1960er
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Um Anerkennung als legitimes Objekt wissenschaftlichen Fragens muss die Populärkultur längst nicht mehr kämpfen. Zwar dürfte es kaum möglich sein, die vielfältigen Ansätze zur Massen- und Unterhaltungskultur auch nur des späten 20. Jahrhunderts auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen, aber unter den dabei bevorzugt behandelten Gegenständen müsste wohl den James-Bond-Filmen ein prominenter Platz eingeräumt werden. Mehr als jede andere Filmreihe haben sie ein ganzes Genre des Actionkinos definiert und Standards des Spionage- und Agententhrillers etabliert, die bis heute und noch in ihrer ironischen Brechung als Referenzgröße dienen.
Der Aufsatz behandelt die Gewaltfaszination innerhalb von zwei politisch konträren Intellektuellenmilieus in der deutschen Geschichte des 20. Jahrhunderts. Durch eine Gegenüberstellung der Konservativen Revolution der 1920er- und der Neuen Linken der 1960er-Jahre werden Ähnlichkeiten und Unterschiede in den intellektuellen Verhaltensstilen, Denkfiguren und argumentativen Grundmustern herausgearbeitet und jenseits von Skandalisierung und Apologie kontextualisiert. So können einerseits ideengeschichtliche Analogien zwischen beiden Bewegungen aufgezeigt werden, etwa in einem Überlegenheits- und Sendungsbewusstsein sowie in der Behauptung einer bevorstehenden Epochenwende. Andererseits resultierte aus den verschiedenen inhaltlichen Positionen eine unterschiedlich ausgeprägte Handlungsbereitschaft. Während sich die Weimarer Rechtsintellektuellen mehrheitlich als interessierte, wiewohl passive Beobachter von naturwüchsigen Krisenzuständen sahen, verstanden sich nicht wenige Protagonisten der westdeutschen Neuen Linken als handelnde Subjekte eines welthistorischen Entscheidungskampfes - wenngleich auch hier letztlich nur eine Minderheit den Weg aktiver Gewaltausübung einschlug.
Viele amerikanische Präsidenten haben ihre Amtszeit unter ein prägnantes Motto gesetzt. John F. Kennedys Leitmotiv, die „New Frontier“, hat sich tief in das amerikanische Gedächtnis eingegraben. Es wurde zum Schlüsselbegriff für die Ziele seiner nur rund 1.000 Tage währenden Präsidentschaft; für jene Zeit, die in den Augen vieler Zeitgenossen das Ende der langen Nachkriegsjahre verkörperte. Mit jugendlichem Elan und Charisma sowie einem informell-charmanten, medienwirksamen Politikstil stand „JFK“ für ein neues Amerika. Bei der „New Frontier“ ging es somit weniger um neue Grenzen als um das grenzenlos Neue im Rahmen einer imperialen Präsidentschaft.
Patronage ist eine Form menschlicher Interaktion, bei der zwei Akteure, die in ihrem Status verschieden sind, eine asymmetrische Beziehung eingehen. Der Patron verfügt gegenüber seinem Klienten über einen Vorsprung an Ressourcen materieller oder immaterieller Art, etwa über ein großes Vermögen oder eine politische Führungsposition, die ihm die Kontrolle einer Institution ermöglicht oder das Entscheidungsmonopol über die Verwendung und Zuteilung von knappen Gütern sichert. Bestimmender Inhalt einer Beziehung zwischen Patron und Klient ist der auf beiderseitigen Nutzen abzielende Austausch von Leistungen und Gegenleistungen. Diese Bindung ist informeller Natur und beruht auf Treue, Loyalität und Dankbarkeit, nicht aber auf einer rechtlichen oder vertraglichen Grundlage, das heißt, Art und Umfang der zu erbringenden Leistungen werden nicht im Voraus festgelegt und sind nicht einklagbar. Der Patron gewährt seinem Klienten Protektion und Förderung im weitesten Sinne; er vergibt an ihn Posten oder auch Zuwendungen finanzieller Art. Im Gegenzug ist der in einer Art Bringschuld stehende Klient dazu angehalten, seinen Förderer in loyaler Weise zu unterstützen und dessen Interessen zu vertreten. Vom Engagement und der Loyalität des Klienten hängt es ab, wie lange er die Protektion seines Patrons genießen wird. Er ist vom Patron abhängig, denn ohne dessen Förderung bliebe er von der Mitnutzung an bestimmten Ressourcen ausgeschlossen, die der Patron kontrolliert (z. B. Teilhabe am politischen Prozess).
Als die im April 2006 mit 89 Jahren verstorbene Stadtforscherin Jane Jacobs im Oktober 2004 für einen letzten Vortrag in ihre ehemalige Heimatstadt New York zurückkehrte, bereitete ihr das Publikum einen großen Empfang. Fast die gesamte Urbanisten- und Planungsprominenz der Stadt war erschienen und feierte die 1968 nach Kanada ausgewanderte „Grande Dame“ der nordamerikanischen Stadtforschung mit stehenden Ovationen. Einer Einladung des New Yorker City Colleges folgend, war sie gekommen, um die Auftaktrede für eine neue Vorlesungsreihe zu Ehren Lewis Mumfords zu halten, der an dem besagten College im Norden Manhattans studiert hatte. Es war, als schlösse sich ein Kreis: Jacobs’ Karriere hatte 1961 mit der Publikation ihres Erstlingswerks „Death and Life of Great American Cities“ in New York ihren Anfang genommen; der Inhalt dieses Buchs verwickelte sie dann in einen Jahre andauernden Streit mit Mumford. Am Ende ihres Schaffens angelangt, entschied sie sich als erste Referentin der zu Mumfords Ehren eingerichteten Vorlesungsreihe, in New York ihren alten Gegenspieler zu würdigen. Bedeutungsschwer war Jacobs’ Auftritt aber auch deshalb, weil er zum Ausdruck brachte, wie sehr sich das Verhältnis zwischen der Planungskritikerin Jacobs und der planenden Zunft in den USA über die Jahrzehnte geändert hatte. Zu Beginn ihrer Karriere wegen ihrer mangelnden akademischen Ausbildung in der von Männern dominierten Profession noch als „Hausfrau“ belächelt, stieg Jacobs innerhalb weniger Jahre zu einer der meistbeachteten Persönlichkeiten der amerikanischen Stadtforschung auf. Jacobs’ Bedeutung als Kritikerin modernistischer Planungsexzesse und Mitbegründerin eines neuen Verständnisses städtischer Entwicklung und Planung ist Grund genug, sich ihres ersten und wohl wichtigsten Werks erneut zu widmen - dem Essay „Death and Life of Great American Cities“, der in einem deutschen Nachruf auf Jacobs als „urbanistische Bibel des späten 20. Jahrhunderts“ bezeichnet wurde.
Unternehmensplanspiele entstanden in den USA um 1956 aus militärischen Simulationsprogrammen, Fallstudien an Business Schools sowie Kriegsplanspielen und einer Reihe weiterer Einflussgrößen. Angesiedelt am Schnittpunkt von Unternehmensführung, ökonomischen Paradigmen und Computerisierung, bietet das Feld der Unternehmensplanspiele besonders gute Voraussetzungen, um Transformationen gesellschaftlicher Steuerungslogiken nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs nachzuvollziehen. In den »ernsthaften Spielen« wurden Praktiken des Entscheidens sowie die Adaption an ein neues Medium und einen veränderten Rationalitätsbegriff (spielerisch) erprobt. Der Aufsatz nähert sich diesem Feld aus einer medienkulturwissenschaftlichen Perspektive. Der Beitrag fokussiert auf die erste Phase der Verwendung von Unternehmensplanspielen bei der Ausbildung von Führungskräften in der Bundesrepublik seit Beginn der 1960er-Jahre. Näher vorgestellt wird der Einsatz des von IBM entwickelten Planspiels TOPIC 1 bei Hoechst.
Für das Niederlausitzer Industriegebiet war bis in die 1960er Jahre eine spezifische Gruppe von Arbeitern bäuerlicher Herkunft mit weiter bestehender Verbindung zur Landwirtschaft - die Nebenerwerbsbauern - ebenso typisch wie zu Industriedörfern expandierende Landgemeinden. Ein zunächst zeitweiliger Nebenerwerb zur kleinen Landwirtschaft sicherte in der überwiegend kleinbäuerlich geprägten Region mit zum großen Teil geringwertigen Böden und niedrigen Erträgen die Existenzgrundlage vieler oftmals sorbischer Familien. Der selbst angebaute Flachs wurde im Winter in Heimarbeit zu Leinen gewebt bzw. ein dörfliches Handwerk betrieben. In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts begann sich die ländliche Sozialstruktur der Niederlausitz grundsätzlich zu verändern. Ursache war zum einen die Agrargesetzgebung, die zur Ablösung der Feudallasten gegen Geld und zu Landabgaben an die Gutsherrschaft während der Separation führte. Zum anderen beschleunigte das Eindringen des Kapitalismus in die Landwirtschaft besonders über den zunehmenden Konkurrenzdruck eine soziale Differenzierung der Bauernschaft. Immer mehr vormals selbständige Kleinbauern waren nunmehr gezwungen, ständig eine Lohnarbeit auszuüben. Ihnen boten der mit dem Siegeszug der Dampfmaschine sich schnell ausweitende Braunkohlenbergbau sowie die Tuchfabriken in Cottbus, Spremberg und Forst eine meist minderbezahlte Arbeit. Hauptberuflich nicht mehr in der Landwirtschaft tätig, hielten die Nebenerwerbsbauern an ihrem wenigen Grand und Boden weiterhin zäh fest, ergänzten seine Produkte doch ihren geringen Lohn und boten eine Rückversicherung für schlechte Zeiten.
Wie alle gesellschaftlichen Bereiche der DDR wurde auch die Landwirtschaft wesentlich vom Wirken der jeweiligen Verantwortungsträger gestaltet. Für den Bereich der staatlichen Landwirtschaftsbetriebe, die seit den sechziger Jahren sieben Prozent der landwirtschaftlichen Nutzfläche (LN) der DDR bewirtschafteten, waren das die Leiter der Volkseigenen Güter (VEG). Neben den LPG-Vorsitzenden bildeten die VEG-Direktoren die wichtigsten Entscheidungsträger auf dem Gebiet der Landwirtschaft. In den siebziger Jahren wurde dieser Kreis um die Leiter der in einer Kooperation zusammenarbeitenden Betriebe - Kreisbetriebe für Landtechnik, Agrochemische Zentren, Verarbeitungsbetriebe u. a. - ergänzt. Wie das industrielle Führungspersonal zählten VEG-Direktoren zum unteren Bereich des staatlichen Apparatesystems, der Zugang zu den politischen Entscheidungszentren war ihnen verwehrt. Ihre potentielle „Macht“ ergab sich aus der ernährungssichernden Funktion der VEG. Es wundert daher nicht, daß die SED auf die Auswahl der Direktoren so früh wie möglich Einfluß nahm. Mit dem Ziel, der Partei eng verbundene und gleichzeitig qualifizierte Fachleute einzusetzen, erfolgte bis Mitte der sechziger Jahre ein umfassender Wechsel an der Spitze der VEG. Bisher Benachteiligte erhielten unter Brechung des Bildungsmonopols Aufstiegschancen, die sie zu nutzen wußten. Für ihre weitere berufliche Entwicklung waren vor allem ökonomische Probleme der Güter entscheidend, auf die daher in der Arbeit Bezug genommen wird.
Am Beispiel Willy Brandts und seiner Beziehungen zu den USA wird deutsche und amerikanische Außenpolitik als transnationale Mediengeschichte interpretiert. Wie wirkte sich das besondere Verhältnis zu den USA auf den medialen und politischen Stil der Bundesrepublik aus? Dies wird erstens anhand der publizistischen Vermittlung von Brandts Reisen in die USA und der daraus resultierenden Imagebildung untersucht. Zweitens wird nach amerikanischen Einflüssen auf Brandts Inszenierungspraktiken und die damit verbundene Medienberichterstattung gefragt; dabei steht John F. Kennedy als Vorbild im Zentrum. Der Untersuchungsschwerpunkt liegt auf der Zeit von 1958 bis 1961.
Der junge Historiker Lutz Niethammer (geb. 1939) wollte kein »68er« sein. Viele seiner Altersgenossen fanden den Weg in die Außerparlamentarische Opposition, doch Niethammer blieb distanziert – er wollte teilhaben, nicht teilnehmen. Zwar rezipierte er die marxistisch wie psychoanalytisch inspirierten Faschismustheorien, doch blieb es bei einem grundlegenden Wissenschaftsinteresse.2 Während sich viele andere der Studentenbewegung anschlossen und ihr Augenmerk auf den Antiimperialismus und Internationalismus legten, brachte Niethammer die Gefahr von rechts in den Blick. Schon früh wandte er sich gegen den Geschichtsrevisionismus: Seine Kritik an David L. Hoggans Buch »Der erzwungene Krieg« von 1961 bildete den Anfang einer längeren Auseinandersetzung. »Ich glaubte, wir sollten etwas gegen den Aufstieg des Neofaschismus tun«, erklärte Niethammer retrospektiv in seiner fragmentarisch-autobiographischen Essaysammlung »Ego-Histoire?«. Dies erschien ihm »näherliegender« (sic) als der hilflose Antikapitalismus der Linken.
Kaum eine Ausstellung hat eine derartige Aufmerksamkeit auf sich gelenkt wie diese. In der Zeitgeschichtsforschung ist die durch sie und mit ihr herbeigeführte epochale Zäsur unbestritten. Im Jahr 1981 bildete die Ausstellung „Preußen – Versuch einer Bilanz“ den Höhepunkt einer regelrechten „Preußenwelle“. Bereits gegen Ende der 1970er Jahre war ein gestiegenes Interesse der Öffentlichkeit an „deutscher“ Geschichte festzustellen.
Die Debatte um die Preußen-Ausstellung im Westberliner Martin-Gropius-Bau und die Frage eines nationalen Geschichtsortes öffnete aber ebenso ein Fenster für die Erschließung des „Prinz-Albrecht-Geländes“, dessen Geschichte Anfang der 1980er Jahre (fast) vollkommen unbekannt war und an dessen Ort sich heute das Dokumentationszentrum Topographie des Terrors befindet. Der „History Boom“ ging einher mit einem „Memory Boom“. Vielmehr noch: Beide verliefen nicht lediglich parallel, sondern sind verschränkt.
Ich möchte aufzeigen, dass beide – Preußen-Ausstellung und Topographie des Terrors – in den zeitgenössischen Debatten um den Umgang mit Vergangenheit verbunden sind. Doch zunächst skizziere ich knapp Vorgeschichte und Entstehung der Preußen-Ausstellung.
Sowjetische Soldaten und Zivilpersonen bildeten mit einer Gesamtzahl von über einer halben Million Menschen die größte Gruppe von Ausländem in der DDR. Durch ihre flächendeckende Präsenz gehörten sie beinahe 50 Jahre lang für einen sehr großen Teil der ostdeutschen Bevölkerung zum Alltag. Nach Schätzungen von Kurt Arlt hielten sich zwischen 1945 und 1994 insgesamt etwa 10 Millionen Bürger der Sowjetunion bzw. ihrer Nachfolgestaaten als Soldaten, Zivilbeschäftigte der Streitkräfte oder deren Familienangehörige auf deutschem Boden auf.3 Verglichen mit den quantitativ deutlich kleineren Gruppen der Vertragsarbeiter und politischen Emigranten stellten sie daher in der DDR gleichsam „die Fremden“ schlechthin dar.
Der Rechtsterrorismus in der Bonner Republik wird erstmals eingehend in seiner ganzen Bandbreite untersucht.
Der Rechtsterrorismus wurde in Deutschland jahrzehntelang als Problem für die innere Sicherheit unterschätzt. Das Bild vom verwirrten Einzeltäter prägte den Diskurs. Erst die Aufdeckung der Morde des »Nationalsozialistischen Untergrunds« (NSU) machte Politik und Gesellschaft die unmittelbare Gefahr bewusst. Auch die bundesdeutsche Zeitgeschichte befasste sich lange kaum mit dem Rechtsterrorismus, obwohl dessen Geschichte bis in die frühen 1960er Jahre zurück reicht.
Darius Muschiol untersucht anhand vielfältiger Akten und Dokumente den Entstehungs- und Entwicklungsprozess des bundesdeutschen Rechtsterrorismus bis 1990. Er blickt auf die Radikalisierungsprozesse der Rechtsterroristen, deren Vernetzungen, ihr Agieren und die Bewertung dieser Gewalt durch Politik, Justiz und Öffentlichkeit. Zudem stehen die jeweiligen Feindbilder, die gesellschaftliche Einbettung des Terrorismus und dessen Kommunikationsstrategien im Vordergrund. Im Blick stehen dabei auch bekannte Gruppierungen und Ereignisse wie die »Wehrsportgruppe Hoffmann« oder das Oktoberfestattentat 1980, vor allem aber zahlreiche bislang kaum oder unbekannte Akteure. Ebenso zeigt der Autor die gesellschaftlichen und wissenschaftlichen Reaktionen. Dabei arbeitet er insbesondere heraus, dass es sich eben nicht um Einzeltäter handelte, sondern dass gerade diese Sicht die Gewalt verharmloste. Darius Muschiol ergänzt damit den Blick auf die Demokratiegeschichte der Bundesrepublik wesentlich.
Dass es am Ende ein melancholischer Rückblick auf ein langes Fotografenleben werden würde, war nicht abzusehen, als das Literaturhaus im vergangenen Jahr die „Blumenkinder“ des Schwabinger Fotografen Stefan Moses in den Blick genommen hatte – der nun am 3. Februar 2018 mit 89 Jahren in München verstorben ist. Leichtfüßig und sorglos hatte sich das Thema präsentiert, verspielt und träumerisch sein Blick auf die Wohngemeinschaften und alternativen Lebensentwürfe der 1960er Jahre; Motive von privater Anmutung und angetreten ohne die seinen Porträts oftmals zugeschriebene Verantwortung, staatstragende Geschichten und auf Zelluloid gebannte Aussagen von geschichtsmächtiger Bedeutung zu transportieren.
Junge Menschen brauchen moderne Möbel – so lautete sinngemäß der Appell in dem Artikel »Wohnen zwischen Teen und Twen«, der 1962 in der Einrichtungszeitschrift »Die Kunst und das schöne Heim« erschien. Darin bemängelte die Autorin, dass Jugendliche keinen Sinn für die Vorzüge moderner Möbel hätten und hartnäckig an den wuchtigen Einrichtungsgegenständen eines althergebrachten Stils festhalten würden: »Die modernen Möbel werden allgemein als ›zu leicht‹, ›zu empfindlich‹, und per se als ›wenig dauerhaft‹ empfunden.« Dabei sei gerade das in der modernen Inneneinrichtung verwendete Stahlrohr bemerkenswert knickfest und das gebogene Bugholz trotz seiner papierdünnen Leichtigkeit enorm stabil (schließlich werde es erfolgreich im Flugzeugbau verwendet). Das Unbehagen am neuen Wohnen, aller Vorzüge zum Trotz, betraf laut Verfasserin des Artikels beide Geschlechter: Männliche Teenager klagten darüber, dass die modernen Sitzmöbel unbequem und wenig rückenfreundlich seien, während junge Mädchen insbesondere skeptisch auf die neuen Schränke und Regale reagierten und sich die konventionellen tiefen Kommodenschubladen zurückwünschten, um Ordnung halten zu können. Rückwärtsgewandter sei nur die Elterngeneration, die das neue Wohnen komplett ablehne.
Die Arbeitsumstände der westlichen Korrespondenten, die während des Ost-West-Konflikts aus der Hauptstadt der Sowjetunion berichteten, waren ein alltäglicher Ausdruck gerade jener widersprüchlichen politischen Entwicklungen, über die sie eigentlich informieren wollten, zu denen ihnen aber oft der Informationszugang und die erforderlichen Übermittlungswege versperrt waren. Der Beitrag beleuchtet die Hindernisse, mit denen die Journalisten um 1960 zu kämpfen hatten und die ihnen selbst nur in zweiter Linie berichtenswert erschienen. Wie gingen die Journalisten an der Schnittstelle zwischen Ost und West mit solchen Schwierigkeiten um? Wenn man die Tätigkeit der westlichen, speziell der westdeutschen Korrespondenten in Moskau näher betrachtet, wird es möglich, ein vielschichtiges und präzises Bild des Ost-West-Konflikts jenseits der außenpolitisch-diplomatischen Ebene zu erhalten sowie die in den westlichen Medien verbreiteten Nachrichten als kontextgebundene Produkte zu analysieren.
Das Protokoll der Wannsee-Konferenz vom 20. Januar 1942 ist, so der Holocaust- Historiker Peter Longerich, „eines der wichtigsten überlieferten Dokumente zur Planung und Organisation des millionenfachen Mordes an den europäischen Juden durch das NS-Regime“. „Durch dieses Dokument“, so Longerich weiter, „ist die Konferenz am Großen Wannsee als Synonym für den kaltblütigen, verwaltungsmäßig und arbeitsteilig organisierten Massenmord der NS-Zeit in der Erinnerung“.(...)
Als Brigitte Reimann, die literarische Chronistin des Aufbaus von Hoyerswerda-Neustadt, 1968 die Stadt nach einem knappen Jahrzehnt wieder verließ, schreibt sie voller Verwunderung: „Merkwürdig, wie man sein Herz an diese öde Landschaft gehängt hat, an diese unmögliche Stadt, an die Leute, an - Gott weiß was. Wenn ich denke, daß nur ein paar Blöcke in einer Sandwüste standen, als wir hierherkamen, und jetzt ist es eine Stadt von fast sechzigtausend Einwohnern, und das Kombinat ist ein riesiger Komplex geworden.“ Nicht nur die sensible Schriftstellerin besaß ein zwiespältiges Verhältnis zu dieser Stadt, sondern dieses Gefühl zwischen Zuwendung und Ablehnung ist heute noch bei der Aufbaugeneration verbreitet; der Stolz auf das Geleistete herrscht vor, wobei die triste Gegenwart zur Verklärung der Vergangenheit beiträgt. Der Chefarchitekt von Hoyerswerda betrachtete sein Werk bereits 1963 mit einer gewissen Trauer: „Er hat sich seine Stadt auch anders vorgestellt. Er sagt, er habe sich vorgestellt, er werde eine wunderschöne Stadt bauen und später, wenn er alt ist, zuweilen aus Dresden rüberkommen, die Straße entlanggehen und in seiner Stadt Kaffee trinken. Die Mittel für die zentralen Bauten sind rigoros gestrichen worden.“
Blick durchs Ökoskop. Rachel Carsons Klassiker und die Anfänge des modernen Umweltbewusstseins
(2012)
Kaum ein anderes amerikanisches Buch hat in aller Welt so hohe Wellen geschlagen wie „Silent Spring“. Einem Tsunami vergleichbar, der sich von seinem unterirdischen Ursprung über lange Perioden und große Entfernungen hinweg ausbreitet, hat Rachel Carsons Buch tradierte Sichtweisen auf die Natur erschüttert, unerhörte Zerstörungen sichtbar gemacht und den Ausblick auf eine gefährdete Welt zurückgelassen. Eine „Flutwelle von Briefen“ fegte unmittelbar nach der Veröffentlichung des ersten Kapitels im „New Yorker“ im Juni 1962 über die USA hinweg. Carson sah in den anhaltenden Reaktionen auf ihr Buch dessen eigentliche Bedeutung. Vieles spricht dafür, dass „Silent Spring“ einer der Auslöser für die ‚ökologische Revolution‘ der 1960er-Jahre war. Woher kam diese Sprengkraft? Und welche Bedeutung hat Carsons Klassiker heute – ein halbes Jahrhundert nach seinem Erscheinen?
Gerichte handeln reaktiv; das heißt, sie werden nicht aus eigener Initiative, sondern erst durch Anruf von außen in Bewegung gesetzt, der auch in sozialistischen Staaten (vom Strafrecht einmal abgesehen) in aller Regel nicht vom Staatsanwalt, sondern von Bürgern (und zivilrechtlich handelnden volkseigenen Betrieben) kam. Um sein Rechtssystem im Justizalltag durchzusetzen, war also auch der sozialistische Staat auf die Mithilfe seiner Bürger angewiesen. Durch Nicht-Anrufen konnten Bürger das Recht unterlaufen; durch die Art und Weise, wie sie Gerichte benutzten, konnten sie seine Wirksamkeit beeinflussen; durch ihre Erfahrungen vor Gericht wurden die Bürger ihrerseits in bestimmten Haltungen und Wertvorstellungen bestätigt. In diesem Beitrag will ich die gegenseitige Abhängigkeit von Bürger und Rechtssystem im sozialistischen Rechtsalltag untersuchen. In welchen Angelegenheiten wandten sich Lüritzer Bürger an ihr Gericht? Wie wurden sie vom Gericht behandelt und wie verhielten sie sich selbst? Wie beeinflußte die Alltagspraxis der ostdeutschen Justiz die Wirksamkeit des Rechts als Instrument gesellschaftlicher Veränderungen? Und welche Nachwirkungen können wir heute beobachten?
Die Geschichte der ausländischen Studierenden in der DDR ist, verglichen mit derjenigen der Vertragsarbeiter der siebziger und achtziger Jahre, der sowjetischen Truppen oder der politischen Emigranten, von der Nach-Wende-Forschung weitgehend ignoriert worden. Das Gegenteil trifft auf die Zeit vor 1989 zu, als die beiden deutschen Staaten auf dem Gebiet des Ausländerstudiums miteinander konkurrierten. Man kann davon ausgehen, dass in der Zeit von 1951 bis 1989 zwischen 64.000 und 78.400 ausländische Studierende aus über 125 verschiedenen Staaten an akademischen Bildungseinrichtungen der DDR einen Abschluss erwarben und damit bis zu drei Prozent aller Hochschulabsolventen in diesem Zeitraum stellten. Seit den sechziger Jahren machten ausländische Studierende im Schnitt bis zu etwa sieben Prozent aller in der DDR lebenden Ausländer aus - wenn man die Gruppe der sowjetischen Streitkräfte in Deutschland (GSSD) nicht mitzählt. Die Abbildung 1 gibt einen Überblick über die wachsende Zahl ausländischer Studierender in der Zeit von 1951 bis 1989. Selbstverständlich war deren Präsenz an den Hochschulen deutlicher spürbar als in anderen gesellschaftlichen Bereichen: so gab es 1989 zum Beispiel 1.200 ausländische Studierende aus 80 verschiedenen Ländern an der Humboldt-Universität zu Berlin, was zehn Prozent aller dort immatrikulierten Studenten entsprach.
Die Revolution in der Produktkultur kommt unspektakulär daher: Im Herbstheft der Zeitschrift „Kultur im Heim“ von 1967 werben die Deutschen Werkstätten Hellerau mit einem Rastermotiv, das das Möbelprogramm Deutsche Werkstätten (MDW) ankündigt. Zwar steht im Vordergrund noch das Holz als Qualitätshinweis, doch ist alles in das kommende Maßsystem eingepasst - selbst das historisierende, an deutsche Handwerkskunst erinnernde Markenzeichen.
Angela Davis war eine der intellektuellen Leitfiguren der afroamerikanischen Bewegungen für Freiheit und Gleichheit in den USA. Als sie von 1970 bis 1972 inhaftiert war, gab es in der DDR eine breite Solidaritätskampagne, initiiert von der SED-Führung und mobilisiert durch die Massenorganisationen. Diese Kampagne verweist auf eine transnationale Dimension in der Geschichte der DDR; Davis wurde als „unsere Genossin“ vereinnahmt. Der Beitrag zeigt, welche Bedeutung die Kampagne im Rahmen der internationalen Anerkennungsbestrebungen der DDR hatte, welchen Stellenwert sie aber auch innenpolitisch gewann. Nach ihrer Freilassung besuchte Davis 1972 und 1973 die DDR und wurde als sozialistische Heldin präsentiert. Dies ist nicht allein als Ausdruck propagandistischer Steuerung zu verstehen, sondern zugleich als Teil einer genuinen Alltagskultur des Kalten Kriegs in der DDR.
Warum widmete Walter Ulbricht zehn Jahre lang seine knapp bemessene Freizeit parteigeschichtlichen Fragen? Hatte das Politbüro nichts Besseres zu tun, als über die Redaktion der Briefe Thälmanns zu beraten? Was stand dahinter, wenn Otto Grotewohls fünfbändige Geburtstagsausgabe an einer einzigen Fußnote scheiterte, und weshalb schmolz die Pieck-Ausgabe von fünfzehn Bänden auf sechs zusammen? Welche Geheimnisse verbargen sich hinter dem Streit um den richtigen "Charakter der Novemberrevolution", was durfte man wann über Stalins "Personenkult" schreiben, und warum lautete die einzig richtige Reihenfolge "Karl und Rosa"? Im ideologischen Kernbereich der SED konnte jedes falsche Komma ein politischer Fehler sein und ein gestrichener Name einen Kurswechsel andeuten. "Der rote Faden" führt den Leser in ein untergegangenes Diskurs-Labyrinth, in dem parteigeschichtliche Texte sehr, sehr ernst genommen wurden. Im Mittelpunkt steht dabei die achtbändige "Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung" von 1966, eine mit einzigartigem Aufwand fabrizierte und verbreitete "Heilige Schrift" der SED. (Verlagstext, siehe: http://www.boehlau-verlag.com/978-3-412-04603-3.html)
Gemeinschaften sind immer durch ein Verhältnis von Einschließung und Ausschließung konstruiert. Die von den SED-Ideologen imaginierte sozialistische Menschengemeinschaft war darin keine Ausnahme. Auch sie definierte Grenzen zwischen dem Eigenen und dem Fremden, wobei das Fremde nicht in erster Linie ethnisch, sondern sozial, d. h. als einer fremden Klasse zugehörig repräsentiert wurde. Dieser binären Logik wurde dann aber zusehends durch die soziale „Liquidierung“ der nicht werktätigen Klassen in der DDR der konkret-historische Inhalt entzogen. Wie der SED-Staat und die ihm zuarbeitende Rechtswissenschaft auf dieses Problem reagierten und welche „Lösungen“ sie dafür entwickelten, versuche ich im folgenden anhand des juristischen Diskurses über das „asoziale Verhalten“ aufzuzeigen.
Von einer „Gesellschaft“ der DDR zu reden, ist auch zehn Jahre nach ihrem Ende noch immer alles andere als selbstverständlich. Als „Staat“ war und ist sie allemal leichter auszumachen: ein Ensemble von Institutionen, Ordnungen und Verfahren in Deutschland, dessen äußerer Bestand von einer Weltmacht garantiert wurde und das sich nicht zuletzt durch seine Entgegensetzung zur Bundesrepublik zu legitimieren suchte. Von einem totalitären Gestaltungswillen durchdrungen, der sich auf alle sozialen Beziehungen und Lebensbereiche auf seinem Territorium erstreckte, repräsentierte der „Arbeiter-und-Bauern-Staat“ im Selbstbild wie in der Fremdwahmehmung die historische Alternative zum bürgerlich-liberalen Rechtsstaat in Westdeutschland. Diese Eindeutigkeit seiner Konturen begleitete ihn bis in den Untergang, der vertraglich definiert und exekutiert werden konnte. Infolge der Privatisierung staatlichen Vermögens kann, wer will, auch den „Marktwert“ dieses Staates im nachhinein bestimmen.
Nach 1989 dauerte es einige Jahre, bis diese beiden in Geschichte- wie in den benachbarten Gesellschaftswissenschaften angesiedelten Paradigmen zu einem konstruktiven Verhältnis wechselseitiger Ergänzung fanden. Davon profitieren nun auch die neuen Ansätze zur Erforschung der Geschichte des Kalten Krieges. Die hier vorgelegte Sammlung von Aufsätzen ist im Umfeld eines Forschungsprojektes entstanden, das Teil dieser Konjunktur ist und am Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam seit 2001 das Verhältnis von Massenmedien und Kaltem Krieg bearbeitet. Es handelt sich um Zwischenergebnisse aus individuellen Einzelforschungen. Arbeiten zu weiteren Untersuchungsgegenständen, deren Ergebnisse in einem weiteren, umfangreicheren Band zur Kulturgeschichte des Kalten Krieges in Europa zusammengefasst werden, dauern noch an. Die folgenden Thesen zur gesellschafts- wie mediengeschichtlichen Interpretation des Kalten Krieges halten gleichwohl in aller Vorläufigkeit und Kürze einige Grundannahmen wie auch erste allgemeine Befunde der gemeinsamen Projektarbeit fest.
Verlagstext, s. http://www.boehlau-verlag.com/978-3-412-02003-3.html:
"Wie in jeder modernen Gesellschaft gab es in der DDR eine "öffentliche", uniformierte Polizei, die im Alltag für "Ordnung und Sicherheit" sorgen sollte. In den Forschungen zur Geschichte der zweiten deutschen Diktatur stand ihre Bedeutung bislang im Schatten der allgegenwärtigen Geheimpolizei, der Stasi. Die vorliegende Studie stellt die erste auf unveröffentlichte Quellen gestützte wissenschaftliche Monografie zur Geschichte der Deutschen Volkspolizei dar. Direkt den Weisungen der SED-Sicherheitspolitiker unterstellt, war dieses "Organ" der "Arbeiter-und-Bauern-Macht" ein wichtiges Bindeglied zwischen dem SED-Staat und seinen Bürgern. Fast ausschließlich aus Arbeiterkreisen rekrutiert, sollte die "VP" nicht nur politisch zuverlässig, sondern auch eine Polizei "aus dem Volk und für das Volk" sein. Oberstes Motto ihrer Arbeitsweise war die "enge Verbindung zur Bevölkerung". Ihre Symbolfigur, der "Abschnittsbevollmächtigte", kurz "ABV", verkörperte gerade auf dem Land als gutmütig-gestrenger "Dorfsheriff" die harmoniesüchtige Utopie einer "sozialistischen Polizei". Deren repressiv-autoritäre Kehrseite wird anhand der Überwachung und Drangsalierung jugendlicher "Rowdys" und "Beatfans" dargestellt."
Zwischen 1950 und 1980 wurden Säuglinge in der Bundesrepublik zunehmend mit Flaschenmilch ernährt. Die Produktpalette war groß, und die Werbestrategien der Nahrungsmittelhersteller waren ausgeklügelt. Dies allein kann jedoch nicht der Grund für die steigende Nutzung der Säuglingsflasche gewesen sein. Sie wird hier mit einer explizit dinghistorischen Perspektive untersucht: Wie kam sie in die Familie, und wie veränderte sie die Beziehungen von Müttern, Vätern und Säuglingen? Müttern versprach die Säuglingsflasche mehr Freiheiten in der Gestaltung ihres Alltags; Vätern ermöglichte sie es, ihre Männlichkeit neu zu definieren, indem die Väter ihre Kinder selbst fütterten. Eher als in der Bundesrepublik wurde in Schweden die Versorgung von Kleinkindern diskutiert und eine stärkere Mitverantwortung der Männer für die Familie gefordert. Für beide Länder lässt sich beobachten, dass die Säuglingsflasche – zusammen mit anderen Akteuren – die Familie während der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts entscheidend mitgestaltete. In beiden Ländern verlief dies durchaus kontrovers.
In konfessionsvergleichender Perspektive behandelt der Beitrag das Verhältnis der christlichen Großkirchen zu den sozialen Bewegungen in der Bundesrepublik. Genauer untersucht werden die Interaktionen mit den frühen Protestbewegungen, der Studentenbewegung, der „Dritte-Welt“-Bewegung sowie der Friedensbewegung. Die Abgrenzungs- und Transferprozesse zwischen Kirchen und Bewegungssektor werden als Reaktionen des kirchlich verfassten Christentums auf die Wandlungsprozesse der bundesdeutschen Gesellschaft verstanden. Es wird gezeigt, dass die beiden Kirchen aus strukturellen, kirchenpolitischen und theologischen Gründen bei ähnlichen Herausforderungen verschieden agierten. Als Bindeglieder zu den sozialen Bewegungen werden die Bewegungsgruppen innerhalb und am Rande der Kirchen ausgemacht, die oft transkonfessionell handelten. Sie beförderten innerhalb der Bewegungen eine Moralisierung der Politik und in ihren Kirchen eine Politisierung der Religion.
Die gezeigte Szene war Teil der täglichen Sendung »Medizin nach Noten«, einem Fernsehformat, das die DDR jahrzehntelang begleitete – und bis über ihr Ende hinausreichte. Die Erstausstrahlung erfolgte zu Beginn der 1960er-Jahre, die letzte Ausstrahlung 1994. Bemerkenswert ist diese Sendung nicht nur wegen der sehr langen Laufzeit, sondern auch, weil sie besondere Einblicke in die Geschichte des Sports und gleichzeitig in diejenige des Fernsehens der DDR liefert. Der folgende Beitrag versucht zu zeigen, in welcher Weise durch die Verbindung dieser beiden Geschichten neue Perspektiven für das Konvergenz- oder auch Spannungsfeld von Gesundheit, Politik und Ökonomie hervortreten.
Die von der SED-Führung unter Einfluß der sowjetischen Hegemonialmacht seit 1952 betriebene „sozialistische Umgestaltung der Landwirtschaft der DDR“ läßt sich nicht auf die formale „Kollektivierung“ reduzieren, auch wenn deren Wirkungsmächtigkeit bis in die heutigen Transformationsprozesse hinein nachzuweisen ist. Tempo, Ausmaß und Folgen des Übergangs zur genossenschaftlichen Produktion finden weder in der historischen Entwicklung bis 1945 noch im (etwa zeitgleich einsetzenden) agrarstrukturellen Wandel in der Bundesrepublik eine Entsprechung. Das Genossenschaftsmodell war zwar bestimmendes Merkmal (Ausnahme: Polen) der jeweiligen Agrarstruktur in den Diktaturen sowjetischen Typs, aber die agrarprogrammatischen Vorstellungen griffen weiter. Sie umfaßten nicht nur Veränderungen der Organisation der Produktion, der Eigentums- und Besitzverhältnisse sowie der Sozialstruktur. Vor dem Hintergrund der Durchsetzung und Sicherung herrschaftspolitischer Interessen der SED und des anhaltenden Modemisierungsdrucks in der Landwirtschaft der DDR zielten sie auf die Konstruktion einer neuen ländlichen Gesellschaft, die bereits mit der Bodenreform 1945 eingeleitet worden war. Die gesamte Arbeits- und Lebensweise der dörflichen Bevölkerung sollte in der Perspektive auf „sozialistische Art umgestaltet“ werden.
Von ihren Lebensläufen her könnten sie kaum unterschiedlicher sein: Georg Picht, 1913 als Sohn des damals als Vordenker der „Erwachsenenbildung“ geltenden Werner Picht geboren, entschied sich früh für die akademische Laufbahn. Er studierte Philosophie und Pädagogik, arbeitete als Assistent an der Universität Freiburg und wurde 1942 zum Dr. phil. promoviert. Johannes Hörnig, Jahrgang 1921, arbeitete hingegen als Schlosser, nahm von 1940 bis 1945 als Wehrmachtssoldat am Zweiten Weltkrieg teil und erwarb erst 1952 sein Diplom in Gesellschaftswissenschaften. Während Picht dem evangelischen Milieu entstammte, engagierte sich Hörnig direkt nach dem Krieg in der SPD und dann in der SED. Praktische Erfahrungen im Bildungssektor sammelten beide in Schulen, jedoch auch hier auf unterschiedlichen Ebenen: Während Picht als Schulleiter versuchte, erste reformpädagogische Akzente zu setzen (Förderung der persönlichen Entfaltung der Lernenden durch Gemeinschaftserziehung und Mitverantwortung), war Hörnig als Grundschullehrer tätig.
Waren die Publikationen des Historikers und Auschwitz-Überlebenden Joseph Wulf umstritten, so war es auch seine Initiative für die Errichtung eines „Internationalen Dokumentationszentrums zur Erforschung des Nationalsozialismus und seiner Folgeerscheinungen“ in West-Berlin. Insbesondere der vorgesehene Standort im Haus der Wannsee-Konferenz von 1942 wurde 1966/67 über die Grenzen der Bundesrepublik hinaus kontrovers diskutiert. Ein symptomatischer Teil dieses Streits war der erbitterte Briefwechsel zwischen Wulf und dem Berliner Propst Heinrich Grüber. Beide waren Verfolgte und Gegner des Nationalsozialismus gewesen, vertraten 1966/67 aber konträre Positionen; Grüber setzte sich dafür ein, die Wannsee-Villa weiterhin als Schullandheim zu nutzen. Der Aufsatz beschreibt den persönlichen Konflikt und interpretiert ihn vor dem Hintergrund des gesellschaftlichen und politischen Umgangs mit dem Nationalsozialismus Mitte der 1960er-Jahre. Die Haltung zu historischen Orten wie dem Haus der Wannsee-Konferenz war damals eine grundsätzlich andere als heute.
Wir sind das Volk ist ein Strategie-Brettspiel, in dem der historische Verlauf der innerdeutschen Teilung spielerisch nacherzählt und erlebbar wird. Entwickelt von Peer Sylvester und Richard Sivélerschien es 2014 im Histogame Verlag. Motiviert wurde die Entwicklung durch das Interesse Sylvesters am Konzept „zwei[er] getrennte[r] Staaten, die sich nebeneinander entwickeln und miteinander konkurrieren.“ [1] Das Spiel ist nicht primär geschichtspolitisch motiviert, kann aber durch das kontrafaktische Spielprinzip einen besonderen Beitrag zur Erinnerungskultur leisten. Das Spiel erhielt viel positive Resonanz und wurde insbesondere für seine Rahmenhandlung und die Spielmechanik gelobt.
»What was it that converted capitalism from the cataclysmic failure which it appeared to be in the 1930s into the great engine of prosperity of the post war Western world?« (S. 3) Das ist die Leitfrage von Andrew Shonfields vor 50 Jahren erschienenem Buch über den »modernen Kapitalismus« der 1960er-Jahre. Wie konnte es zu dem »Goldenen Zeitalter« (Eric Hobsbawm), also der fast drei Jahrzehnte andauernden Nachkriegsprosperität kommen, nachdem der Kapitalismus im Zuge der Großen Depression abgewirtschaftet zu haben schien und sich eine breite ordnungspolitische Debatte um alternative Wirtschaftsformen entwickelt hatte?
Zwischen Popkultur, Politik und Zeitgeschichte. Von der Schwierigkeit, die RAF zu historisieren
(2004)
Debatte, Konflikt, Affäre, Gesinnungsstreit - noch immer gibt es keinen allseits akzeptierten Begriff zur Kennzeichnung dessen, was im Sommer 2003 mehr als nur die Feuilletons in Aufregung versetzt hat. Die „Bild“-Zeitung hatte eines Morgens „Skandal“ gerufen, und (beinahe) alle folgten. Was am ersten Tag noch „Skandal-Ausstellung“ hieß, das wurde bereits am Tag darauf als „Terror-Ausstellung“ bezeichnet - mit dem suggestiven Unterton, dass sich ein kulturelles Unternehmen vielleicht selbst in ein Instrument des Terrorismus verwandelt haben könnte. Die Reaktionsmuster ähnelten in mancher Hinsicht denen aus der Zeit der sogenannten Mescalero-Affäre. Doch diese ereignete sich auf dem Scheitelpunkt der RAF-Geschichte und liegt inzwischen mehr als ein Vierteljahrhundert zurück - ein Zeitraum, in dem sich nicht nur die weltpolitischen Koordinaten gravierend verschoben haben, sondern sich die besagte Gruppierung, an deren weiterer Existenz längst Zweifel aufgekommen waren, auch offiziell aufgelöst hat.
My Road to Berlin, or Mein Weg nach Berlin, presents a Willy Brandt that confounds a present-day reader’s expectations. While the 1960 autobiography of the then-mayor of West Berlin links his career with the familiar story of democracy’s development in Germany, this work nevertheless retains an unexpected edge. In one surprising scene, the mayor denounces his East Berlin SED counterparts as a ›Communist foreign legion‹ whom ›the citizens of my city had decisively defeated‹ during the Second Berlin Crisis of 1958 (p. 17). In the book, Brandt comes off as a Cold Warrior of steely determination rather than a Brückenbauer bridging ideological divides. Far from being out of character, however, My Road to Berlin captures Brandt at a pivotal moment in his career, when he sought to offer himself to both West German voters and a global public as a viable alternative to Konrad Adenauer.
In der Fülle an Literatur über Strafprozesse gegen nationalsozialistische Gewaltverbrecher nimmt ein Buch einen besonderen Platz ein: Hannah Arendts „Eichmann in Jerusalem“. Kaum ein anderes Werk zu diesem Thema hat derart kontrovers geführte und lange nachwirkende Diskussionen ausgelöst. Bis heute wird Arendts Buch als eines der ersten zur Hand genommen, wenn es um den 1961 in Jerusalem durchgeführten Prozess gegen Adolf Eichmann geht, den ehemaligen SS-Obersturmbannführer und Leiter des für die Organisation der Vertreibung und Deportation der Juden zuständigen Referats des Reichssicherheitshauptamtes. Viele andere Arbeiten über den Fall Eichmann sind heute dagegen nahezu vergessen oder nur einem engeren Publikum bekannt.
Fotoausstellung: „Robert Lebeck. 1968“. 3. März bis zum 22. Juli 2018 im Kunstmuseum Wolfsburg
(2018)
Fotokunst. Fotojournalismus. Zeitgeschichte. Keine Frage: Nicht in jeder Fotografie Robert Lebecks findet sich diese Trias gebündelt. Aber selbst auf solchen Aufnahmen, die auf den ersten Blick eher unscheinbar erscheinen, tritt mindestens einer jener drei Teilaspekte hervor. Als Lebeck beispielsweise am 21. Juni 1968 in Wolfsburg ankommt, um anlässlich des 30-jährigen Jubiläums der einstigen Wirtschaftswunderstadt eine Reportage für den „Stern“ zu realisieren, fotografiert er unter anderem ein Straßenschild. Ist das Fotokunst? Fotojournalismus? Oder gar Zeitgeschichte? Es geht, so mein Eindruck, tatsächlich um letzteres: Denn Robert Lebeck fotografiert vor der Kulisse des Volkswagenwerks das Straßenschild der Heinrich-Nordhoff-Straße – ihm ist nicht entgangen, dass der Rat der Stadt Wolfsburg nach Nordhoffs Ableben im April des Jahres stante pede eine Straße nach dem langjährigen Generaldirektor benannt hat. Aber woher war Lebeck dies bekannt?
Das Genre der Arbeiterfotografie erlebte, nachdem sie eine erste Hochphase in der Weimarer Republik erfahren hatte – in jenen Jahren oftmals mit deutlich agitatorischem, propagandistischem Hintergrund –, in der jungen Bundesrepublik eine zweite Blüte, wenn auch unter ganz anderen Vorzeichen. Warum das so war, brachte der Industriefotograf Peter Keetman rückblickend anschaulich auf den Punkt. Als er 1953 nach Wolfsburg reiste, um für drei Tage ganz ohne Auftrag, aber mit Erlaubnis der Werksleitung im Volkswagenwerk zu fotografieren, erlebte er, wie er viele Jahre später sagen sollte, die „aufregendsten Tage in meinem langen Berufsleben“ – und dies nicht ohne Grund: „Es gab keine Einschränkungen, keine Tabus. Ich war auf einmal frei, niemand befahl mir, was ich zu tun hatte. Unglaublich.“ Seine damals entstandenen Aufnahmen zählen heute zu den Klassikern der Industriefotografie, sie markieren Gijs van Tuyl zufolge einen „Meilenstein“ in deren Entwicklung.
Der Artikel betrachtet die späten 1960er- und die 1970er-Jahre als eine Umbruchszeit, in der in West- wie in Osteuropa fundamental neue Gesellschaftsentwürfe formuliert wurden. Ausgehend von 1968 als transnationalem Protestjahr wird gefragt, inwieweit sich die an Bedeutung zunehmenden Oppositionsbewegungen im östlichen Teil Europas von den neuen sozialen Bewegungen in Westeuropa unterschieden. Dabei werden die Geschlechterbeziehungen in den staatssozialistischen Gesellschaften ins Zentrum der Analyse gerückt, und es wird herausgearbeitet, inwieweit die Formung der Geschlechterverhältnisse durch staatliche wie oppositionelle Politik neue Gesellschaftsentwürfe beeinflusste. Die Konservierung traditioneller Geschlechterverhältnisse war sowohl für die Regime als auch für die oppositionellen Bewegungen funktional. Vor diesem Hintergrund wird verständlich, dass im östlichen Europa - im Gegensatz zu Westeuropa und den USA - aus den gesamtgesellschaftlichen Protestbewegungen keine einflussreiche Frauenbewegung hervorging.
Oft wird behauptet, der Prager Frühling sei nicht durch die Parteiführung von oben in Gang gesetzt worden, sondern durch die Intellektuellen des Landes, also eher von unten. Anders als in Ungarn 1956, in Polen 1980-81 oder die Perestroika in der UdSSR seit Mitte der 1980er Jahre, so die These, sei der Prager Frühling durch kritische WissenschaftlerInnen und KünstlerInnen initiiert worden. Es ist wichtig, dieses Narrativ, nach dem es vor allem die kreativen Köpfe waren, die die Macht herausgefordert haben, in einem größeren Kontext zu betrachten.
Zwar wurde im Verlauf der stalinistischen Aufbauphase der 1950er Jahre in der Tschechoslowakei hauptsächlich die Arbeiterklasse gefördert, gleichzeitig verbesserten sich jedoch auch Status und materieller Wohlstand vieler Intellektueller, vor allem der SchriftstellerInnen.
Verlagstext Böhlau: "Satirische Kritik, die sich auf die DDR richtete, widersprach dem Optimismus, den die SED in ihren Medien verbreiten ließ. Und dennoch war die Partei gezwungen, satirische Kurzfilme, Berufskabaretts und eine Satirezeitung, deren verkaufte Auflage eine halbe Million erreichte, zu etablieren. Worin
bestand dieses Paradox DDR-Satire? Wie kam es zum ersten satirischen Großprojekt in der DDR, der DEFA-Stacheltier-Produktion? Weshalb gab es in den siebziger Jahren eine zweite Gründerzeit für Kabaretts? Worin unterschied sich der frühe Eulenspiegel vom späten?
Die Untersuchungen zur frühen und späten Satire in der DDR richten sich auf satirische Kurzfilme, die DEFA-Stacheltiere, die Satirezeitschrift Eulenspiegel und Kabarettprogramme des Potsdamer Kabaretts am Obelisk, der Dresdner Herkuleskeule und des Leipziger Studentenkabaretts Rat der Spötter. In den Blick genommen werden Grenzbereiche: Die ersten satirischen Unternehmungen und späte Satiren im letzten Jahrzehnt der DDR, Phasen, in denen Funken sprühten, die in Höhepunkten und Niederlagen endeten."
Seit der Industrialisierung gehören Auslandsreisen zu den bevorzugten Informations- und Wissensquellen deutscher Unternehmer. Wichtigstes Reiseland war in der Frühphase der Industrialisierung zunächst England als „first industrial nation“. Deutsche Unternehmer importierten von dort technische Innovationen und Know-How, auf legalem oder auch auf illegalem Wege und in Form von Industriespionage. Ab Ende des 19. Jahrhunderts wurden die USA für deutsche Unternehmer interessanter, wohingegen Japan erst weit nach dem Zweiten Weltkrieg ins Blickfeld geriet. Während zwischen den „westlichen“ Industrienationen der Informationsfluss vergleichsweise unproblematisch verlief, gab es im japanischen Fall erhebliche interkulturelle Hürden zu überwinden.
In den letzten Jahren ist eine Vielzahl neuer Veröffentlichungen zur Verfolgung von Sozialdemokraten in der SBZ/DDR vorgelegt worden, die dieses auch schon zuvor sehr aufmerksam verfolgte Kapitel der Repressionsgeschichte, basierend auf jetzt gut zugänglichen Dokumenten aus Archivbeständen der SED und auf russischen Quellen, anreichern. Jene Akten belegen auch die Härte und den Stellenwert der Verfolgung von oppositionellen Kommunisten innerhalb und außerhalb der SED. Der linke Widerstand gegen den Nachkriegskurs der KPD, gegen die Stalinisierung der SED, schließlich die Verfolgung von linken Kritikern und Oppositionellen innerhalb und außerhalb dieser Partei sowie der westdeutschen KPD und endlich die Säuberung beider Parteien war aus mehreren Gründen immer eine besondere Dunkelzone der Parteigeschichte. Daß dabei weder die Stalinisten noch das vielfältige sozialismusfeindliche politische Spektrum an der Würdigung linker Dissidenz interessiert waren und sind, bleibt durchaus nachvollziehbar. Doch unabhängig davon gibt es ebenso zeithistorische Interpretationsdefizite.
Das Buch bietet einen historischen Abriss der innerparteilichen Kontrollorgane der SED bis 1971 und ihrer Vorgeschichte. Die Kontrollorgane spielten im Prozess der Stalinisierung der SED und später während ihrer poststalinistischen Transformation und "Modernisierung" eine besondere Rolle. Sie galten als innerparteiliche "politische Polizei" bzw. als Wächter über "Einheit und Reinheit". Die Wirkungsgeschichte dieser Organe - insbesondere ihre Funktion bei den Parteisäuberungen, bei der Verfolgung von oppositionellen und widerständigen Sozialdemokraten und Kommunisten, bei der "Immunisierung" der SED gegen abweichende politische Konzeptbildungen und bei der Konditionierung ihrer Kader und Mitglieder - wird über den gesamten Untersuchungszeitraum dargestellt und in die allgemeine Partei- und Gesellschaftsgeschichte eingebettet. Besonderer Wert wird auf die Entschlüsselung der "internen Logik" dieser Organe sowie auf die Entwicklung ihrer Handlungsmaximen gelegt. Aus der Vielzahl von Fallbeispielen und Einzelschicksalen entsteht ein plastisches Bild der gesellschaftlichen Wirklichkeit in der DDR. (Verlagstext, siehe: http://www.boehlau-verlag.com/978-3-412-13401-3.html)
Zeitgeschichte ist häufig Streitgeschichte, d.h. Gegenstand nicht nur wissenschaftsinterner, sondern auch in der breiteren Öffentlichkeit geführter Debatten mit hohem Erregungspotenzial. Das Medium Ausstellung unterstützt solche Debatten oder ruft sie überhaupt erst hervor: Ausstellungen erreichen ein größeres Publikum als wissenschaftliche Schriften, bieten einen öffentlichen Kommunikationsraum und ermöglichen je nach Perspektive der Besucher unterschiedliche Lesarten von (Zeit-)Geschichte. Die beiden „Wehrmachtsausstellungen“ des Hamburger Instituts für Sozialforschung haben dies paradigmatisch vor Augen geführt und in ihrer Wirkung selbst die Organisatoren überrascht.
Gegenstand dieses Buches ist die SED-Politik gegenüber den Juden bis zum israelisch-arabischen krieg vom Juni 1967. Im Verständnis der SED-Führung galten vorrangig die aktiven Mitglieder der Jüdischen Gemeinde als Juden. Doch läßt sich eine spezifische Politik gegenüber Menschen jüdischer Herkunft (auch Parteimitgliedern) wie gegenüber dem Staat Israel beobachten, die eine eigenständige Untersuchung rechtfertigt. Diese Politik bewegte sich zwischen zeitweiliger repression (1952/53) und schließlicher Toleranz, wobei letztere Komponente der Politik das ursprüngliche sozialistisch-kommunistische Assimilationskonzept aber nicht in Frage stellte: Juden sollten sich in die "sozialistische" Gesellschaft integrieren, jüdische Identität sollte gegenüber dieser Integration zurücktreten. Sie wurde toleriert, aber nicht unbedingt gefördert, wobei die SED-Führung das Maß an Toleranz bestimmte.
Das Schweigen deuten. Stimm- und Wahlenthaltung als Streitgegenstand in der Schweiz (1960–1990)
(2023)
Wie gehen demokratische Gesellschaften mit einer sinkenden Stimm- und Wahlbeteiligung um? Seit den 1960er-Jahren führte dieses Phänomen in der schweizerischen Öffentlichkeit zur Diagnose eines demokratischen »Unbehagens« oder gar einer »Krankheit«. Während Nichtwähler:innen selbst in dieser Diskussion selten zur Wort kamen, drückten Politiker, Wissenschaftler und Journalisten (überwiegend Männer) mitunter Nostalgie für eine idealisierte, unmedialisierte Dorfpolitik aus. Die Einführung des Frauenstimmrechts im Laufe der 1960er- und 1970er-Jahre destabilisierte solche Ideale weiter, indem sie das androzentrische Staatsbürgerschaftsmodell des »Bürgersoldaten« in Frage stellte. Obschon nichtkonventionelle Partizipationsformen in dieser Zeit zunahmen, wurde die Stimm- und Wahlenthaltung zum »öffentlichen Problem«, über welches Politiker debattierten und zu dem sie wissenschaftliche Studien beauftragten. Die sich teilweise im Kreis drehende Diskussion führte zu einer Kritik der vertikalen Verhältnisse zwischen Repräsentierten und Repräsentanten – in einer demokratischen Kultur, die sich lange als horizontal stilisiert hatte. Ähnlich wie in der aktuellen, international regen Debatte über Bedrohungen der Demokratie standen die Deutungen der Stimm- und Wahlenthaltung als freie Projektionsfläche für Krisendiagnosen dabei in einem Gegensatz zur Komplexität des Phänomens als »polyphonem Schweigen«.