Wirtschaft
Die von der SED-Führung unter Einfluß der sowjetischen Hegemonialmacht seit 1952 betriebene „sozialistische Umgestaltung der Landwirtschaft der DDR“ läßt sich nicht auf die formale „Kollektivierung“ reduzieren, auch wenn deren Wirkungsmächtigkeit bis in die heutigen Transformationsprozesse hinein nachzuweisen ist. Tempo, Ausmaß und Folgen des Übergangs zur genossenschaftlichen Produktion finden weder in der historischen Entwicklung bis 1945 noch im (etwa zeitgleich einsetzenden) agrarstrukturellen Wandel in der Bundesrepublik eine Entsprechung. Das Genossenschaftsmodell war zwar bestimmendes Merkmal (Ausnahme: Polen) der jeweiligen Agrarstruktur in den Diktaturen sowjetischen Typs, aber die agrarprogrammatischen Vorstellungen griffen weiter. Sie umfaßten nicht nur Veränderungen der Organisation der Produktion, der Eigentums- und Besitzverhältnisse sowie der Sozialstruktur. Vor dem Hintergrund der Durchsetzung und Sicherung herrschaftspolitischer Interessen der SED und des anhaltenden Modemisierungsdrucks in der Landwirtschaft der DDR zielten sie auf die Konstruktion einer neuen ländlichen Gesellschaft, die bereits mit der Bodenreform 1945 eingeleitet worden war. Die gesamte Arbeits- und Lebensweise der dörflichen Bevölkerung sollte in der Perspektive auf „sozialistische Art umgestaltet“ werden.
Als 1940 "der soziale Wohnungsbau des Führers" ins Leben gerufen und als Aufgabe der Deutschen Arbeitsfront (DAF) zugewiesen wurde (Führererlaß 15.11.1949), schien damit eine drastische Wende in der Wohnungspolitik und Wohnungsproduktion eingeleitet. So fällt am Programm des neuen "sozialen Wohnungsbaus" ins Auge, daß er zu jenem Zeitpunkt ins Leben gerufen wurde, als jahrelange Kriegsvorbereitung in die Kriegsführung und Kriegswirtschaft überführt worden waren; bei angespanntester Wirtschaftslage sollten nun zwar "Kanonen statt Butter" erzeugt werden, aber eben auch das Friedensgut Wohnung. Mit dem neuen Massenwohnungsbau vollzogen die Nationalsozialisten eine Abkehr von der Förderung des privaten Wohnungsbaues und wandten sich einem staatlich geförderten gemeinnützigen Wohnungsbau zu, wie er bereits in den 20er Jahren unter anderem politischen Vorzeichen bestanden hatte. An die Stelle von Selbsthilfe und vorstädtischer Klein-Siedlung mit Eigenheim und Nebenerwerb, die 1931 am Tiefpunkt der Weltwirtschaftskrise durch die Brüningschen Notverordnungen zum neuen Ziel der Wohnungspolitik erhoben worden waren und nach 1933 auch die Anerkennung der Nationalsozialisten gefunden hatten, sollte nun eine durchrationalisierte und möglichst weitgehend auf industrielle Basis gestellte Massenproduktion von Mietwohnungen in Groß-Siedlungen treten. Im Zuge solcher "Industrialisierung des Wohnungsbaus" (Stratemann, 1941) sollten, unter Berufung auf Henry Ford, "Wohnungen wie Autos gebaut" werden. Die Wohnhäuser aber sollten heimattümelnd-herkömmlich im Sinne von "Blut und Boden" gestaltet sein. Der neue "Führerwohnungsbau" (Wagner, H., 1941: 152) wurde während des Krieges in kleiner Serie mit dem Ziel erprobt, ihn nach dem erhofften schnellen Endsieg in jährliche Großserien von 600 000 Wohnungen umzusetzen.
Der Tonfall war alarmistisch. »Der Staat«, so proklamierte der sozialdemokratische Politiker Erhard Eppler, »der von seinen Bürgerinnen und Bürgern erwartet, daß sie sich ihre Sicherheit am Markt kaufen, wohl wissend, daß nur wenige dies können« verdiene »seinen Namen nicht« mehr. Es schien Eppler die »verdammte Pflicht und Schuldigkeit des Staates« zu sein, das »Grundbedürfnis aller Menschen, nicht dauernd in Angst zu leben« zu erfüllen; man müsse daher zwingend darauf bestehen, »daß die Polizei in [einem] Arbeiterwohnviertel genauso patroulliert [sic] wie im vornehmeren, daß ein Einbrecher hier genauso viel riskiert wie dort, daß es keine Viertel« gebe, »wo die Polizei sich allenfalls bei Tage, und dann nur in Rudeln, blicken läßt und andere, wo sie zugunsten privater Dienste abgedankt« habe. Im Jahr 2002 veröffentlichte der Parteilinke seine Streitschrift »Vom Gewaltmonopol zum Gewaltmarkt?«, in der er gegen eine zunehmende Erosion staatlicher Kernkompetenzen anschrieb, die gegenwärtig vor allem aus ökonomischen Motiven grundsätzlich zur Disposition gestellt würden. Insbesondere »Privatisierung und Kommerzialisierung« bzw. eine rasch voranschreitende »Ökonomisierung« erschienen Eppler als existenzielle Bedrohungen des modernen Staates und seines fundamentalen Daseinszweckes, der Sicherheitsgewährung für seine Bürger durch das staatliche Gewaltmonopol. Durch die »Kommerzialisierung der inneren Sicherheit« werde diese zu einer »Ware am Markt« oder gar einem »Luxusgut«.
Die Gesellschaftspolitik der KPD/SED richtete sich sofort nach dem Zusammenbruch des nationalsozialistischen Regimes in direkter Abhängigkeit von den Zielen sowjetischer Deutschland- und Besatzungspolitik auf eine Entmachtung der alten Eliten in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. Neben umfassenden Demontage-, Beschlagnahme- und Enteignungsmaßnahmen in der gewerblichen Wirtschaft, mit denen allen größeren Industrieunternehmern die Basis ihres wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Einflusses entzogen wurde, gehörte eine radikale landwirtschaftliche Bodenreform zu den wohl wichtigsten Ansatzpunkten zur Beschleunigung der durch den Krieg selbst bereits eingeleiteten Umwälzung des gesellschaftlichen Gefüges.
Die Regularien der Austragung von Arbeitskämpfen, die in der tschechoslowakischen Republik zwischen 1918 und 1938 institutionalisiert und kodifiziert wurden, sind bereits vor der kommunistischen Machtübernahme (Februar 1948) so weit ausgehöhlt worden, daß die Errichtung des Machtmonopols der Kommunistischen Partei der Tschechoslowakei (KPTsch) unter diesem Gesichtspunkt nicht als qualitative Zäsur betrachtet werden kann. Ausschlaggebend für die Erosion der rechtlichen, organisatorischen und politisch-sozialen Grundlagen von Arbeitskämpfen war das machtpolitische Konfliktszenarium der formal demokratisch verfaßten Nachkriegsrepublik (1945-1948), d. h. die oft dargestellten Auseinandersetzungen zwischen der KPTsch und den anderen Parteien der Nationalen Front, in deren Verlauf die legitime Verfolgung von Gruppeninteressen und das freie Ausschwingen sozialer Konflikte in beiden politischen Lagern rigoros parteipolitischem Kalkül untergeordnet wurden. Unser Thema ist dafür ein besonders anschauliches Beispiel. Die Parteien rechts von Kommunisten und Sozialdemokraten forderten einen restriktiven Umgang mit Arbeitskämpfen, um dem sozialen Radikalismus und der politischen Mobilisierung der Industriearbeiterschaft, die in der Masse zur Klientel der KPTsch gehörte, das Wasser abgraben zu können. Auf der Gegenseite akzeptierte und unterstützte das linke Machtkartell, das die kommunistische Partei und die im Mai 1945 als Einheitsgewerkschaft gegründete Revolutionäre Gewerkschaftsbewegung (ROH) bildeten, industrielle Konflikte nur insoweit, als diese mit seinen klassenpolitischen Zielsetzungen und dem - wenn auch zunächst vage formulierten - volksdemokratischen Konzept vereinbar erschienen. Das verdeutlichen in erster Linie die von den beiden Organisationen teils selbst organisierten, teils nachträglich in Regie genommenen politischen Streiks für die Verstaatlichung von Industriebetrieben oder gegen die Restitution industrieller Konfiskatę in privates Eigentum.
Welcher Fordismus eigentlich? Eine einleitende Warnung vor dem leichtfertigen Gebrauch des Begriffs
(1995)
Als Henry Ford 1913 in seinem Automobilwerk das Fließband einführte, erregte dies allgemeine Aufmerksamkeit. Das Fließband war indes nur Teil eines neuen Strukturprinzips großindustrieller Unternehmensführung im Sektor der Verbrauchsgüter-Produktion. Fords Glaubenssatz von 1928 umriß das neue Prinzip: "Stellt eine Ware so gut und so billig her, wie es möglich ist, und zahlt so hohe Löhne, daß der Arbeiter das, was er erzeugt, auch selbst zu kaufen vermag; schaltet jede Verschwendung aus und spart vor allem das kostbarste Gut, die Zeit; laßt alle Arbeiten, die eine Maschine verrichten kann, von Maschinen verrichten, da Menschenkraft zu wertvoll ist; erschließt immer neue Kraftquellen - und ihr müßt prosperieren”.
Wer sich heute über die Veränderung moderner Arbeit Gedanken macht, kommt an neuen Informations- und Kommunikationstechnologien (I&K-Technologien) nicht vorbei. Ohne entsprechende Lösungen der Informationtechnologie (IT) sind aktuelle – und prominent diskutierte – Entwicklungen wie Cloud Working und Crowd Sourcing, permanente Erreichbarkeit und die damit verbundene Un-Kultur permanenter Verfügbarkeit in vielen Unternehmen ebenso wenig denkbar wie die Öffnung von Organisationsstrukturen durch den Einsatz von Social Media. Auch die häufig thematisierte Ökonomisierung der Binnenstrukturen und die verstärkte Shareholder Value-Orientierung in der Unternehmenssteuerung basieren wesentlich auf dem Einsatz von computergestützten Systemen des Enterprise-Resource-Planning. Nicht zuletzt spielen I&K-Technologien bei der Etablierung neuer Produktions- und Geschäftsmodelle sowie neuer Formen der Arbeitsorganisation eine wichtige Rolle und werden damit zum Ausgangspunkt von Veränderungen in der Arbeitswelt.
Der Sozialismus sollte ein Gegenentwurf zum Kapitalismus sein. Dessen immanente Schwächen und seinen daraus vermeintlich zwangsläufig resultierenden Zusammenbruch hatte Karl Marx in seinen Schriften eingehend dargelegt. Seine Epigonen gingen davon aus, daß es reiche, die grundlegenden Konstellationen des Kapitalismus zu beseitigen, um damit eine dauerhaft krisenfreie Entwicklung der Gesellschaft zu gewährleisten. Diese Zuversicht beruhte darauf, daß der Mensch in der Lage sei, sein Schicksal in die eigenen Hände zu nehmen und Gesellschaft nach rationalen Kriterien zu planen und zu gestalten - oder wie es bei Marx hieß „Geschichte [zu] machen“.
Vernetzte Bankenwelt. Computerisierung in der Kreditwirtschaft der Bundesrepublik und der DDR
(2018)
Der in der neueren historischen Forschung gern benutzte Terminus "Modernisierung" mag insofern von Nutzen sein, als sich mit seiner Hilfe recht gut der Frage nachgehen läßt, inwieweit Kontinuitäten vom "Dritten Reich" zur Bundesrepublik bestanden und in welcher Hinsicht während der Zeit der NS-Herrschaft Entwicklungen angebahnt wurden, die erst nach 1945 zum Durchbruch kamen. Falsch wäre es allerdings, den Blick ausschließlich auf die Zeit ab 1933 zu verengen: Alle entscheidenden Elemente dessen, was für die Zeit des "Dritten Reiches" als "Modernisierung" der Industriearbeit bezeichnet werden kann, hatte sich bereits in der Weimarer Republik, seit Beginn der "goldenen zwanziger Jahre" (ab 1924/25) herausgebildet.
Die Wirtschaftspolitik in der frühen Bundesrepublik Deutschland stand, ebenso wie in der letzten Phase der Besatzungszeit, ganz im Zeichen der Etablierung eines neuen ordnungspolitischen Konzepts: der Sozialen Marktwirtschaft. Diese basierte theoretisch auf dem Prinzip, daß Angebot und Nachfrage ohne politische Einflußnahme durch am Wettbewerbsmarkt gebildete Preise koordiniert werden sollten. Die Rolle des Staates blieb auf die Garantie der rechtlichen Rahmenbedingungen des Wettbewerbs und sozialer Mindeststandards beschränkt. Da das Konzept der Sozialen Marktwirtschaft nur „teilweise konsequent“ umgesetzt wurde, entstand jedoch ein relativ großer politischer Handlungsspielraum für die Regulierung bestimmter Wirtschaftsbereiche oder einzelner Waren bzw. Dienstleistungen und damit auch für eine eigentlich konzeptwidrige staatliche Preispolitik.
Gegenstand dieses Beitrages ist der betriebliche Alltag einer mittelständischen Tuchfabrik in Guben und der dort unter den Bedingungen der NS-Kriegswirtschaft und des Zweiten Weltkrieges Beschäftigten. Versucht wird eine Rekonstruktion alltäglicher Situationen von deutschen Arbeiterinnen und Arbeitern, ab 1943 auch von ausländischen Arbeitskräften, aber auch des Unternehmens selbst. Die Untersuchung fußt fast ausschließlich auf Quellenmaterial des Betriebsarchives der Firma C. Lehmann’s Wwe. & Sohn, Tuchfabrik Guben. Neue Perspektiven für die Sicht von Lebenssituationen im Dritten Reich haben sich zwar aus diesem Aktenmaterial nicht ergeben, doch fügen sich einige Facetten ein in das Gesamtbild vom Leben unter der nationalsozialistischen Diktatur.
Die geschichts- und politikwissenschaftliche wie auch die soziologische Diskussion zur typologischen Bestimmung des SED-Regimes hat dessen diktatorischen Charakter deutlicher und zugleich differenzierter hervortreten lassen. Eher am Rande wurde dabei nach technokratischen Komponenten im sozialistischen Herrschaftssystem gefragt, wenngleich die einschlägige Literatur eine ganze Reihe von Hinweisen auf ein Technokratieproblem in der DDR enthält. Im allgemeinen scheint Technokratie aber als ein peripheres Phänomen wahrgenommen worden zu sein. Indes spricht manches für die Relevanz technokratischer Einflüsse in der Geschichte der DDR. Im Aufstieg und Niedergang der Macht- und Funktionseliten sind technokratische Szenarien zu erkennen, deren zentraler Bezugspunkt in der Zentralverwaltungswirtschaft lag. Doch strahlten die Wirkungen technokratischen Handelns offenbar weit in andere Bereiche des täglichen Lebens aus. Um zu erfahren, auf welche Weise und warum sich technokratische Potentiale anreicherten und wie sie wirkten, ist es nötig, die historischen Bedingungen für Technokratie in der DDR zu bestimmen. Das setzt voraus, die technokratischen Spielräume der SED-Diktatur auszuleuchten, den Umgang der Macht- und Funktionseliten mit technokratischen Konzepten und Praktiken aus den Quellen zu rekonstruieren und den spezifischen Phänotyp des Technokraten in der Gesellschaft der DDR zu lokalisieren.
In der Diskussion über die Kontinuität von Gesellschaftsstrukturen, die aus der ersten Jahrhunderthälfte in die beiden deutschen Staaten hineinragen und diese, wenn auch in unterschiedlichem Ausmaß, prägten, hat die Frage nach den DDR-Eliten jüngst an Gewicht gewonnen. Standen zuvor ausschließlich die unter dem Blickwinkel einer retrospektiven Aufarbeitung des Nationalsozialismus problematisierten Kontinuitätslinien der Eliten in Westdeutschland im Mittelpunkt eines langsam gewachsenen zeitgeschichtlichen Interesses, kann seit 1990 auf ungleich besserer Quellengrundlage gefragt werden, wie es damit in der DDR bestellt war. In der westdeutschen Historiographie bestand schon länger ein Konsens darüber, daß es hier - anders als in der frühen Bundesrepublik - einen vollständigen Bruch für die maßgeblichen Karrieren in der Verwaltung, nicht jedoch in der Wirtschaft gegeben hat. Aber trotz aller Unterschiede gab es auch Parallelentwicklungen. Zu stark ähnelten sich die personellen Ausgangsbedingungen, als daß anzunehmen wäre, die in der Bundesrepublik anzutreffende Kontinuität in den Basisstrukturen der öffentlichen Verwaltung und in der Wirtschaft hätte keine Entsprechung auf östlicher Seite gefunden.
In der DDR nahmen Recht, Markt und Geld im wirtschaftlichen Austausch und im Prozess der sozialen Interaktion nur einen geringen Stellenwert ein. Die - im Vergleich zu westlich-kapitalistischen Gesellschaften - geringe Geltungskraft dieser „differenzierten Rationalitäts-kriterien“ wirkte sich nicht nur auf die Ausübung der politischen Herrschaft und die Ent-scheidungsprozesse aus, sondern auch auf die Allokation ökonomischer Ressourcen und die Ausprägung gesellschaftlicher Ungleichheit. So waren der Zugang zu Verbrauchsgütem - vor allem zu den begehrten Konsumgütem -, die damit verbundenen sozialen Differenzen und kulturellen Distinktionen in der Gesellschaft der DDR weitgehend nicht monetär bestimmt.
Langfristige Ursprünge und dauerhafte Auswirkungen. Zur historischen Einordnung der siebziger Jahre
(2008)
Wohl keines der Jahrzehnte nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs war derart stark von widerstreitenden Entwicklungen gekennzeichnet wie die siebziger Jahre. Sprach man nach dem Krieg in Deutschland von Stunde Null und Neubeginn, in den fünfziger Jahren dann von Wiederaufbau, in den Sechzigern von Reform und Emanzipation, so löste sich im Verlauf der siebziger Jahre die scheinbare Eindeutigkeit der Zuordnungen auf. Politikwissenschaftler und Historiker nahmen alsbald Zuflucht zum inhaltsleeren Begriff der Krise, als hätte es Krisen zuvor nicht gegeben und als sei man in der Lage, exakt bestimmen zu können, was eine »Krise« denn konkret ausmache.
Für das Niederlausitzer Industriegebiet war bis in die 1960er Jahre eine spezifische Gruppe von Arbeitern bäuerlicher Herkunft mit weiter bestehender Verbindung zur Landwirtschaft - die Nebenerwerbsbauern - ebenso typisch wie zu Industriedörfern expandierende Landgemeinden. Ein zunächst zeitweiliger Nebenerwerb zur kleinen Landwirtschaft sicherte in der überwiegend kleinbäuerlich geprägten Region mit zum großen Teil geringwertigen Böden und niedrigen Erträgen die Existenzgrundlage vieler oftmals sorbischer Familien. Der selbst angebaute Flachs wurde im Winter in Heimarbeit zu Leinen gewebt bzw. ein dörfliches Handwerk betrieben. In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts begann sich die ländliche Sozialstruktur der Niederlausitz grundsätzlich zu verändern. Ursache war zum einen die Agrargesetzgebung, die zur Ablösung der Feudallasten gegen Geld und zu Landabgaben an die Gutsherrschaft während der Separation führte. Zum anderen beschleunigte das Eindringen des Kapitalismus in die Landwirtschaft besonders über den zunehmenden Konkurrenzdruck eine soziale Differenzierung der Bauernschaft. Immer mehr vormals selbständige Kleinbauern waren nunmehr gezwungen, ständig eine Lohnarbeit auszuüben. Ihnen boten der mit dem Siegeszug der Dampfmaschine sich schnell ausweitende Braunkohlenbergbau sowie die Tuchfabriken in Cottbus, Spremberg und Forst eine meist minderbezahlte Arbeit. Hauptberuflich nicht mehr in der Landwirtschaft tätig, hielten die Nebenerwerbsbauern an ihrem wenigen Grand und Boden weiterhin zäh fest, ergänzten seine Produkte doch ihren geringen Lohn und boten eine Rückversicherung für schlechte Zeiten.
In den 1970er-Jahren endete des bundesdeutschen Wirtschaftswunder. Mit den konjunkturellen - und aus heutiger Sicht vergle1chswe1se harmlosen - Krisen von 1966/67 und 1973/74, mit der Aufkündigung des Bretton-Wood-Abkommens 1971, mit dem Ölpreisschocks von 1973/74 und 1979/80, mit der Billigkonkurrenz der fernöstlichen Tigerstaaten und mit den sich am Horizont bereits abzeichnenden fundamentalen Wandlungen von Wirtschaft und Gesellschaft durch Mikroelektronik und moderne Informationstechnologien, für die sich die Bezeichnung »dritte industrielle Revolution« eingebürgert hat, kündigte sich eine anhaltende industrielle Strukturkrise an, die sich derzeit zu einer Fundamentalkrise des globalen Kapitalismus auswächst. Die fordistische Suggestion eines fortwährend boomenden Kapitalismus ohne echte Krise und ebenso die Hoffnung auf eine dauerhafte Voll- oder gar Überbeschäftigung entpuppten sich als Illusion. Stattdessen wurde nun die »Krise des Fordismus« debattiert - und oft sehr Unterschiedliches darunter gefasst. Spätestens in den 1980er-Jahren machte die Formel vom »Ende des Fordismus« die Runde. »Krise« und »Ende« sind jedoch nur die eine Seite der Medaille. Gleichzeitig blieb die Bundesrepublik Deutschland zumindest die erste Hälfte der 1970er-Jahre aber auch von einer bis dahin ungekannten gesellschaftlichen Aufbruchstimmung und Reformeuphorie gekennzeichnet, die etwa Mitte der 1960er-Jahre eingesetzt hatte. Sie zeigte ebenfalls nachhaltige Wirkungen und wird nicht selten durch die von Zeithistorikern unlängst geprägte, deprimiert-ratlose Formel »Nach dem Boom« verdeckt beziehungsweise verniedlicht.
Es ist an sich nicht ungewöhnlich, daß eine gesellschaftliche Epoche erst als solche abgegrenzt und auf einen Begriff zu bringen ist, wenn die ihr innewohnenden, bestimmenden Merkmale an Bedeutung verlieren. Damit verlieren sie zugleich ihre scheinbare Natürlichkeit, aber auch ihren ideologischen Charakter. So ist die in den letzten Jahren belebte Diskussion um den Fordismus als eine Folge der Entwicklung zu sehen, die als postfordistisch bezeichnet wird.
Der Entwicklung der Einkommen in den Ostblockländem lag ein Widerspruch zwischen den ideologischen und legitimatorischen Grundlagen des ihnen eigenen staatssozialistischen Systems auf der einen und den wirtschaftlichen Erfordernissen auf der anderen Seite zugrunde. Die in diesen Staaten herrschenden kommunistischen Parteien vertraten den Anspruch, die sozialistische Utopie von materieller Gleichheit und Gerechtigkeit verwirklichen zu können. Jedoch wurde diese Idee von den Führungen jener Parteien auch instrumentalisiert, um ihre Macht zu legitimieren. Vor dem Hintergrund der Weltwirtschaftskrise der Zwischenkriegszeit faszinierte an dieser Vision besonders die Annahme, auf der Basis gesellschaftlichen Eigentums und gesamtwirtschaftlicher Planung Vollbeschäftigung garantieren zu können. Die Beseitigung der Arbeitslosigkeit wurde für den Staatssozialismus zu einem wesentlichen Wirtschafts- und gesellschaftspolitischen Ziel und damit zu einer weiteren legitimatorischen Grundlage. Auf dem sozialisierten Eigentum an den Produktionsmitteln beruhte auch die Vorstellung, daß die Arbeitskraft - im Unterschied zum Kapitalismus, für den das Marx herausgearbeitet hatte - ihren Warencharakter verlieren werde. Da alle Gesellschaftsmitglieder Eigentümer der Produktionsmittel seien, müßten sie ihre Arbeitskraft nicht mehr an die Besitzer der Produktionsmittel verkaufen, um ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Der damit letztlich zu verwirklichende Gleichheitsanspruch war jedoch nicht absolut, sondern stand latent im Widerspruch zu dem Erfordernis, auch in diesem als Alternative zur liberalen Wettbewerbswirtschaft gedachten System Wirtschaftswachstum inklusive Produktivitätssteigerung zu gewährleisten.
Die Frage, wie es vom „Einholen wollen“ der Ära Ulbricht zum - letztlich gescheiterten - „Aufholen müssen“ unter Honecker/Mittag kam, ist die Frage nach der Fähigkeit der DDR-Planwirtschaft, mit technischen Neuerungen umzugehen, Industrieinnovationen zu ermöglichen. Die offensichtlich unzureichende Innovationsfähigkeit der DDR-Planwirtschaft ist zweifellos eine der zentralen Ursachen dafür, daß die DDR im Wettbewerb mit der Bundesrepublik Deutschland unterlag. Der folgende Aufsatz, Zwischenergebnis eines größeren Projektes am FSP Zeithistorische Studien, versucht, sich dem komplexen Problem der Ursachen für die Innovationsschwäche der DDR am Beispiel der seit den 1960er Jahren in allen entwickelten Industrieländern auf der Tagesordnung stehenden Modernisierung des Werkzeugmaschinenbaus durch Innovationen auf dem Gebiet numerischer Steuerungen zu nähern. Dabei wird - mit Spur - davon ausgegangen, daß die damit ermöglichte flexible Automatisierung eines der zentralen Probleme der Bewältigung der wissenschaftlich-technischen Revolution in den 1960er bis 1980er Jahren war und die Ausstattung der Werkzeugmaschinen mit mikroelektronischen Steuerungen ein mehr als eine Branche betreffender innovativer Vorgang darstellte.
Zunächst ein Beispiel, an dem sich die Ausgangssituation industriebetrieblichen Ordnungsdenkens und social engineerings vergegenwärtigen lässt: Es geht um einen Besuch Willy Hellpachs im Daimler-Werk in Stuttgart/Untertürkheim. Hellpach besichtigte Daimler auf Einladung Eugen Rosenstock-Huessys, zu dieser Zeit Redakteur der »Daimler Werkzeitung«, um den sozialpsychologischen Folgen und Wirkungsgrenzen von Betriebsreformen im Allgemeinen und der Gruppenfabrikation im Besonderen auf die Spur zu kommen.
Seit dem Beginn der empirischen, aktengestützten NS-Forschung in Deutschland sind sechs Jahrzehnte vergangen. Das ist ein Zeitraum, der nicht nur arithmetisch zwei Generationen umspannt, denn mit ein bisschen Generosität und, zugegeben, ein wenig Bereitschaft zur Vereinfachung lässt sich behaupten, dass es vor allem zwei Generationen gewesen sind, die den Kurs der Geschichtsschreibung über das »Dritte Reich« in diesen zweimal 30 Jahren bestimmt haben, und zwar in zeitweise ziemlich kontroverser Debatte: nämlich einerseits die vormaligen Flakhelfer und jungen Frontsoldaten und andererseits die dann schon bald so genannten Achtundsechziger.
Wirtschaftskammem sind öffentlich-rechtlich verfasste Einrichtungen zur wirtschaftlichen Selbstverwaltung und gelten als typisch für korporative Marktwirtschaften, wie sie das Deutsche Kaiserreich und die Weimarer Republik kannte und auch die Bundesrepublik noch immer kennt. In einer korporativen Marktwirtschaft dienen Wirtschaftskammem - hierin den freien Berufs-, Fach- und Unternehmerverbänden recht ähnlich - in erster Linie der Selbstverwaltung, Interessenvertretung und Repräsentanz des gewerblichen Mittelstandes, nehmen darüber hinaus aber auch gewisse staatliche Aufsichts- und Kontrollaufgaben gegenüber ihren Mitgliedern wahr. Vor diesem Hintergrund ist es auf den ersten Blick etwas erstaunlich festzustellen, dass Wirtschaftskammem auch in der Planwirtschaft der DDR existierten. Stehen zentraladministrative Planwirtschaft und wirtschaftliche Selbstverwal-tung nicht in einem grundsätzlichen Widerspruch zueinander? Was war die raison d’etre der Wirtschaftskammem in der DDR? Stellten sie lediglich Übergangserscheinungen dar, die nur deshalb toleriert wurden, weil sie sich bei der Bewältigung der wirtschaftlichen Probleme der unmittelbaren Nachkriegszeit als nützlich erwiesen und die öffentliche Verwaltung ohne ihre Unterstützung hoffnungslos überfordert gewesen wäre? Verloren sie angesichts der immer stärkeren Verdrängung der Privatwirtschaft im Zuge des „Aufbaus des Sozialis-mus“ ihre Existenzberechtigung? Oder bewirkte die sich verschärfende Systemkonkurrenz des Kalten Krieges einen spezifischen Wandel ihrer Funktionen, so dass sie - vielleicht gerade weil sie eigentlich „systemfremde“ Institutionen waren, die zur politischen Kommunikation mit dem konkurrierenden westlichen System gebraucht wurden - dauerhaft bestehen konnten?
Die Entwicklung der digitalen Telefonie (1960–1985). Die Kosten soziotechnischer Flexibilisierungen
(2017)
Westliche Wachstumgsgesellschaften haben im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts einen tiefgreifenden Wandel erfahren. Die Veränderungen waren so grundlegend, dass es fast ununmgänglich wurde, dafür eine eigenständige kollektive Umbruchsymbolik zu entwickeln: Ein paar wenige Jahreszahlen und Ereignisse – 1968, 1973/74, 1989/90 – wurden so arrangiert, dass sie das Wichtigste benennbar machten. Der Erinnerungshaushalt konnte damit insofern besser verwaltet werden, als die historische Erzählung ganz selbstverständlich auf bekannte und allen verfügbare Meilensteine zurückgreifen vermochte. Dieselben Meilensteine stabilisieren auch heute noch den Umgang mit unserer Vergangenheit – bis zu dem Masse, in welchem sie gerade den gesellschaftlichen Wandel nicht mehr erklären können, weil die großen Ereignisse fälschlicherweise zu Gründen der gesellschaftlichen Entwicklung gerechnet werden, obwohl sie als Ereignisse vielmehr Effekte des zu erklärenden Wandels gewesen sind.
Am 20. Juni 1949 mussten die Außenminister der Hauptsiegermächte des Zweiten Weltkrieges im Abschlusskommunique ihrer sechsten Konferenz über Deutschland eingestehen, dass die politische und wirtschaftliche Einheit nicht wiederhergestellt werden konnte. Genau ein Vierteljahr zuvor, am 20. März 1949, hatten die drei für die Berliner Westsektoren verantwortlichen westlichen Militärregierungen die seit Juni 1948 in den Westzonen gültige DM der Bank Deutscher Länder (BDL), die Westmark, mit der Währungsergänzungsverordnung (WEVO) zum alleinigen Zahlungsmittel für den Westteil der ehemaligen Reichshauptstadt erklärt. So wurde der unzulängliche Vier-Mächte-,,Halb'Kompromiss beseitigt, der im Zuge der separaten Währungsreformen in den Westzonen sowie der SBZ am 24. Juni 1948 in der Form eines provisorischen Berliner Währungsdualismus entstanden war. Dadurch wurde zugleich die wirtschaftliche Spaltung Berlins zementiert. Die Entscheidung hierzu war vorangetrieben worden durch gemeinsame Initiativen der westsektoralen Wirtschaft und Politik, vor allem maßgeblicher Vertreter des West-Berliner Magistrats wie Emst Reuter und Gustav Klingelhöfer, die unter dem Druck der sowjetischen Blockade standen.
Der Erste Weltkrieg markierte in der Entwicklung des Frauenbildes, der Frauenrolle und des Frauenalltags einen tiefen Bruch, der ganz wesentlich gekennzeichnet ist durch den Einzug der Wissenschaft ins Private. Ebenso wie Technik und Wissenschaft während der Industriellen Revolution die Wirtschaft radikal umgestaltet haben, so haben sie auch die Welt der Hausarbeit und damit den Hausfrauenalltag revolutioniert – nicht parallel zur Industrialisierung, sondern in ihren Anfängen erst mehr als ein halbes Jahrhundert später, vor allem in den Jahren von Weimar. Gleichwohl blieb auch damals für den Großteil der Hausfrauen – vor allem für die Landfrauen – das meiste zunächst noch Programm. Erst seit Beginn der 1960er Jahre konnten sie von dem profitieren, was damals erdacht und projektiert worden ist.
In der zeithistorischen Wissenschaft wird schon seit geraumer Zeit darüber diskutiert, welche Bedeutung und Eigenart den 1970er-Jahren im Verlauf der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zuzuschreiben seien. Frühe Überlegungen über den Charakter der Zeit als »rotes Jahrzehnt«, als »sozialdemokratisches Jahrzehnt« oder vielleicht doch schon als Inkubationsphase des erneuerten konservativen Trends nach1980 bewegten sich auf dem vertrauten Pfad der Zeitgeschichte seit 1945, die Jahrzehnt um Jahrzehnt seit den 1950er-Jahren durchmusterte und darauf konzentriert war, die Entwicklung der Nachkriegszeit als Fortschritts- und Wohlstandsgeschichte mitzuvollziehen.
„Es darf kein Gebiet der Landwirtschaft geben, das die Volkspolizei nicht kennt.“ Mit dieser Forderung begann ein Mitarbeiter der Hauptverwaltung Deutsche Volkspolizei im September 1952 einen Artikel in der Zeitschrift Die Volkspolizei. Ähnliche Forderungen finden sich in zahlreichen anderen Artikeln der polizeilichen Fachpresse der fünfziger Jahre. Als ein Sicherheitsorgan der „Arbeiter-und-Bauem-Macht“ hatte auch die Deutsche Volkspolizei (DVP) ihren Beitrag zur „sozialistischen Umgestaltung der Landwirtschaft“ zu leisten. Für dessen Untersuchung ist zunächst von folgenden Voraussetzungen auszugehen.
Wie alle gesellschaftlichen Bereiche der DDR wurde auch die Landwirtschaft wesentlich vom Wirken der jeweiligen Verantwortungsträger gestaltet. Für den Bereich der staatlichen Landwirtschaftsbetriebe, die seit den sechziger Jahren sieben Prozent der landwirtschaftlichen Nutzfläche (LN) der DDR bewirtschafteten, waren das die Leiter der Volkseigenen Güter (VEG). Neben den LPG-Vorsitzenden bildeten die VEG-Direktoren die wichtigsten Entscheidungsträger auf dem Gebiet der Landwirtschaft. In den siebziger Jahren wurde dieser Kreis um die Leiter der in einer Kooperation zusammenarbeitenden Betriebe - Kreisbetriebe für Landtechnik, Agrochemische Zentren, Verarbeitungsbetriebe u. a. - ergänzt. Wie das industrielle Führungspersonal zählten VEG-Direktoren zum unteren Bereich des staatlichen Apparatesystems, der Zugang zu den politischen Entscheidungszentren war ihnen verwehrt. Ihre potentielle „Macht“ ergab sich aus der ernährungssichernden Funktion der VEG. Es wundert daher nicht, daß die SED auf die Auswahl der Direktoren so früh wie möglich Einfluß nahm. Mit dem Ziel, der Partei eng verbundene und gleichzeitig qualifizierte Fachleute einzusetzen, erfolgte bis Mitte der sechziger Jahre ein umfassender Wechsel an der Spitze der VEG. Bisher Benachteiligte erhielten unter Brechung des Bildungsmonopols Aufstiegschancen, die sie zu nutzen wußten. Für ihre weitere berufliche Entwicklung waren vor allem ökonomische Probleme der Güter entscheidend, auf die daher in der Arbeit Bezug genommen wird.
Die Problematik, die mit dem Alltagsleben in den Betrieben und mit der Sozialgeschichte der Arbeitermilieus verbunden ist, stellt keine Spezialität der polnischen Historiographie dar. Aber ähnlich wie anderswo wurden die Forschungen zu den Anpassungsstrategien oder auch zu ambivalenten und konformistischen Haltungen gegenüber dem Regime, die für die Erforschung des Alltags so wichtig sind, durch Arbeiten dominiert, die dem Widerstand und der politischen Opposition gegen die Macht gewidmet waren. Doch treten die Publikationen aus dem Grenzbereich von Wirtschafts- und Sozialgeschichte langsam heraus aus dem Schatten der Vielzahl von Büchern über das Martyrium der Soldaten des bewaffneten und politischen Untergrunds der vierziger Jahre, über die Repressalien gegen die katholische Kirche, über die politischen Gefangenen oder die spektakulären gesellschaftlichen Aufstände. Wenig vorangekommen sind die Forschungen, die zeitlich über die Epoche des Stalinismus hinausreichen. Teilweise wird das durch die zeitgenössische soziologische Literatur kompensiert, die eine ziemlich glaubwürdige Informationsquelle zur Realität in der Volksrepublik Polen (VRP) darstellt. Aus allen erwähnten Gründen sind die Sozialhistoriker, die sich in Polen mit dieser Epoche beschäftigen, auf ihren Gebieten Pioniere oder schreiten auf kaum gebahnten Wegen.
Im vorliegenden Artikel wird eine Entwicklung des Konfliktverhaltens von Beschäftigten in den Betrieben der DDR beschrieben, das in den fünfziger Jahren noch deutliche Bezüge einer traditionellen Arbeiterbewegungskultur aufwies, jedoch zunehmend einen individualisierten und privatisierten Charakter annehmen sollte. Die Tradition eines in Gewerkschaften oder Parteien organisierten Arbeiterwiderstandes war in Deutschland bereits 1933 durch das NS-Regime gewaltsam unterbrochen worden und konnte, von einer kurzen Nachkriegszeit abgesehen, in der DDR nicht wieder aufleben. Das diktatorische System hatte die Eigenständigkeit sämtlicher Arbeiterorganisationen, darunter die der Gewerkschaften, bald unterbunden und sie zum Bestandteil seines Herrschaftsapparates gemacht. Die organisierte Arbeiterbewegung war in der DDR eine „verstaatlichte“, sie hatte damit ihren Charakter als autonome Bewegung der abhängig Beschäftigten verloren. Auch die noch bis in die sechziger Jahre häufiger praktizierten individuellen betrieblichen Konfliktaustragungen und die weit weniger verbreiteten kollektiven Widerstände wie Streiks oder Protestversammlungen waren kaum noch mit dezidiert politischen Forderungen verbunden und mit ihren ökonomischen Zielstellungen auf die Verbesserung der Situation meist kleiner Belegschaftsgruppen gerichtet. „Arbeitsniederlegungen“ hatten am Ende der siebziger und in den achtziger Jahren an Zahl und Menge der Beteiligten keine gesellschaftliche Relevanz. Die DDR-Arbei- terschaft war atomisiert, in die Betriebe war nun „Friedhofsruhe“ eingezogen.
Die 1970er Jahre werden in der deutschen Zeitgeschichtsschreibung zumeist als Bruch- und/oder Transformationsphase wahrgenommen. Vom Ende der Zuversicht ist die Rede, von der großen Ernüchterung, vom Ende einer Art goldenem Zeitalter, den Trente Glorieuses des Wiederauf baus nach 1945. Das ist, alles in allem genommen, nicht falsch, lief doch spätestens in den 1970er Jahren die Phase der Nachkriegsrekonstruktion in Westeuropa aus. Auch gerieten zahl reiche der Institutionen der Nachkriegszeit aus einer Vielzahl von Gründen unter Änderungs- oder Anpassungsdruck. Das gilt für die Währungsordnung ebenso wie für die abgeschottete Welt der Kapital- und Finanzmärkte, von denen zumindest in einem internationalen Sinn zuvor im strengen Sinne nicht die Rede sein konnte. Überdies lief eine technische Ära langsam aus, die zumindest vordergründig das Bild der Zeit des Wirtschaftswunders maßgeblich geprägt hatte: Das fordistische Zeitalter kam an sein Ende und eröffnete damit zugleich eine Phase des intensiven Strukturwandels, in dem die alte proletarische Welt der industriellen Massenarbeit langsam und stetig an Bedeutung verlor.
Die Geschichte setzt ihre Symbole: „IKW 69“ heißt eines davon und bezeichnet die wohl jüngste Investitionsruine im Lausitzer Braunkohlenrevier, ein Industriekraftwerk in Lauchhammer, das acht der umliegenden Brikettfabriken mit Dampf versorgen sollte. Mitte 1991 wurde der nach drei Jahren fast fertige Bau eingestellt, denn dieser Dampf fand keine Abnehmer mehr: Nach rund einem Jahrhundert endete hier die Brikettproduktion, nicht zuletzt, weil einer ihrer Großkunden, die Kokerei Lauchhammer, die Tore geschlossen hat. Auf andere Art symbolhaft erscheint auch der Wandel der regionaltypischen Textilindustrie, wo sich hinter den bröckelnden Fassaden alter Fabrikarchitektur seit 1990 zunehmend Stille ausbreitete.
Die in diesem Aufsatz betrachteten sozialistischen Großbetriebe waren ein Ergebnis der sozialistischen Transformation, die sich in den Ländern Ostmitteleuropas seit spätestens 1947 bei starker Orientierung am sowjetischen Modell vollzog und aus der bis Ende der sechziger Jahre eine weitgehend vollständig ausgebildete Planwirtschaft resultierte. Sozialistische Großbetriebe entstanden in ganz Ostmitteleuropa unabhängig vom Industrialisierungsgrad des jeweiligen Landes. Eine Forschungsarbeit über die sozialistische Transformation am Beispiel der Eisen- und Stahlindustrie in Polen, der Tschechoslowakei und der DDR im Rahmen meiner Dissertation und frühere Forschungen zur deutsch-polnischen Grenzregion haben ergeben, dass die Umsetzung des sowjetischen Modells der Industrialisierung sich vor allem in Bezug auf die Arbeitskräfte am schwierigsten gestaltete. Der Institutionentransfer und die zentrale Planung bis auf die Betriebsebene, das Monopol der Partei und die Verstaatlichung konnten originalgetreu aus der Sowjetunion übernommen werden. Die Mobilisierung der Bevölkerung zu „neuen Menschen“ in Form von Arbeiterbrigaden, dem sozialistischen Wettbewerb und den Massenorganisationen mit dem Ziel der Überwindung des kapitalistischen Systems im Menschen und der Transformation vom letizimi Wir-Denken bereitete den Entscheidungsträgern dagegen die meisten Probleme. Ein Grund dafür war die große Diskrepanz zwischen der von den kommunistischen Parteien propagierten Gleichheit aller Arbeiter und der tatsächlichen ungleichen Behandlung in den Betrieben, die zu Konflikten und schließlich zum Widerstand der Arbeitskräfte führte. Die Arbeiter erkannten diese Diskrepanz sehr schnell, lehnten das Gleichheitsprinzip ab und forderten individuelle Gerechtigkeit. Besonders mit Blick auf die ausländischen Arbeitskräfte, die in den ausgewählten Betrieben in unterschiedlicher Quantität eingesetzt wurden, wird die ungleiche Behandlung sichtbar.
Im April 1953 stand es schlecht um die monatliche Planerfüllung in den Vereinigten Stahlwerken Kladno. Der Direktor der Stahlwerke nannte einem Emissär des Ministeriums für Hüttenindustrie und Erzgruben die Gründe. Vor allem gehe es mit dem sozialistischen Wettbewerb nicht voran, dem Motor der Planerfüllung. Die Materialzufuhr sei unregelmäßig, die Auftragslage decke nicht alle Werksabteilungen ab, die künftige Auslastung der einzelnen Produktionsbereiche sei wegen einer sich hinziehenden Entscheidung der Planungsbehörde über eine Senkung des Plansolls offen. Der Emissär beruhigte den besorgten Direktor. Die Vereinigten Stahlwerke sollten nicht versuchen, bei der Planerfüllung „Wunder zu vollbringen“, denn Luppen und Schrott für die Hochöfen seien rar. Einige Tage vor diesem Gespräch hatten Partei und Regierung einen „mobilisierenden“ Beschluss zum Plansoll der Stahlwerke in Kladno gefasst und ließen im „Rüde prävo“, dem Zentralorgan der Kommunistischen Partei der Tschechoslowakei (KPTsch), die Werbetrommel für den „Kampf an den Hochöfen“ in Kladno rühren.