Staatssozialismus
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In den ungarischen Wochenschauen der 1950er-Jahre, »diesen kurzen Propagandafilmen«, wie der ungarische Filmemacher Sándor Buglya schreibt, »sind nur die Bilder wahr. Was aber durch die Filme, die vorgetragenen Dialoge und den Kommentar präsentiert wird, ist eine ständige Lüge. Und natürlich tost ununterbrochen der Beifall. Die Kamera verstellt die Wahrheit, sie gaukelt wirklichkeitsferne Illusion vor.« Nun könnte man darüber streiten, was »wahre Bilder« sind. Entscheidend jedoch ist Buglyas Hinweis, dass jegliche Art von Film, sei es ein Dokumentar-, Wochenschau- oder Spielfilm, die vorfilmische Realität verändert. Buglya schildert, wie in ausländischen und Budapester Wochenschauberichten nahezu dasselbe Bildmaterial verwendet, jedoch mit einander entgegengesetztem Kommentar ausgestrahlt wurde: Während erstere (im Blick auf das Jahr 1956) die Ereignisse eines Volksaufstandes dokumentierten, galten für letztere dieselben Bilder als Beleg einer Konterrevolution. Der Dokumentarfilm, so Buglya, sei kein Abbild des Realen, sondern spiegele mehr oder weniger genau das Verhältnis des Regisseurs zur Wirklichkeit.
Kurz nach dem Zusammenbruch des Staatssozialismus hielt der Frankfurter Philosoph Jürgen Habermas fest, der theoretische Fehler der gescheiterten kommunistischen Machthaber habe darin bestanden, das „sozialistische Projekt mit dem Entwurf - und der gewaltsamen Durchsetzung - einer konkreten Lebensform“ verwechselt zu haben. Für diejenigen Historiker, die sich bereits vor 1989/90 eingehender mit der Geschichte der DDR und deren Herrschaftssystem befasst hatten, lagen die Dinge allerdings schon damals komplizierter, und auch heute - achtzehn Jahre nach dem unerwarteten Verschwinden der DDR - ist weiterhin umstritten, wann der schleichende Niedergang des Systems begann und wann es seinen ultimativen „point of no return“ erreichte.
In den über 60 Jahren, die seit den Ereignissen bei Stalingrad von 1942/43 vergangen sind, ist das Geschehen in den Erinnerungskulturen zahlreicher Länder immer wieder neu entworfen, umgewandelt und mit unterschiedlichen Deutungsebenen verknüpft worden. Die Muster der Erinnerung waren und sind eng verbunden mit den gesellschaftlichen Verhältnissen und Bedürfnissen zum Zeitpunkt ihrer Verbreitung, und sie standen bzw. stehen noch immer in einem gespannten Verhältnis zu wissenschaftlichen Erkenntnissen über „Stalingrad“: So ging der Krieg für die Deutschen bereits im Winter 1941 verloren, und es folgten für Deutschland verlustreichere Kriegsphasen. Dass „Stalingrad“ in der deutschen und sowjetischen Erinnerungskultur bis heute eine herausragende Bedeutung einnimmt, steht dazu in offensichtlichem Widerspruch und kann nur gedächtnisgeschichtlich erklärt werden.
»Du sollst Solidarität mit den um nationale Befreiung kämpfenden und den ihre nationale Unabhängigkeit verteidigenden Völkern üben.« So lautet das letzte der 1958 von Walter Ulbricht verkündeten »Zehn Gebote der sozialistischen Moral und Ethik« (auch: »Zehn Gebote für den neuen sozialistischen Menschen«), die von 1963 bis 1976 Teil des SED-Parteiprogramms waren.1 Die sozialistische Variante der christlichen Zehn Gebote findet sich häufig auf der ersten Seite von »Brigadetagebüchern«, die Beschäftigtenkollektive in der DDR und in anderen staatssozialistischen Ländern verfassten. Über die Grenzen der DDR hinaus stellten auch »Freundschaftsbrigaden« der Freien Deutschen Jugend (FDJ) solche Brigadetagebücher zusammen, um ihre Aufenthalte in Ländern Afrikas, Asiens und Lateinamerikas zu dokumentieren. Diese Quellen geben einen wertvollen Einblick in die sozialistische Globalisierung und deren Alltagspraktiken.
Soziale Ungleichheit hat viele Gesichter und stellt sich in verschiedenen Gesellschaftsformationen jeweils unterschiedlich dar.1 China ist ein besonders interessanter Fall, weil dort eine Transformation von der Plan- zur Marktwirtschaft unter der Ägide der Kommunistischen Partei Chinas (KPCh) abläuft. Sozialistisches Erbe und kapitalistische Gegenwart gehen also eine ungewöhnliche Verbindung ein. Vor diesem Hintergrund soll der vorliegende Beitrag zeigen, dass die heutigen sozialen Ungleichheiten in China nicht allein das Produkt der Hinwendung zum Kapitalismus sind. Gemäß der Humankapitaltheorie müsste in einer marktbasierten Gesellschaft die individuelle Bildung den größten Beitrag zur Erklärung bestehender Einkommensungleichheit liefern. In der Praxis sind aber auch in kapitalistischen Gesellschaften die Startvoraussetzungen der Einzelnen nicht gleich: Sie hängen stark von der sozioökonomischen Stellung der Eltern ab, sprich von deren ökonomischem und kulturellem Kapital. Über die Weitergabe des Status von einer Generation zur nächsten bilden sich typischerweise soziale Schichten heraus, die je nach Gesellschaft mehr oder weniger Durchlässigkeit aufweisen. In China kommt noch ein dritter Faktor hinzu: Die im Staatssozialismus angelegten sozialen Differenzierungen bilden die Basis für heutige soziale Ungleichgewichte. „Politisches Kapital“ spielt nach wie vor eine wichtige Rolle – Verbindungen zur Herrschaftselite und die Stellung im offiziellen politischen Diskurs besitzen entscheidenden Einfluss auf die Schichtungsergebnisse.
Der Einmarsch der Roten Armee in die östlichen Gebiete des Deutschen Reiches im Frühjahr 1945 stellte eine einschneidende Erfahrung dar, die sich deutlich von den gleichzeitigen Erlebnissen des Kriegsendes im Westen unterschied. Die Möglichkeiten, von diesen Erfahrungen mit den „fremden Russen“ zu erzählen, waren jedoch in den vierzig Jahren SED-Herrschaft stark beschränkt. Darum verschwanden die Erinnerungen „zunehmend aus der Öffentlichkeit, um sich im Privaten einzunisten. Hier, im privaten Kreis, existierten sie bis zum Ende der DDR.“ In der kontrollierten Öffentlichkeit der DDR verhinderten die herrschenden Kommunisten einen offenen Umgang mit der Erinnerung an den Einmarsch jener „fremden“ Soldaten, die ein neues Gesellschaftssystem mitgebracht hatten. In den Jahren der Besatzungsherrschaft hatte die Sowjetische Militäradministration (SMAD) entscheidenden Anteil an der Durchsetzung des staatssozialistischen Herrschaftssystems. Während der folgenden 40 Jahre bildeten dann die sowjetischen Soldaten nicht nur die Rückversicherung für die SED-Herrschaft, sondern auch die größte Gruppe von „Fremden“ in der DDR. Als Militärs lebten sie stark abgeschirmt von der Zivilbevölkerung in ihren Standorten.
Da seit Sommer 1949 behauptet wurde, das Verhältnis zwischen der deutschen Zivilbevölkerung und den sowjetischen Truppen beruhe auf „freundschaftlicher Grundlage“, gab es auch nach dem Ende der Besatzungszeit kaum Möglichkeiten, Konflikte zwischen beiden Seiten zu thematisieren. Vielmehr setzte die SED - im Einvernehmen mit ihren sowjetischen Partnern - der Rede übereinander und dem Umgang miteinander enge Grenzen'. Die öffentliche Rede über die Sowjets wurde durch die Freundschaftsideologie eingegrenzt, in ihren Standorten lebten die sowjetischen Soldaten abgegrenzt und schließlich stieß die herrschende SED bei ihrem Versuch, die Bevölkerung im Sinne der Freundschaft zur Sowjetunion umzuerziehen, beständig an die Grenzen ihres Einflusses.4 Wie die Freundschaft zur Sowjetunion erfunden wurde, welchen Stellenwert sie hatte, wie Teile der Bevölkerung auf den Versuch der SED reagierten, ein neues Bild von den Sowjets als verpflichtend durchzusetzen, und welche Konflikte trotz des Anspruchs einer allseitigen Harmonisierung der Beziehungen zwischen Deutschen und Russen weiterexistierten, soll im folgenden umrissen werden.
Solidarität und Alltag der DDR aus der Sicht exilierter Mitglieder des African National Congress
(2023)
As a striking phenomenon of Soviet consumption, Beriozka stores appeared in the late 1950s and existed until the end of the 1980s. This chain of stores was a state trade organization selling goods that were otherwise in short supply (cars, fashionable clothes, household appliances, etc.) for special ‘checks’ used as equivalents of foreign currency by special groups of Soviet citizens. Similar stores existed in other socialist countries. The article shows that these stores on the one hand became an element of the existing system of state-granted entitlements. The customers were Soviet citizens who earned money abroad as well as people who did not go abroad but received remittances from foreign sources. On the other hand, the development of the black market (barely persecuted by the state) made it possible to purchase Beriozka checks for roubles; so it granted access to sought-after goods (among them even goods from the West) to a wide range of consumers. Paradoxically, Beriozka was criticized and much frequented at the same time.
Sehnsucht nach einem stillen Land. Wie zwei Reporter der „ZEIT“ im Jahr 1979 die DDR darstellten.
(2009)
Die heutige Lektüre des Buches irritiert, so eigenartig und doch auch vertraut wirkt das vor 30 Jahren entworfene DDR-Bild. Die Texte und Fotos wurden zwischen Herbst 1978 und Sommer 1979 zunächst als einzelne Reportagen im „ZEIT“-Magazin veröffentlicht. Die Journalistin Marlies Menge und der Fotograf Rudi Meisel waren seit 1977/78 die ersten akkreditierten „ZEIT“-Korrespondenten in der DDR - und blieben es bis 1990. Der Hanser-Verlag brachte sieben dieser Beiträge als großformatigen Bildband heraus. Meisel erhielt dafür 1979 den Kodak-Fotobuchpreis.
Der Aufsatz entwirft eine Zeitgeschichte der Vorsorge, die sich für den hygienepolitischen Übergang von Praktiken der Intervention und Krisenbewältigung zu Praktiken der Prävention interessiert. Am Beispiel der Pestvorsorge in der Sowjetunion wird erstens ein Prozess der Institutionalisierung, Professionalisierung und Verwissenschaftlichung dargestellt. Zweitens werden die Eigenheiten des sowjetischen Falls herausgearbeitet. Die dortige Pestbekämpfung war bis in die 1930er-Jahre von Interventionen geprägt, die aus einem Repertoire repressiver, im Kontext der Zwangskollektivierung etablierter Maßnahmen schöpften. Der Umgang mit der Pest war nicht mit Aufklärung verknüpft, sondern mit Geheimhaltung. Die Einrichtung eines Netzwerks wissenschaftlicher Forschungsstätten führte zu einem Wandel im Umgang mit der Seuche. Dies war eingebettet in parallele Diskurse über administrative Grenzen und geographisches Wissen. Der Aufsatz stützt sich auf Quellen aus Staats- und Partei-Archiven in der Russischen Föderation und der Republik Aserbaidschan.
Von den Toten der Berliner Mauer nimmt Peter Fechter (1944-1962) im kollektiven Gedächtnis einen herausgehobenen Rang ein. Schon unmittelbar nach seiner gescheiterten Flucht wurde in der Berliner Zimmerstraße nahe dem ehemaligen Checkpoint Charlie ein Denkmal in der Form eines Holzkreuzes errichtet, das man am 13. August 1999 durch eine Stahlstele ersetzte. Jährlich legten und legen Delegationen Kränze am Denkmal nieder. Fernsehdokumentationen informierten 1997 aus Anlass des Prozesses gegen die Mauerschützen. In der öffentlichen Wahrnehmung gilt Peter Fechter deswegen für viele als der erste Tote an der Berliner Mauer überhaupt.
Schwitzende Werkarbeiter in der DDR, Menschen im Porträt, Bilder als kombinierte Triaden, die ihnen einen neuen Sinn geben – die aktuelle Werkschau des Berliner Fotografen Ludwig Rauch erzählt im Cottbusser Dieselkraftwerk Geschichte und Geschichten. Es geht um die DDR, um Menschen und ihre Biografien: sichtbar gemacht in Porträts und Serien. Das Altern, der Tod und vor allem das Leben sind Motive in Rauchs Werkschau, die er unter dem Titel Noch ein Leben zusammenfasst. Auf drei Etagen begegnen die Ausstellungsbesucher unterschiedlichsten Arbeiten, die auf teilweise überraschende Weise zusammengehören.
Im September 1976 veröffentlichte Heinrich Böll, Literaturnobelpreisträger und einer der meistbeachteten Schriftsteller der Bundesrepublik, die Besprechung eines gerade veröffentlichten Buches, dessen Autor zwar in der DDR lebte, seinen Text jedoch beim kleinen Werner Gebühr Verlag in Stuttgart zum Druck gegeben hatte. Faszination und Anziehung versprach der schmale Band schon wegen seiner Entstehung »im Grenzstreifen zwischen DDR und Bundesrepublik« (so Böll); deshalb wurde er unter einem Pseudonym – Carl-Jacob Danziger – veröffentlicht. Größer noch war das Interesse aber, weil es sich bei dem Buch mit dem ironisch distanzierten und in Anführungszeichen gesetzten Titel »Die Partei hat immer recht« um den autobiographischen Roman eines Schriftstellers handelte, der sich zuerst voll und ganz dem sozialistischen Selbstverständnis der DDR verschrieben, mit seinem Buch nun jedoch die Geschichte seiner Enttäuschungen vorgelegt hatte. »Danzigers schlimmste Sünde aber ist, daß er sich für Realismus und nicht für sozialistischen Realismus entscheidet«, fasste Böll die von Danziger niedergelegte Konfrontation seiner einstigen sozialistischen Utopie mit der Realität des DDR-Sozialismus zusammen. Hier lag die Geschichte einer Entfremdung und Abwendung vor. Auch deshalb wurde Danzigers Roman in der Bundesrepublik schnell große Aufmerksamkeit zuteil; Journalisten würdigten ihn als Ausdruck von »zivilem Ungehorsam«, »Auswurf des Gewissens« und einer persönlichen Abrechnung mit der Partei.
Mit den Rechtsänderungen von 1977 - einem neuen Strafvollzugsgesetz und dem 2. Strafrechtsänderungsgesetz (StÄG) - reagierte die DDR Erich Honeckers auf die gewandelten außenpolitischen Bedingungen seit Mitte der siebziger Jahre. Nach Unterzeichnung des Grundlagenvertrags mit der Bundesrepublik 1972, der Aufnahme der DDR in die UNO 1973 und der KSZE-Konferenz von Helsinki 1975 erwiesen sich überkommene Gesetzesformulierungen, in denen der westliche oder der bundesdeutsche Imperialismus angeprangert worden war, auf internationalem Parkett als ebenso störend wie extrem repressive Vorschriften im Strafvollzugsrecht.
Different factors have been proposed to explain the longevity of the communist system in Romania: social control by the secret police, external pressures, or foreign control. However, the most common explanation is that of the Romanian people’s ‘passivity’. Many commentators distinguish between two groups in Romanian society, victims and collaborators, and hold the entire Romanian nation responsible for communism since it did not oppose the system and its authorities. Over the last few years, Romanian sociologists have begun to study communist society more systematically. They have developed new interpretations of the causes of the longevity of the system in terms of the transformation of social identity under communism and general fear. This article advances a complementary explanation, focusing on the perception of social security, and draws on a series of interviews conducted in the summer of 2009 in Romania and a number of public surveys conducted between 1999 and 2009.
Der Artikel betrachtet die späten 1960er- und die 1970er-Jahre als eine Umbruchszeit, in der in West- wie in Osteuropa fundamental neue Gesellschaftsentwürfe formuliert wurden. Ausgehend von 1968 als transnationalem Protestjahr wird gefragt, inwieweit sich die an Bedeutung zunehmenden Oppositionsbewegungen im östlichen Teil Europas von den neuen sozialen Bewegungen in Westeuropa unterschieden. Dabei werden die Geschlechterbeziehungen in den staatssozialistischen Gesellschaften ins Zentrum der Analyse gerückt, und es wird herausgearbeitet, inwieweit die Formung der Geschlechterverhältnisse durch staatliche wie oppositionelle Politik neue Gesellschaftsentwürfe beeinflusste. Die Konservierung traditioneller Geschlechterverhältnisse war sowohl für die Regime als auch für die oppositionellen Bewegungen funktional. Vor diesem Hintergrund wird verständlich, dass im östlichen Europa - im Gegensatz zu Westeuropa und den USA - aus den gesamtgesellschaftlichen Protestbewegungen keine einflussreiche Frauenbewegung hervorging.
Since the 1950s, cycling policy in China has gone through three phases: from active encouragement (1955–1994) and systematic discouragement (1994–2008) to neglect and ambivalence (since the 2010s). Parallel to the expansion of automobility, the country has been unique in its development of innovations in electric-powered two-wheelers and a vibrant e-cycling practice since the 1980s. Electric bikes have given over 300 million low-status commuters and peddlers access to jobs and housing, even though planners have dismissed them as a problematic ›floating population‹ and remnants of the past. Given China’s current urban sustainable mobility challenges and ambition to become the world’s first ›Ecological Civilization‹ (2013), China’s bicycle industry, e-vehicle manufacturers, and the e-commerce sector may offer an alternative to the US-based ›car civilization‹ if ecological (e-cycles) and social (low-status workers) sustainability are brought into one analytical frame.
In allen Phasen und annähernd allen politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Bereichen der DDR haben die Stiefel der bewaffneten Organe mehr oder minder tiefe Spuren hinterlassen. Wer die DDR in ihrer Komplexität begreifen will, kommt am Faktor Militär nicht vorbei. Das hat vor allem zwei Gründe: Erstens lassen sich die militär- und sicherheitsrelevanten Fragen in der DDR nur unter einem sehr weit gefassten Sicherheitsbegriff analysieren. Dabei müssen die exogenen Faktoren (Lage der DDR an der Nahtstelle des Kalten Krieges, Bedrohungsbild, Bündnisverpflichtungen im Warschauer Vertrag, Schutz der Landesgrenze) stets im Zusammenhang mit den inneren Wirkungskräften gesehen werden, vor allem mit der Herrschaftssicherung des SED-Regimes. Der äußere und innere Kreis sind oft nicht voneinander zu trennen; sie bildeten die Grundlage für ein engmaschiges Netz militärischer und paramilitärischer Strukturen. Zweitens war der Mobilisierungsgrad der Gesellschaft eine bedeutsame Größe. Etwa 400.000 hauptamtliche Mitarbeiter arbeiteten in den bewaffneten Organen der Nationalen Volksarmee (einschließlich Grenztruppen), der Deutschen Volkspolizei, der Transportpolizei, der Zollverwaltung, des Luftschutzes und der Zivilverteidigung, der Kampfgruppen der Arbeiterklasse, der Gesellschaft für Sport und Technik und natürlich des Ministeriums für Staatssicherheit. Jeder zehnte Erwerbstätige wurde in das so genannte „System der Landesverteidigung“ institutionell eingebunden. Gemessen an der Einwohnerzahl gehörte die DDR damit zu den militärisch am stärksten mobilisierten und letztlich auch militarisierten Gesellschaften im Kalten Krieg. Die ideologische Durchdringung reichte von der Leitidee der „Sozialistischen Wehrerziehung“ in Kindergarten, Schule, Berufsausbildung und Universität über die gesteuerte Präsenz in den Medien bis zur historischen Instrumentalisierung des „Antifaschistischen Kampfes“ und der „Befreiung durch die Sowjetarmee“. Qualität und Quantität dieser Vernetzung sind in der deutschen Militärgeschichte einzigartig. Sie machen die DDR zu einem ausgesprochen interessanten, aber auch methodisch schwer zu fassenden Gegenstand der militärhistorischen Forschung.
Wenn man ein Buch nennen müsste, das am meisten zum Zerfall der Sowjetunion beigetragen hat, stünde Solženicyns „Archipel Gulag“ sicher an vorderer Stelle. Aleksandr Isaevič Solženicyn, Jahrgang 1918, war als Offizier wegen einiger abfälliger Briefzeilen über Stalin 1945 verhaftet worden und brachte acht Jahre in sowjetischen Lagern und Haftanstalten zu. Nach seiner Freilassung wurde er nach Kasachstan verbannt und 1956 rehabilitiert. Mit der Publikation der Erzählung „Ein Tag im Leben des Ivan Denisovič“ (1962) gelangte er rasch zu literarischem Ruhm, sah sich aber mit dem Ende des sowjetischen „Tauwetters“ seiner Publikationsmöglichkeiten zunehmend beraubt. Seit 1958 hatte er an dem monumentalen „Archipel Gulag“ gearbeitet, dies aber geheimgehalten. Als der KGB im August 1973 das Manuskript beschlagnahmte, ließ Solženicyn den ersten Band im Pariser Emigranten-Verlag YMCA-Press veröffentlichen. Der zweite und der dritte Band erschienen 1974 und 1976. Im Jahr 1985 folgte eine einbändige, gestraffte Fassung des Werks. In der Sowjetunion konnte der „Archipel Gulag“ erst 1989 veröffentlicht werden. Solženicyn war 1974 aus der Sowjetunion ausgewiesen worden und lebte im amerikanischen Exil, bis er 1994 nach Russland zurückkehrte.
The paper explores representations of economic reform in Czechoslovakia immediately before and after the fall of the centrally planned economy in 1989/90. By what means was the concept of rapid economic transition towards a liberal market setting mediated into the academic and the public sphere? How did it achieve wide public consent? In the first part, the paper analyzes the Czechoslovak academic discussion about perestroika in the late 1980s, where a rapid liberal transition was cast by a distinct group of younger scholars as the only possible way of reforming the socialist economy. Their training was based above all on Paul A. Samuelson’s canonical textbook Economics, which presented this discipline almost as a natural science with universal standards. Immediately after 1989/90, when some of these scholars assumed executive positions within the new Czechoslovak government, what were at first purely economic ways of reasoning merged with certain images of the national past, creating a mixture of liberal economic knowledge and national exceptionalism.
In der DDR nahmen Recht, Markt und Geld im wirtschaftlichen Austausch und im Prozess der sozialen Interaktion nur einen geringen Stellenwert ein. Die - im Vergleich zu westlich-kapitalistischen Gesellschaften - geringe Geltungskraft dieser „differenzierten Rationalitäts-kriterien“ wirkte sich nicht nur auf die Ausübung der politischen Herrschaft und die Ent-scheidungsprozesse aus, sondern auch auf die Allokation ökonomischer Ressourcen und die Ausprägung gesellschaftlicher Ungleichheit. So waren der Zugang zu Verbrauchsgütem - vor allem zu den begehrten Konsumgütem -, die damit verbundenen sozialen Differenzen und kulturellen Distinktionen in der Gesellschaft der DDR weitgehend nicht monetär bestimmt.
Ein Denkmal in Gursuf, einem Schwarzmeerküstenort auf der Krim – man könnte es betiteln mit »Lenin spannt aus«. Statt der gewohnten Lenin-Statuen aus sowjetischer Zeit, die aufrecht stehend mit großer Geste den Weg in eine »strahlende Zukunft« (so auch ein weiterer Romantitel Sinowjews) weisen, finden wir in Gursuf einen ebenso überlebensgroßen, erhabenen Lenin vor; er sitzt mit übereinander geschlagenen Beinen, fast in Urlaubshaltung auf einer Bank vor einer prunkvollen Villa, die in der UdSSR dem Sanatorium des Verteidigungsministeriums zugeordnet war. Bereits in der frühen Sowjetunion – in den 1920er-Jahren – hatte Lenin dekretiert, die Kurorte der Krim seien für die Arbeiter und Bauern zu nutzen sowie die Villen und Besitztümer der Adligen in entsprechende Sanatorien umzuwandeln. Die gesamte Schwarzmeerküste der Sowjetunion wurde als Kurregion entwickelt. So ließ Stalin einst Sotschi – 2014 die Stadt Putins subtropischer Winterolympiade – als Modell-Kurstadt und Prestigeprojekt ausbauen. Die Krim, deren Badeorte bereits auf das 19. Jahrhundert zurückgingen, und vor allem die Gegend um Jalta – auch russische Riviera genannt – wurde zur wichtigsten Erholungs- und Sanatorienregion der UdSSR.
Der Beitrag untersucht den Wandel der Freizeit- und Kurinfrastruktur für behinderte Menschen und ihre Angehörigen in der deutsch-deutschen Systemkonkurrenz. In der Bundesrepublik und in der DDR waren diese Maßnahmen sehr unterschiedlich organisiert und an die jeweiligen Familienideale angelehnt. Während das westdeutsche Müttergenesungswerk seit den 1950er-Jahren Sonderkuren für besonders belastete Hausfrauen anbot, blieben staatliche Freizeiten in der DDR zunächst Werktätigen vorbehalten. Gerade für Mütter behinderter Kinder ließ die DDR-Staatsführung der Diakonie eine Nische. Trotz solcher divergierenden Trägerstrukturen verlief der Wandel ost- und westdeutscher Angebote in ähnlichen Phasen. Im Westen war es der Contergan-Skandal Anfang der 1960er-Jahre, der eine stärkere Aufmerksamkeit auf die betroffenen Familien lenkte. Der Ausbau von Erholungsangeboten setzte sich auch »nach dem Boom« fort. Im Osten erkannte die SED-Führung ab den 1960er-Jahren die Versorgung der Angehörigen behinderter Menschen als Staatsaufgabe an und intensivierte ihr Engagement auch auf Druck von Eingaben Betroffener. Auffällig ist für beide deutsche Staaten, dass Väter lange Zeit eher abwesend blieben. Eine andere Gemeinsamkeit waren die fortbestehenden Barrieren an vielen Urlaubsorten.
In der gegenwärtigen Debatte über Imperien wird die konstitutive Bedeutung des Raumes hervorgehoben. Seine Repräsentation in Gestalt von Karten wird aber bisher selten zum Forschungsgegenstand gemacht, obwohl Untersuchungen zum British Empire auf den Zusammenhang von kognitiven und materiellen Karten für die Ausbildung eines Raumbewusstseins innerhalb des Imperiums und in Bezug zur Welt verweisen. In der Sowjetunion war die Produktion und Verbreitung von Karten von Anfang an ein grundlegender Bestandteil imperialer Politik, weil das dokumentierte Wissen über das Territorium, seine Strukturen und Bewohner eine Voraussetzung für eine umfassende Sowjetisierungspolitik darstellte. Einer der sowjetischen „Vermesser“ war der ungarische Kartograph Alexander (Sándor) Radó, der seit den 1920er-Jahren an der Produktion sowjetischer und europäischer Atlanten beteiligt war. Die Karten sind in mehrfacher Hinsicht Dokumente eines imperialen Konstruktionsprozesses, weil sie einerseits als Projektionsfläche genutzt wurden und andererseits die innenpolitische Entwicklung in der Sowjetunion spiegelten und beeinflussten.
Die DDR ist vierzig Jahre am Leben geblieben, bevor sie - unwahrscheinlich schnell - unterging. Jetzt, wo der Westen der „Sieger der Geschichte“ zu sein scheint, sagen viele, daß die DDR im Grunde nur auf Terror und Repression aufgebaut war. Der alte Begriff vom „Unrechtsstaat“, wie auch das Konzept des „Totalitarismus“, die in den fünfziger Jahren so beliebt waren, finden wieder Gefallen. Manche sagen auch, daß „die Deutschen“ seit eh und je besonders gehorsam gewesen sind.
Heiße Rhythmen im Kalten Krieg. Swing und Jazz hören in der SBZ/DDR und der VR Polen (1945–1970)
(2011)
Der Aufsatz geht der Frage nach, wie Hörerinnen und Hörer in der SBZ/DDR und in Polen über Radio, Schallplatten und Live-Musik Zugang zu Jazzmusik erhielten. In beiden Gesellschaften entwickelte sich die Jazzszene in einem charakteristischen Spannungsfeld: Einerseits bezeichneten die sozialistischen Regime Jazz mit Beginn des Kalten Kriegs als „amerikanisch-imperialistische Musik“ und versuchten den „Jazztumult“ aus dem öffentlichen Raum und dem Rundfunk zu verdrängen. Andererseits war es mit Hilfe persönlicher Kontakte zu Menschen im Westen sowie vermittelt über die Programme der US Information Agency weiterhin möglich, sich Zugang zu Jazzmusik zu verschaffen. Der Vergleich der DDR mit Polen zeigt dabei, dass sich die bis dahin ähnlichen Kulturpolitiken beider Staaten ab 1956 wesentlich unterschieden. Polen öffnete sich für Jazz und unterstützte zum Teil die Szene wie auch die Musiker; an den Konzerteinnahmen verdienten die Kulturfunktionäre mit. In der DDR agierte das Regime dem Jazz gegenüber zunächst weiter ablehnend, bis der Beat zum neuen musikalischen Feindbild avancierte.
Im sozialistischen Polen war soziale Ungleichheit kaum ein Thema öffentlicher Debatten. Nach 1989 hingegen wurde sie zu einer Streitfrage, denn die Transformation erzeugte neue Formen von Armut und Reichtum bzw. machte auch ältere Formen stärker sichtbar. Hatten die Polen das politische Establishment der Volksrepublik abgewählt, weil die Regierung ihr Gleichheitsversprechen nicht hatte halten können, oder weil sie sich als unfähig erwiesen hatte, den Niedergang der Wirtschaft aufzuhalten? Meinungsumfragen, die von den 1960er-Jahren bis in die späten 1980er-Jahre durchgeführt wurden, geben darauf einige Antworten; sie werden im vorliegenden Beitrag erstmals systematisch herangezogen und quellenkritisch eingeordnet. Bis Mitte der 1980er-Jahre unterstützte ein großer Teil der Bevölkerung soziale Gleichheit und kritisierte soziale Unterschiede. Das änderte sich fundamental, als die soziale, politische und private Frustration der Bürger zusammenfiel mit einem tiefen wirtschaftlichen Niedergang. Nun wurde das bisherige System als Hindernis auf dem Weg zu radikalen marktwirtschaftlichen Reformen betrachtet. Dass mit solchen Reformen wachsende Ungleichheit verbunden sein würde, war den Befragten durchaus bewusst.
Im Sommer 1940 kam es in Moskau zu einer denkwürdigen Begegnung. Stalin hatte erfahren, dass sein Jugendfreund, Sergei Kawtaradze, verhaftet und in ein Lager gebracht worden war. Als er davon hörte, erteilte er die Anweisung, den Freund zu entlassen und ihm eine Wohnung in Moskau zu verschaffen. Eines Abends überkam Stalin das Bedürfnis, ihn zu besuchen. Er befahl seinen Geheimdienstchef zu sich, den Georgier Lawrentij Berija, und gemeinsam fuhren sie zu Kawtaradze. Sie klingelten an der Wohnungstür, und eine Frau, die sich mit den Kawtaradzes die Behausung teilte, öffnete die Tür. Als sie den Diktator und seinen Gehilfen im Hausflur stehen sah, geriet sie außer Fassung. Sie stolperte und fiel rückwärts in den Flur. Berija fing sie auf und sagte: »Warum haben Sie denn Angst vor dem Vater der Völker?« Die Frau antwortete: »Ich dachte, dass das Portrait Stalins auf mich zukommt.«
Die DDR verstand die gesellschaftliche Rehabilitation von Menschen mit körperlichen Beeinträchtigungen als sozialstaatliche Aufgabe. Während die Integration in die Arbeitswelt vergleichsweise gut erforscht ist, sind zu den Bereichen Wohnen und Mobilität noch viele Fragen offen. Welche Maßnahmen ergriff der Staat, um körperlich eingeschränkte Menschen in diesen Bereichen zu fördern? Welche Rolle spielten hierbei Kreisärzte und Stadtarchitekten? Welche Ergebnisse wurden in der Praxis erzielt? Erkennbar war vor allem seit Mitte der 1970er-Jahre das staatliche Bemühen, den Betroffenen mit Hilfsmitteln und Baumaßnahmen die gesellschaftliche Teilhabe zu ermöglichen. Doch die begrenzten Ressourcen und die planwirtschaftlichen Strukturen des SED-Staates erschwerten dies. Zudem konnte der Abbau materieller Hürden neue Barrieren hervorrufen – etwa in Fußgängerzonen. Betroffene entwickelten deshalb eigene, durchaus erfolgreiche Initiativen. Anhand von Beispielen aus Karl-Marx-Stadt, Halle an der Saale und Greifswald bietet der Aufsatz Einblicke in einen Alltag von Menschen mit Behinderungen, der von Ambivalenzen und Handlungsspielräumen ebenso geprägt war wie von Beschränkungen seitens staatlicher Stellen.
Friedliches Auseinanderwachsen. Überlegungen zu einer Sozialgeschichte der Entspannung 1960–1980
(2007)
Der Artikel skizziert die politische, kulturelle und wirtschaftliche Entwicklung der Gesellschaften Ost- und Westeuropas in der Ära der Entspannungspolitik. Die Hauptthese lautet, dass die diplomatische Annäherung der beiden Blöcke von einem gegenläufigen Auseinanderwachsen der west- und osteuropäischen Länder begleitet war. Während die westlichen Gesellschaften neue politische Aktionsmöglichkeiten in Form von sozialen Bewegungen erlebten, blieb dies im Osten wegen des Machtmonopols der kommunistischen Parteien unmöglich bzw. war mit weitaus größeren Schwierigkeiten verbunden. Auch neue (jugend)kulturelle Erscheinungsformen wie bestimmte Mode- und Musikströmungen konnten im Westen eine Normalität erreichen, die im Osten nicht möglich war. Die Wirtschaftskrise der 1970er-Jahre führte im Westen zu einem Ab- bzw. Umbau der fordistischen Produktionsweise, während die realsozialistischen Staaten an alten Strukturen festhielten. Während diese Trends der 1970er-Jahre heute fast teleologisch auf den Zusammenbruch des Kommunismus vorauszudeuten scheinen, war dies für die Zeitgenossen nicht der Fall. Im Gegenteil: Viele Beobachter sahen eine mögliche Konvergenz der beiden Systeme.
Im offiziellen Selbstverständnis von Staat und Partei war die DDR eine Arbeitsgesellschaft - die (Aufbau-)Arbeit für den Sozialismus bildete eine zentrale Sinnressource. Wer sich diesem übergreifenden Prinzip nicht unterordnen wollte, aus welchen Gründen auch immer, sah sich oft beruflich diskriminiert. Besonders in den 1970er- und 1980er-Jahren versuchte der SED-Staat berufliche Ausgrenzung als politisches Kontroll- und Erziehungsmittel einzusetzen. Vielfach führte diese Strategie jedoch zum Gegenteil des Gewünschten: Beruflich Benachteiligte wurden gerade durch die Praxis der Ausgrenzung stärker politisiert und schufen sich neue widerständige Handlungsräume. Anhand von zwei Beispielen des individuellen Umgangs mit beruflicher Diskriminierung wird das Wechselverhältnis zwischen dieser Diskriminierung und politischer Gegnerschaft untersucht - ein Aspekt, der in bisherigen Forschungen zur DDR-Opposition kaum berücksichtigt wurde und der zu einer stärker gesellschaftsgeschichtlichen Fundierung solcher Forschungen beitragen kann.
Da das Recht und damit auch der Strafvollzug dem Aufbau des Sozialismus dienten, ist anzunehmen, dass diese sozialistische Moral auch in den Gefängnissen vermittelt werden sollte. Wie wurde also in den DDR-Haftanstalten mit gleichgeschlechtlicher Sexualität und nicht-normativen Verkörperungen von Geschlecht umgegangen? Dieser Frage geht der Beitrag am Beispiel des Ost-Berliner Frauengefängnisses nach.
Es ist an sich nicht ungewöhnlich, daß eine gesellschaftliche Epoche erst als solche abgegrenzt und auf einen Begriff zu bringen ist, wenn die ihr innewohnenden, bestimmenden Merkmale an Bedeutung verlieren. Damit verlieren sie zugleich ihre scheinbare Natürlichkeit, aber auch ihren ideologischen Charakter. So ist die in den letzten Jahren belebte Diskussion um den Fordismus als eine Folge der Entwicklung zu sehen, die als postfordistisch bezeichnet wird.
Nach Hobsbawm hätte sich der westliche Welfare State ohne die Existenz eines sozialistischen Gegenmodells und ohne die Bedrohung, die dieses Modell für die westlichen Mächte darstellte, niemals so umfassend entwickelt. Dies ist eine Grundannahme, die schon öfter aufgegriffen und verbreitet worden ist. Sie scheint auch deshalb berechtigt zu sein, weil mehrere Beobachter den Zusammenhang zwischen dem Ende des Kommunismus und dem Niedergang des Sozialstaats unterstrichen haben. Zwar hat man schon seit Ende der 1970er-Jahre von der Krise des Sozialstaats gesprochen, aber erst in den 1990ern wurde die zentrale Bedeutung der Sozialpolitik für die Stabilität und Prosperität der westeuropäischen Staaten infrage gestellt. International wurden Stimmen laut, die die Relevanz und Nützlichkeit einer International Labour Organization und die Legitimität von internationalen Arbeitsnormen anzweifelten. Parallel dazu wurde 1994 die World Trade Organization gegründet, die sich zum Ziel gesetzt hatte, die Liberalisierung des internationalen Handels zu fördern, was mit Deregulierung und sozialem Dumping einherging. Aber Gleichzeitigkeit heißt nicht Kausalität. Es muss daher noch untersucht werden, welche Verbindungen es zwischen den drei Punkten des Dreiecks gab: Staatssozialismus im Osten, westliche kommunistische Parteien und westliches Sozialstaatmodell.
Der untergegangene Staatssozialismus war eine Gesellschaft der Gleichen. Mit ihrer Gleichheit war es aber so eine Sache. Wie es in Orwells „Farm der Tiere“ heißt: „Alle Tiere sind gleich. Aber manche sind gleicher.“ Trotz dieses Einwandes erscheint manchem die Unterscheidung zwischen vergangener Gleichheit und heutiger Ungleichheit plausibel, weil es seit 1989/90 eine rasante soziale Ausdifferenzierung gab. Sie hat den Staatssozialismus nachträglich in ein milderes Licht getaucht. Der vorliegende Essay wird sich mit dem sozialen Wandel und der Entstehung der gegenwärtigen Ungleichheit in Osteuropa beschäftigen – die einigen als gerecht, anderen aber als ungerecht erscheint. Um genauer verstehen zu können, was die Ungleichheit für die Politik und den Alltag in diesen Gesellschaften bedeutet, soll gefragt werden: Wie stand es mit Gleichheit und Ungleichheit im Spätsozialismus? Welche Art von sozialer Ungleichheit bildete sich nach 1989 heraus, und welche Aufgaben für deren politikwissenschaftliche und zeitgeschichtliche Analyse lassen sich identifizieren?
Existierten in der Gesellschaft der DDR überhaupt Eliten? Die Antwort auf diese Frage ist umstritten. Wenn es Eliten gab, was machte sie dazu, wie agierten sie, wer gehörte zu ihnen? Andererseits, wenn sie fehlten, wer oder was befand sich an ihrer Stelle und warum? Oder gab es in der sozialen Struktur der sozialistischen Gesellschaft gar keine adäquaten Funktionen und Positionen, die sich einer Elite zuschreiben ließen? Solche Fragen verweisen auf ein kontrovers diskutiertes Thema, dem sich im Laufe der neunziger Jahre auch die zeithistorische DDR-Forschung verstärkt zuwandte. Die in diesem Sammelband vereinten Beiträge sind aus dieser Diskussion hervorgegangen.
Moskau, Anfang Februar 1974. Der Moskau-Gor’kij-Nachtzug, der die sowjetische Hauptstadt mit der 450 Kilometer weiter nordöstlich gelegenen Industriestadt verband, hatte an diesem Abend eine Schar illustrer Fahrgäste – darunter die bekannte Jazzband »Melodija« unter Georgij Garanjan, ein ganzes Symphonieorchester, bekannte Musikkritiker und zahlreiche Musikenthusiasten. Sie alle folgten dem Dirigenten Gennadij Roždestvenskij, der bereits einen Tag zuvor angereist war, um in Gor’kij (heute Nižnij Novgorod) die letzten Vorbereitungen für die Uraufführung einer Symphonie zu treffen. Ein vielversprechender Komponist mit dem Namen Alfred Schnittke (russ. Al’fred Garrievič Šnitke, 1934–1998) hatte sein erstes symphonisches Werk vorgelegt. Schon sein Abschlusswerk am Moskauer Konservatorium, das Oratorium »Nagasaki« (1958), hatte für Aufsehen und heftige Diskussionen gesorgt. Eine Vielzahl kammermusikalischer und konzertanter Werke war seitdem zur Aufführung gekommen. Die erste Symphonie eines solchen Komponisten versprach aufregende Klänge und neue Perspektiven für die künftige Musikentwicklung. Gespannt warteten die Zuhörer nach ihrer Ankunft im Konzertsaal des Kremls von Gor’kij, welche musikalischen Eindrücke sie erleben würden. Sie wurden nicht enttäuscht.
*Der Beitrag ist in gekürzter Form auch im Begleitkatalog zu der Sonderausstellung "1870/71. Reichsgründung in Versailles" der Otto-von-Bismarck-Stiftung in Friedrichsruh erschienen (Die DDR und die Reichsgründung, in: Ulrich Lappenküper/Maik Ohnezeit (Hrsg.), 1870/71. Reichsgründung in Versailles, Friedrichsruh 2021, S. 200-205).
Workers always have something to complain about - even in the ,workers’ and peasants’ states’ of state socialism. Many of the causes of worker discontent across eastern European states in the period from the late 1940s to 1990 were similar, although varying in level and intensity at different times in different areas. What differed were the ,hard‘ and ,soft‘ institutional strategies for dealing with worker discontent; the varying resources, alliances and interests of workers; and the varying forms of protest, in the light of particular historical conditions and distinctive heritages of experience and culture. A comparative approach, paying attention both to changes within the working classes and to wider social changes across time, can yield some potentially very fruitful hypotheses about patterns of worker protest in eastern European communist states.
Anhand von Kemritualen der DDR, erweitert und ergänzt um Beispiele aus der Sowjetunion, den Volksrepubliken Polen und Ungarn, aus der Tschechoslowakei und aus Albanien sollen hier strukturelle Elemente einer politischen , Rhetorik des Performativen‘ im Sozialismus der fünfziger, sechziger und siebziger Jahre bilanzierend herausgearbeitet werden. Sodann wird eine methodologische Faustskizze die kommunikationstheoretischen und kulturgeschichtlichen Implikationen einer Ritualforschung zwischen ,Botschaft' und ,Bedeutung' umreißen, um schließlich eine erste Annäherung an die Aneignungsgeschichte sozialistischer Rituale zu wagen - nicht zuletzt auch unter generationengeschichtlicher Perspektive.
Der ostdeutsche Fotograf Christian Borchert (1942–2000) verstand sich als „Chronist seiner Zeit“. Seine Serie „Familienporträts“ wurde schon vor 1989 in der DDR und in der Bundesrepublik im Kontext bildender Kunst gezeigt – trotz oder sogar wegen der sachlichen, dokumentarischen Perspektive auf die DDR-Gesellschaft. Mittlerweile ist Borchert unverrückbar in den kunsthistorischen Kanon eingegangen, und seine Bilder fehlen auf kaum einer Ausstellung zur Fotokunst in der DDR. Besonders 2009 fand anlässlich der 20-jährigen Jubiläen des Mauerfalls und der „friedlichen Revolution“ eine Fülle von Ausstellungseröffnungen zur DDR-Fotografie statt. Sozialdokumentarische Bilder konnten – als vermeintlich ideologiefreie „Wirklichkeitsbilder“ rezipiert – problemlos im Kunstkontext untergebracht und zugleich als aussagekräftige Quellen der Vergangenheit präsentiert werden. Der Interessenschwerpunkt lag dabei auf der „inoffiziellen“ Fotografie aus der DDR. Diese Tendenz hält bis heute an, und so ließ auch die 2012 eröffnete Ausstellung „Geschlossene Gesellschaft“ in der Berlinischen Galerie, wo einige der „Familienporträts“ vertreten waren, die „offiziellen Bildwelten“, den Bereich der angewandten Fotografie und der Amateurfotografie außen vor. Zwar bildete die sozialdokumentarische, erzählerische Fotografie, die sich ab den 1970er-Jahren als Autorenfotografie emanzipiert hatte, in der DDR tatsächlich den Kern der künstlerischen Fotografie, doch haben sich deren Spezifika grundlegend aus der sozialistischen Fotografieästhetik entwickelt. Dass zwischen „non-konform“ und „offiziell“ nicht klar zu trennen ist, lässt sich mit Christian Borcherts Familienbildern sehr gut belegen.
Die »Wende« als Form der Kolonisierung? Zur Genese und Aktualität eines populären Deutungsschemas
(2023)
Bei der Lektüre des 2023 erschienenen Bestsellers »Der Osten: eine westdeutsche Erfindung« von Dirk Oschmann sowie beim Nachvollzug der bisweilen heftigen Diskussionen, die dieses Buch ausgelöst hat, bekommt man unweigerlich das Gefühl, einer Orientalismus-Debatte 2.0 beizuwohnen. Zur Erinnerung: Edward Saids 1978 publiziertes Buch »Orientalism«, in dem ausgehend von primär wissenschaftlicher Wissensproduktion die koloniale Zurichtung und Erfindung des Orients beschrieben und kritisiert wird, gilt gemeinhin als einer der Gründungstexte postkolonialer Kritik. Tatsächlich lesen sich die Ausführungen des Leipziger Literaturwissenschaftlers Oschmann stellenweise so, als ob Ostdeutschland und die Ostdeutschen einem westdeutschen Zugriff quasi hilflos ausgeliefert wären. Gerade diese Zuspitzung wurde von einigen Kommentator*innen kritisiert, ähnlich wie bei der Orientalismus-Debatte im Anschluss an Said. Überhaupt fällt auf, dass Oschmann, wenngleich er sich nicht systematisch mit postkolonialer Theorie auseinandersetzt, so etwas wie eine postkoloniale Rhetorik in Anschlag bringt. Zum Beispiel heißt es an einer Stelle, »dass die Art und Weise, was und wie über ›den Osten‹ öffentlich geredet, geschrieben und gesendet wird, in Form von konstant negativen Identitätszuschreibungen und Essentialisierungen, komplett vom ›Westen‹ beherrscht und durchherrscht ist«. Zudem fällt auf, dass zwar auch der Kolonisierungsbegriff nicht systematisch zum Einsatz kommt, gleichwohl aber der Kolonialismus als historische Referenz erwähnt wird: »Dem Osten […] ›Demokratiefeindlichkeit‹ vorzuwerfen, ist nicht nur zynisch, sondern folgt obendrein einem seit Jahrhunderten eingeführten Herrschafts- und Diskursmuster, mit dem der westliche Kolonialismus verschiedener Couleur seine Hegemonie zu begründen sucht.« Ostdeutschland also als westdeutsche Kolonie? Und postkoloniale Kritik als Analyse-Tool für postsozialistische Dynamiken?
Magdeburg, 18. September 1985: Das neue Schuljahr in der DDR ist zwei Wochen alt, als eine junge Lehrerin für die Vertretungsstunde in der 9. Klasse eingeteilt wird. Ihren Englischunterricht kann sie nicht fortsetzen und so gibt sie den Schüler:innen spontan eine andere Aufgabe: „Schreibt doch mal auf, wie ihr euch das Leben im Jahr 2010 vorstellt!“ Im Gegensatz zum regulären Unterricht macht sie den Jugendlichen keinerlei Vorgaben, was der Text beinhalten soll, und wartet gespannt auf die Ergebnisse. Als sie die Aufsätze am Abend liest, überraschen die Zukunftsträume der Jugendlichen sie völlig. Die Schüler:innen träumen von offenen Grenzen, von schnellen Autos und dem Besitz eines Eigenheims. „Wenn das deine Parteisekretärin findet, dann ist deine Karriere ja ganz schnell vorbei!“[1], befürchtet sie und beschließt daher, die 23 Texte für sich zu behalten.
Über 30 Jahre später blicken wir nicht nur auf das Jahr 2010, sondern auch auf die untergegangene DDR zurück.
Weltweit ist wohl kaum eine Schützenwaffe so verbreitet und hat einen derart legendären Ruf wie „die Kalaschnikow“. Der nach seinem Konstrukteur Michail Timofejewitsch Kalaschnikow benannte Maschinenkarabiner AK-47 (Автомат Калашникова образца 47) bildete den Ausgangspunkt für eine ganze Familie automatischer Infanteriewaffen, die umgangssprachlich als „Kalaschnikow“ bezeichnet werden - seien es sowjetische Originale, Lizenzproduktionen oder illegale Nachbauten aus pakistanischen Dorfschmieden. Die Kalaschnikow ist auch rund 60 Jahre nach ihrer Einführung in die sowjetischen Streitkräfte aus dem weltweiten Gewaltgeschehen nicht wegzudenken. Mit je nach Schätzung insgesamt 50, 70 oder gar über 100 Millionen Exemplaren ist sie längst zum Synonym für Kleinwaffen geworden, mit denen Jahr für Jahr Hunderttausende Menschen getötet werden. In den im Schatten der Atombombe geführten „kleinen“ Kriegen ist die Kalaschnikow somit gleichsam zu einer kumulativen Massenvernichtungswaffe geworden. Ursächlich für ihre weite und andauernde Verbreitung war die Verbindung von einfach gehaltener Konstruktion mit einer relativ guten Schussgenauigkeit und hohen Zuverlässigkeit. Die Kalaschnikow funktioniert unter allen Gefechtsbedingungen, was sie zur bevorzugten Waffe für Kriege in der „Dritten Welt“ macht. Im vorliegenden Beitrag soll ein kurzer Überblick zur Geschichte und symbolischen Aufladung dieser Waffe gegeben werden. Auf den ersten Blick mag es befremden, eine Waffe als zeithistorische „Quelle“ vorzustellen, doch ist damit selbstverständlich keine Verherrlichung militärischer Technik und Gewalt beabsichtigt, sondern gerade ein kritischer Blick auf den militärischen, terroristischen und symbolischen Gebrauch einer Waffe, deren zeitgeschichtliche Bedeutung leider unbestreitbar ist.
Dem proklamierten Selbstverständnis der SED-Führung zufolge hatte sich die DDR als Staat und Gesellschaft von der Entstehung jeglicher fremdenfeindlich oder rassistisch begründeter Diskriminierungen grundsätzlich abgekoppelt. Der darin von der Staatspartei für sich reklamierte Anspruch auf »gesellschaftlichen Fortschritt« durch den »Kampf gegen den Imperialismus«, also gegen den ›kapitalistischen‹ Westen, war nicht nur ein ideologisches Etikett. Vielmehr war dies eines der Prinzipien, mit denen die SED ihren Herrschaftsanspruch in der DDR rechtfertigte.
Im historischen Rückblick stellen sich viele Fragen über die DDR noch einmal. Die heutigen Antworten weichen aber mitunter nicht unerheblich von früheren Antworten ab. Dies ist nicht allein auf das Auffinden neuer Daten, Fakten und Quellen zurückzuführen, sondern vielfach auch auf veränderte Denkmuster und andere theoretische Analysemodelle. Die auf dieser Grundlage mögliche Neuinterpretation betrifft unter anderem den historischen Platz, den Charakter der Produktionsweise und die Definition der Wirtschaftsordnung der DDR, darüber hinaus aber auch ihr Verhältnis zur Bundesrepublik. Hier soll der Versuch unternommen werden, die Wirtschaft der DDR im Kontext der Debatte um den Fordismus als Produktions- und Sozialmodell der westlichen Welt zu analysieren und dabei auf einige, bisher in der komparativen DDR-Forschung wenig beachtete Aspekte aufmerksam zu machen.
Die Arbeiter im Staatssozialismus als Gegenstand der zeithistorischen Forschung sind in Bulgarien nach 1989 noch nicht entdeckt worden. Aus zwei Perspektiven tasten sich bulgarische Wissenschaftler jedoch langsam an das Thema heran - somit lassen sich aus deren Publikationen in den letzten Jahren schon einige interessante Fragen und Hypothesen ableiten. In politologischen Untersuchungen zur bulgarischen Transformation nach 1989 erscheinen die Arbeiter als eine eher konforme Bevölkerungsschicht, die definitiv nicht zu den Akteuren der Wende gehörte. Unter den vielen Ursachen und Voraussetzungen für den Systemwechsel vor 15 Jahren spielte die Unzufriedenheit der Arbeiterschaft eine sehr geringe Rolle. Offene Proteste der Arbeitnehmer oder gar Arbeitsniederlegungen blieben bis in die späten achtziger Jahre eine Ausnahme.
Von ihren Lebensläufen her könnten sie kaum unterschiedlicher sein: Georg Picht, 1913 als Sohn des damals als Vordenker der „Erwachsenenbildung“ geltenden Werner Picht geboren, entschied sich früh für die akademische Laufbahn. Er studierte Philosophie und Pädagogik, arbeitete als Assistent an der Universität Freiburg und wurde 1942 zum Dr. phil. promoviert. Johannes Hörnig, Jahrgang 1921, arbeitete hingegen als Schlosser, nahm von 1940 bis 1945 als Wehrmachtssoldat am Zweiten Weltkrieg teil und erwarb erst 1952 sein Diplom in Gesellschaftswissenschaften. Während Picht dem evangelischen Milieu entstammte, engagierte sich Hörnig direkt nach dem Krieg in der SPD und dann in der SED. Praktische Erfahrungen im Bildungssektor sammelten beide in Schulen, jedoch auch hier auf unterschiedlichen Ebenen: Während Picht als Schulleiter versuchte, erste reformpädagogische Akzente zu setzen (Förderung der persönlichen Entfaltung der Lernenden durch Gemeinschaftserziehung und Mitverantwortung), war Hörnig als Grundschullehrer tätig.
Der Western im Osten. Genre, Zeitlichkeit und Authentizität im DEFA- und im Hollywood-Western
(2004)
„Die Söhne der großen Bärin“ (1966) war der erste von insgesamt 13 Westernfilmen der DEFA. Die Resonanz des DDR-Publikums war überwältigend – ähnlich wie bei den Karl-May-Verfilmungen in der Bundesrepublik. Der Anspruch der DEFA lautete, „Abenteuerfilme in historischem Gewand“ zu zeigen. Durch geschichtliche Korrektheit wollte man den Gründungsmythos der USA, der im Filmgenre des Western massenmediale Verbreitung erfahren hatte, und auch das tagespolitische Geschehen kritisch kommentieren. Bei einem Vergleich des DEFA-Films „Ulzana“ (1974) und der US-Produktion „Broken Arrow“ (1950), die beide Authentizität reklamierten, wird deutlich, wie an Konventionen von Filmgenres angeknüpft und zugleich durch eine Fiktion von historischer Realität versucht wurde, diese Konventionen zu überwinden. Der Aufsatz untersucht, ob und inwieweit die DEFA-Produktionen das Genre Western ästhetisch und inhaltlich umwandelten.
Was ist der Unterschied zwischen einem Trabi und einem Düsenjäger?
Den Düsenjäger sieht man, bevor man ihn hört. Beim Trabi ist es umgekehrt.
Autos aus der Produktion der sozialistischen Staaten gelten als überholt, schadstoffreich und besonders laut. Dies ist nicht erst eine retrospektive Sicht. Für die Besitzer solcher Autos in der Zeit der deutschen und europäischen Teilung waren sie sehr ambivalente Artefakte: Einerseits waren die Mängel offenkundig, anderseits erfuhren die Autos Wertschätzung und Zuneigung, weil der Erwerb eines Pkws nach jahrelanger Wartezeit als wichtiges Zeichen der sozialen Distinktion galt. Die Achtung gegenüber diesen Fahrzeugen war sogar derart verbreitet, dass selbst ein Kind schon anhand der Motorengeräusche erkennen konnte, ob es sich um einen Trabant oder einen Volga handelte. Ein Grund dafür ist selbstverständlich, dass es im Ostblock nur eine begrenzte Anzahl von Autoherstellern gab. Aber hauptsächlich beruhte diese Fähigkeit, Motorgeräusche voneinander zu unterscheiden, auf der persönlichen Erfahrung mit den Autos, die sehr intensiv sein konnte. Der Fokus auf die Geräusche und die Materialität dieser Fahrzeuge erlaubt es daher zum einen, manche Missstände der staatssozialistischen automobilen Gesellschaften kenntlich zu machen; zum anderen gewährt er einen tieferen Einblick in die Alltags- und Erfahrungsgeschichte der Autofahrergemeinschaften.