Politik
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Die Apartheid-Politik, wie Premierminister Verwoerd (1958–1966) sie umsetzte, war eine Politik der autoritären Modernisierung, die die weiße Herrschaft auf Dauer sichern sollte – und aus Sicht der damaligen Akteure keineswegs rückwärtsgewandt. Die 1959 den »Homelands« in Aussicht gestellte staatliche Unabhängigkeit sollte durch Ausbürgerung der Schwarzen einen weißen Nationalstaat schaffen. Die südafrikanische Regierung interpretierte die internationale Kritik an der Apartheid im Kontext des Kalten Krieges sowie eines weltweiten Rassenkonflikts zwischen Asien und Europa, in dem sich der Westen zu nachgiebig verhalte. Verwoerds Nachfolger Vorster (1966–1978/79) wollte die außenpolitische Isolation Südafrikas durch eine Politik der Entspannung mit den afrikanischen Nachbarn durchbrechen. Nach seinem Scheitern ging Botha (ab 1978 Premierminister, seit 1984 dann Staatspräsident) zu einer aggressiven Politik der regionalen militärischen Hegemonie über. Die hohen Repressionskosten und der wirtschaftliche Niedergang trugen schließlich dazu bei, dass eine Verhandlungslösung angestrebt wurde und die Apartheid 1994 offiziell endete.
Die südafrikanische Apartheid ist zum Bestandteil des »kollektiven Gedächtnisses« nationaler und transnationaler Erinnerungskulturen geworden. Dies betrifft nicht allein die Ereignisse in Südafrika selbst, sondern auch die weltweiten Diskussionen über den Umgang mit der Apartheid, die in den Vereinten Nationen und anderen internationalen Organisationen ebenso wie in einzelnen Ländern geführt wurden. Die seit den 1960er-Jahren zunehmende weltweite Ächtung der Apartheid als rassistisches Regime hing zusammen mit einem Anwachsen von Anti-Apartheid-Bewegungen in zahlreichen Ländern und neuen Legitimationen westlicher Außenpolitiken. Von den sowjetisch kontrollierten, aber auch skandinavischen Ländern wurden die Befreiungsbewegungen – vor allem der African National Congress (ANC) – materiell unterstützt. Die Auseinandersetzungen über Apartheid und den Umgang mit einem Land, in dem Menschenrechtsverletzungen gesetzlich abgesichert waren, trugen in einem erheblichen Maße zur Etablierung der Menschenrechte als international verbindlicher Norm bei. Das Thema Apartheid bietet die Möglichkeit, transnationale Verflechtungen und gesellschaftliche Wahrnehmungen vertiefend auszuloten sowie die Bedeutung der 1970er- und 1980er-Jahre für die Ausbildung einer »reflexiven Moderne« zu erkunden.
Westeuropas Wiederaufbau – Made in Germany? Baumaterial aus Deutschland im Versailler Vertrag
(2016)
Die Geschichtsschreibung der Reparationen nach dem Ersten Weltkrieg handelt bislang vor allem von Geld. Dieser Aufsatz plädiert dafür, auch die Sachlieferungen als einen wesentlichen Bestandteil des Versailler Vertrags zu interpretieren. Exemplarisch wird erprobt, wie sich theoretische Überlegungen zur sozialen Dimension von Dingen auf die Geschichte des Versailler Vertrags und seiner Folgen anwenden lassen. Anhand der zeitgenössischen Diskussionen über geplante Lieferungen von Baumaterial nach Nordfrankreich lässt sich nachvollziehen, dass man auf deutscher Seite mit diesen Reparationsleistungen durchaus Erwartungen verknüpfte: Aus Sicht der Politik sollten Sachlieferungen dazu beitragen, die Gesamtsumme der Reparationen zu mindern. Findige Unternehmen hofften schon 1919 auf einträgliche Geschäfte, etwa durch den Verkauf von Fertighäusern. Auch die Baugewerkschaften setzten auf neue Möglichkeiten für »deutsche Arbeiter und deutsches Material«. Selbst wenn die Lieferung in die Aufbaugebiete Nordfrankreichs in der Praxis begrenzt blieb, eröffnen die damit verbundenen Debatten neue Perspektiven auf die Geschichte des Nachkriegs.
Der Beitrag untersucht Arbeitsämter in der Bundesrepublik Deutschland und Großbritannien während der 1970er- und 1980er-Jahre, einer Zeit deutlich gestiegener Arbeitslosenzahlen. Im Fokus stehen die Verwaltungsvorgänge, begriffen als soziale Praktiken und Mensch-Ding-Verhältnisse. Mit der Akteur-Netzwerk-Theorie fragt der Aufsatz nach der Agency der Verwaltungsdinge im Arbeitsamt: den Bürogestaltungen, Aktenordnern, Wartenummern oder Stellenaushängen. Problematisiert wird besonders die in den 1970er- und 1980er-Jahren durchgesetzte Technisierung der administrativen Vorgänge, also der vermehrte Einsatz von Apparaten und EDV-Systemen in bundesdeutschen und britischen Arbeitsverwaltungen. In beiden Ländern wurde »Selbstbedienung« zu einem neuen Verhaltensdispositiv, das sich in den neu eingerichteten britischen Jobcentres jedoch schneller durchsetzte als im traditionellen deutschen Arbeitsamt, wo das passive Warten weiterhin eine vorherrschende Subjektivierungspraxis blieb.
Der junge Historiker Lutz Niethammer (geb. 1939) wollte kein »68er« sein. Viele seiner Altersgenossen fanden den Weg in die Außerparlamentarische Opposition, doch Niethammer blieb distanziert – er wollte teilhaben, nicht teilnehmen. Zwar rezipierte er die marxistisch wie psychoanalytisch inspirierten Faschismustheorien, doch blieb es bei einem grundlegenden Wissenschaftsinteresse.2 Während sich viele andere der Studentenbewegung anschlossen und ihr Augenmerk auf den Antiimperialismus und Internationalismus legten, brachte Niethammer die Gefahr von rechts in den Blick. Schon früh wandte er sich gegen den Geschichtsrevisionismus: Seine Kritik an David L. Hoggans Buch »Der erzwungene Krieg« von 1961 bildete den Anfang einer längeren Auseinandersetzung. »Ich glaubte, wir sollten etwas gegen den Aufstieg des Neofaschismus tun«, erklärte Niethammer retrospektiv in seiner fragmentarisch-autobiographischen Essaysammlung »Ego-Histoire?«. Dies erschien ihm »näherliegender« (sic) als der hilflose Antikapitalismus der Linken.
Elektronisches Publizieren und online verfügbare Quellenbestände haben die Geschichtswissenschaft verändert. Gesunkene Zugangshürden und einfache Suchmöglichkeiten beschleunigen den Blick in Quellen sowie Literatur und verbreitern die empirische Basis. Programme zum Bibliographieren, Recherchieren und Exzerpieren ersetzen den Zettelkasten, strukturieren unser Wissen neu und vereinfachen den Blick über geographische und disziplinäre Grenzen hinaus. In der Geschichtswissenschaft viel weniger bekannt sind dagegen Möglichkeiten zur Untersuchung großer Textkorpora mittels computerlinguistischer Methoden. Solche Forschungen versuchen qualitative und quantitative Analyseschritte miteinander zu verbinden. Dieser Sprung von der »digitalisierten« zu einer »digitalen« Geschichtswissenschaft, die algorithmische Analyseverfahren methodisch innovativ nutzt und reflektiert, ist längst noch nicht vollzogen.
Fritz Bauer und das Radio
(2019)
»Bauer ging nicht gerne in die Öffentlichkeit«, meinte Detlev Claussen rückblickend. Claussen, in den späten 1960er-Jahren Student in Frankfurt am Main, fügte seiner Charakterisierung des hessischen Generalstaatsanwalts jedoch sofort hinzu: »[…] aber die Verfolgung seiner Pflichten nötigte ihn dazu, öffentlich über die von ihm angeregten spektakulären Prozesse zu sprechen und in Hörfunk und Fernsehen, mit Aufsätzen und Vorträgen für eine Reformierung des Strafrechts zu kämpfen.« Der Soziologe Claussen ging noch weiter und urteilte: »Fritz Bauer musste contre coeur aus dem schützenden Schatten der Privatheit eines entre nous heraustreten, um seinen Auftrag zu erfüllen, nämlich Licht auf das Fortleben der Mörder unter uns zu werfen.« Die biographische Forschung unterstreicht das öffentliche Wirken des Juristen mittlerweile durch vielfältige Publikationen. Zu den Editionen von Vorträgen und kleineren Veröffentlichungen in Zeitungen und Zeitschriften gesellen sich seit 2014 die Ausgaben der »Gespräche, Interviews und Reden« aus den Fernseharchiven und seit 2017 ein Hörbuch mit Tondokumenten unter dem Titel »Fritz Bauer. Sein Leben. Sein Denken. Sein Wirken«.
»Alternative Fakten«, »erinnerungskulturelle Wenden«, Konflikte um Museen und Gedenkstätten, historische Sehnsüchte und Ressentiments – es nimmt nicht Wunder, dass der Aufstieg des Populismus1 überall in Europa auch von der Geschichtswissenschaft als Herausforderung verstanden wird. Das gilt in besonderem Maße für Deutschland, wo die politische Ordnung so sehr mit einer spezifischen Geschichtserfahrung und Geschichtsdeutung verbunden ist. Seit den Mobilisierungserfolgen von »Pegida« ab 2014 und der »Alternative für Deutschland« (AfD) ab 2015 steht der liberale Basiskonsens mit seiner um selbstkritische Reflexion und historische Verantwortung modellierten Erinnerungspolitik öffentlich unter Druck wie selten zuvor.
Katalysator wider Willen. Das Humboldt Forum in Berlin und die deutsche Kolonialvergangenheit
(2019)
Das neu-alte Schloss steht bereits. Die Baugerüste sind Ende 2018 gefallen und haben den Blick auf die rekonstruierten Barockfassaden an der Nord-, West- und Südseite freigegeben. Lediglich die moderne Ostfassade lässt von außen erkennen, dass es sich bei dem Gebäude auf dem Berliner Schlossplatz nicht wirklich um das alte Stadtschloss handelt, sondern um eine Teilrekonstruktion. In deren Innerem soll ab Ende 2019, im 250. Geburtsjahr Alexander von Humboldts, das Humboldt Forum etappenweise eröffnen. Neben Sonderausstellungsflächen, Veranstaltungsräumen und einer Ausstellung zur Geschichte des Ortes im Erdgeschoss sowie Ausstellungen des Landes Berlin und der Humboldt-Universität im ersten Obergeschoss wird es im zweiten und dritten Obergeschoss die Sammlungen des Ethnologischen Museums und des Museums für Asiatische Kunst beherbergen, die beide zu den Staatlichen Museen zu Berlin gehören und damit Teil der Stiftung Preußischer Kulturbesitz sind.
Das Ziel der 1787 geschriebenen US-Verfassung sei es, so heißt es in der Präambel, »to form a more perfect union«. Damals war offen, ob das politische Experiment auf dem nordamerikanischen Kontinent erfolgreich sein oder ob es aufgrund von inneren und äußeren Konflikten schon bald scheitern würde. Entsprechend nannte das 1782 entstandene Great Seal of the United States, auf dem auch das bekannte Präsidentensiegel basiert, eine bis heute nicht völlig eingelöste Aufgabe: »E pluribus unum«, »Out of Many, One«, also aus vielen Einzelstaaten einen gemeinsamen Staat zu machen.