1960er
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„…als explodierte gerade ein Elektrizitätswerk“. Klang und Revolte in der Bundesrepublik um 1968
(2011)
Die 1960er-Jahre hatten einen ebenso neuartigen wie vielstimmigen Sound, und musikalische Klänge stellten eine wichtige Triebkraft des Wandels um 1968 dar. Weitgehend ungeklärt ist bisher, wie sich Klang und Revolte zueinander verhielten. Der Aufsatz untersucht die Bedeutung elektroakustisch verstärkter Musik in der Bundesrepublik um 1968 in drei Schritten: Erstens wird der Kampf der Beat- und Rockmusik um gesellschaftliche Anerkennung beschrieben, wobei der Streit um die steuerrechtliche Einstufung von Konzerten besonders aufschlussreich ist. Zweitens wird die Bedeutung des technisch verstärkten Klangs für die Entstehung einer jugendlichen Massenkultur dargestellt, drittens das Verhältnis von Klang und Text analysiert. Dem antikapitalistischen Zeitgeist entsprechend wurden politische Positionen gelegentlich auch in den Texten formuliert. Doch das rebellische Potenzial der Rockmusik wurde nicht primär in politisch expliziten Aussagen gesehen, sondern im Sound, der als „authentisches“ Kommunikationsmedium zwischen Bands und Publikum galt.
Adorno als Redner und Sprecher – das ist ein zeitgeschichtlich brachliegendes Feld. Noch gibt es keine Monographie, die sein mündliches Wirken in der Öffentlichkeit genauer erkundet. Die folgenden Überlegungen stehen im Zusammenhang mit einem Publikationsprojekt, das diesem Desiderat begegnen soll – auf der Basis der schriftlichen und akustischen Quellen im Theodor W. Adorno Archiv. Das Rundfunkstudio und der Vortragssaal gehörten zu Adornos wichtigsten Wirkungsstätten. Er hatte mehr Hörer als Leser, und seine Auditorien waren umfassender als sein Lesepublikum. Durch das Radio konnte er seinen Wirkungskreis vervielfachen, also Zehntausende, mitunter wohl auch Hunderttausende erreichen. Adorno war sich dieser Verhältnisse durchaus bewusst, zeigte aber die Neigung, seine mündlichen Aktivitäten als Nebensachen darzustellen. Sie hing mit seinem schriftstellerischen Selbstverständnis zusammen. Dagegen verlangt eine zeithistorische Einschätzung seines Wirkens, in Adorno nicht nur den Autor zu sehen, sondern zugleich den öffentlichen Redner und Sprecher – seine intellektuelle Praxis also nicht auf das Schreiben zu verengen. Wenn man von Adornos „Ausstrahlung“ in der Bundesrepublik sprechen will, dann genügt es nicht, auf die Fülle seiner Essays und Bücher hinzuweisen.
In konfessionsvergleichender Perspektive behandelt der Beitrag das Verhältnis der christlichen Großkirchen zu den sozialen Bewegungen in der Bundesrepublik. Genauer untersucht werden die Interaktionen mit den frühen Protestbewegungen, der Studentenbewegung, der „Dritte-Welt“-Bewegung sowie der Friedensbewegung. Die Abgrenzungs- und Transferprozesse zwischen Kirchen und Bewegungssektor werden als Reaktionen des kirchlich verfassten Christentums auf die Wandlungsprozesse der bundesdeutschen Gesellschaft verstanden. Es wird gezeigt, dass die beiden Kirchen aus strukturellen, kirchenpolitischen und theologischen Gründen bei ähnlichen Herausforderungen verschieden agierten. Als Bindeglieder zu den sozialen Bewegungen werden die Bewegungsgruppen innerhalb und am Rande der Kirchen ausgemacht, die oft transkonfessionell handelten. Sie beförderten innerhalb der Bewegungen eine Moralisierung der Politik und in ihren Kirchen eine Politisierung der Religion.
Tod, Vernichtung, alltägliches Elend und die Angst davor waren für die Einwohner der Bundesrepublik in ihrem ersten Vierteljahrhundert keineswegs neue Erscheinungen. Die Erinnerung an den Krieg, an Deutsche als Kriegsopfer und (in geringerem Maß) an Deutsche als Urheber von Mord und Verbrechen, bestimmte einen Großteil des öffentlichen und privaten Gedenkens. Der Tod als Alltagserscheinung war aber nicht nur eine rückwärtsgewandte Erfahrung. Neben dem gleichsam selbstverständlichen Tod durch Alter oder Krankheit wurde der Lebensverlust durch Verkehrsunfälle zu einem der prominentesten Themen der jungen Bundesrepublik. Zehntausende von Autofahrern und anderen Verkehrsteilnehmern starben jedes Jahr auf bundesdeutschen Straßen. Ob ihr Tod vermeidbar war oder nicht und welche Rollen Autofahrer, Automobilhersteller, Straßenbauer und Landschaftsarchitekten spielten oder spielen sollten, wurde zu einem an Stammtischen, in Gemeinderäten, Parlamenten, Ministerien, Seminarräumen und Gerichtssälen leidenschaftlich diskutierten Streitpunkt.
Heiße Rhythmen im Kalten Krieg. Swing und Jazz hören in der SBZ/DDR und der VR Polen (1945–1970)
(2011)
Der Aufsatz geht der Frage nach, wie Hörerinnen und Hörer in der SBZ/DDR und in Polen über Radio, Schallplatten und Live-Musik Zugang zu Jazzmusik erhielten. In beiden Gesellschaften entwickelte sich die Jazzszene in einem charakteristischen Spannungsfeld: Einerseits bezeichneten die sozialistischen Regime Jazz mit Beginn des Kalten Kriegs als „amerikanisch-imperialistische Musik“ und versuchten den „Jazztumult“ aus dem öffentlichen Raum und dem Rundfunk zu verdrängen. Andererseits war es mit Hilfe persönlicher Kontakte zu Menschen im Westen sowie vermittelt über die Programme der US Information Agency weiterhin möglich, sich Zugang zu Jazzmusik zu verschaffen. Der Vergleich der DDR mit Polen zeigt dabei, dass sich die bis dahin ähnlichen Kulturpolitiken beider Staaten ab 1956 wesentlich unterschieden. Polen öffnete sich für Jazz und unterstützte zum Teil die Szene wie auch die Musiker; an den Konzerteinnahmen verdienten die Kulturfunktionäre mit. In der DDR agierte das Regime dem Jazz gegenüber zunächst weiter ablehnend, bis der Beat zum neuen musikalischen Feindbild avancierte.
The American evangelist Billy Graham held several revival meetings – so-called crusades – in West Germany in the 1950s and 1960s. Many thousands of Germans came to hear him. This article explores the reasons for Graham’s success in the Federal Republic in the context of a transatlantic religious and cultural history. Graham’s campaigns were embedded in the discourse of rechristianization and secularization after the end of the Second World War. Leading Protestant bishops such as Otto Dibelius and Hanns Lilje supported him. Furthermore, Graham’s campaigns played an important role in the West German culture of the Cold War as political stagings of the Free World consensus. In addition, the orchestration of the crusades reconciled religion and consumerism. Billy Graham’s crusades are a prism through which to explore important modernization processes in German Protestantism in the first two decades of the Federal Republic.
Im Sommer 1968 wurde der nigerianische Bürgerkrieg durch die Veröffentlichung von Fotos hungernder ‚Biafrakinder‘ zu einem internationalen Medienereignis. Dieser „Bildakt“ bezog einen Teil seiner Wirkungsmacht daraus, dass viele Zeitgenossen die aktuellen Bilder mit Fotografien assoziierten, die während der Befreiung der Konzentrationslager 1945 entstanden waren. Gestützt auf Medienberichte, Publikationen von Aktivisten und Archivmaterial stellt der Aufsatz die Grundzüge der internationalen politischen Kommunikation über Biafra dar und analysiert die Bezüge zur beginnenden kulturellen Erinnerung an den Holocaust. Die Einschreibung Biafras in die Ikonographie des Holocaust ließ eine neuartige Rhetorik des Holocaust-Vergleichs entstehen, durch die sowohl der nigerianische Bürgerkrieg wie auch die Verbrechen des Nationalsozialismus als Genozid sichtbar wurden. Diese Rhetorik erzeugte zwar für kurze Zeit viel Aufmerksamkeit, ging jedoch an der komplexen Realität des Konflikts vorbei. Als sich herausstellte, dass Biafra kein ‚neuer Holocaust‘ war, verloren die Bilder und die dazugehörige Rhetorik des Vergleichs ihre Wirkungsmacht.