ sowie Debatten über das Verhältnis zwischen staatlicher Interventionsmacht und staatsbürgerlicher „Mündigkeit“. Anhand der Konflikte zwischen der Bundesrepublik und der DDR wird zudem gezeigt, dass der Wettlauf um die bessere Immunisierung ein Kampf um die bessere soziale Ordnung war. Andererseits wird belegt, dass es auf dem Gebiet der Impfpolitik gerade in den 1980er-Jahren eine wachsende Tendenz zur deutsch-deutschen und internationalen Kooperation gab.
In der Volksrepublik Ungarn erschien seit 1986 auf Initiative des Zentralkomitees der Ungarischen Sozialistischen Arbeiterpartei (MSZMP) sowie des Politbüros die Publikumszeitschrift »Képes 7« (»Bebilderte Woche« oder »Die bebilderten Sieben«), die den Lesern als Vorzeigeprojekt der modernen sozialistischen Magazingestaltung angekündigt wurde. Anhand des turbulenten ersten Erscheinungsjahrs von »Képes 7« werden unterschiedliche Praktiken des Umgangs mit Fotografien beleuchtet. Wie sah die bislang kaum untersuchte sozialistische Bildpolitik bzw. Bildlenkung im Alltag aus? Die Bandbreite der Haltungen und Handlungen der Akteure reichte von der Übernahme von Fotos aus westlichen Zeitschriften (»Scherenarbeit«) über die Produktion eigener Reportagen bis hin zu massiven Konflikten um einzelne Bilder oder Themenfelder. Näher betrachtet werden Personen und Institutionen, die am Prozess der Bilderzeugung und massenwirksamen Verbreitung beteiligt waren. Der Aufsatz stützt sich auf die veröffentlichten Ausgaben von »Képes 7«, auf zeitgenössisches Archivmaterial sowie auf eigene Interviews mit ausgewählten Akteuren.
Wie mehrere aktuelle Konferenzen zeigen, ist das Forschungsfeld der Umweltzeitgeschichte Ost(mittel)europas derzeit stark in Bewegung.1 Dabei werden zum einen Debatten geführt, die sich auf die Entwicklung der einzelnen sozialistischen Gesellschaften, die jeweilige Regimepolitik und die Periodisierung der Zeitgeschichte beziehen. Zum anderen werden Vergleiche zu den westlichen Staaten angestellt. Darüber hinaus steht der Platz Ost(mittel)europas in einer globalen Umweltgeschichte zur Debatte. Die Einordnung in globale Kontexte und eine stärker vergleichende Perspektive versprechen unter anderem eine Relativierung (wenn vielleicht auch nicht Aufhellung) des bislang vorwiegend düsteren Bildes, das von der Sowjetunion und den Ostblockstaaten in Bezug auf deren Umweltprobleme und -politik gezeichnet wurde.
Der Sozialismus sollte ein Gegenentwurf zum Kapitalismus sein. Dessen immanente Schwächen und seinen daraus vermeintlich zwangsläufig resultierenden Zusammenbruch hatte Karl Marx in seinen Schriften eingehend dargelegt. Seine Epigonen gingen davon aus, daß es reiche, die grundlegenden Konstellationen des Kapitalismus zu beseitigen, um damit eine dauerhaft krisenfreie Entwicklung der Gesellschaft zu gewährleisten. Diese Zuversicht beruhte darauf, daß der Mensch in der Lage sei, sein Schicksal in die eigenen Hände zu nehmen und Gesellschaft nach rationalen Kriterien zu planen und zu gestalten - oder wie es bei Marx hieß „Geschichte [zu] machen“.
Die Bilder sind spektakulär: Da gibt es eine Aufnahme von Erich Honecker mit Fidel Castro in einem offenen Auto während Castros Staatsbesuch in Berlin, das Bild einer nordvietnamesischen Soldatin, die einen gefangen genommenen amerikanischen GI mit der Waffe vor sich her treibt, und einen Schnappschuss, auf dem zwei ältere Ostberlinerinnen auf der Straße etwas unbeholfen das Tanzbein zu schwingen scheinen (tatsächlich suchen sie etwas in ihren Handtaschen, die sie auf den angehobenen Oberschenkel stellen). Viele Fotografien, die der 1937 geborene Thomas Billhardt als freiberuflicher Fotojournalist machte, waren in der DDR gut bekannt und erlangten zum Teil ikonischen Status. Chronologisch sortiert bietet der vorliegende Band einen guten Überblick über das Werk des heute 76jährig in Kleinmachnow lebenden Fotografen. Seine Reisen – unternommen zum Teil im Auftrag staatlicher Institutionen und zwei Mal auch von der UNICEF initiiert, zum Teil aus eigenem Interesse – führten Billhardt unter anderem nach Kuba, Sibirien, Vietnam, Chile, China, Kambodscha, Italien und in den Libanon. Nachdem er 1961 von einem Aufenthalt in Kuba in die DDR zurückgekehrt war, obwohl er die Gelegenheit hätte nutzen können, im Westen zu bleiben, galt er daheim als so zuverlässig, dass er uneingeschränkte Reisefreiheit genoss und von dieser Freiheit auch regen Gebrauch machte. Obwohl das „Life Magazine“ seine Vietnam-Bilder druckte und einer Karriere im Westen kaum etwas im Weg stand, richtete sich Billhardt in der DDR häuslich ein.
Der nachfolgende Aufsatz, Zwischenergebnis eines größeren Forschungsprojektes, zeichnet zunächst die Grundlinien dieses Prozesses - hier als Stalinisierung bezeichnet - auf bildungspolitischem Gebiet nach. Da in den Jahren 1947 bis 1949 von der SED-Führung auch eine grundlegende konzeptionelle und strukturelle Akzentverschiebung im Erziehungssystem durchgesetzt wurde, wird dieser Phase im ersten Abschnitt besondere Aufmerksamkeit gewidmet. Dabei soll verdeutlicht werden, daß die SED-Führung den Schulen bei der Erziehung eines systemkonformen Nachwuchses und damit bei der Verwirklichung ihres Herrschaftsanspruches eine große Bedeutung beimaß. Mit dem parteipolitischen Wandel der SED begann in der SBZ zugleich die Instrumentalisierung der Bildungsinhalte und der Institution Schule unter dem Diktat der Partei. Insgesamt ging es in den beiden Jahren vor der Gründung der DDR in erster Linie um das Zurückdrängen von schulkonzeptionellen Alternativen und, mit deutlich antidemokratischer Zielrichtung, um das Durchsetzen des Führungsanspruchs der SED im Bildungsbereich.
Der Aufsatz geht der Frage nach, welche Formen von Armut es in der DDR in den Jahrzehnten nach dem Mauerbau gab und wie über sie kommuniziert wurde. Sozialhistorisch rekonstruiert wird die Unterversorgung zweier ausgewählter Armuts-Gruppen: Rentner und kinderreiche Familien. Auf der Basis von Akten, zeitgenössischen wissenschaftlichen Arbeiten und Medienberichten wird zudem betrachtet, welche Images von „Armut“ zirkulierten. Zwar galt Armut im Selbstverständnis des SED-Staats als überwunden. Dennoch war offenkundig, dass es soziale Ungleichheiten, ja Notlagen auch in der DDR gab, und diese fanden in der damaligen Sozialforschung ein breites Interesse. Die Einkommens- und Wohnverhältnisse von Rentnern, besonders von Rentnerinnen, waren häufig prekär, so dass viele von ihnen eine zusätzliche Arbeit aufnehmen mussten – was mit dem Bild des „rüstigen“ Alten beschönigt wurde. Bei Kinderreichen wurde differenziert zwischen den „würdigen“, „wohlorganisierten“ und den „liederlichen“, „dissozialen“ Familien. So ging es im Hinblick auf beide Gruppen nicht allein darum, ihre Armut zu lindern. Das vorrangige Ziel war vielmehr, sie mit positiven Images zu versehen und abweichendes Verhalten zu sanktionieren.
Verlagstext, s. http://www.boehlau-verlag.com/978-3-412-02003-3.html:
"Wie in jeder modernen Gesellschaft gab es in der DDR eine "öffentliche", uniformierte Polizei, die im Alltag für "Ordnung und Sicherheit" sorgen sollte. In den Forschungen zur Geschichte der zweiten deutschen Diktatur stand ihre Bedeutung bislang im Schatten der allgegenwärtigen Geheimpolizei, der Stasi. Die vorliegende Studie stellt die erste auf unveröffentlichte Quellen gestützte wissenschaftliche Monografie zur Geschichte der Deutschen Volkspolizei dar. Direkt den Weisungen der SED-Sicherheitspolitiker unterstellt, war dieses "Organ" der "Arbeiter-und-Bauern-Macht" ein wichtiges Bindeglied zwischen dem SED-Staat und seinen Bürgern. Fast ausschließlich aus Arbeiterkreisen rekrutiert, sollte die "VP" nicht nur politisch zuverlässig, sondern auch eine Polizei "aus dem Volk und für das Volk" sein. Oberstes Motto ihrer Arbeitsweise war die "enge Verbindung zur Bevölkerung". Ihre Symbolfigur, der "Abschnittsbevollmächtigte", kurz "ABV", verkörperte gerade auf dem Land als gutmütig-gestrenger "Dorfsheriff" die harmoniesüchtige Utopie einer "sozialistischen Polizei". Deren repressiv-autoritäre Kehrseite wird anhand der Überwachung und Drangsalierung jugendlicher "Rowdys" und "Beatfans" dargestellt."
Virtual Reality. Sowjetische Bild- und Zensurpolitik als Erinnerungskontrolle in den 1930er-Jahren
(2010)
Am Beispiel eines zur Bild-Ikone geratenen Lenin-Fotos aus dem Jahr 1920 untersucht der Beitrag die Praxis manipulativer Eingriffe in das visuelle Gedächtnis der UdSSR vom Stalinismus bis zur Perestrojka. Die Aufnahme, die im Original Lenin und Trotzki vor sowjetischen Truppen in Moskau zeigte, wurde massiven Geschichtsfälschungen unter-zogen, an denen sich prototypisch die Intentionen, Mechanismen und politischen Strukturen der sowjetischen Bild- und Medienzensur seit den 1930er-Jahren rekonstruieren lassen. Die UdSSR gab sich ein neues ideologisches wie visuelles Design, das den Staat im In- und Ausland als Erfolgsmodell darstellen sollte. Dieses Design erforderte nicht nur eine nachträgliche „Optimierung“ der Vergangenheit; in ihm manifestierten sich zugleich stalinistische Visualisierungsstrategien, mit denen Staat und Partei politische Sichtbarkeiten zu kontrollieren versuchten. Trotz des enormen Aufwands war dieser Versuch indes nur teilweise erfolgreich: Es erwies sich letztlich als unmöglich, die Unperson Trotzki flächendeckend aus dem kulturellen Gedächtnis zu eliminieren.
Der Strafvollzug gehörte zu den härtesten Formen der Repression politischer Gefangener in der DDR, in dem Willkür und Schikane den Haftalltag prägten. Gleichwohl unterlag er im Verlauf der DDR-Geschichte Veränderungen, die im Kontext der Entwicklung der Gesamtgesellschaft zu sehen sind und von den wechselnden innen- und außenpolitischen Bedingungen abhängig waren. Einen wesentlichen Einschnitt in der Strafvollzugspolitik bildete das unter Honecker verabschiedete Strafvollzugsgesetz von 1977 (StVG), das sich an den Normen der UNO zur Behandlung von Gefangenen orientierte und Rechtssicherheit für die Häftlinge bringen sollte. Durch die internationale Einbindung der DDR, ihr Ringen um die Anerkennung als gleichberechtigter deutscher Staat, nicht zuletzt, um die Wirtschaft mit Hilfe des Westens zu stabilisieren, war sie im Gegenzug gezwungen, sich internationalen Standards anzupassen. Die Öffnung der DDR nach Westen bewirkte zudem eine größere Durchlässigkeit von Informationen, weshalb man sich gegenüber internationalen Auflagen nicht abschotten konnte. Dem Vorwurf über menschenunwürdige Zustände in den Strafvoll- zugsanstalten wollte sie durch die Fixierung von rechtlichen Normen entgegenwirken.
Russlands Krieg gegen die Ukraine enthüllte nicht nur den imperialen Großmachtanspruch herrschender Eliten in Russland, sondern auch ein generelles kulturelles Überlegenheitsgefühl gegenüber Ukrainer:innen. Darüber hinaus beklagen immer wieder Stimmen aus Kasachstan, Georgien und Usbekistan den kolonialistischen Habitus einiger geflüchteter Russ:innen. Diese Einstellungen haben ihre Wurzeln im russländischen Imperium, denn die Revolution und Gründung der Sowjetunion brachen nur bedingt mit dem imperialen Erbe des Zarenreiches. Spätestens seit den 1930er Jahren stand, nach einigem nationalpolitischen Hin- und Her, das russische Volk auch in öffentlichen Diskursen an der Spitze der sowjetischen Völker. In einem kurzen, aber besonders repräsentativen Beispiel möchte ich zeigen, wie in der Zwischenkriegszeit diese Hierarchisierung durch öffentlich publizierte Fotografien suggestiv vermittelt wurde.
Der demokratische Zentralismus als das prägende Herrschaftsprinzip staatssozialistischer Gesellschaften, das nicht nur in der politischen Sphäre, sondern auch in der Staats- und Wirtschaftsordnung volle Gültigkeit beanspruchte, lässt die Frage nach möglicherweise daneben existierenden kooperativen „Netzwerken“ auf den ersten Blick als nachgeordnet erscheinen. Das Herrschaftsprinzip des demokratischen Zentralismus, das sei kurz in Erinnerung gerufen, stellte die wichtigste Grundlage für die zentralistische Leitung und den einheitlich-hierarchischen Aufbau des gesamten politischen, staatlichen und wirtschaftlichen Institutionengefiiges in den staatssozialistischen Gesellschaften dar. Legitimiert wurde es bekanntlich mit dem ideologischen Postulat, die sozialistische Gesellschaft bedürfe der einheitlichen und planmäßigen Führung durch die Partei der Arbeiterklasse, die deshalb keine konkurrierenden Macht- und Selbstbestimmungsansprüche neben sich dulden könne. Von der Partei wurde das Prinzip des demokratischen Zentralismus folglich nicht nur im eigenen Organisationsaufbau berücksichtigt, sondern - leicht abgewandelt - auch auf den ihrer Leitung subordinierten Staat sowie die ihm einverleibte Wirtschaft übertragen.
Die sozialistischen Vordenker Marx, Engels und Lenin begründeten die „sozialen Ursachen“ der Kriminalität mit dem herrschenden kapitalistischen Gesellschaftssystem, dessen „ökonomische Basis die Wurzel allen Übels“ sei. Das Verbrechen sei keine dem Menschen angeborene Eigenschaft, sondern „historisch entstanden und wird mit dem Sozialismus/Kommunismus allmählich überwunden“. Entsprechend teilte auch die DDR-Führung die Sicht, dass „mit der Liquidierung der Ausbeuterordnung in der DDR die wesentlichen Wurzeln der Kriminalität verschwunden [sind]. Das ermöglicht [es] erstmalig in der deutschen Geschichte, die Vorbeugung der Verbrechen zur Aufgabe der gesamten Gesellschaft zu machen.“
Um Genaueres über die friedliche Revolution in der DDR zu erfahren, muss man nicht lange in Büchern suchen; für viele Fragen reicht der schnelle Klick ins Internet. Sofort stößt man auf eine Reihe deutschsprachiger Themenportale, die auf hohem Niveau Auskunft geben – sowohl über die Chronologie der Ereignisse vom Herbst 1989 in der DDR als auch über die Faktoren, die zum Umbruch führten. Einige dieser Portale bieten sogar eine große Fülle an Bildern und Dokumenten. Hier zusätzlich fremdsprachige Internetportale zu bemühen ist nicht unbedingt erforderlich.
Die Stasi führt ein intensives Nachleben, zumindest auf der Leinwand. Im Kino erfreut sich der ostdeutsche Geheimdienst schon seit vielen Jahren einer anhaltend großen Beliebtheit, vor allem in Filmen über die DDR-Vergangenheit, in denen Stasi-Figuren meist den repressiven Charakter der SED-Diktatur symbolisieren. Doch die Zeiten, in denen Stasioffiziere als simple Bösewichte mit grauen Anzügen und schlechtsitzenden Frisuren in Erscheinung traten, scheinen vorbei zu sein. Die Ambivalenz der Figuren hat in den vergangenen Jahren deutlich zugenommen, auch positiv besetze Heldenfiguren sind keine Seltenheit mehr. Das Spektrum der Filme reicht dabei von authentischen Annäherungen an widersprüchliche IM-Biografien („Gundermann“, 2018, Regie: Andreas Dresen) über radikal stilisierte Dramen („Nahschuss“, 2021, Regie: Franziska Stünkel) bis hin zu grotesk überzeichneten Satiren („Stasikomödie“, 2022, Regie: Leander Haußmann).
Während die DDR-Geschichte bislang meist im Genre der Komödie oder des Familiendramas erzählt wurde, zeigt sich in neuen filmischen Inszenierungen eine Offenheit für andere Formen. Dabei rückt wieder die Staatssicherheit in den Mittelpunkt. Mit „Kleo“ zeigt Netflix aktuell eine Serie über eine Profikillerin im Dienst des MfS, die mit Anspielungen auf die Popkultur der 1980er und 1990er Jahre gespickt ist. „Kleo“ knüpft dabei an die erfolgreichen Erzählmuster der Serie „Deutschland 83/86/89“ (2015-2020) an, die eine Agenten-Story mit einem ironischen Blick auf das MfS verknüpfte. Doch während die Geschichte von „Deutschland 83/86/89“ noch vor einem realen historischen Hintergrund angesiedelt war, geht „Kleo“ ein ganzes Stück weiter: Die Serienmacher nutzen die DDR-Vergangenheit nur noch als Aufhänger für eine blutig inszenierte und trashig überspitzte Rachegeschichte im Stil amerikanischer B-Movies. Das wirft die Frage auf, was einen an sich eher biederen Geheimdienst wie das MfS anschlussfähig für das Genre-Kino und die zeitgenössische Popkultur macht.
Träume und Realitäten. Timothy Garton Ashs Reportagen über die „Refolution“ in Ostmitteleuropa
(2009)
Das Buch galt uns bei seinem Erscheinen als Geheimtipp – ein Werk nicht nur der genauen Analyse, sondern einer beeindruckenden Deutung. Für eine Interpretation des verwirrenden Geschehens, das wir erlebten, benötigten wir so etwas ganz dringend. Ich habe das Buch allerdings erst 1992 gründlich gelesen, zumindest steht in meiner Bibliothek die in jenem Jahr erschienene Taschenbuchausgabe. Die Seitenangaben im vorliegenden Text beziehen sich alle auf diese Ausgabe.
Im Jahr 1951 veröffentlichte Hannah Arendt ihr Hauptwerk Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft, in dem sie den Nationalsozialismus auf der Ebene der Herrschaftsform mit dem Stalinismus verglich. Bei beiden handelte es sich aus ihrer Sicht nicht um herkömmliche Diktaturen, wie sie seit der Antike beschrieben worden sind, sondern um terroristische Regime, die den Kern allen politischen Handelns zerstören.
Spätestens seit Ende Februar steht die Frage im Raum, ob Putins Russland die Grenze von der gewöhnlichen zur totalitären Diktatur nicht längst überschritten hat. Wichtige Indizien dafür sind das Umlügen von Tatsachen, die Entwicklung einer neuen und im Kern imperialistischen Geschichtsideologie, und Putins Entschlossenheit, diese Ideologie mit allen Mitteln, auch mit brutalster Gewalt, "wahr" werden zu lassen.
The first thesis the paper argues is that a certain collective identity emerged at the shop floor („we“, the workers as opposed to „them“, party leaders, intelligentsia, peasants, the self-employed) that was built - and declared - increasingly in opposition to the official ideology and the communist party.5 Important factors in this process were the growing economic difficulties, the party’s apparent inability to solve them and the increasing materialism people experienced in the everyday life - including party member- and leadership. From the mid-70s onwards, the workers could perceive the worsening economic situation of the country by the decrease of the real wages and the need to do overwork or take extra jobs (first in the agriculture and then in the so-called vgmk-s) to keep the former standards of living. The continuously increasing prices made the impact of the „global market“ real regardless of the stance of the Central Committee. The sharpening criticism of the system is formulated, however, not from the viewpoint of the individual but that of the worker, which suggests the existence of a collective identity. One may call it a paradox of the Communist ideology that the system, after all, was successful to develop working-class collective identities but these were built in opposition to the Communist regime and not for it. The paper will attempt to show how these „oppositionist“ identities were formulated and in what ways they are indicative of the alienation of the workers from the workers’ state.
During the first five-year plan, the Soviet state turned to an unusual source to cope with the challenge of factory-induced deafness and disability: the deaf community. From 1930 to 1937, deaf activists, alongside specialist doctors, organised a yearly, three-day event known as Beregi slukh! (Take Care of Your Hearing!) to propagandise the prevention of deafness. During these years, more than 46,600 lectures were held in venues across the Soviet Union and 7,900,000 brochures, leaflets and posters printed. While the event reflected the Soviet belief that disability was a relic of the ›backward‹ past that would be eliminated as communism approached, the deaf activists involved in these events used them to make the alternative case for their own identity as a legitimate part of the Soviet body politic. By foregrounding their labour capacities and demonstrating aspects of deaf cultural practices (including sign language) to a hearing audience, Beregi slukh! became a powerful means to advocate for the centrality of the deaf community to Soviet visions of self and society.
In den ungarischen Wochenschauen der 1950er-Jahre, »diesen kurzen Propagandafilmen«, wie der ungarische Filmemacher Sándor Buglya schreibt, »sind nur die Bilder wahr. Was aber durch die Filme, die vorgetragenen Dialoge und den Kommentar präsentiert wird, ist eine ständige Lüge. Und natürlich tost ununterbrochen der Beifall. Die Kamera verstellt die Wahrheit, sie gaukelt wirklichkeitsferne Illusion vor.« Nun könnte man darüber streiten, was »wahre Bilder« sind. Entscheidend jedoch ist Buglyas Hinweis, dass jegliche Art von Film, sei es ein Dokumentar-, Wochenschau- oder Spielfilm, die vorfilmische Realität verändert. Buglya schildert, wie in ausländischen und Budapester Wochenschauberichten nahezu dasselbe Bildmaterial verwendet, jedoch mit einander entgegengesetztem Kommentar ausgestrahlt wurde: Während erstere (im Blick auf das Jahr 1956) die Ereignisse eines Volksaufstandes dokumentierten, galten für letztere dieselben Bilder als Beleg einer Konterrevolution. Der Dokumentarfilm, so Buglya, sei kein Abbild des Realen, sondern spiegele mehr oder weniger genau das Verhältnis des Regisseurs zur Wirklichkeit.
Kurz nach dem Zusammenbruch des Staatssozialismus hielt der Frankfurter Philosoph Jürgen Habermas fest, der theoretische Fehler der gescheiterten kommunistischen Machthaber habe darin bestanden, das „sozialistische Projekt mit dem Entwurf - und der gewaltsamen Durchsetzung - einer konkreten Lebensform“ verwechselt zu haben. Für diejenigen Historiker, die sich bereits vor 1989/90 eingehender mit der Geschichte der DDR und deren Herrschaftssystem befasst hatten, lagen die Dinge allerdings schon damals komplizierter, und auch heute - achtzehn Jahre nach dem unerwarteten Verschwinden der DDR - ist weiterhin umstritten, wann der schleichende Niedergang des Systems begann und wann es seinen ultimativen „point of no return“ erreichte.
In den über 60 Jahren, die seit den Ereignissen bei Stalingrad von 1942/43 vergangen sind, ist das Geschehen in den Erinnerungskulturen zahlreicher Länder immer wieder neu entworfen, umgewandelt und mit unterschiedlichen Deutungsebenen verknüpft worden. Die Muster der Erinnerung waren und sind eng verbunden mit den gesellschaftlichen Verhältnissen und Bedürfnissen zum Zeitpunkt ihrer Verbreitung, und sie standen bzw. stehen noch immer in einem gespannten Verhältnis zu wissenschaftlichen Erkenntnissen über „Stalingrad“: So ging der Krieg für die Deutschen bereits im Winter 1941 verloren, und es folgten für Deutschland verlustreichere Kriegsphasen. Dass „Stalingrad“ in der deutschen und sowjetischen Erinnerungskultur bis heute eine herausragende Bedeutung einnimmt, steht dazu in offensichtlichem Widerspruch und kann nur gedächtnisgeschichtlich erklärt werden.
Annette Vowinckel ist Leiterin der Abteilung Zeitgeschichte der Medien- und Informationsgesellschaft am Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung in Potsdam und außerplanmäßige Professorin im Institut für Geschichtswissenschaften an der Humboldt-Universität zu Berlin. Im von Janaina Ferreira dos Santos und Iulia Sucutardean geführten multimedialen Interview für das Online-Portal „Visual History“ (visual-history.de) stellt die Historikerin ihr neues Buchprojekt Zentralbild, Photo International and the Visual Politics of Late State Socialism vor, geht auf die Methoden ihrer Quellenarbeit ein und betont, wie digitale Tools die Arbeit von Historiker:innen in vielerlei Hinsicht vereinfachen können.
»Du sollst Solidarität mit den um nationale Befreiung kämpfenden und den ihre nationale Unabhängigkeit verteidigenden Völkern üben.« So lautet das letzte der 1958 von Walter Ulbricht verkündeten »Zehn Gebote der sozialistischen Moral und Ethik« (auch: »Zehn Gebote für den neuen sozialistischen Menschen«), die von 1963 bis 1976 Teil des SED-Parteiprogramms waren.1 Die sozialistische Variante der christlichen Zehn Gebote findet sich häufig auf der ersten Seite von »Brigadetagebüchern«, die Beschäftigtenkollektive in der DDR und in anderen staatssozialistischen Ländern verfassten. Über die Grenzen der DDR hinaus stellten auch »Freundschaftsbrigaden« der Freien Deutschen Jugend (FDJ) solche Brigadetagebücher zusammen, um ihre Aufenthalte in Ländern Afrikas, Asiens und Lateinamerikas zu dokumentieren. Diese Quellen geben einen wertvollen Einblick in die sozialistische Globalisierung und deren Alltagspraktiken.
Verlagstext Böhlau: "Der Kalte Krieg wurde nicht nur von Staatsmännern und Militärstrategen in den Spitzenetagen der politischen Macht geführt. In Ost und West machte er sich vielmehr in allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens bemerkbar. Der öffentlichen Kommunikation kam dabei eine zentrale Funktion zu: Filmemacher und Journalisten, Parteipolitiker und Kirchenvertreter, Wochenschauen und Fernsehstationen kommentierten und interpretierten, legitimierten und kritisierten die lebensbedrohliche Teilung der Welt. Durch den alltäglichen Medienkonsum war der Kalte Krieg im Leben des breiten Publikums präsent. Der ideologische Gegensatz von liberalen Demokratien und kommunistischen Diktaturen schlug sich in gegensätzlichen Vorstellungen von den Grundlagen des menschlichen Zusammenlebens nieder, die in Massenmedien propagiert und diskutiert wurden. Die Beiträge der Autorinnen und Autoren über Spielfilme, Zeitungs- und Rundfunksjournalismus tragen zu einer neuen, kultur- und mediengeschichtliche Aspekte integrierenden Sichtweise des Kalten Krieges bei.
Längst hat eine die Kultur, Alltags- und Lebenswelt einbeziehende Öffnung der Sozialgeschichte im allgemeinen, der Sozialgeschichte der Arbeiterschaft im besonderen, der der Arbeiterschaft im Staatssozialismus im speziellen stattgefunden. Trotzdem tut man nach wie vor gut daran, soziale Mikrokosmen und Milieus, Identitäten und Mentalitäten in der politischen Ökonomie zu erden. Sind deren „große“ Institutionen auch keine ehernen Gehäuse, so erweisen sie sich doch als träge, oft nur in der longue durée und mit großem Aufwand verschiebbare Koordinaten des Handelns. Sie sind von beträchtlicher, Menschen und Lebenswelten prägender Wirkmacht: reale, im doppelten Sinn harte Fakten.
Wie lässt sich soziale Ungleichheit in staatssozialistischen Gesellschaften konzeptionell fassen? Der Beitrag stützt sich auf neuere Ungleichheitskonzepte der Soziologie und führt die Debatte um das Verhältnis von Sozial- und Geschichtswissenschaften fort – im Hinblick auf aktuelle Fragen einer Gesellschaftsgeschichte der kommunistischen Diktaturen. Diskutiert werden die gewollten und ungewollten Verteilungen sozialer Vor- und Nachteile, die innergesellschaftlichen Diskurse über „Privilegien“ und „arbeiterlichen Egalitarismus“ sowie die sozialen Dynamiken im Vorfeld der Systemtransformationen Ende der 1980er-Jahre. Besonders am Beispiel der DDR zeigt der Aufsatz die „intersektionale“ Verteilung von Armut und Reichtum nach Einkommen, bürokratischen Mechanismen und Effekten des „grauen“ Marktes. Eine weiterführende These lautet: Es gab einen engen Zusammenhang zwischen der sozialen Differenzierung im späten Staatssozialismus vor 1989/90 und der „Verungleichung“ danach.
Soziale Ungleichheit hat viele Gesichter und stellt sich in verschiedenen Gesellschaftsformationen jeweils unterschiedlich dar.1 China ist ein besonders interessanter Fall, weil dort eine Transformation von der Plan- zur Marktwirtschaft unter der Ägide der Kommunistischen Partei Chinas (KPCh) abläuft. Sozialistisches Erbe und kapitalistische Gegenwart gehen also eine ungewöhnliche Verbindung ein. Vor diesem Hintergrund soll der vorliegende Beitrag zeigen, dass die heutigen sozialen Ungleichheiten in China nicht allein das Produkt der Hinwendung zum Kapitalismus sind. Gemäß der Humankapitaltheorie müsste in einer marktbasierten Gesellschaft die individuelle Bildung den größten Beitrag zur Erklärung bestehender Einkommensungleichheit liefern. In der Praxis sind aber auch in kapitalistischen Gesellschaften die Startvoraussetzungen der Einzelnen nicht gleich: Sie hängen stark von der sozioökonomischen Stellung der Eltern ab, sprich von deren ökonomischem und kulturellem Kapital. Über die Weitergabe des Status von einer Generation zur nächsten bilden sich typischerweise soziale Schichten heraus, die je nach Gesellschaft mehr oder weniger Durchlässigkeit aufweisen. In China kommt noch ein dritter Faktor hinzu: Die im Staatssozialismus angelegten sozialen Differenzierungen bilden die Basis für heutige soziale Ungleichgewichte. „Politisches Kapital“ spielt nach wie vor eine wichtige Rolle – Verbindungen zur Herrschaftselite und die Stellung im offiziellen politischen Diskurs besitzen entscheidenden Einfluss auf die Schichtungsergebnisse.
Der Einmarsch der Roten Armee in die östlichen Gebiete des Deutschen Reiches im Frühjahr 1945 stellte eine einschneidende Erfahrung dar, die sich deutlich von den gleichzeitigen Erlebnissen des Kriegsendes im Westen unterschied. Die Möglichkeiten, von diesen Erfahrungen mit den „fremden Russen“ zu erzählen, waren jedoch in den vierzig Jahren SED-Herrschaft stark beschränkt. Darum verschwanden die Erinnerungen „zunehmend aus der Öffentlichkeit, um sich im Privaten einzunisten. Hier, im privaten Kreis, existierten sie bis zum Ende der DDR.“ In der kontrollierten Öffentlichkeit der DDR verhinderten die herrschenden Kommunisten einen offenen Umgang mit der Erinnerung an den Einmarsch jener „fremden“ Soldaten, die ein neues Gesellschaftssystem mitgebracht hatten. In den Jahren der Besatzungsherrschaft hatte die Sowjetische Militäradministration (SMAD) entscheidenden Anteil an der Durchsetzung des staatssozialistischen Herrschaftssystems. Während der folgenden 40 Jahre bildeten dann die sowjetischen Soldaten nicht nur die Rückversicherung für die SED-Herrschaft, sondern auch die größte Gruppe von „Fremden“ in der DDR. Als Militärs lebten sie stark abgeschirmt von der Zivilbevölkerung in ihren Standorten.
Da seit Sommer 1949 behauptet wurde, das Verhältnis zwischen der deutschen Zivilbevölkerung und den sowjetischen Truppen beruhe auf „freundschaftlicher Grundlage“, gab es auch nach dem Ende der Besatzungszeit kaum Möglichkeiten, Konflikte zwischen beiden Seiten zu thematisieren. Vielmehr setzte die SED - im Einvernehmen mit ihren sowjetischen Partnern - der Rede übereinander und dem Umgang miteinander enge Grenzen'. Die öffentliche Rede über die Sowjets wurde durch die Freundschaftsideologie eingegrenzt, in ihren Standorten lebten die sowjetischen Soldaten abgegrenzt und schließlich stieß die herrschende SED bei ihrem Versuch, die Bevölkerung im Sinne der Freundschaft zur Sowjetunion umzuerziehen, beständig an die Grenzen ihres Einflusses.4 Wie die Freundschaft zur Sowjetunion erfunden wurde, welchen Stellenwert sie hatte, wie Teile der Bevölkerung auf den Versuch der SED reagierten, ein neues Bild von den Sowjets als verpflichtend durchzusetzen, und welche Konflikte trotz des Anspruchs einer allseitigen Harmonisierung der Beziehungen zwischen Deutschen und Russen weiterexistierten, soll im folgenden umrissen werden.
Solidarität und Alltag der DDR aus der Sicht exilierter Mitglieder des African National Congress
(2023)
As a striking phenomenon of Soviet consumption, Beriozka stores appeared in the late 1950s and existed until the end of the 1980s. This chain of stores was a state trade organization selling goods that were otherwise in short supply (cars, fashionable clothes, household appliances, etc.) for special ‘checks’ used as equivalents of foreign currency by special groups of Soviet citizens. Similar stores existed in other socialist countries. The article shows that these stores on the one hand became an element of the existing system of state-granted entitlements. The customers were Soviet citizens who earned money abroad as well as people who did not go abroad but received remittances from foreign sources. On the other hand, the development of the black market (barely persecuted by the state) made it possible to purchase Beriozka checks for roubles; so it granted access to sought-after goods (among them even goods from the West) to a wide range of consumers. Paradoxically, Beriozka was criticized and much frequented at the same time.
Sehnsucht nach einem stillen Land. Wie zwei Reporter der „ZEIT“ im Jahr 1979 die DDR darstellten.
(2009)
Die heutige Lektüre des Buches irritiert, so eigenartig und doch auch vertraut wirkt das vor 30 Jahren entworfene DDR-Bild. Die Texte und Fotos wurden zwischen Herbst 1978 und Sommer 1979 zunächst als einzelne Reportagen im „ZEIT“-Magazin veröffentlicht. Die Journalistin Marlies Menge und der Fotograf Rudi Meisel waren seit 1977/78 die ersten akkreditierten „ZEIT“-Korrespondenten in der DDR - und blieben es bis 1990. Der Hanser-Verlag brachte sieben dieser Beiträge als großformatigen Bildband heraus. Meisel erhielt dafür 1979 den Kodak-Fotobuchpreis.
Der Aufsatz entwirft eine Zeitgeschichte der Vorsorge, die sich für den hygienepolitischen Übergang von Praktiken der Intervention und Krisenbewältigung zu Praktiken der Prävention interessiert. Am Beispiel der Pestvorsorge in der Sowjetunion wird erstens ein Prozess der Institutionalisierung, Professionalisierung und Verwissenschaftlichung dargestellt. Zweitens werden die Eigenheiten des sowjetischen Falls herausgearbeitet. Die dortige Pestbekämpfung war bis in die 1930er-Jahre von Interventionen geprägt, die aus einem Repertoire repressiver, im Kontext der Zwangskollektivierung etablierter Maßnahmen schöpften. Der Umgang mit der Pest war nicht mit Aufklärung verknüpft, sondern mit Geheimhaltung. Die Einrichtung eines Netzwerks wissenschaftlicher Forschungsstätten führte zu einem Wandel im Umgang mit der Seuche. Dies war eingebettet in parallele Diskurse über administrative Grenzen und geographisches Wissen. Der Aufsatz stützt sich auf Quellen aus Staats- und Partei-Archiven in der Russischen Föderation und der Republik Aserbaidschan.
Von den Toten der Berliner Mauer nimmt Peter Fechter (1944-1962) im kollektiven Gedächtnis einen herausgehobenen Rang ein. Schon unmittelbar nach seiner gescheiterten Flucht wurde in der Berliner Zimmerstraße nahe dem ehemaligen Checkpoint Charlie ein Denkmal in der Form eines Holzkreuzes errichtet, das man am 13. August 1999 durch eine Stahlstele ersetzte. Jährlich legten und legen Delegationen Kränze am Denkmal nieder. Fernsehdokumentationen informierten 1997 aus Anlass des Prozesses gegen die Mauerschützen. In der öffentlichen Wahrnehmung gilt Peter Fechter deswegen für viele als der erste Tote an der Berliner Mauer überhaupt.
Schwitzende Werkarbeiter in der DDR, Menschen im Porträt, Bilder als kombinierte Triaden, die ihnen einen neuen Sinn geben – die aktuelle Werkschau des Berliner Fotografen Ludwig Rauch erzählt im Cottbusser Dieselkraftwerk Geschichte und Geschichten. Es geht um die DDR, um Menschen und ihre Biografien: sichtbar gemacht in Porträts und Serien. Das Altern, der Tod und vor allem das Leben sind Motive in Rauchs Werkschau, die er unter dem Titel Noch ein Leben zusammenfasst. Auf drei Etagen begegnen die Ausstellungsbesucher unterschiedlichsten Arbeiten, die auf teilweise überraschende Weise zusammengehören.
Verlagstext Böhlau: "Satirische Kritik, die sich auf die DDR richtete, widersprach dem Optimismus, den die SED in ihren Medien verbreiten ließ. Und dennoch war die Partei gezwungen, satirische Kurzfilme, Berufskabaretts und eine Satirezeitung, deren verkaufte Auflage eine halbe Million erreichte, zu etablieren. Worin
bestand dieses Paradox DDR-Satire? Wie kam es zum ersten satirischen Großprojekt in der DDR, der DEFA-Stacheltier-Produktion? Weshalb gab es in den siebziger Jahren eine zweite Gründerzeit für Kabaretts? Worin unterschied sich der frühe Eulenspiegel vom späten?
Die Untersuchungen zur frühen und späten Satire in der DDR richten sich auf satirische Kurzfilme, die DEFA-Stacheltiere, die Satirezeitschrift Eulenspiegel und Kabarettprogramme des Potsdamer Kabaretts am Obelisk, der Dresdner Herkuleskeule und des Leipziger Studentenkabaretts Rat der Spötter. In den Blick genommen werden Grenzbereiche: Die ersten satirischen Unternehmungen und späte Satiren im letzten Jahrzehnt der DDR, Phasen, in denen Funken sprühten, die in Höhepunkten und Niederlagen endeten."
Seit 2002 sammelt das von Justinian Jampol gegründete Wende-Museum in Los Angeles Artefakte und Dokumente aus dem Kalten Krieg. Der Schwerpunkt der nichtkommerziellen Sammlung, die mittlerweile über 100.000 Gegenstände enthält, liegt auf Objekten aus den Staaten des Warschauer Pakts, vor allem aus der DDR und der Sowjetunion, aber auch aus den Vereinigten Staaten und der Bundesrepublik. Zahlreiche Gegenstände geben Aufschluss über verschiedene Zivilschutzmaßnahmen, darunter drei vom Deutschen Roten Kreuz (DRK) der DDR zusammengestellte Erste-Hilfe-Taschen.
Im September 1976 veröffentlichte Heinrich Böll, Literaturnobelpreisträger und einer der meistbeachteten Schriftsteller der Bundesrepublik, die Besprechung eines gerade veröffentlichten Buches, dessen Autor zwar in der DDR lebte, seinen Text jedoch beim kleinen Werner Gebühr Verlag in Stuttgart zum Druck gegeben hatte. Faszination und Anziehung versprach der schmale Band schon wegen seiner Entstehung »im Grenzstreifen zwischen DDR und Bundesrepublik« (so Böll); deshalb wurde er unter einem Pseudonym – Carl-Jacob Danziger – veröffentlicht. Größer noch war das Interesse aber, weil es sich bei dem Buch mit dem ironisch distanzierten und in Anführungszeichen gesetzten Titel »Die Partei hat immer recht« um den autobiographischen Roman eines Schriftstellers handelte, der sich zuerst voll und ganz dem sozialistischen Selbstverständnis der DDR verschrieben, mit seinem Buch nun jedoch die Geschichte seiner Enttäuschungen vorgelegt hatte. »Danzigers schlimmste Sünde aber ist, daß er sich für Realismus und nicht für sozialistischen Realismus entscheidet«, fasste Böll die von Danziger niedergelegte Konfrontation seiner einstigen sozialistischen Utopie mit der Realität des DDR-Sozialismus zusammen. Hier lag die Geschichte einer Entfremdung und Abwendung vor. Auch deshalb wurde Danzigers Roman in der Bundesrepublik schnell große Aufmerksamkeit zuteil; Journalisten würdigten ihn als Ausdruck von »zivilem Ungehorsam«, »Auswurf des Gewissens« und einer persönlichen Abrechnung mit der Partei.
Politische Medizin. Ideologie und Gesundheitsökonomie im SED-Staat der 1950er- und 1960er-Jahre
(2020)
Mitte der 1950er-Jahre feierte ein bundesdeutscher Film auch in DDR-Kinos Premiere: »Weil Du arm bist, mußt Du früher sterben« thematisierte im Gewand eines Sozialdramas die Mängel des Gesundheitssystems der Bonner Republik. Schon die Präsentation eines »Westfilms« an sich war keineswegs selbstverständlich. Darüber hinaus durfte der Streifen mit Bernhard Wicki in der Hauptrolle in der DDR gezeigt werden, obgleich als Drehbuch-Autor Ernst von Salomon verantwortlich zeichnete. Das Werk des Schriftstellers, der 1922 das Attentat auf Walter Rathenau mit vorbereitet hatte, stand eigentlich weitgehend auf dem politischen Index der DDR. Doch passte die radikale Kritik am bundesdeutschen Gesundheitswesen den Partei-Verantwortlichen hervorragend in ihr propagandistisches Konzept: Der Film sei geeignet, so das »Neue Deutschland«, »die Legende, die um den ›goldenen Westen‹ gewoben wird, zu zerstören und uns bewußt zu machen, wieviel Licht in unserem Arbeiter-und-Bauern-Staat bereits ist, wo dort noch tiefe Dunkelheit herrscht«.
Mit den Rechtsänderungen von 1977 - einem neuen Strafvollzugsgesetz und dem 2. Strafrechtsänderungsgesetz (StÄG) - reagierte die DDR Erich Honeckers auf die gewandelten außenpolitischen Bedingungen seit Mitte der siebziger Jahre. Nach Unterzeichnung des Grundlagenvertrags mit der Bundesrepublik 1972, der Aufnahme der DDR in die UNO 1973 und der KSZE-Konferenz von Helsinki 1975 erwiesen sich überkommene Gesetzesformulierungen, in denen der westliche oder der bundesdeutsche Imperialismus angeprangert worden war, auf internationalem Parkett als ebenso störend wie extrem repressive Vorschriften im Strafvollzugsrecht.
Planprojekt Meistererzählung. Die Entstehungsgeschichte des "Lehrbuchs der deutschen Geschichte"
(2000)
Kein anderes historiographisches Unternehmen in der DDR hat im Kampf um die Deutungshoheit über die Vergangenheit eine so umfassende Rolle gespielt wie das Hochschullehrbuch der deutschen Geschichte. Es unterfing sich, die ganze historische Zeit von den Jäger- und Sammlerhorden im Altpaläolithikum bis zur deutschen Doppelstaatlichkeit in der Gegenwart darzustellen, und es spiegelte in den fünfunddreißig Jahren, die zwischen dem ersten Entwurf 1952 und den letzten Neuauflagen 1986 lagen, die ganze Wegstrecke von der Konstitution bis zur Erosion des sozialistischen Geschichtsbildes. „Es geht darum, den werktätigen Massen - den wahren Schöpfern der Geschichte - die Vergangenheit zu beleuchten, damit sie ihren heutigen Kampf mit den revolutionären Traditionen verbinden“ - mit diesen Worten umriß der wissenschaftliche Sekretär des Lehrbuch-Projekts 1955 die Aufgabe in einem für das „Neue Deutschland“ bestimmten Beitrag.
Am 19. Juli 2001 tagte im Rathaus des nordbayrischen Heroldsbach der Zweckverband zur Wasserversorgung der in der Heroldsbacher Gruppe zusammengefassten Orte. „Weitreichenster (sic) Beschluss“ sei die „Zustimmung zur Übernahme der Unterhaltskosten für die Feuerlöscheinrichtungen (Hydranten) der Kreisstraße und der Bundesstraße“ gewesen, vermerkte die Pressemitteilung. Aber zu Beginn der Sitzung habe der Verbandsrat aus Heroldsbach das Fehlen von Haushaltsunterlagen moniert und im „lebhaften Wortaustausch mit dem Vorsitzenden“ die „Seilschaft zwischen Landratsamt und Gemeinden nach DDR- Muster“ kritisiert. Man wird dieser Episode imschwer zweierlei entnehmen können: Erstens galt die Existenz von Seilschaften in der DDR als ein Faktum. Zweitens erfuhr dieses eine negative Konnotation. Nicht ganz klar ist, ob der pejorative Akzent auf „Seilschaft“ oder auf „DDR“ lag, vielleicht aber auch auf beiden. Wie dem auch sei, hier wurde auf ein Beziehungsgefüge aufmerksam gemacht, das man offenbar in verschiedenen politischen und sozialen Kontexten antreffen konnte. Wie sollte das Phänomen sonst in Heroldsbach auftauchen? Der Hinweis freilich, es handele sich um Seilschaften „nach DDR-Muster“, legte immerhin nahe, dass es auch Seilschaften anderen Musters geben dürfte. Es ist dabei nicht gleich an Strukturen zu denken, wie sie die sizilianische Mafia und ihre Nachahmer in den verschiedensten Ländern der Welt hervorgebracht haben. Aber Personenbündnisse, vielleicht sogar etwas vom Geheimnis umweht, mindestens aber als simple Kungelrunden stehen dann schon vor Augen. Die Annahme eines „DDR-Musters“ setzt jedoch voraus, dass in der DDR Seilschaften sui generis existierten. Es mag lohnend erscheinen, dieser Frage etwas genauer nachzugehen.
Keine andere Periode der russischen Geschichte zog derartig grundlegende Veränderungen in Europa und der Welt nach sich wie die Zeit der Perestroika in den Jahren 1985-1991. Trotz der Bedeutung der Reformjahre unter Führung des letzten Generalsekretärs der KPdSU Michail Gorbatschows steht die historische Erforschung dieser Periode in vielen Bereichen noch am Anfang. Corinna Kuhr-Korolev fasst das bestehende Wissen zusammen und plädiert für unterschiedliche historische Zugriffe und Blickweisen, um die Vielschichtigkeit der dynamischen Prozesse in dieser Periode auf der Grundlage bisher noch kaum erschlossener Quellenbestände besser zu verstehen.
Different factors have been proposed to explain the longevity of the communist system in Romania: social control by the secret police, external pressures, or foreign control. However, the most common explanation is that of the Romanian people’s ‘passivity’. Many commentators distinguish between two groups in Romanian society, victims and collaborators, and hold the entire Romanian nation responsible for communism since it did not oppose the system and its authorities. Over the last few years, Romanian sociologists have begun to study communist society more systematically. They have developed new interpretations of the causes of the longevity of the system in terms of the transformation of social identity under communism and general fear. This article advances a complementary explanation, focusing on the perception of social security, and draws on a series of interviews conducted in the summer of 2009 in Romania and a number of public surveys conducted between 1999 and 2009.
Der Artikel betrachtet die späten 1960er- und die 1970er-Jahre als eine Umbruchszeit, in der in West- wie in Osteuropa fundamental neue Gesellschaftsentwürfe formuliert wurden. Ausgehend von 1968 als transnationalem Protestjahr wird gefragt, inwieweit sich die an Bedeutung zunehmenden Oppositionsbewegungen im östlichen Teil Europas von den neuen sozialen Bewegungen in Westeuropa unterschieden. Dabei werden die Geschlechterbeziehungen in den staatssozialistischen Gesellschaften ins Zentrum der Analyse gerückt, und es wird herausgearbeitet, inwieweit die Formung der Geschlechterverhältnisse durch staatliche wie oppositionelle Politik neue Gesellschaftsentwürfe beeinflusste. Die Konservierung traditioneller Geschlechterverhältnisse war sowohl für die Regime als auch für die oppositionellen Bewegungen funktional. Vor diesem Hintergrund wird verständlich, dass im östlichen Europa - im Gegensatz zu Westeuropa und den USA - aus den gesamtgesellschaftlichen Protestbewegungen keine einflussreiche Frauenbewegung hervorging.
Since the 1950s, cycling policy in China has gone through three phases: from active encouragement (1955–1994) and systematic discouragement (1994–2008) to neglect and ambivalence (since the 2010s). Parallel to the expansion of automobility, the country has been unique in its development of innovations in electric-powered two-wheelers and a vibrant e-cycling practice since the 1980s. Electric bikes have given over 300 million low-status commuters and peddlers access to jobs and housing, even though planners have dismissed them as a problematic ›floating population‹ and remnants of the past. Given China’s current urban sustainable mobility challenges and ambition to become the world’s first ›Ecological Civilization‹ (2013), China’s bicycle industry, e-vehicle manufacturers, and the e-commerce sector may offer an alternative to the US-based ›car civilization‹ if ecological (e-cycles) and social (low-status workers) sustainability are brought into one analytical frame.
Gemessen an der in den siebziger und achtziger Jahren wachsenden Zahl von Vertragsarbeitern und den sowjetischen Besatzungstruppen, die den größten Teil der ständig in der DDR anwesenden Ausländer ausmachten, waren die „Polit. Emigranten“ die kleinste Gruppe von in der DDR lebenden Fremden. Dieser in der DDR-Amtssprache auch als „PE’s“ bezeichnete Personenkreis war von anderen Migrantengruppen durch seinen besonderen Aufenthaltsstatus im SED-Staat, durch das von der offiziellen Propaganda vorgestellte politische Ansehen und seine unmittelbare Aufnahme in das Alltagsleben in der DDR deutlich abzugrenzen. Idealtypisch
sollten die „Polit. Emigranten“ in der SED-Diktatur das Bild des „guten Ausländers“, des Freiheitskämpfers bzw. Antifaschisten verkörpern, also jenes Bild des „guten Inländers“, das die SED-Führung vor allem für sich selbst in Anspruch nahm und mit dem sie ihre diktatorische Herrschaft in der DDR begründete. Diese positive und
gleichzeitig instrumentelle Darstellung der wenigen Flüchtlinge des Kalten Krieges, die Asyl in der DDR suchten und erhielten, war aber weder geeignet, den Argwohn der Bevölkerung gegenüber der herrschenden Staatspartei abzubauen, noch trug sie dazu bei, ein vorurteilsfreies Zusammenleben von Fremden und Einheimischen zu fördern. Schließlich beobachtete der zentralisierte Geheimdienstapparat der DDR, das Ministerium für Staatssicherheit (MfS), die „Polit. Emigranten“ genauso mißtrauisch wie die deutsche Bevölkerung. Der Anfangsverdacht der SED galt der ausländischen Herkunft der Einen und der Sehnsucht der Anderen nach dem unerreichbaren Ausland. Anhand der für diesen Beitrag hauptsächlich benutzten Quellen aus dem Archiv der Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatsicherheitsdienstes der ehemaligen DDR läßt sich klar ablesen, daß unter den Bedingungen der SED-Diktatur Toleranz gegenüber dem „Anderen“ oder „Fremden“ keine geforderte Tugend war und so nur bedingt erlernt bzw. gelebt werden konnte.
In allen Phasen und annähernd allen politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Bereichen der DDR haben die Stiefel der bewaffneten Organe mehr oder minder tiefe Spuren hinterlassen. Wer die DDR in ihrer Komplexität begreifen will, kommt am Faktor Militär nicht vorbei. Das hat vor allem zwei Gründe: Erstens lassen sich die militär- und sicherheitsrelevanten Fragen in der DDR nur unter einem sehr weit gefassten Sicherheitsbegriff analysieren. Dabei müssen die exogenen Faktoren (Lage der DDR an der Nahtstelle des Kalten Krieges, Bedrohungsbild, Bündnisverpflichtungen im Warschauer Vertrag, Schutz der Landesgrenze) stets im Zusammenhang mit den inneren Wirkungskräften gesehen werden, vor allem mit der Herrschaftssicherung des SED-Regimes. Der äußere und innere Kreis sind oft nicht voneinander zu trennen; sie bildeten die Grundlage für ein engmaschiges Netz militärischer und paramilitärischer Strukturen. Zweitens war der Mobilisierungsgrad der Gesellschaft eine bedeutsame Größe. Etwa 400.000 hauptamtliche Mitarbeiter arbeiteten in den bewaffneten Organen der Nationalen Volksarmee (einschließlich Grenztruppen), der Deutschen Volkspolizei, der Transportpolizei, der Zollverwaltung, des Luftschutzes und der Zivilverteidigung, der Kampfgruppen der Arbeiterklasse, der Gesellschaft für Sport und Technik und natürlich des Ministeriums für Staatssicherheit. Jeder zehnte Erwerbstätige wurde in das so genannte „System der Landesverteidigung“ institutionell eingebunden. Gemessen an der Einwohnerzahl gehörte die DDR damit zu den militärisch am stärksten mobilisierten und letztlich auch militarisierten Gesellschaften im Kalten Krieg. Die ideologische Durchdringung reichte von der Leitidee der „Sozialistischen Wehrerziehung“ in Kindergarten, Schule, Berufsausbildung und Universität über die gesteuerte Präsenz in den Medien bis zur historischen Instrumentalisierung des „Antifaschistischen Kampfes“ und der „Befreiung durch die Sowjetarmee“. Qualität und Quantität dieser Vernetzung sind in der deutschen Militärgeschichte einzigartig. Sie machen die DDR zu einem ausgesprochen interessanten, aber auch methodisch schwer zu fassenden Gegenstand der militärhistorischen Forschung.
Wenn man ein Buch nennen müsste, das am meisten zum Zerfall der Sowjetunion beigetragen hat, stünde Solženicyns „Archipel Gulag“ sicher an vorderer Stelle. Aleksandr Isaevič Solženicyn, Jahrgang 1918, war als Offizier wegen einiger abfälliger Briefzeilen über Stalin 1945 verhaftet worden und brachte acht Jahre in sowjetischen Lagern und Haftanstalten zu. Nach seiner Freilassung wurde er nach Kasachstan verbannt und 1956 rehabilitiert. Mit der Publikation der Erzählung „Ein Tag im Leben des Ivan Denisovič“ (1962) gelangte er rasch zu literarischem Ruhm, sah sich aber mit dem Ende des sowjetischen „Tauwetters“ seiner Publikationsmöglichkeiten zunehmend beraubt. Seit 1958 hatte er an dem monumentalen „Archipel Gulag“ gearbeitet, dies aber geheimgehalten. Als der KGB im August 1973 das Manuskript beschlagnahmte, ließ Solženicyn den ersten Band im Pariser Emigranten-Verlag YMCA-Press veröffentlichen. Der zweite und der dritte Band erschienen 1974 und 1976. Im Jahr 1985 folgte eine einbändige, gestraffte Fassung des Werks. In der Sowjetunion konnte der „Archipel Gulag“ erst 1989 veröffentlicht werden. Solženicyn war 1974 aus der Sowjetunion ausgewiesen worden und lebte im amerikanischen Exil, bis er 1994 nach Russland zurückkehrte.