1960er
Refine
Document Type
- Journal Article (8) (remove)
Has Fulltext
- yes (8)
Is part of the Bibliography
- yes (8) (remove)
Politische Medizin. Ideologie und Gesundheitsökonomie im SED-Staat der 1950er- und 1960er-Jahre
(2020)
Mitte der 1950er-Jahre feierte ein bundesdeutscher Film auch in DDR-Kinos Premiere: »Weil Du arm bist, mußt Du früher sterben« thematisierte im Gewand eines Sozialdramas die Mängel des Gesundheitssystems der Bonner Republik. Schon die Präsentation eines »Westfilms« an sich war keineswegs selbstverständlich. Darüber hinaus durfte der Streifen mit Bernhard Wicki in der Hauptrolle in der DDR gezeigt werden, obgleich als Drehbuch-Autor Ernst von Salomon verantwortlich zeichnete. Das Werk des Schriftstellers, der 1922 das Attentat auf Walter Rathenau mit vorbereitet hatte, stand eigentlich weitgehend auf dem politischen Index der DDR. Doch passte die radikale Kritik am bundesdeutschen Gesundheitswesen den Partei-Verantwortlichen hervorragend in ihr propagandistisches Konzept: Der Film sei geeignet, so das »Neue Deutschland«, »die Legende, die um den ›goldenen Westen‹ gewoben wird, zu zerstören und uns bewußt zu machen, wieviel Licht in unserem Arbeiter-und-Bauern-Staat bereits ist, wo dort noch tiefe Dunkelheit herrscht«.
Zeitgeschichte ist häufig Streitgeschichte, d.h. Gegenstand nicht nur wissenschaftsinterner, sondern auch in der breiteren Öffentlichkeit geführter Debatten mit hohem Erregungspotenzial. Das Medium Ausstellung unterstützt solche Debatten oder ruft sie überhaupt erst hervor: Ausstellungen erreichen ein größeres Publikum als wissenschaftliche Schriften, bieten einen öffentlichen Kommunikationsraum und ermöglichen je nach Perspektive der Besucher unterschiedliche Lesarten von (Zeit-)Geschichte. Die beiden „Wehrmachtsausstellungen“ des Hamburger Instituts für Sozialforschung haben dies paradigmatisch vor Augen geführt und in ihrer Wirkung selbst die Organisatoren überrascht.
Als reale und symbolische Grenze zwischen Ost und West im Kalten Krieg hat die Berliner Mauer internationale Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Sie ist historisch gut erforscht, und seit 2011 gibt es eine mehrfach prämierte Mauer-App, die Informationen über Bau und Verlauf der Mauer, über Fluchtversuche und das Grenzregime der DDR bietet. Die Jerusalemer Mauer – in weiten Teilen eher ein Stacheldrahtzaun –, erscheint dagegen als Marginalie: Sie markierte keine global bedeutsame Blockgrenze im Kalten Krieg, sondern »nur« die Grenze zwischen dem neuen jüdischen Staat und seinen arabischen Nachbarn. Ihre Lebensdauer war mit 19 Jahren auch kürzer als diejenige ihres Berliner Pendants. Seit die israelische Regierung 2002 mit dem Bau einer Mauer zwischen Jerusalem und dem palästinensisch verwalteten Westjordanland begann, ist diese erste Mauer weitgehend in Vergessenheit geraten.
In spite of the prevailing myth, neither the political self-conception of West Berlin that emerged soon after the war nor the city’s international image were mere by-products of the Cold War. They resulted, rather, from a binational campaign that was based on strategic considerations. Returned Social Democratic émigrés, sympathetic American officials, and certain journalists convinced the German and the American public of West Berlin’s heroic defence of democratic ideals with remarkable speed and success. They could rely on both tangible and intangible resources for their campaign of erecting an ›Outpost of Freedom‹ in what was left of the former Reichshauptstadt. While the heady Weimar days of pre-war Berlin provided countless images that appeared to authenticate this new narrative, the transatlantic network was also able to draw on considerable financial resources and media outlets to promote it. This article seeks to outline the historical actors behind the project and the narratives on which they drew.
Geteilte Geschichte. Plädoyer für eine deutsch-deutsche Perspektive auf die jüngere Zeitgeschichte
(2015)
In der Geschichtswissenschaft boomen derzeit grenzübergreifende Studien. Aus transnationaler Perspektive werden nicht nur Beziehungen zwischen europäischen Ländern untersucht, sondern zunehmend auch globale und außereuropäische Verflechtungen, die bis nach Ostasien oder Afrika reichen. Umso mehr erstaunt, dass 25 Jahre nach dem Mauerfall übergreifende deutsch-deutsche Studien weiterhin selten zu finden sind. Selbst die großen Überblickswerke zur deutschen Zeitgeschichte wähl(t)en selten grenzüberschreitende Perspektiven. Die meisten Historiker/innen im alten Westen empfanden die DDR lange als eine Art »fernes Land«, dessen Erforschung, bis auf wenige Ausnahmen wie die deutsch-deutsche Politikgeschichte und der Mauerfall, den Kolleginnen und Kollegen an ostdeutschen oder Berliner Universitäten überlassen wurde. Auch in den vielfältigen theoretischen Debatten um eine transnationale Geschichte, eine »shared history« oder »entangled history« hat die deutsch-deutsche Geschichte bisher keine Rolle gespielt. Zu unklar erschien vermutlich der Status des Trans-»Nationalen« – in diesem Fall ja eine »trans-staatliche« Geschichte einer später wiedervereinigten Nation. Eine umfassende gesamtdeutsche Gesellschaftsgeschichte steht daher weiterhin aus; ebenso fehlt es an Einzelstudien zu vielen relevanten Feldern.
Der Aufsatz beschreibt anhand von Fallbeispielen die Einführung von Rechnern/Computern in Industrie und Verwaltung sowie die damit einhergehenden Fortschrittsversprechen und Utopien. Der Nutzen der neuen Technologie war für die Akteure zunächst schwer einzuschätzen; daher gab es ein breites Spektrum von Erwartungen, Euphorien und Ängsten. Den „Elektronengehirnen“ der 1950er-Jahre wie auch den späteren Computern wurde im gesamten Untersuchungszeitraum ein Potenzial zugewiesen, das über die damaligen technischen Möglichkeiten weit hinausging. Ein Schwerpunkt der Diskurse war die Frage nach der Zukunft der Arbeit. Als Computer in Unternehmen und Verwaltungen stärker vordrangen, entstanden zahlreiche soziologische Studien, die aus heutiger Sicht aufschlussreiche zeithistorische Quellen sind. Sie dokumentieren strukturelle Veränderungen der Industriegesellschaft, Erfahrungen von Arbeitnehmer/innen im Umgang mit der neuen Technik und zugleich die wissenschaftlichen Versuche, das Phänomen der Computerisierung zu erfassen.
Der Aufsatz untersucht die Rolle und die Grenzen der Stimmungsberichte des Ministeriums für Staatssicherheit an die SED-Führung als „Öffentlichkeitsersatz“ in der staatssozialistischen Diktatur. Im Zentrum stehen dabei die 1960er- und 1970er-Jahre als relativ stabile Jahrzehnte des DDR-Systems. Trotz aller ideologisch bedingten Verzerrungen zeigen die Berichte eine subkutane Orientierung am westdeutschen System und relativ leicht mobilisierbare Hoffnungen auf eine Abkehr von Grenzregime und Reiseverboten. Gleichwohl erschöpften sich die Werthaltungen nicht in einer Selbstwahrnehmung als „verhinderte“ Bundesbürger. Der Diskurs über Versorgungsprobleme und die materielle Lage enthielt neben dem Westvergleich auch Bezugnahmen auf den offiziellen Egalitarismus und ein sehr genaues Bewusstsein für dessen Grenzen in der DDR-Gesellschaft; Kaderprivilegien und ungleich verteiltes Westgeld sorgten vielfach für Unmut. Die Staats- und Parteiführung nahm die MfS-Berichte letztlich nur selektiv wahr – langfristig zu ihrem eigenen Schaden.
Wann und wie wandelten sich in der DDR-Gesellschaft langfristig politische Einstellungen und Wertorientierungen, wie sie dann 1989 in der Herbstrevolution sichtbar wurden? Anknüpfend an Konrad H. Jarauschs These von der »Umkehr« als fundamentalem Demokratisierungsprozess im geteilten Nachkriegsdeutschland untersucht der Beitrag die Möglichkeiten und Grenzen der Stellvertreterbefragungen, die das westdeutsche Meinungsforschungsunternehmen Infratest im Auftrag der Bundesregierung von 1968 bis 1989 durchgeführt hat. Befragt wurden westdeutsche Besucher der DDR über die Ansichten eines von ihnen definierten Gesprächspartners im ostdeutschen Staat, den sie besucht und mit dem sie ausführlich gesprochen hatten. Dieser Serie zufolge stand eine breite und wachsende »schweigende Mehrheit« der DDR-Einwohner dem System distanziert gegenüber, war aber weder im westlichen noch im östlichen Sinne besonders ideologisch präformiert. Sie maß die DDR vor allem an ihren praktischen Leistungen im Hinblick auf Lebensstandard und Perspektiven. Das Interesse an Politik sank ab Mitte der 1970er-Jahre, stieg dann aber wieder an und orientierte sich zunehmend an westlichen Politikformen.