Politik
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«Selbstmorde im Auto durch die Einteilung von Abgasen in den Innenraum gibt es heule kaum mehr. Die Abgase der heutigen Autos sind einfach zu sauber dazu.» Diese Aussage eines höheren Beamten des deutschen Umweltbundesamtes am Rande eines Kongresses zum «Auto der Zukunft» illustriert gerade durch ihren Sarkasmus zwei charakteristische Züge moderner Luftreinhaltepolitik: Einerseits weist sie auf die enormen Fortschritte in diesem Politikfeld hin, andererseits zeigt sie implizit auf, wie emotional aufgeladen in den letzten Jahren die Frage der Abgasentgiftung bei Autos diskutiert worden ist.
Über "Internationale Geschichte" ist in der deutschen Geschichtswissenschaft nur selten systematisch nachgedacht worden. Methodische Reflexionen und theoretische Anstrengungen galten seit den sechziger Jahren des 20. Jahrhunderts vorwiegend der Sozialgeschichte, seit den achtziger Jahren auch der noch politikferneren historischen Anthropologie. Neuerdings wird auch das Verhältnis zwischen Sozialgeschichte und Kulturgeschichte intensiv diskutiert; Mentalitätsgeschichte ist zu einem beliebten Programmpunkt geworden. Wer hingegen über internationale Beziehungen geschrieben hat, über Außenpolitik, die Geschichte des internationalen Systems oder die wechselseitige Beeinflussung von Staaten und Gesellschaften, kurz: über Krieg und Frieden, über Herrschaft und Abhängigkeit zwischen den Völkern und Nationen, hat in der Regel wenig Anstrengungen auf die explizite Darlegung seiner theoretischen Annahmen und seiner Verfahrensweisen verwendet.
Bei einer Autopsie der Sowjetunion könnten Historiker auf dem Totenschein vermerken: »Verstorben an Ökozid«. Diese provokante These zweier renommierter westlicher Experten kann den Zerfall der Sowjetunion natürlich nicht hinreichend erklären. Aber aus umweltgeschichtlicher Sicht werden aufschlussreiche Aspekte sowjetischer Geschichte deutlich, die sonst allzu leicht durch das Raster historischer Forschung fallen. So lag die primäre Ursache für den Niedergangsprozess des ersten sozialistischen Staats auf Erden in seinem immer offensichtlicheren Mangel an wirtschaftlicher Leistungskraft, der nicht zuletzt auf den fortgesetzten Raubbau an Natur und Gesellschaft zurückzu-führen ist. Die Sowjetunion erwies sich als unfähig, sich den Bedingungen des postindustriellen Wandels im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts anzupassen. Der britische Historiker Eric Hobsbawm brachte es auf den Punkt, als er schrieb, die Sowjetunion hätte »mit wahrhaft titanischen Anstrengungen die beste Wirtschaft der Welt nach den Maßstäben der I890er-Jahre aufgebaut.« Mit ihrem »ziemlich archaischen, auf Eisen und Rauch beruhenden Industriesystem« geriet sie in den 1970er- und 1980er-Jahren immer tiefer in den Strudel ihres politischen und wirtschaftlichen Niedergangs.
‘Soziale Sicherheit’ ist wie sein englisches (‘Social Security’) und sein französisches (‘Sécurité sociale’) Synonym zu einem Leitbegriff der wohlfahrtsstaatlichen Entwicklung geworden. Während es die deutsche Sprache gestattet zwischen normativem Leitbild (‘Soziale Sicherheit’) und seinen institutionellen Umsetzungen (‘Soziale Sicherung’) semantisch zu unterscheiden, decken ‘Social Security’ und ‘Sécurité sociale’ grundsätzlich beide Bedeutungen. Allerdings hat sich in neuerer Zeit das institutionelle Verständnis ganz in den Vordergrund geschoben. Erst unter dem Eindruck eines Diskurses, welcher 'Globalisierung' als Gefahr für die europäische Wohlfahrtstaatlichkeit thematisiert, tritt auch die normative Komponente des Begriffs wieder stärker ins öffentliche Bewusstsein.
Wie kam es dazu, dass die Bundesrepublik scheinbar gegen ihren Willen zum Einwanderungsland wurde? Warum wehrten sich, als dies einmal geschehen war, weite Teile der Gesellschaft dagegen, die neue Realität anzuerkennen? Welche Konsequenzen haben die Einwanderungsprozesse in Vergangenheit und Gegenwart für Politik und Gesellschaft? Und wie gestaltbar sind überhaupt Migrationsprozesse und ihre sozialen und politischen Folgen? In der gesellschaftlichen und wissenschaftlichen Debatte sind dies seit langem zentrale Fragen.
Was ist Sicherheit und wie viel braucht ein Mensch davon, um sich in seiner Welt heimisch zu fühlen? Eckart Conze skizziert das rückwärtsgewandte Sicherheitsstreben in der Ära Adenauer, den optimistischen Glauben an die Sicherheit von Fortschritt und Wachstum in den sechziger und frühen siebziger Jahren, das folgende Jahrzehnt der „Inneren Sicherheit" und schließlich die internationale Sicherheitspolitik. Dabei entwickelt er ein neues Konzept einer „modernen Politikgeschichte" der Bundesrepublik Deutschland, die mit „Sicherheit" als analytischem Leitbegriff sozial- und wirtschaftsgeschichtliche Ansätze ebenso zu integrieren vermag wie das Potential der Kulturgeschichte und der Geschichte transnationaler Beziehungen, von der in den letzten Jahren viele fruchtbare Ansätze ausgegangen sind.
Langfristige Ursprünge und dauerhafte Auswirkungen. Zur historischen Einordnung der siebziger Jahre
(2008)
Wohl keines der Jahrzehnte nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs war derart stark von widerstreitenden Entwicklungen gekennzeichnet wie die siebziger Jahre. Sprach man nach dem Krieg in Deutschland von Stunde Null und Neubeginn, in den fünfziger Jahren dann von Wiederaufbau, in den Sechzigern von Reform und Emanzipation, so löste sich im Verlauf der siebziger Jahre die scheinbare Eindeutigkeit der Zuordnungen auf. Politikwissenschaftler und Historiker nahmen alsbald Zuflucht zum inhaltsleeren Begriff der Krise, als hätte es Krisen zuvor nicht gegeben und als sei man in der Lage, exakt bestimmen zu können, was eine »Krise« denn konkret ausmache.
Is popular music a tool of consumer capitalist recuperation or can it be a weapon of revolutionary change? The career of the radical rock band Ton Steine Scherben, founded in West Berlin in 1970, suggests that at certain moments, radical music and radical politics can be mutually constitutive. The band’s history provides a richer understanding of the radical left-wing scene in West Berlin at a key moment of transition from the student movement of the 1960s to the anarchist and terrorist scenes of the 1970s, illustrating how an analysis of popular music in its social and cultural setting can broaden historical analysis.
Kritik der Sicherheit. Vom gouvernementalen Sicherheitsdenken zur Politik der ‚geteilten Sorge‘
(2009)
Sicherheit ist ein «essentially contested concept», ein politisch umkämpfter Begriff. Mit Sicherheit wird heute Politik gemacht, und um die Bedeutung von Sicherheit wird gestritten. Sicherheitsdiskurse bilden zentrale Einsatzstellen, an denen politische und soziale Verhältnisse verhandelt, strukturiert und machtpolitisch gestaltet werden. Vor diesem Hintergrund ist eine dringliche Frage, welche Sicherheitskonzepte derzeit die Macht haben, sich als hegemoniale Formen durchzusetzen und sich weltweit zu globalisieren. Den Konturen dieses Sicherheitsverständnisses denken vor allem kritische Sozialwissenschaftlerinnen und Sozialwissenschaftler nach: Sozialkontrolle, Gesundheitsprävention, privatisierte Kriegsführung, ethnisierende Terrorismusbekämpfung und individuelles Risikomanagement sind Analysefelder, die gegenwärtig im Zentrum der Aufmerksamkeit stehen und das aktuelle Bezugsfeld des hegemonialen Sicherheitsdenkens umreissen.
Soundscape Stammheim
(2010)
Die Rote Armee Fraktion (RAF) markiert nicht nur in visueller, sondern auch in akustischer Hinsicht ein herausragendes Phänomen der westdeutschen Nachkriegsgeschichte. So war eine der ersten Stellungnahmen, die nach der Befreiung Andreas Baaders im Mai 1970 veröffentlicht wurde, eine Tonbandaufzeichnung Ulrike Meinhofs. Die Journalistin Michèle Ray hatte sie nach Abschluss ihres Interviews dem „Spiegel“ überlassen. Damit konnten die Aussagen Meinhofs zum Aufbau der Roten Armee nicht nur als Text, sondern auch als Ton der Nachwelt erhalten bleiben.
Die Medialisierung von Politik und Gesellschaft hat zweifellos mit dem Beginn des 20. Jahrhunderts eine neue Qualität erfahren. Diese ist mit dem Rundfunk, der in Deutschland zum ersten Mal auf dem Höhepunkt der Inflation, im Oktober 1923, auf Sendung ging, entscheidend befördert worden. Das Radio fungierte für die folgenden dreißig bis vierzig Jahre als Leitmedium, das als Ikone des Modernen und der Moderne galt.
Wandel der Sicherheitskultur
(2010)
Mehr als 65 Jahre nach den Atombombenabwürfen auf die japanischen Städte Hiroshima und Nagasaki haben wir uns an das gewöhnt, was wir gemeinhin als das „nukleare Tabu“ bezeichnen. Kernwaffen, so lautet seit dem Ost-West-Konflikt das Mantra, sind politische Waffen, die der Abschreckung dienen, jedoch nicht eingesetzt werden. Doch können wir uns wirklich so sicher sein? Wissen wir überhaupt, ob Abschreckung im Kalten Krieg funktioniert hat, und wenn ja, war nicht auch sehr viel Glück im Spiel?
Strategien der Sicherung: Welten der Sicherheit und Kulturen des Risikos. Theoretische Perspektiven
(2010)
Auch wenn Sicherheit und Risiko auf den ersten Blick gegensätzliche Dispositionen bezeichnen, haben sie doch einen gemeinsamen Ursprung: die Begrenzung oder Vermeidung von Gefahr und die Abwehr von Bedrohung, bei der sie konkurrierende, mitunter aber auch komplementäre Wege gehen. Das Unverfügbare, das nicht Vorhersehbare, das mit Übermächtigung Drohende wird bearbeitet – im einen Fall unter dem Imperativ der Herstellung von Sicherheit bzw. der Entwicklung von Strategien, die gegen den Einbruch von Gefahren und das Auftauchen von Bedrohungen absichern, diese ›draußen‹ halten und so Räume schaffen, die sich von ihrer Umgebung durch ein deutlich höheres Sicherheitsniveau unterscheiden; im anderen Fall durch die Entwicklung von Arrangements, die Gefahr und Bedrohung berechen- und kalkulierbar machen.
Seit dem 19. Jahrhundert zeichnet sich in den Selbstthematisierungen der okzidentalen Moderne immer deutlicher eine spezifische »Dialektik von Sicherheit und Unsicherheit« ab. So wird die sich herausbildende bürgerlich-kapitalistische Gesellschaft zunehmend als ein Sozialzusammenhang beschrieben, der mit neuartigen Unsicherheiten verknüpft ist. Exemplarisch hierfür stehen Karl Marx und Friedrich Engels, die im kommunistischen Manifest »die fortwährende Umwälzung der Produktion, die ununterbrochene Erschütterung aller gesellschaftlichen Zustände, die ewige Unsicherheit und Bewegung« als zentrales Kennzeichen der neu anbrechenden »Bourgeoisieepoche« herausstelle (Marx/Engels 1848, 29). Dass sie mit dieser Charakterisierung ihrer Zeit in empirischer Hinsicht eher voraus waren, zeigt die ein knappes Jahrhundert später entstandene Autobiographie von Stefan Zweig. Ganz anders als Marx und Engels beschreibt Zweig das ausgehende 19. Jahrhundert im Rückblick als das »goldene Zeitalter der Sicherheit«. In diesem schien alles »auf Dauer gegründet […] Jeder wußte, wieviel er besaß oder wieviel ihm zukam, was erlaubt und was verboten war. Alles hatte seine Norm, sein bestimmtes Maß und Gewicht.« (Zweig 1944, 15) Für Zweig zerbrach die Beständigkeit und Erwartbarkeit »der wohlberechneten Ordnung« (ebd., 16) letztlich durch den Ersten Weltkrieg. An die Stelle stetig wachsender Sicherheit traten jetzt Chaos, Unsicherheit und Barbarei, wobei dies in seinen Augen angesichts von Nationalsozialismus und Zweitem Weltkrieg ein ebenso nachhaltiger wie irreversibler Epochenbruch war.
In seiner 1947 erschienenen Darstellung der »Lingua Tertii Imperii«, der Sprache des Dritten Reiches, beschrieb Victor Klemperer die Motive für die Publikation seiner Aufzeichnungen. Nach dem Ende des Krieges, »wo die Gefahr vorüber war und ein neues Leben sich vor mir auftat, da fragte ich mich doch, womit ich es nun zuerst anfüllen sollte, und ob es nicht Eitelkeit und Zeitvergeudung sein würde, wenn ich mich in die angeschwollenen Tagebücher versenkte ... Bis mich ein Wort zum Entschluss brachte.
Towards Another Concept of the State: Historiography of the 1970s in the USA and Western Europe
(2011)
After years of neglect, the 1970s have recently entered the array of academic interest. In the USA and in Western Europe a growing number of historians are finally pulling the decade out of the shadows of the 1960s and the 1980s. As can be expected in such an early phase of academic exploration, there is still littel that ties all publications about the Seventies together.
Nur auf den ersten Blick erscheint es überraschend, dass die amerikanische Militärzeitschrift Parameters im letzten Heft des Jahres 2010 einen fast 40 Jahre alten Vortrag der Historikerin und Publizistin Barbara W. Tuchman wieder abdruckte. Beim zweiten Hinsehen hingegen fällt es leicht, den Vorgang als Symptom einer Dauerproblematik in den politisch-militärischen Beziehungen der Vereinigten Staaten zu dechiffrieren. Aber erst im dritten Anlauf wird deutlich, wie tief greifend die gegenwärtigen Herausforderungen an die institutionelle Organisation und Einhegung militärischer Gewalt tatsächlich sind – Herausforderungen, die sich in unterschiedlichen Ausprägungen in vielen westlichen Demokratien beobachten lassen. Diese Beobachtung führt dann, viertens, zu Überlegungen, die Jan Philipp Reemtsma in seiner Studie über »Vertrauen und Gewalt« angestellt hat.
Ulrich Becks Buch »Risikogesellschaft. Auf dem Weg in eine andere Moderne« gehört ohne Zweifel zu den wirkungsstärksten sozialwissenschaftlichen Publikationen der 1980er Jahre. In essayistischem Stil verfasst, widmete sich die Studie dem Gestaltwandel westlicher Industrienationen im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts. Im Unterschied zu »modernen« Gesellschaften, in denen die ungleiche Verteilung von Wohlstand und Reichtum als zentrales Konfliktfeld des Politischen identifiziert werden könne, kennzeichne »spätmoderne« Gesellschaften die Expansion kollektiver Risiken und Gefahren, welche wiederum als »Nebenfolgen« aus der technischen Entwicklung der Industriemoderne resultierten. »Not läßt sich ausgrenzen, die Gefahren des Atomzeitalters nicht mehr« – mit derart eingängigen Formeln verlieh Beck seiner Auffassung einer neuen Qualität von Umwelt- und Technikrisiken Ausdruck, die soziale, generationelle und territoriale Grenzen gänzlich übersteigen. Das Buch war nur wenige Monate nach der Reaktorhavarie von Tschernobyl im April 1986 erschienen, und es war vor allem diese Gleichzeitigkeit, die der Hypothese von der »Risikogesellschaft« in der bundesdeutschen Öffentlichkeit prompt eine enorme Plausibilität verschaffte. In Anbetracht der zahlreichen Katastrophenereignisse der letzten Jahre – von den Terroranschlägen in New York 2001 bis zur japanischen Erdbeben- und Atomkatastrophe 2011 – wirkt das Interpretament heute aktueller denn je: »Zu Risiken und Nebenwirkungen der Moderne fragt man am besten Ulrich Beck.«