Politik
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Vergangenheit mutet mitunter höchst gegenwärtig an. Der Blick in angestaubte, schon lange abgelegte Polizeiakten und Gerichtsprotokolle kann über das unmittelbar historische Interesse hinaus lehrreich sein, nämlich zeigen, wie scheinbar zeitlos der Umgang mit politischen Gegnern der jeweiligen Obrigkeit, nicht zu letzt mit vermeintlichen linken "Schreibtischtätern" ist. Auch darüber will die folgende biographische Studie berichten. Im Jahre 1851, wenige Tage vor Herbstbeginn, kam es in Berlin zu einem aufsehenerregenden Prozeß, in dem die Staatsanwaltschaft eine Anklage verlas, die in ihrer Wortwahl merkwürdig ,modern', geradezu aktuell anmutet: Der von mehrwöchiger Untersuchungshaft auch körperlich angeschlagene
Angeklagte habe (so das Resümee der Anklageschrift) nicht nur nicht den "Terrorismus" gegeißelt, wie es sich für jeden braven preußischen Staatsbürger gezieme, oder sich wenigstens distanziert, nein, er habe sich "unumwunden dahin artikulirt'', dass, solange die Linksterroristen "vor nichts zurückbebte[n] und unerschrocken den Vernichtungskrieg gegen alle Feinde der Demokratie" geführt hätten, sie richtig gehandelt, nämlich "die Herrschaft der Demokratie" gegen die alten Mächte gesichert hätten. Der Angeklagte habe die demokratischen Terroristen dann links zu überholen versucht, nämlich diese wegen ihres schließlich doch zögerlichen Handelns, dass sie den "Terrorismus nicht bis zur äußersten Consequenz zu verfolgen die Kraft besessen" hätten, sogar noch gescholten. Nicht genug damit, habe der Angeklagte zur "Nacheiferung" des Terrorismus in deutschen und preußischen Landen aufgefordert, zur "Ueberschreitung der als Schwäche bezeichneten Grenzen, an denen Jene [die ,Terroristen'-R.H.] endlich doch inne gehalten" hätten. Durch eine breite und farbige Schilderung historischer Ereignisse habe der Angeklagte beim preußischen Volk
"Beifall für die terroristische Herrschaft" radikaler "Revolutionsmänner" hervorrufen wollen - allein das sei hochgradig verdammenswert. Dieser erste Blick in eine staatsanwaldiche Anklageschrift wenige Jahre nach der Revolution von 1848 zeigt, daß die Begriffe Terror, Terrorismus und Terroristen keine Erfindungen moderner, spätbürgerlicher Staaten und Öffentlichkeiten sind. Nicht erst seit der Wende ins 21. Jahrhundert war die Obrigkeit mit entsprechenden Verdächtigungen schnell bei der Hand, wenn es darum ging, kritische Stimmen gegen die Allgewalt eines gegenwärtigen Staates mundtot zu machen. Diese Politik und mit ihr der Terrorismusverdacht besitzen eine lange Vorgeschichte.
Patronage ist eine Form menschlicher Interaktion, bei der zwei Akteure, die in ihrem Status verschieden sind, eine asymmetrische Beziehung eingehen. Der Patron verfügt gegenüber seinem Klienten über einen Vorsprung an Ressourcen materieller oder immaterieller Art, etwa über ein großes Vermögen oder eine politische Führungsposition, die ihm die Kontrolle einer Institution ermöglicht oder das Entscheidungsmonopol über die Verwendung und Zuteilung von knappen Gütern sichert. Bestimmender Inhalt einer Beziehung zwischen Patron und Klient ist der auf beiderseitigen Nutzen abzielende Austausch von Leistungen und Gegenleistungen. Diese Bindung ist informeller Natur und beruht auf Treue, Loyalität und Dankbarkeit, nicht aber auf einer rechtlichen oder vertraglichen Grundlage, das heißt, Art und Umfang der zu erbringenden Leistungen werden nicht im Voraus festgelegt und sind nicht einklagbar. Der Patron gewährt seinem Klienten Protektion und Förderung im weitesten Sinne; er vergibt an ihn Posten oder auch Zuwendungen finanzieller Art. Im Gegenzug ist der in einer Art Bringschuld stehende Klient dazu angehalten, seinen Förderer in loyaler Weise zu unterstützen und dessen Interessen zu vertreten. Vom Engagement und der Loyalität des Klienten hängt es ab, wie lange er die Protektion seines Patrons genießen wird. Er ist vom Patron abhängig, denn ohne dessen Förderung bliebe er von der Mitnutzung an bestimmten Ressourcen ausgeschlossen, die der Patron kontrolliert (z. B. Teilhabe am politischen Prozess).
Die politischen Funktionseliten der DDR stellten noch vor wenigen Jahren ein Desiderat der historischen Forschung dar. Das hat sich seitdem geändert. Mittlerweile liegen einige profunde Studien vor, die sich beispielsweise mit dem Militär- und Sicherheitsapparat oder aber auch mit den Wirtschaftseliten der ostdeutschen Planwirtschaft beschäftigen. Für den SED-Parteiapparat und die Regierungsadministration sieht die Lage dagegen immer noch etwas anders aus: Nach wie vor ist in zahlreichen Untersuchungen häufig von der SED-Führung oder der DDR-Regierung als kollektiv handelndem Akteur die Rede. Einzelne erfolgversprechende Ansätze können insgesamt nicht darüber hinwegtäuschen, dass dieser Bereich noch weitgehend ein Schattendasein fristet. Dies hängt zweifellos auch mit der spezifischen Aktenüberlieferung zusammen. Da in den Protokollen der SED-Führungsgremien und den Sachakten des ZK-Apparates die Führungsspitze in der Regel als kollektive „Masse“ auftaucht, scheinen sozialhistorische Untersuchungen etwa zum SED-Politbüro - jenseits der vertrauten Zäsuren 1953, 1956/58, 1971 etc. - nicht möglich zu sein. Darüber hinaus wird in einigen Überblicksdarstellungen das von der SED propagierte und angewandte Prinzip des „demokratischen Zentralismus“ sehr stark überbetont, was stellenweise sogar zur irreführenden Kennzeichnung der DDR als SED-Staat führt.
Die politische und wirtschaftliche Krise in der Tschechoslowakei 1953 und Versuche ihrer Überwindung
(1999)
Die Verhaftung einer Reihe führender Persönlichkeiten der Kommunistischen Partei der Tschechoslowakei (KPTsch) im Laufe des Jahres 1951, ihre Verurteilung in gespenstischen Schauprozessen und schließlich die Hinrichtung einiger von ihnen im Jahre 1952 erschütterten die kommunistische Parteimaschinerie in ihren Grundfesten. Die Verfolgung der „Agenten des Imperialismus“ im innersten Kreis der Partei zog immer weitere Kreise. Niemand war vor ihr sicher. Es mußten nicht nur diejenigen ihre Positionen verlassen, gegen die von der Staatssicherheit (Stätni bezpecnost, StB) ermittelt wurde, sondern auch ihre nächsten Mitarbeiter und manchmal sogar ihre Verwandten. Die Funktionäre und Mitglieder der KPTsch befiel ein bisher unbekanntes Gefühl der Unsicherheit, das ihre bis dato festgefügten Reihen ins Wanken brachte.
Eines der größten Probleme eines klassischen stalinistischen Systems ist, ob es über ausreichend Informationen verfügt, um notwendige Veränderungen durchzuführen. Die Frage ist, in welchem Umfang die Alarmzeichen einer bevorstehenden Krise wahrgenommen werden? Das ungarische kommunistische System erfuhr im Sommer 1952 eine Krise, die durch eine schlechte Ernte und einen exzessiv zwanghaften Fünf-Jahres-Plan verursacht war. Alle Bereiche der Wirtschaft zeitigten ernsthafte Ungleichgewichtigkeiten. Obwohl Anzeichen der Krise seit dem Sommer 1952 evident waren, wurde die Krise erst ein Jahr später, im Frühsommer 1953 wahrgenommen.
Um 1980 avancierten in der Bundesrepublik und in West-Berlin Hausbesetzungen und die kollektive Instandsetzung verfallender Häuser zu einem sichtbaren und vieldiskutierten Mittel des Protests. Einer aus ihrer Perspektive verfehlten Wohnungspolitik, die intakte Häuser abriss, setzten unterschiedliche Akteure den Erhalt von Altbauten und damit auch von gewachsenen sozialen Strukturen der Stadtviertel entgegen. Mit der eigenhändigen Instandsetzung der Häuser war das Ziel verbunden, sie zu Orten für neue, alternative Formen des Zusammenlebens und Arbeitens umzugestalten. Instandsetzen hieß, den Beweis dafür anzutreten, dass Flächensanierung als »Kahlschlagsanierung« falsch sei, dass Altbauten erhaltenswert und menschengerechte Städte mit mehr Lebensqualität ohne große Kosten möglich seien.
Seit einiger Zeit erfreuen sich Themen wie »Gerechtigkeit«, »Würde« oder das »richtige« Leben großer Popularität. Auch in der Geschichtswissenschaft floriert die Erforschung von Moral: »Menschenrechte«, »Transitional Justice« oder »Humanitarismus« sind als neue Themenfelder erschlossen worden. In Frankfurt am Main und Berlin beschäftigen sich größere Forschungsverbünde mit der Analyse normativer Ordnungen moderner Gesellschaften. Unter dem Schlagwort »NS-Moral« geht es um Inhalte und Geltungsmacht einer partikularen Moral des Nationalsozialismus. Zeitlich übergreifende Darstellungen zur Geschichte der »Menschheit« oder des »Westens« verfolgen selbst das Ziel, eine bestimmte (politische) Moral zu rechtfertigen.
Seit einiger Zeit löst sich die Schockstarre, die bei Bekanntwerden des Ergebnisses des Referendums vom Juni 2016 über die EU-Mitgliedschaft des Vereinigten Königreichs eingesetzt hatte. Mittlerweile wird sie außerdem gelegentlich durch Entwicklungen in den USA, Italien und anderswo überlagert, die alle ihrerseits für die weitere Entwicklung in Bezug auf den Brexit folgenreich sind. Weiterhin ist das Vereinigte Königreich Teil der Europäischen Union, wobei die Perspektive eines Austritts längst ihren Schatten vorauswirft. Viel ist in den vergangenen Monaten international gesagt und geschrieben worden, um das lange Zeit Undenkbare zu erklären. Eine beachtliche Reihe von Kommentatoren hat sich zu Ergründungen des britischen Nationalcharakters hinreißen lassen und etwa Beispiele für ein tief verankertes Sonderbewusstsein und Anzeichen für einen Sonderweg in Kultur und Geschichte bemüht.
My Road to Berlin, or Mein Weg nach Berlin, presents a Willy Brandt that confounds a present-day reader’s expectations. While the 1960 autobiography of the then-mayor of West Berlin links his career with the familiar story of democracy’s development in Germany, this work nevertheless retains an unexpected edge. In one surprising scene, the mayor denounces his East Berlin SED counterparts as a ›Communist foreign legion‹ whom ›the citizens of my city had decisively defeated‹ during the Second Berlin Crisis of 1958 (p. 17). In the book, Brandt comes off as a Cold Warrior of steely determination rather than a Brückenbauer bridging ideological divides. Far from being out of character, however, My Road to Berlin captures Brandt at a pivotal moment in his career, when he sought to offer himself to both West German voters and a global public as a viable alternative to Konrad Adenauer.
Manche Bücher sollte man besser vom Ende her lesen, lässt sich doch so ihr archimedischer Fluchtpunkt rasch entdecken. Gewiss, für Kriminalromane empfiehlt sich eine solche Lesart nicht, wohl aber für diesen Essay-Band Hans Magnus Enzensbergers. Darin schließt der Autor seine Reiseberichte aus sieben Ländern mit einem »Epilog« ab, in dem ein fiktiver amerikanischer Journalist namens Timothy Taylor im Jahr 2006 den ebenfalls fiktiven finnischen EG-Präsidenten Erkki Rintala interviewt, der von seinem Amt freiwillig zurückgetreten ist, nachdem er wegen seiner Erfahrungen in den Korridoren der Brüsseler Politik zu einem Gegner der europäischen Integration geworden war.