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Im Januar 2012 feierte der Afrikanische Nationalkongress (ANC), die Regierungspartei der Republik Südafrika, mit großem Pomp sein hundertjähriges Bestehen. Der ANC ist die älteste Organisation des afrikanischen Nationalismus nicht nur in Südafrika, sondern auf dem Kontinent – und war lange Zeit die erfolgloseste. Während politische Parteien in Westafrika wie Kwame Nkrumahs Convention Peoples Party (Ghana) bereits zwei Jahre nach ihrer Gründung die Regierungsgeschäfte übernahmen und in anderen Beherrschungskolonien die Entkolonialisierung ähnlich schnell verlief, konnte der ANC erst 82 Jahre nach seiner Gründung die Regierung stellen.
„Wife-beating is occurring every 18 seconds in the United States“, teilte das FBI 1978 mit und machte durch diesen Sprechakt deutlich, dass auch in amerikanischen Sicherheitskreisen inzwischen ein Bewusstsein für die Bedeutung häuslicher Gewalt entstanden war. Zugleich handelte es sich hierbei nicht nur um eines von vielen Verbrechen, sondern es war sogar, wie das FBI erkannte, „the largest single offense committed, and probably the least reported“. Hinzu kam, dass auch die Polizeiorgane selbst massiv von diesem Problem betroffen waren: Im Jahr 1976 standen 31% aller Angriffe auf Polizisten im Zusammenhang mit Fällen häuslicher Gewalt, „representing the greatest percentage of assaults on law enforcement officers“. Zudem starben 20% aller Beamten, die im Einsatz getötet wurden, nachdem sie einem Notruf im Zusammenhang mit domestic violence Folge geleistet hatten.
Ulrich Becks Buch »Risikogesellschaft. Auf dem Weg in eine andere Moderne« gehört ohne Zweifel zu den wirkungsstärksten sozialwissenschaftlichen Publikationen der 1980er Jahre. In essayistischem Stil verfasst, widmete sich die Studie dem Gestaltwandel westlicher Industrienationen im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts. Im Unterschied zu »modernen« Gesellschaften, in denen die ungleiche Verteilung von Wohlstand und Reichtum als zentrales Konfliktfeld des Politischen identifiziert werden könne, kennzeichne »spätmoderne« Gesellschaften die Expansion kollektiver Risiken und Gefahren, welche wiederum als »Nebenfolgen« aus der technischen Entwicklung der Industriemoderne resultierten. »Not läßt sich ausgrenzen, die Gefahren des Atomzeitalters nicht mehr« – mit derart eingängigen Formeln verlieh Beck seiner Auffassung einer neuen Qualität von Umwelt- und Technikrisiken Ausdruck, die soziale, generationelle und territoriale Grenzen gänzlich übersteigen. Das Buch war nur wenige Monate nach der Reaktorhavarie von Tschernobyl im April 1986 erschienen, und es war vor allem diese Gleichzeitigkeit, die der Hypothese von der »Risikogesellschaft« in der bundesdeutschen Öffentlichkeit prompt eine enorme Plausibilität verschaffte. In Anbetracht der zahlreichen Katastrophenereignisse der letzten Jahre – von den Terroranschlägen in New York 2001 bis zur japanischen Erdbeben- und Atomkatastrophe 2011 – wirkt das Interpretament heute aktueller denn je: »Zu Risiken und Nebenwirkungen der Moderne fragt man am besten Ulrich Beck.«
Mit dem Jahr 2015 ist in der deutschen und europäischen Öffentlichkeit eine Figur auf die politische Bühne zurückgekehrt, um die es lange Zeit still geworden war: die Figur des Flüchtlings. Dabei war das Problem von Flucht und Vertreibung vor 2015 global betrachtet mitnichten weniger drängend. Allerdings griffen bis zu den Entwicklungen, die hierzulande als »Flüchtlingskrise« thematisiert wurden, die über die Jahre immer weiter ausgebauten Grenzsicherungsmaßnahmen der Europäischen Union, sodass von den weltweit vielen Millionen an Flüchtlingen nur wenige Europa überhaupt erreichten. Seit Jahrzehnten hatte die EU die Kontrollen der Zuwanderungsbewegungen verschärft, sodass die Wege nach Europa immer schwieriger zu bewältigen waren und es bis heute sind – mit dem Resultat, dass das Mittelmeer mittlerweile zur tödlichsten Grenze der Welt geworden ist. Hinzu kommt noch, dass sich die meisten Flüchtlinge weit entfernt vom europäischen Kontinent im globalen Süden auf halten. Sie fliehen aus Kriegs- und Krisengebieten meist in die unmittelbaren Nachbarländer. Zur Weiterwanderung fehlen ihnen oftmals die Mittel.
Wann ein Mensch als Flüchtling gilt, hängt maßgeblich von der juristischen Einordung des Aufnahmestaates ab. Wird vom Aufnahmestaat anerkannt, dass es sich um eine erzwungene Flucht handelt, beispielsweise durch Krieg oder Verfolgung, besitzt der Geflüchtete Anspruch auf Asyl. Wird dagegen festgestellt, dass ein mehr oder weniger freiwilliger Migrationsgrund vorliegt, besitzt der Staat das Recht auf Abweisung. Diese Unterscheidung ist höchst problematisch, da die Aufnahmestaaten politisch entscheiden, welcher Rechtsstatus an welche Person vergeben wird (Benhabib 2009; Krause 2016).
Kritik der Sicherheit. Vom gouvernementalen Sicherheitsdenken zur Politik der ‚geteilten Sorge‘
(2009)
Sicherheit ist ein «essentially contested concept», ein politisch umkämpfter Begriff. Mit Sicherheit wird heute Politik gemacht, und um die Bedeutung von Sicherheit wird gestritten. Sicherheitsdiskurse bilden zentrale Einsatzstellen, an denen politische und soziale Verhältnisse verhandelt, strukturiert und machtpolitisch gestaltet werden. Vor diesem Hintergrund ist eine dringliche Frage, welche Sicherheitskonzepte derzeit die Macht haben, sich als hegemoniale Formen durchzusetzen und sich weltweit zu globalisieren. Den Konturen dieses Sicherheitsverständnisses denken vor allem kritische Sozialwissenschaftlerinnen und Sozialwissenschaftler nach: Sozialkontrolle, Gesundheitsprävention, privatisierte Kriegsführung, ethnisierende Terrorismusbekämpfung und individuelles Risikomanagement sind Analysefelder, die gegenwärtig im Zentrum der Aufmerksamkeit stehen und das aktuelle Bezugsfeld des hegemonialen Sicherheitsdenkens umreissen.
«Selbstmorde im Auto durch die Einteilung von Abgasen in den Innenraum gibt es heule kaum mehr. Die Abgase der heutigen Autos sind einfach zu sauber dazu.» Diese Aussage eines höheren Beamten des deutschen Umweltbundesamtes am Rande eines Kongresses zum «Auto der Zukunft» illustriert gerade durch ihren Sarkasmus zwei charakteristische Züge moderner Luftreinhaltepolitik: Einerseits weist sie auf die enormen Fortschritte in diesem Politikfeld hin, andererseits zeigt sie implizit auf, wie emotional aufgeladen in den letzten Jahren die Frage der Abgasentgiftung bei Autos diskutiert worden ist.
Was ist Sicherheit und wie viel braucht ein Mensch davon, um sich in seiner Welt heimisch zu fühlen? Eckart Conze skizziert das rückwärtsgewandte Sicherheitsstreben in der Ära Adenauer, den optimistischen Glauben an die Sicherheit von Fortschritt und Wachstum in den sechziger und frühen siebziger Jahren, das folgende Jahrzehnt der „Inneren Sicherheit" und schließlich die internationale Sicherheitspolitik. Dabei entwickelt er ein neues Konzept einer „modernen Politikgeschichte" der Bundesrepublik Deutschland, die mit „Sicherheit" als analytischem Leitbegriff sozial- und wirtschaftsgeschichtliche Ansätze ebenso zu integrieren vermag wie das Potential der Kulturgeschichte und der Geschichte transnationaler Beziehungen, von der in den letzten Jahren viele fruchtbare Ansätze ausgegangen sind.
“Security” is such a general concept that, on the one hand, it is omnipresent in all fields of historical research; on the other hand, a closer look reveals that there seems not to exist a real specialized sub-discipline or field that bears this title. While in political sciences, criminology, sociology and jurisprudence, and especially in the field of international relations, security studies is a well established and broad field of research, history has not yet established a corresponding field. This special issue about “Security and Epochal Frontiers” shows that important contemporaneous changes in concept and practices of “security production” after the end of the Cold War (the emergence of “extended, comprehensive, human security”, the fading away of the border between internal and external security) have caused our historical perception of “security” to change massively and historiography to respond to this challenge.
Staudammbauten in Afghanistan, Ahmed Ben Bella und wie er die Welt sah, die Fotos hungernder Kinder in Nigeria und Bangladesch, amerikanische Agrarwissenschaftler, die in Manila Reissorten züchten, Chinas Werben um Afrika, eine UN-Erklärung, niemals umgesetzt, über die Errichtung einer »Neuen Weltwirtschaftsordnung« – wer hätte vor 20 Jahren vorausgesagt, dass diesen Episoden einmal symptomatische Bedeutung zugemessen würde, wenn es um das Verständnis der internationalen Politik in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts geht. Wie stark sich das geschichtswissenschaftliche Bild des Zeitraums gewandelt hat, lässt sich tatsächlich, noch vor allen interpretatorischen Einordnungen und methodischen Konzeptualisierungen, besonders eindrücklich an der Fülle neuen Wissens ablesen, das historische Studien in den letzten gut 15 Jahren hervorgebracht haben. Weltregionen, über die man wenig wusste, Akteure, die eher im Hintergrund operierten, politische Projekte, die nebensächlich erschienen, Konflikte, die als sekundär galten, sind inzwischen eingehend erforscht.
Es ist mir eine große Freude und Ehre, heute Abend im Potsdamer Einstein Forum über Asyl und Flüchtlinge sprechen zu dürfen. Vor allem aus zwei Gründen freue ich mich besonders. Zum einen, weil Albert Einstein, dessen Namen Ihr Forum trägt, der erste ernannte Professor am Institute for Advanced Study in Princeton war und dort Schutz fand, als er vor der nationalsozialistischen Repression flüchtete. Ich selbst arbeite seit sechs Jahren in dieser Forschungseinrichtung, wo ich die School of Social Science leite. Albert Einstein verbindet mich also im doppelten Sinne mit Ihnen: beruf lich, als Mitgründer derjenigen Institution, an der ich arbeite; aus intellektueller Sicht, da er selbst ein Flüchtling gewesen ist, wie all diejenigen, von denen ich Ihnen erzählen werde.
Wandel der Sicherheitskultur
(2010)
Mehr als 65 Jahre nach den Atombombenabwürfen auf die japanischen Städte Hiroshima und Nagasaki haben wir uns an das gewöhnt, was wir gemeinhin als das „nukleare Tabu“ bezeichnen. Kernwaffen, so lautet seit dem Ost-West-Konflikt das Mantra, sind politische Waffen, die der Abschreckung dienen, jedoch nicht eingesetzt werden. Doch können wir uns wirklich so sicher sein? Wissen wir überhaupt, ob Abschreckung im Kalten Krieg funktioniert hat, und wenn ja, war nicht auch sehr viel Glück im Spiel?
Bei einer Autopsie der Sowjetunion könnten Historiker auf dem Totenschein vermerken: »Verstorben an Ökozid«. Diese provokante These zweier renommierter westlicher Experten kann den Zerfall der Sowjetunion natürlich nicht hinreichend erklären. Aber aus umweltgeschichtlicher Sicht werden aufschlussreiche Aspekte sowjetischer Geschichte deutlich, die sonst allzu leicht durch das Raster historischer Forschung fallen. So lag die primäre Ursache für den Niedergangsprozess des ersten sozialistischen Staats auf Erden in seinem immer offensichtlicheren Mangel an wirtschaftlicher Leistungskraft, der nicht zuletzt auf den fortgesetzten Raubbau an Natur und Gesellschaft zurückzu-führen ist. Die Sowjetunion erwies sich als unfähig, sich den Bedingungen des postindustriellen Wandels im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts anzupassen. Der britische Historiker Eric Hobsbawm brachte es auf den Punkt, als er schrieb, die Sowjetunion hätte »mit wahrhaft titanischen Anstrengungen die beste Wirtschaft der Welt nach den Maßstäben der I890er-Jahre aufgebaut.« Mit ihrem »ziemlich archaischen, auf Eisen und Rauch beruhenden Industriesystem« geriet sie in den 1970er- und 1980er-Jahren immer tiefer in den Strudel ihres politischen und wirtschaftlichen Niedergangs.