1945-
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Der junge Historiker Lutz Niethammer (geb. 1939) wollte kein »68er« sein. Viele seiner Altersgenossen fanden den Weg in die Außerparlamentarische Opposition, doch Niethammer blieb distanziert – er wollte teilhaben, nicht teilnehmen. Zwar rezipierte er die marxistisch wie psychoanalytisch inspirierten Faschismustheorien, doch blieb es bei einem grundlegenden Wissenschaftsinteresse.2 Während sich viele andere der Studentenbewegung anschlossen und ihr Augenmerk auf den Antiimperialismus und Internationalismus legten, brachte Niethammer die Gefahr von rechts in den Blick. Schon früh wandte er sich gegen den Geschichtsrevisionismus: Seine Kritik an David L. Hoggans Buch »Der erzwungene Krieg« von 1961 bildete den Anfang einer längeren Auseinandersetzung. »Ich glaubte, wir sollten etwas gegen den Aufstieg des Neofaschismus tun«, erklärte Niethammer retrospektiv in seiner fragmentarisch-autobiographischen Essaysammlung »Ego-Histoire?«. Dies erschien ihm »näherliegender« (sic) als der hilflose Antikapitalismus der Linken.
Am Beispiel Willy Brandts und seiner Beziehungen zu den USA wird deutsche und amerikanische Außenpolitik als transnationale Mediengeschichte interpretiert. Wie wirkte sich das besondere Verhältnis zu den USA auf den medialen und politischen Stil der Bundesrepublik aus? Dies wird erstens anhand der publizistischen Vermittlung von Brandts Reisen in die USA und der daraus resultierenden Imagebildung untersucht. Zweitens wird nach amerikanischen Einflüssen auf Brandts Inszenierungspraktiken und die damit verbundene Medienberichterstattung gefragt; dabei steht John F. Kennedy als Vorbild im Zentrum. Der Untersuchungsschwerpunkt liegt auf der Zeit von 1958 bis 1961.
Herfried Münkler, seit 1992 Professor für Theorie der Politik an der Humboldt-Universität zu Berlin, betrachtet Imperien als „eine Form von Problembearbeitung neben der des Staates und anderen Organisationsformen des Politischen“. Idealtypisch unterscheidet er zwischen dem „pluriversen Ordnungsmodell der Politik“, d.h. einer von mehr oder weniger gleichberechtigten Staaten ausgehandelten Weltordnung, und dem imperialen, d.h. von einer klaren Vormacht bestimmten Ordnungskonzept. Dieser Gegensatz könne auch und gerade viele Konfliktlagen des 20. Jahrhunderts erklären. Anders als die Imperialismustheoretiker, die imperiale Herrschaftsformen seit Ende des 19. Jahrhunderts auf unterschiedliche Weise kritisiert haben, fragt Münkler zunächst einmal wertfrei nach den Merkmalen von Imperien, den Quellen ihrer Macht, ihren Stabilitätsbedingungen und Techniken der Krisenbewältigung sowie nach den Ursachen ihres Scheiterns. Sein universalhistorischer Blick reicht vom Imperium Romanum über das Mongolenreich, die frühneuzeitlichen See-Imperien und das russische Zarenreich bis zum heutigen Europa und den USA.
Historians have analyzed films, novels, records, theater plays etc. primarily in reference to their meaning and reception. This article makes a case for moving the focus to the actors, structures and processes that shape symbolic objects before these are consumed. To this end, we present a framework established in US sociology to study the fabrication, distribution and evaluation of symbolic content. We discuss the production of culture perspective as an approach that appears to be particularly useful for historical research and, by reviewing selected works from the sociological literature, demonstrate how this perspective can be applied to phenomena like popular music and literary fiction. We focus on genres as bundles of conventions as one lens through which historians may analyze the creation, reproduction, evaluation and consumption of culture.
This article discusses key aspects of the symbolic politics of the British and West German anti-nuclear-weapons movements in the late 1950s and early 1960s. More specifically, it examines the interaction between protest, politics, the media and the public sphere. It proposes two analyses of the protests: first, as the creation of a public sphere by means of "street politics" and, second, as a key to establishing an emotional community of protesters both in a national and transnational context. The media played a crucial role by enabling isolated protests to be perceived as parts of broader movements. The article argues that protests in both countries by and large adhered to, rather than transcended, the dominant national cultural codes. These movements thus exemplify the ways in which international relations, transnational links and national protest traditions interact.
»Aktiv gegen Streß« – mit dieser Schlagzeile informierte »Der Scheibenwischer«, die Werkszeitung der IG Metall für die Beschäftigten der Daimler-Benz AG und der Mercedes-Benz AG am Standort Stuttgart, im Mai 1990 über die laufenden Tarifverhandlungen. Arbeitstempo und Leistungsdruck nähmen rasant zu, diesem Trend müsse man gemeinsam entgegenwirken. Dazu habe die IG Metall für die Tarifrunde ein »Anti-Streß-Paket« geschnürt, in dessen Mittelpunkt die Forderung nach einer 35-Stunden-Woche »für mehr freie Zeit und Lebensfreude« stehe. Die insgesamt acht Seiten des Hefts, das vor allem an die Angestellten in den Verwaltungszentralen des Konzerns verteilt wurde, informierten über Probleme wie Personalabbau, psychische Gründe für steigende Fehlzeiten und drohende Verschlechterungen der Arbeitsbedingungen durch das von der Unternehmensberatung McKinsey eingeführte Programm zur »Optimierung der Gemeinkosten« (OGK). Hervorgehobene Kästchen definierten zentrale Begriffe der Artikel, darunter »Streß«. Mit Verweis auf das seit 1976 in vielen Auflagen erschienene Buch »Phänomen Streß« von Frederic Vester wurden in knappen Worten medizinischer Hintergrund und psychisch-soziale Folgen der modernen Industriegesellschaft für den »natürlichen Verteidigungsmechanismus des Körpers« zusammengefasst.
»Verdammt von Moralisten, glorifiziert als Kunst, unverzichtbarer Wirtschaftsfaktor für die Medien« – so fasste die Journalistin Eva-Maria Burkhardt 1989 in der Zeitschrift »Auto Motor und Sport« die gesellschaftliche Relevanz von Werbung zusammen. Anschließend ging sie auf die massive öffentliche Kritik speziell an der Autowerbung ein. Diese sei verantwortlich für »Rowdytum und Raserei auf den Straßen«, lautete ein vielfach kolportierter Vorwurf von Experten für Verkehrssicherheit, da sie die Symbole »Sportlichkeit« und »Motorleistung« inszeniere. Sicher vereinfachte die zeitgenössische Diskussion den kausalen Zusammenhang zwischen Bildern von rasenden Autos und schweren Verkehrsunfällen; zumindest die Zahl der Verkehrstoten war in der Bundesrepublik der 1980er-Jahre eher rückläufig. Gleichwohl belegt diese Debatte, wie eng (Auto-)Werbung und öffentlich diskutierte Themen aufeinander bezogen waren. Werbung wirkte dabei als »Zerrspiegel« gesellschaftlicher Realität.
»Leise über den Dächern reisen«, so war im Herbst 2012 ein Artikel zu städtischen Seilbahnen betitelt. Der zentrale Vorteil dieses Transportmittels: Seine Nutzer würden hoch über den verstopften Straßen schweben, ihr Ziel fast lautlos, ohne Verzögerung und beinahe CO2-neutral erreichen. In Europa ist die zu den Olympischen Sommerspielen 2012 in London eröffnete und nach ihrem Sponsor benannte Luftseilbahn Emirates Air Line eines der bekanntesten Prestigeprojekte für diese neue städtische Mobilitätsform. Als Vorbilder dienten die urbanen Seilbahnen in Asien und Lateinamerika, obschon vereinzelt auch westliche Städte wie Barcelona, New York oder Koblenz im ausgehenden 20. und frühen 21. Jahrhundert auf dieses Konzept gesetzt hatten. Gerade in Metropolregionen und Megastädten, die sich mit einem massiven Verkehrsaufkommen und einem immer weiter voranschreitenden Bevölkerungswachstum konfrontiert sehen, entwickelt sich die Seilbahn zu einem Fortbewegungsmittel, das Zukunftsutopien bedient.
Lutz Niethammer ist einer der bedeutendsten Zeithistoriker Deutschlands. Bis zu seiner Emeritierung im Jahr 2005 war er Professor für Neuere und Neueste Geschichte an der Friedrich-Schiller-Universität Jena. Im Jahr 1971 wurde er zum Thema Praxis der Entnazifizierung in der US-amerikanischen Besatzungszone promoviert, hatte anschließend Professuren an der Universität Essen und der FernUniversität Hagen inne. Bekannt ist Niethammer als Doyen der Oral History in der Bundesrepublik. Kontroversen löste seine Studie über „die roten Kapos“ aus.
Sein erstes Buch ist allerdings in Vergessenheit geraten, zu Unrecht. In der Studie Angepaßter Faschismus (1969) befasste sich der damals noch unbekannte Lutz Niethammer mit der erst 1964 gegründeten Nationaldemokratischen Partei Deutschlands (NPD). Seine Erkenntnisse über das Wesen des „organisierten Nationalismus“ scheinen heute wieder aktuell. Yves Müller und Dominik Rigoll sprachen mit Lutz Niethammer über das vor 50 Jahren erschienene Buch und über gegenwärtige Gefahren für die Demokratie.
„Wir, die Historiker und Biographen“. Zur Gattungspoetik des historischen Sachbuchs (1945–2000)
(2008)
Das Ende des Zweiten Weltkriegs und der Neuanfang auf dem deutschen Buchmarkt der Nachkriegszeit stellen für eine Gattungsgeschichte des historischen Sachbuchs im 20. Jahrhundert einen doppelten Umbruch dar. Mit dem Ende der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft und dem äußeren Zusammenbruch der bisherigen Ordnung bot sich der für die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts wichtigste Themenbereich geradezu von selbst an. Darüber hinaus konnte sich die Gattung des historischen Sachbuchs erst jetzt strukturell klarer entwickeln und seit den 60er Jahren auch begrifflich deutlicher in Erscheinung treten. Dennoch beginnt eine Gattungsgeschichte des historischen Sachbuchs nicht erst auf dem entstehenden Buchmarkt der 1950er Jahre. Zwar lassen sich nun wesentliche Veränderungen und Umbrüche feststellen, doch sind gerade bei einem so konservativen Buchmarktsegment wie der Geschichtsschreibung längerfristige Traditionslinien und Kontinuitäten von großer Bedeutung.
Unternehmensplanspiele entstanden in den USA um 1956 aus militärischen Simulationsprogrammen, Fallstudien an Business Schools sowie Kriegsplanspielen und einer Reihe weiterer Einflussgrößen. Angesiedelt am Schnittpunkt von Unternehmensführung, ökonomischen Paradigmen und Computerisierung, bietet das Feld der Unternehmensplanspiele besonders gute Voraussetzungen, um Transformationen gesellschaftlicher Steuerungslogiken nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs nachzuvollziehen. In den »ernsthaften Spielen« wurden Praktiken des Entscheidens sowie die Adaption an ein neues Medium und einen veränderten Rationalitätsbegriff (spielerisch) erprobt. Der Aufsatz nähert sich diesem Feld aus einer medienkulturwissenschaftlichen Perspektive. Der Beitrag fokussiert auf die erste Phase der Verwendung von Unternehmensplanspielen bei der Ausbildung von Führungskräften in der Bundesrepublik seit Beginn der 1960er-Jahre. Näher vorgestellt wird der Einsatz des von IBM entwickelten Planspiels TOPIC 1 bei Hoechst.
Die Welt hat sich im 20. Jahrhundert gründlicher und vor allem anders verändert, als es den Erfahrungen und wissenschaftlichen Deutungsmustern vor 50, teils noch vor 30 Jahren vorstellbar schien. Die „Geschichtlichen Grundbegriffe“ sollten die Heraufkunft der Gegenwart erklären, sie sollten die Gegenwart in ihrer politisch-sozialen Leitsemantik entschlüsseln. Diese Brücke in die unmittelbare Gegenwart, von der die Generation der Herausgeber des Lexikons ausgehen konnte, bleibt inzwischen in der Luft hängen. Wer versucht, Reinhart Kosellecks Begriffsgeschichte und die „Grundbegriffe“ Studierenden in den ersten Semestern zu erklären, der weiß, wovon die Rede ist: Die moderne Welt, in die das Lexikon hineinführen wollte, ist weit entfernte Vorgeschichte.
Als die im April 2006 mit 89 Jahren verstorbene Stadtforscherin Jane Jacobs im Oktober 2004 für einen letzten Vortrag in ihre ehemalige Heimatstadt New York zurückkehrte, bereitete ihr das Publikum einen großen Empfang. Fast die gesamte Urbanisten- und Planungsprominenz der Stadt war erschienen und feierte die 1968 nach Kanada ausgewanderte „Grande Dame“ der nordamerikanischen Stadtforschung mit stehenden Ovationen. Einer Einladung des New Yorker City Colleges folgend, war sie gekommen, um die Auftaktrede für eine neue Vorlesungsreihe zu Ehren Lewis Mumfords zu halten, der an dem besagten College im Norden Manhattans studiert hatte. Es war, als schlösse sich ein Kreis: Jacobs’ Karriere hatte 1961 mit der Publikation ihres Erstlingswerks „Death and Life of Great American Cities“ in New York ihren Anfang genommen; der Inhalt dieses Buchs verwickelte sie dann in einen Jahre andauernden Streit mit Mumford. Am Ende ihres Schaffens angelangt, entschied sie sich als erste Referentin der zu Mumfords Ehren eingerichteten Vorlesungsreihe, in New York ihren alten Gegenspieler zu würdigen. Bedeutungsschwer war Jacobs’ Auftritt aber auch deshalb, weil er zum Ausdruck brachte, wie sehr sich das Verhältnis zwischen der Planungskritikerin Jacobs und der planenden Zunft in den USA über die Jahrzehnte geändert hatte. Zu Beginn ihrer Karriere wegen ihrer mangelnden akademischen Ausbildung in der von Männern dominierten Profession noch als „Hausfrau“ belächelt, stieg Jacobs innerhalb weniger Jahre zu einer der meistbeachteten Persönlichkeiten der amerikanischen Stadtforschung auf. Jacobs’ Bedeutung als Kritikerin modernistischer Planungsexzesse und Mitbegründerin eines neuen Verständnisses städtischer Entwicklung und Planung ist Grund genug, sich ihres ersten und wohl wichtigsten Werks erneut zu widmen - dem Essay „Death and Life of Great American Cities“, der in einem deutschen Nachruf auf Jacobs als „urbanistische Bibel des späten 20. Jahrhunderts“ bezeichnet wurde.
After the Second World War, West German Catholics placed more faith in religious miracles than they did at almost any other period in the modern era. West German congregations reported eleven apparitions of the Virgin Mary to Church officials be-tween 1945 and 1954, as well as Europe’s most prominent twentieth century case of stigmata. Existing scholarship links the popularity of these alleged miracles to the ways in which Marian symbolism articulated anxieties about war trauma and the Cold War. This article illustrates how an interconnected movement of rural women, provincial priests, concentration camp survivors, and former prisoners of war based around Marian visions and stigmata emerged as a reaction not only to the Cold War, but also to Americanisation, consumerism, and the Nazi past. To frame the bitter conflicts between Marian pilgrims and Church hierarchy about the recognition of religious miracles, the article utilises Pierre Bourdieu’s concept of ‘religious field’. It also takes into account the gendered character of the conflicts.
Das Tagebuch des bulgarischen Kommunisten und Komintern-Vorsitzenden Georgi Dimitrov (1882-1949) gehört zu den erst in jüngerer Zeit zugänglich gewordenen Quellen, die Stalin jenseits historisch tradierter Klischees und der zumeist spekulativen Persönlichkeitsskizzen der älteren westlichen Literatur als einen Menschen mit konkret benennbaren Charakterzügen zeigen und darüber hinaus ein anschauliches Bild der Umgangs- und Kommunikationsformen in seinem Umfeld vermitteln. Bis 1991 im Archiv der Kommunistischen Partei Bulgariens aufbewahrt und unter Verschluss gehalten, zählt Dimitrovs Tagebuch, das die Jahre 1933 bis 1949 umspannt, zu den vielen archivalischen und sonstigen Quellen, die nach dem Zusammenbruch des Kommunismus in Ost- und Südosteuropa von der Geschichtswissenschaft erschlossen und zum Teil durch Editionen einer breiteren Öffentlichkeit bekannt gemacht wurden. Das internationale Interesse an Dimitrovs Aufzeichnungen war so groß, dass die bulgarische Ausgabe (1997) wahlweise ganz oder in Auszügen ins Deutsche, Französische, Englische und Italienische übersetzt wurde.
Wie mehrere aktuelle Konferenzen zeigen, ist das Forschungsfeld der Umweltzeitgeschichte Ost(mittel)europas derzeit stark in Bewegung.1 Dabei werden zum einen Debatten geführt, die sich auf die Entwicklung der einzelnen sozialistischen Gesellschaften, die jeweilige Regimepolitik und die Periodisierung der Zeitgeschichte beziehen. Zum anderen werden Vergleiche zu den westlichen Staaten angestellt. Darüber hinaus steht der Platz Ost(mittel)europas in einer globalen Umweltgeschichte zur Debatte. Die Einordnung in globale Kontexte und eine stärker vergleichende Perspektive versprechen unter anderem eine Relativierung (wenn vielleicht auch nicht Aufhellung) des bislang vorwiegend düsteren Bildes, das von der Sowjetunion und den Ostblockstaaten in Bezug auf deren Umweltprobleme und -politik gezeichnet wurde.
Jürgen Thorwalds „Die große Flucht“, erstmals 1949/50 in zwei Bänden erschienen und zuletzt 2005 wieder aufgelegt, ist eines der verbreitetsten Werke über das Ende des Zweiten Weltkriegs im Osten sowie Flucht und Vertreibung der deutschen Bevölkerung. In den 1950er-Jahren gehörte Konrad Adenauer zu den Lesern, und bis heute argumentiert Erika Steinbach mit Elementen aus Thorwalds Darstellung. Sehr früh hatte Thorwald (Pseudonym für Heinz Bongartz) exklusiven Zugriff auf eine Fülle von Dokumenten und Zeitzeugenberichten. Sein Erfolg lässt sich jedoch eher mit der besonderen Darstellungsweise erklären, die sich zugleich sachlich und emotional gibt. Historiographischer Anspruch und literarische Verdichtung sind in dem Werk eng verbunden. Ästhetisch knüpfte Thorwald an den Kriegsbericht an, zu dem er als Autor journalistischer Artikel und Bücher über Luftwaffe und Marine vor 1945 selbst beigetragen hatte. Gleichzeitig bilden Thorwalds Bücher spezifische diskursive Formationen der Nachkriegszeit ab.
Es ist ein Jahrhundertbuch. 1901 mit über 800 Seiten erstmals veröffentlicht – bei späteren Auflagen waren es meist über 1.000 –, erreichte das Buch 1913 die erste Million. 1929 folgte eine „Neue Dritte Millionen-Ausgabe“, die zu dieser Zeit allerdings eher eine Absicht anzeigte als die tatsächlich erreichte Auflage. Denn 1969, nach mehreren Neuauflagen, Volks- und Buchgemeinschaftsausgaben meldete das Süddeutsche Verlags-Institut Julius Meyer, in dem „Die Frau als Hausärztin“ seit 1901 erschienen war, eine Gesamtauflage von „nur“ 3.365.000 Exemplaren. Die letzten Auflagen publizierte 1979, 1985 und 1993 der inzwischen von Random House aufgekaufte und eingestellte Falken Verlag.
Die Geschichte von Flucht und Vertreibung der Deutschen aus den ehemals deutschen Ostgebieten sowie aus Ostmittel- und Osteuropa ist seit den 1990er-Jahren wieder zu einem bedeutenden Thema der breiteren Öffentlichkeit geworden. Dies zeigen verschiedene Publikationen, Fernsehfilme und nicht zuletzt die Debatte um ein „Zentrum gegen Vertreibungen“. Die Hinwendung der Öffentlichkeit zu diesem Thema war von einem Perspektivwechsel in der Geschichtswissenschaft begleitet. Auch hier fand und findet das Thema ein verstärktes Interesse, das sich in zahlreichen Tagungen und oftmals vergleichenden fachwissenschaftlichen Publikationen niederschlägt.
Since the 1950s, cycling policy in China has gone through three phases: from active encouragement (1955–1994) and systematic discouragement (1994–2008) to neglect and ambivalence (since the 2010s). Parallel to the expansion of automobility, the country has been unique in its development of innovations in electric-powered two-wheelers and a vibrant e-cycling practice since the 1980s. Electric bikes have given over 300 million low-status commuters and peddlers access to jobs and housing, even though planners have dismissed them as a problematic ›floating population‹ and remnants of the past. Given China’s current urban sustainable mobility challenges and ambition to become the world’s first ›Ecological Civilization‹ (2013), China’s bicycle industry, e-vehicle manufacturers, and the e-commerce sector may offer an alternative to the US-based ›car civilization‹ if ecological (e-cycles) and social (low-status workers) sustainability are brought into one analytical frame.
What have been the contributions of social memory studies to the discourse of German history, particularly about the Nazi past? This essay seeks to distinguish between the memory boom in politics and culture and the more durable insights of social theory and historiography about memory, including insights about this memory boom itself. In particular, it explores mythologies of ‘turning points’ in the discourse of memory, arguing that the attribution of such turning points is often overstated. To be sure, 1989 did mark significant ruptures. But comparing present debates to the Historikerstreit (historians’ dispute) of the mid-1980s, and the Historikerstreit to earlier debates shows that as much has stayed the same as has changed. We remember not just the Nazi past, but the previous ways in which we have remembered the Nazi past, and our mnemonic practices are as much comments on earlier practices as on the event itself.
Jenseits von Zeit und Raum. Flugreisewerbung in den USA und Westdeutschland während der 1970er-Jahre
(2017)
»Getaway. To places you always wanted to see but never thought you could«, lautete die Überschrift einer Werbekampagne der amerikanischen Fluggesellschaft Trans World Airlines (TWA) im Jahr 1971. In großformatigen, mit Farbfiltern hervorgehobenen Bildern von Sehenswürdigkeiten wie dem britischen Parlamentsgebäude in London, dem amerikanischen Grand Canyon oder dem Taj-Mahal-Mausoleum im indischen Agra bewarb sie Reiseziele auf verschiedenen Kontinenten.
Seit einigen Jahren lässt sich in der Historiographie ein gesteigertes Interesse an der Geschichte von Luft- und Raumfahrt beobachten, das sich auch in Museumsaktivitäten und Ausstellungsprojekten niederschlägt. Zugleich erlebt die Beschäftigung mit dem Thema „Imperium“ einen Aufschwung, insbesondere das Interesse an den USA als imperialer Macht. Die folgende Besprechung der Dauerausstellung des National Air and Space Museum (NASM) bringt beide Untersuchungsfelder zusammen und legt die Untersuchungskategorie „Imperium“ an die Musealisierung von Luft- und Raumfahrt an. Dabei werden zunächst die Sammelschwerpunkte des Museums sowie die Charakteristika der Präsentation betrachtet; in einem zweiten Schritt werden verschiedene Themenfelder der Ausstellung diskutiert, bevor abschließend die Bedeutung des NASM als imperial museum ausgelotet wird, in dem sich der amerikanische Aufstieg zur Weltmacht widerspiegelt.
Bei seiner Erstveröffentlichung stieß Michele Wallaces Buch »Black Macho and the Myth of the Superwoman« auf ein geteiltes Echo. Während Vertreterinnen der Frauenbewegung den Text als Markstein der (afroamerikanischen) feministischen Literatur feierten, als der er auch heute noch betrachtet wird, schallte der Autorin aus anderen Teilen der Öffentlichkeit vor allem Kritik entgegen. In »Black Macho« setzte sich Wallace provokant mit dem geschlechterpolitischen Erbe der Bürgerrechtsbewegung auseinander. Vor allem die Black-Power-Bewegung habe ein Ideal schwarzer Hypermaskulinität hervorgebracht, das afroamerikanische Männer in ihren Entwicklungspotentialen beschränke und schwarze Frauen dauerhaft in traditionellen Rollen an den Rändern einer patriarchalischen Gesellschaftsordnung gefangen halte. Wallace interessierte sich besonders für die intersektionalen Verflechtungen von Race, Class und Gender, die afroamerikanische Frauen und Männer auf unterschiedliche Art und Weise marginalisierten. Ihr Buch war zugleich eine Abrechnung mit der US-amerikanischen Gesellschaft, in deren Selbstverständnis, so Wallace, Rassismus und Sexismus seit der Kolonialzeit fest verankert waren und die People of Color seit Jahrhunderten strukturell benachteiligte.
Vom Wort „Imperium“ geht eine archaische Faszination aus. Es weckt Assoziationen von herrscherlicher Willkür und roher militärischer Gewalt, von oberster Autorität, die keine Gleichberechtigten anerkennt, von kommandierender Verfügung über riesige Räume, schließlich über den Erdball an sich. Das Bildgedächtnis wartet mit Spektakulärem auf: der Brutalität des Nebukadnezar, der Dynamik Alexanders, Peter Ustinovs Kaiser Nero, Chaplins Großem Diktator im Ballett mit dem Globus, Eroberungsschlachten seit Cortez’ Vormarsch gegen die Azteken, Rückzugsgefechten bis Algier 1958 und Saigon 1975. Im Imperium kristallisiert sich der höchste Anspruch auf monopolisierte Macht. Allein aus Gründen symbolischer Politik musste daher jeder US-Präsident nach dem Zusammenbruch des strategischen Gleichgewichts der Supermächte eine imperiale Rhetorik und einen imperialen Gestus annehmen (was George W. Bush in besonders ausgeprägter Weise getan hat).
Ausgehend von Theodor W. Adornos Auffassung, dass Kunst sprechen lasse, »was die Ideologie verbirgt«, werden im vorliegenden Beitrag in der DDR entstandene künstlerische Landschaftsdarstellungen als mediale Beglaubigungen eines gleichermaßen realen wie teleologisch verstandenen Sozialismus in den Blick genommen. In der DDR spielte Landschaft und ihre mediale wie ästhetische Repräsentation eines Zusammenhangs aus Natur, Kultur, Interpretation, Leben und Arbeit eine zentrale Rolle. Denn mit Landschaftsdarstellungen lässt sich der »authentische« Lebensstil einer Gesellschaft verräumlichen und ermöglicht so historische Aufschlüsse sowohl über Authentisierungsstrategien des Sozialismus als auch über die problematische Referentialität des Authentischen, einschließlich seiner Bedeutung in der politischen Kommunikation. Der Vergleich von DDR-Landschaftsdarstellungen unterschiedlicher Dekaden zeigt darüber hinaus verschiedene Strategien der Verzeitlichung des Raumes. Dies wird hier exemplarisch an zwei Filmen und einem Gemälde über Montanlandschaften untersucht: dem Spielfilm »Sonnensucher« (1958) von Konrad Wolf und der Serie »Columbus 64« (1966) von Ulrich Thein sowie dem Gemälde »Hinter den sieben Bergen« (1973) von Wolfgang Mattheuer.
Die bikonfessionelle Struktur Deutschlands stellte seit dem 16. Jahrhundert einen der herausragenden Faktoren seiner Geschichte dar. Durch das Verhältnis der Konfessionen zueinander und die Herausbildung der konfessionellen Lebenswelten wurden historische Entwicklungsprozesse im politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Bereich bedingt, die den Übergang zur Moderne und deren Entfaltung
markierten. Konfessionsunterschiede und Herrschaftsstrukturen hingen dabei eng zusammen und griffen vielfach ineinander. Den Konfessionskirchen kam in diesen Prozessen eine bedeutende Rolle zu. Die kirchlichen Organisationen, verbunden konfessionell geprägten Milieus und vermittelt durch diese, waren bestrebt, in Abgrenzung von der jeweils anderen Konfession eine Stärkung der eigenen (Macht-)Positionen in Staat und Gesellschaft zu erreichen.
„Lach über alles und vergiss es.“ Dieses Motto stellte der Holländer Aart M. an den Beginn eines Fotoalbums, das seine bildlichen Erinnerungen an den Zweiten Weltkrieg und den Einsatz als Zwangsarbeiter in Berlin festhält. Es zeigt die Widersprüchlichkeit privater Fotoalben: Werden die Bilder aufbewahrt, um zu erinnern oder zu vergessen? Hilft ein solches Album dem Besitzer dabei, über die Erfahrungen der Zwangsarbeit zu lachen? Und wie kann die Geschichtswissenschaft die oft so ‚fröhlich‘ wirkenden Fotoalben als historische Quellen interpretieren?
Am 17. November 1922 erschien in der Wiener Tageszeitung „Neue Freie Presse“ ein „Vorschlag“, den man schon zwei Tage davor in der „Vossischen Zeitung“ hatte lesen können. Der Artikel stammte von Richard Coudenhove-Kalergi und bot eine pointierte Zusammenfassung seines wenig später erscheinenden Bandes „Pan-Europa“. Das Ziel des Autors: Europa solle sich zu einer politischen Einheit zusammenschließen.
Cemal Kemal Altun nahm sich am 30. August 1983 durch einen Sprung aus dem sechsten Stock des Berliner Verwaltungsgerichts das Leben. Damit wollte er seiner Abschiebung in die Türkei und der dort drohenden Folter entgehen. Dreizehn Monate Auslieferungshaft und ein zermürbendes Rechtsverfahren machten den »Fall Altun« zum Symbol der Unmenschlichkeit und Ungerechtigkeit bundesdeutscher Ausweisungspraxis. Der Hohe Kommissar für Flüchtlingsfragen der Vereinten Nationen ermahnte die deutschen Behörden, ihre inhumane Behandlung von Migrant*innen zu beenden. Der Europarat protestierte, und die Europäische Kommission für Menschenrechte in Straßburg wurde hinzugezogen. In der Bundesrepublik traten Aktivist*innen in Hungerstreik, und etwa 10.000 Menschen setzten ein Zeichen, als sie Altuns Leichenzug durch West-Berlin in einen Protestmarsch verwandelten. Anti-Abschiebe-Proteste nahmen zu und institutionalisierten sich Mitte der 1980er-Jahre in Form von Kirchenasyl, Flüchtlingsräten, Pro Asyl, Fluchtburg-Bewegung, migrantischer Selbstorganisation und antirassistischen Initiativen.
Viele amerikanische Präsidenten haben ihre Amtszeit unter ein prägnantes Motto gesetzt. John F. Kennedys Leitmotiv, die „New Frontier“, hat sich tief in das amerikanische Gedächtnis eingegraben. Es wurde zum Schlüsselbegriff für die Ziele seiner nur rund 1.000 Tage währenden Präsidentschaft; für jene Zeit, die in den Augen vieler Zeitgenossen das Ende der langen Nachkriegsjahre verkörperte. Mit jugendlichem Elan und Charisma sowie einem informell-charmanten, medienwirksamen Politikstil stand „JFK“ für ein neues Amerika. Bei der „New Frontier“ ging es somit weniger um neue Grenzen als um das grenzenlos Neue im Rahmen einer imperialen Präsidentschaft.
Seit einiger Zeit löst sich die Schockstarre, die bei Bekanntwerden des Ergebnisses des Referendums vom Juni 2016 über die EU-Mitgliedschaft des Vereinigten Königreichs eingesetzt hatte. Mittlerweile wird sie außerdem gelegentlich durch Entwicklungen in den USA, Italien und anderswo überlagert, die alle ihrerseits für die weitere Entwicklung in Bezug auf den Brexit folgenreich sind. Weiterhin ist das Vereinigte Königreich Teil der Europäischen Union, wobei die Perspektive eines Austritts längst ihren Schatten vorauswirft. Viel ist in den vergangenen Monaten international gesagt und geschrieben worden, um das lange Zeit Undenkbare zu erklären. Eine beachtliche Reihe von Kommentatoren hat sich zu Ergründungen des britischen Nationalcharakters hinreißen lassen und etwa Beispiele für ein tief verankertes Sonderbewusstsein und Anzeichen für einen Sonderweg in Kultur und Geschichte bemüht.
Mit keinem anderen Bild verbindet sich der Schrecken des Vietnamkrieges und der Schrecken des Krieges im Allgemeinen so sehr wie mit dem Foto des Mädchens Kim Phúc. Die Aufnahme machte der vietnamesische Fotograf Nick Ut am 8. Juni 1972 in der Nähe des Dorfes Trang Bang. Sein vielfach ausgezeichnetes Bild wurde zu einer zentralen Ikone des 20. Jahrhunderts. Als solche führt sie im kollektiven Gedächtnis mittlerweile ein eigenes Leben und konstituiert eine Wirklichkeit, die mit der ursprünglich abgebildeten nur noch wenig gemein hat. Immer wieder ist das Bild politisch, kommerziell und religiös funktionalisiert und in neue Kontexte gestellt worden. Der Aufsatz rekonstruiert die politischen und medialen Zusammenhänge, in denen das Bild entstand. Zugleich verfolgt er den jedem großen Krieg nachfolgenden Prozess der Überzeichnung und Überschreibung der ursprünglichen Bilder sowie der mit wachsendem Zeitabstand zunehmenden Legenden- und Mythenbildung.
Der Aufsatz skizziert die Geschichte und die Veränderungen eines der bedeutendsten Porträts der Zeitgeschichte: des Mao-Porträts auf dem Platz des Himmlischen Friedens (Tiananmen-Platz) in Peking. Er spannt den Bogen von 1949 bis in die Gegenwart und untersucht dabei die unterschiedlichen Funktionen und Gebrauchsweisen des Bildes als Herrschaftssymbol, als Ikone der studentischen Protestbewegungen des Westens und der Pop Art um 1968, als kollektivem Protestobjekt im Frühjahr 1989, als Motiv der chinesischen Gegenwartskunst sowie als Bestandteil des Alltagskults. Ein besonderer Akzent wird dabei auf die immanenten Wirkungspotenziale des Bildes und den Ort seiner Präsentation gelegt. In allgemeinerer Perspektive versteht sich der Aufsatz als Plädoyer für eine Visual History von Herrscherbildern der Zeitgeschichte.
Das HB-Männchen „Bruno“ war eine der erfolgreichsten Werbefiguren der Wirtschaftswunderzeit, dessen Popularität noch diejenige des Bundeskanzlers übertraf. Werbefachleuten gilt „Bruno“ als „Musterbeispiel für effiziente Markenführung“. Der Aufsatz geht der Entstehungsgeschichte dieser Werbefigur und der mit ihr verbundenen Werbestrategie nach. Gefragt wird nach den Bedingungen und dem Erfolgsrezept dieser Figur sowie nach den Gründen ihres späteren Niedergangs. Damit leistet der Aufsatz einen Beitrag zur Werbe-, Konsum- und Mentalitätsgeschichte der Bundesrepublik.
Um Anerkennung als legitimes Objekt wissenschaftlichen Fragens muss die Populärkultur längst nicht mehr kämpfen. Zwar dürfte es kaum möglich sein, die vielfältigen Ansätze zur Massen- und Unterhaltungskultur auch nur des späten 20. Jahrhunderts auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen, aber unter den dabei bevorzugt behandelten Gegenständen müsste wohl den James-Bond-Filmen ein prominenter Platz eingeräumt werden. Mehr als jede andere Filmreihe haben sie ein ganzes Genre des Actionkinos definiert und Standards des Spionage- und Agententhrillers etabliert, die bis heute und noch in ihrer ironischen Brechung als Referenzgröße dienen.
Der Aufsatz behandelt die Gewaltfaszination innerhalb von zwei politisch konträren Intellektuellenmilieus in der deutschen Geschichte des 20. Jahrhunderts. Durch eine Gegenüberstellung der Konservativen Revolution der 1920er- und der Neuen Linken der 1960er-Jahre werden Ähnlichkeiten und Unterschiede in den intellektuellen Verhaltensstilen, Denkfiguren und argumentativen Grundmustern herausgearbeitet und jenseits von Skandalisierung und Apologie kontextualisiert. So können einerseits ideengeschichtliche Analogien zwischen beiden Bewegungen aufgezeigt werden, etwa in einem Überlegenheits- und Sendungsbewusstsein sowie in der Behauptung einer bevorstehenden Epochenwende. Andererseits resultierte aus den verschiedenen inhaltlichen Positionen eine unterschiedlich ausgeprägte Handlungsbereitschaft. Während sich die Weimarer Rechtsintellektuellen mehrheitlich als interessierte, wiewohl passive Beobachter von naturwüchsigen Krisenzuständen sahen, verstanden sich nicht wenige Protagonisten der westdeutschen Neuen Linken als handelnde Subjekte eines welthistorischen Entscheidungskampfes - wenngleich auch hier letztlich nur eine Minderheit den Weg aktiver Gewaltausübung einschlug.
Im Jahr 2012 kam der Film »Fetih 1453« in die türkischen Kinos. Das Heldenepos um den 18-jährigen Sultan Mehmed II., dessen Truppen die oströmische Hauptstadt einnahmen, war unter Einsatz neuester Computertechnik, Animationen und vielerlei Effekten hergestellt worden. Der Kinostart in Istanbul war – damit die geschichtsträchtige Symbolik sich auch jedem Türken deutlich erschließe – um 14.53 Uhr. Der Film entwickelte sich rasch zum Kassenschlager. Er war nicht nur der teuerste in der Türkei jemals gedrehte Film – seine Produktionskosten beliefen sich auf 17 Mio. US-Dollar –, sondern zog auch die meisten Besucher an.
Rereading a book is always an uncanny experience in multiple temporalities. If the linguistic turn has taught us anything, it is that the context of reading shapes the meaning of the text that is read. The historicist impulse to reconstruct the original context on the basis of the text itself is at best an asymptotic, at worst a quixotic, pursuit. Yet texts remain, some more so than others. Those texts which continue to be read and reread long after their original context has passed we call ‘classics’. This is a term most frequently applied to literature, of course, but also to philosophy and other scholarly works animated by a generalising impulse. It pertains to works, in other words, which lay claim to a significance transcending their original context. It is rarely applied to works whose principle value is empirical or narrowly scholarly. These are presumed to be only temporarily useful interventions into an ongoing scholarly debate, in which later works draw on and ‘supersede’ the insights of earlier ones, rendering their predecessors superfluous. (Rather the reverse of Jove and his children.) Consequently, relatively few works of historical scholarship are considered classics in the full sense. History’s emphasis on the particular, its frequent skepticism of theoretical generalisations, and its embrace of archival empiricism have all tended to preclude the emergence of a broad canon of ‘historical classics’. There have, however, been exceptions to this rule.
Was vor einigen Jahren ein Schreckensszenario war, ist längst eingetreten. Für den wissenschaftlichen Nachwuchs gilt schon heute: »Quod non est in google, non est in mundo.« Freilich, eine verkürzte Sicht. Der Aufbau elektronischer Findmittel zur Durchforstung von Archiv-, Bibliotheks- und Museumsbeständen hat in den vergangenen Jahren ein starkes wissenschaftliches Interesse gefunden. Die Gesellschaft vernetzte sich, es entstanden viele nützliche Service-Angebote, neue Begehrlichkeiten wurden geweckt. Heute geht es nicht mehr darum, Inhalte nur zu erschließen, sondern darum, sie online zu vermitteln. In sozialen Medien werden diese Inhalte »getaggt«, »geliked«, empfohlen oder gar kommentiert. Die sammelnden Institutionen stehen damit vor einer gewaltigen Herausforderung – technisch, finanziell und vor allem konzeptionell. Mit dem Aufkommen von Bits und Bytes befindet sich die Kulturtechnik des Sammelns und Präsentierens in einem tiefgreifenden Umbruch. Der digitale Wandel impliziert die Frage, ob Gedächtnisinstitutionen künftig noch derselbe Stellenwert zukommen wird, zukommen muss wie heute: Schaffen entmaterialisierte Kulturgüter eine neue Kulturgesellschaft?
Mitten in der Stadt, direkt neben dem Viktualienmarkt, eröffnete im Frühjahr 2007 das Jüdische Museum München. Integriert in ein Ensemble aus der neuen Hauptsynagoge, dem jüdischen Gemeindezentrum und dem Stadtmuseum, soll es nicht nur ein Ort von Geschichte und Erinnerung sein, sondern ein Ort der Gegenwart, Kommunikationsraum und Haus der Begegnung. Jüdisches Leben in den verschiedensten Facetten in Vergangenheit und Gegenwart zu zeigen - das ist Konzept und Ziel des neuen Museums.
Im Sommer 2016 jährt sich der Marsch von 20.000 südafrikanischen Frauen nach Pretoria zum 60. Mal. Am 9. August 1956 besetzten sie das Amphitheater der Union Buildings, des Amtssitzes der Regierung, aus Protest gegen die Ausweitung der diskriminierenden Passgesetze auf nicht-weiße Frauen. Diese Demonstration, organisiert von der Federation of South African Women, war ein Triumph der Opposition. Nur vier Jahre nach dem Marsch der Frauen änderte sich die Lage drastisch – mit dem Massaker von Sharpeville und seinen Folgen. Nach dem Verbot von African National Congress (ANC) und Pan Africanist Congress (PAC) sowie der Verurteilung der Führung von Umkhonto we Sizwe, des militärischen Arms von ANC und Südafrikanischer Kommunistischer Partei (SACP), folgte eine Dekade polizeilich erzwungenen Schweigens. In den 1970er-Jahren nahmen die Proteste gegen die Apartheid weltweit zu, und mit dem Aufstand von Soweto 1976 wurde die »Verwundbarkeit« des Apartheid-Systems sichtbar. Das Interesse der Weltöffentlichkeit sollte nicht nur durch Informationen von »außen« befriedigt werden, sondern verlangte nach möglichst glaubwürdigem Material von »innen«, aus Südafrika selbst. Dieses lieferten in der Bundesrepublik besonders die Anti-Apartheid-Bewegung und die Informationsstelle Südliches Afrika (issa).
The newly emerging historical scholarship on the era ›after the boom‹, on the marketization of societies in the wake of the neoliberal political reforms, deregulation, and privatization starting in the 1970s, has emphasized this threshold as an epochal break that was driven by large-scale structural shifts in the global economy, in social relations, and in cultural identities. This new accentuation of the economic and social transformation has, for good reason, eclipsed older historical traditions that focused on events, discourses, specific interests, and individual actors. The marketization of social relations is thus often considered to be the result of processes beyond the reach and scope of purposeful actors that promoted specific societal changes. While this historical focus is quite right in denying independent causal status to specific agents and the self-aggrandizement of vain leaders and their intellectual entourage, it tends to obscure the historical genesis of ideas and concepts that later became critical components of political leadership, and the specific constellations of interests, knowledge and actors that did prefigure and originally promote the marketization of economic and political institutions.
Angaben des Statistischen Bundesamtes zufolge hat aktuell jeder fünfte Einwohner der Bundesrepublik einen »Migrationshintergrund«– ist also entweder selbst seit Anfang der 1950er Jahre eingewandert oder hat mindestens einen Eltern- bzw. Großelternteil, auf den das zutrifft. Eine Zeitgeschichte, die sich als Vorgeschichte der Gegenwart versteht, steht angesichts der gesellschaftlichen Relevanz von Migrationsprozessen für die Bundesrepublik vor der Aufgabe, deren Geschichte in ihrer Vielfalt stärker in ihre Erzählung zu integrieren, statt sie lediglich auf eine demographische Veränderung oder eine Quelle innenpolitischer Konf likte zu reduzieren. Eine solche Integration ist bisher nur für die Geschichte der Vertriebenen erfolgt, allerdings aus einer Perspektive, die sie – zeitgenössischen Deutungsmustern folgend – als von der Geschichte anderer Migrationen getrennt betrachtet.
Die These von der „Wiederkehr der Götter“ hat die Sozial- und Geisteswissenschaften erfasst. Als hätte man nur auf das Stichwort gewartet, so bereitwillig wird die Behauptung von der Renaissance des Religiösen und seiner Entprivatisierung aufgegriffen, und so eifrig werden immer wieder Belege dafür beigebracht, dass das Verhältnis von Religion und Moderne neu zu denken sei. Nicht mehr die Spannung zwischen Religion und Moderne interessiert, sondern ihre Kompatibilität. Nicht mehr die negativen Auswirkungen der Moderne auf die Integrationsfähigkeit von Religion und Kirchen werden analysiert; im Zentrum der Aufmerksamkeit stehen die religionsproduktiven Potenzen der Moderne und deren religiöse Wurzeln. Folgt man Sozialwissenschaftlern wie Wolfgang Knöbl, Hans Joas, José Casanova oder Talal Asad, dann ist die Säkularisierungsthese strikt abzulehnen. Prozesse der Modernisierung und funktionalen Differenzierung führten nicht zwangsläufig zur Säkularisierung; zwischen beiden bestehe vielmehr ein kontingentes Verhältnis. Doch nicht nur in der Soziologie und Ethnologie häufen sich die skeptischen Stimmen gegenüber der Säkularisierungsthese. Der Abschied von ihr wird auch in den Geschichts- und Religionswissenschaften auf breiter Front vollzogen.
This article explores the connection between genocide, language and language consciousness by tracing the strange biography of one Yiddish neologism: shabreven. During the Holocaust, the word came to mean both ›looting‹ and ›taking ownerless property‹. It stoked moral and etymological debate among Yiddish speakers in the Warsaw ghetto, while also occupying a prominent position in postwar Polish and Zionist discourses. The term shifted between different semantic, ethical and cultural fields, navigating a delicate balance between various meanings and norms. The discussions around this term help to shed light on key questions: What were the motivations for the study of Holocaust Yiddish neologisms? How did this early postwar Yiddish philological discourse differ from its parallel in German? Shabreven became both a symbol of the genocidal collapse of language and a tool for regaining victim agency in speech.
Gemessen an der in den siebziger und achtziger Jahren wachsenden Zahl von Vertragsarbeitern und den sowjetischen Besatzungstruppen, die den größten Teil der ständig in der DDR anwesenden Ausländer ausmachten, waren die „Polit. Emigranten“ die kleinste Gruppe von in der DDR lebenden Fremden. Dieser in der DDR-Amtssprache auch als „PE’s“ bezeichnete Personenkreis war von anderen Migrantengruppen durch seinen besonderen Aufenthaltsstatus im SED-Staat, durch das von der offiziellen Propaganda vorgestellte politische Ansehen und seine unmittelbare Aufnahme in das Alltagsleben in der DDR deutlich abzugrenzen. Idealtypisch
sollten die „Polit. Emigranten“ in der SED-Diktatur das Bild des „guten Ausländers“, des Freiheitskämpfers bzw. Antifaschisten verkörpern, also jenes Bild des „guten Inländers“, das die SED-Führung vor allem für sich selbst in Anspruch nahm und mit dem sie ihre diktatorische Herrschaft in der DDR begründete. Diese positive und
gleichzeitig instrumentelle Darstellung der wenigen Flüchtlinge des Kalten Krieges, die Asyl in der DDR suchten und erhielten, war aber weder geeignet, den Argwohn der Bevölkerung gegenüber der herrschenden Staatspartei abzubauen, noch trug sie dazu bei, ein vorurteilsfreies Zusammenleben von Fremden und Einheimischen zu fördern. Schließlich beobachtete der zentralisierte Geheimdienstapparat der DDR, das Ministerium für Staatssicherheit (MfS), die „Polit. Emigranten“ genauso mißtrauisch wie die deutsche Bevölkerung. Der Anfangsverdacht der SED galt der ausländischen Herkunft der Einen und der Sehnsucht der Anderen nach dem unerreichbaren Ausland. Anhand der für diesen Beitrag hauptsächlich benutzten Quellen aus dem Archiv der Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatsicherheitsdienstes der ehemaligen DDR läßt sich klar ablesen, daß unter den Bedingungen der SED-Diktatur Toleranz gegenüber dem „Anderen“ oder „Fremden“ keine geforderte Tugend war und so nur bedingt erlernt bzw. gelebt werden konnte.
Dem proklamierten Selbstverständnis der SED-Führung zufolge hatte sich die DDR als Staat und Gesellschaft von der Entstehung jeglicher fremdenfeindlich oder rassistisch begründeter Diskriminierungen grundsätzlich abgekoppelt. Der darin von der Staatspartei für sich reklamierte Anspruch auf »gesellschaftlichen Fortschritt« durch den »Kampf gegen den Imperialismus«, also gegen den ›kapitalistischen‹ Westen, war nicht nur ein ideologisches Etikett. Vielmehr war dies eines der Prinzipien, mit denen die SED ihren Herrschaftsanspruch in der DDR rechtfertigte.
Verlagstext, s. http://www.boehlau-verlag.com/978-3-412-14400-5.html: "Das Buch behandelt die Entstehungs- und Bedeutungsgeschichte des Brathähnchens - des Goldbroilers - vor dem Hintergrund der Wirtschafts- und Sozialgeschichte der DDR. Der Aufbau einer industriellen Geflügelzucht und -mast diente dem Zweck, entstandene Versorgungslücken bei Fleisch durch Geflügel zu ersetzen. Anhand dieses historischen Sonderproblems aus der Entwicklung der DDR-Gesellschaft wird das spannungsvolle Verhältnis von totalem Macht- und Gestaltungsanspruch der SED und dem "Eigen-Sinn" der Bevölkerung dargestellt."
In den Jahren vor dem Sechstagekrieg entwickelte sich in der Bundesrepublik Deutschland eine palästinensische Diaspora, die nach 1967 einen wichtigen Einfluss auf die Palästina-Solidaritätsbewegung im Land erhielt. Arabischsprachige Quellen wie zeitgenössische Presseartikel oder spätere autobiographische Reflexionen werfen dabei nicht nur ein Licht auf das Entstehen dieser Diaspora. Sie zeigen auch, wie die Verbindungen zwischen palästinensischen Gruppen und der radikalen Linken in der Bundesrepublik zu vielfältigen Transferprozessen führten. Seit den späten 1960er-Jahren zirkulierten Argumente, Parolen und Symbole zwischen Orten wie Beirut und Heidelberg, die sich bald in antizionistischen, zum Teil auch antisemitischen Publikationen und Protesten wiederfanden. Vor diesem Hintergrund plädiert der Aufsatz dafür, Archive im Nahen Osten stärker als bisher einzubeziehen, um die transnationalen und globalen Bezüge der deutschen Zeitgeschichte besser zu verstehen.