1950er
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Zwischen 1950 und 1980 wurden Säuglinge in der Bundesrepublik zunehmend mit Flaschenmilch ernährt. Die Produktpalette war groß, und die Werbestrategien der Nahrungsmittelhersteller waren ausgeklügelt. Dies allein kann jedoch nicht der Grund für die steigende Nutzung der Säuglingsflasche gewesen sein. Sie wird hier mit einer explizit dinghistorischen Perspektive untersucht: Wie kam sie in die Familie, und wie veränderte sie die Beziehungen von Müttern, Vätern und Säuglingen? Müttern versprach die Säuglingsflasche mehr Freiheiten in der Gestaltung ihres Alltags; Vätern ermöglichte sie es, ihre Männlichkeit neu zu definieren, indem die Väter ihre Kinder selbst fütterten. Eher als in der Bundesrepublik wurde in Schweden die Versorgung von Kleinkindern diskutiert und eine stärkere Mitverantwortung der Männer für die Familie gefordert. Für beide Länder lässt sich beobachten, dass die Säuglingsflasche – zusammen mit anderen Akteuren – die Familie während der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts entscheidend mitgestaltete. In beiden Ländern verlief dies durchaus kontrovers.
Brasiliens Moderne 1940-1964
(2014)
Seit dem 27. September 2013 ist im Berliner Museum für Fotografie die Ausstellung Brasiliens Moderne 1940–1964 mit Arbeiten der Fotografen José Medeiros, Thomaz Farkas, Marcel Gautherot und Hans Gunter Flieg zu sehen. Nun ist, etwas verspätet, auch der von Ludger Derenthal und Samuel Titan Jr. herausgegebene Katalog zur Ausstellung im Bielefelder Kerber-Verlag erschienen. Der Band dokumentiert einen Teil der in der Ausstellung gezeigten Fotografien, ergänzt durch einen einleitenden Beitrag, vier werkbiografische Texte über die vorgestellten Fotografen und einen Katalogteil.
Das Protokoll der Wannsee-Konferenz vom 20. Januar 1942 ist, so der Holocaust- Historiker Peter Longerich, „eines der wichtigsten überlieferten Dokumente zur Planung und Organisation des millionenfachen Mordes an den europäischen Juden durch das NS-Regime“. „Durch dieses Dokument“, so Longerich weiter, „ist die Konferenz am Großen Wannsee als Synonym für den kaltblütigen, verwaltungsmäßig und arbeitsteilig organisierten Massenmord der NS-Zeit in der Erinnerung“.(...)
Längst beerdigt und doch quicklebendig. Zur widersprüchlichen Geschichte der »autogerechten Stadt«
(2017)
Das Automobil steht gegenwärtig wieder einmal im Brennpunkt breiter gesellschaftlicher Debatten um Themen wie Elektromobilität, Car-Sharing, »autonomes Fahren« und verwandte Fragen. Darin kommt ein tiefer Umbruch der automobilen Kultur zum Ausdruck. Wie Konflikte um Fahrverbote in den Innenstädten, den Abriss automobiler Infrastrukturen oder die Erweiterung autofreier Zonen zeigen, erfasst dieser Umbruch auch und gerade die (großen) Städte. Vor dem Hintergrund eines sich andeutenden Abschieds von der Automobilität der Hochmoderne in den metropolitanen Räumen Europas und Nordamerikas gewinnt auch die retrospektive Reflexion über Entwicklungslinien und Wendepunkte der Raumentwicklung im Zeichen des Automobils in »seinem« 20. Jahrhundert stark an Interesse. Dies gilt umso mehr, als der epochemachende Leitbegriff der »autogerechten Stadt« die Genese und die Probleme städtischer Automobilität mehr verdeckt als freilegt.
Die Wirtschaftspolitik in der frühen Bundesrepublik Deutschland stand, ebenso wie in der letzten Phase der Besatzungszeit, ganz im Zeichen der Etablierung eines neuen ordnungspolitischen Konzepts: der Sozialen Marktwirtschaft. Diese basierte theoretisch auf dem Prinzip, daß Angebot und Nachfrage ohne politische Einflußnahme durch am Wettbewerbsmarkt gebildete Preise koordiniert werden sollten. Die Rolle des Staates blieb auf die Garantie der rechtlichen Rahmenbedingungen des Wettbewerbs und sozialer Mindeststandards beschränkt. Da das Konzept der Sozialen Marktwirtschaft nur „teilweise konsequent“ umgesetzt wurde, entstand jedoch ein relativ großer politischer Handlungsspielraum für die Regulierung bestimmter Wirtschaftsbereiche oder einzelner Waren bzw. Dienstleistungen und damit auch für eine eigentlich konzeptwidrige staatliche Preispolitik.
„Die Kader entscheiden alles [...]“ war vor allem in den vierziger und fünfziger Jahren eine der wohl am meisten wiederholten Formeln der Verantwortlichen aller Ränge im kommunistischen Machtbereich. Aus dem Mund des großen Stalin stammend, kurz und prägnant, scheint sie sich besonders gut als ein fester Bestandteil der politischen Sonntagsreden geeignet zu haben. Nichts wäre jedoch verfehlter, diese Formel eben nur als eine rhetorische Pflichtübung einstufen zu wollen. Vieles deutet daraufhin, daß es sich hier um eine der zentralen Aussagen des Regimes über sich selbst handelt, über sein Wesen, seine Herrschaftsformen und -methoden.
In den letzten Jahren ist eine Vielzahl neuer Veröffentlichungen zur Verfolgung von Sozialdemokraten in der SBZ/DDR vorgelegt worden, die dieses auch schon zuvor sehr aufmerksam verfolgte Kapitel der Repressionsgeschichte, basierend auf jetzt gut zugänglichen Dokumenten aus Archivbeständen der SED und auf russischen Quellen, anreichern. Jene Akten belegen auch die Härte und den Stellenwert der Verfolgung von oppositionellen Kommunisten innerhalb und außerhalb der SED. Der linke Widerstand gegen den Nachkriegskurs der KPD, gegen die Stalinisierung der SED, schließlich die Verfolgung von linken Kritikern und Oppositionellen innerhalb und außerhalb dieser Partei sowie der westdeutschen KPD und endlich die Säuberung beider Parteien war aus mehreren Gründen immer eine besondere Dunkelzone der Parteigeschichte. Daß dabei weder die Stalinisten noch das vielfältige sozialismusfeindliche politische Spektrum an der Würdigung linker Dissidenz interessiert waren und sind, bleibt durchaus nachvollziehbar. Doch unabhängig davon gibt es ebenso zeithistorische Interpretationsdefizite.
"Hütet euch vor falschen Propheten!" Hörfunkkommentare der katholischen Kirche aus Berlin 1950-1962
(2006)
Von der SED als das „trojanische Pferd der Imperialisten“ gefürchtet, nahm die Medienarbeit des Bistums Berlin im Kalten Krieg an der Schnittstelle von Politik und Religion eine besondere Stellung ein. Kirchenpolitisch von außerordentlicher Bedeutung, umfasste das Bistum neben der gesamten Stadt Berlin auch die Mark Brandenburg sowie Teile Vor- und Hinterpommems und befand sich direkt an der „Nahtstelle der Systeme“. Dadurch avancierte das Ordinariat rasch zum Zentrum der katholischen antikommunistischen Medienarbeit in Westberlin. Der Aufbau eines internen und externen katholischen Kommunikationssystems, das sich auch auf die modernen Massenmedien stützte, lag nach 1945 in den Händen von Prälat Walter Adolph. Virtuos setzte er Presse, Hörfunk und Film im „Glaubenskrieg“ zwischen „bolschewistischem Totalitarismus“ und „christlicher Weltordnung“ ein. Adolph war sicherlich kein intellektueller, originärer Vordenker; seine Aufgabe war die mediale Vermittlung katholischer Vorstellungen an religiös orientierte Öffentlichkeiten in beiden deutschen Staaten. Der von Aktion und Reaktion bestimmte „Kalte Medienkrieg“ in Ost und West soll hier von der spezifischen Situation im „Bistum an Gottes Front“ genauer beleuchtet werden.
Die Problematik, die mit dem Alltagsleben in den Betrieben und mit der Sozialgeschichte der Arbeitermilieus verbunden ist, stellt keine Spezialität der polnischen Historiographie dar. Aber ähnlich wie anderswo wurden die Forschungen zu den Anpassungsstrategien oder auch zu ambivalenten und konformistischen Haltungen gegenüber dem Regime, die für die Erforschung des Alltags so wichtig sind, durch Arbeiten dominiert, die dem Widerstand und der politischen Opposition gegen die Macht gewidmet waren. Doch treten die Publikationen aus dem Grenzbereich von Wirtschafts- und Sozialgeschichte langsam heraus aus dem Schatten der Vielzahl von Büchern über das Martyrium der Soldaten des bewaffneten und politischen Untergrunds der vierziger Jahre, über die Repressalien gegen die katholische Kirche, über die politischen Gefangenen oder die spektakulären gesellschaftlichen Aufstände. Wenig vorangekommen sind die Forschungen, die zeitlich über die Epoche des Stalinismus hinausreichen. Teilweise wird das durch die zeitgenössische soziologische Literatur kompensiert, die eine ziemlich glaubwürdige Informationsquelle zur Realität in der Volksrepublik Polen (VRP) darstellt. Aus allen erwähnten Gründen sind die Sozialhistoriker, die sich in Polen mit dieser Epoche beschäftigen, auf ihren Gebieten Pioniere oder schreiten auf kaum gebahnten Wegen.
Der Entwicklung der Einkommen in den Ostblockländem lag ein Widerspruch zwischen den ideologischen und legitimatorischen Grundlagen des ihnen eigenen staatssozialistischen Systems auf der einen und den wirtschaftlichen Erfordernissen auf der anderen Seite zugrunde. Die in diesen Staaten herrschenden kommunistischen Parteien vertraten den Anspruch, die sozialistische Utopie von materieller Gleichheit und Gerechtigkeit verwirklichen zu können. Jedoch wurde diese Idee von den Führungen jener Parteien auch instrumentalisiert, um ihre Macht zu legitimieren. Vor dem Hintergrund der Weltwirtschaftskrise der Zwischenkriegszeit faszinierte an dieser Vision besonders die Annahme, auf der Basis gesellschaftlichen Eigentums und gesamtwirtschaftlicher Planung Vollbeschäftigung garantieren zu können. Die Beseitigung der Arbeitslosigkeit wurde für den Staatssozialismus zu einem wesentlichen Wirtschafts- und gesellschaftspolitischen Ziel und damit zu einer weiteren legitimatorischen Grundlage. Auf dem sozialisierten Eigentum an den Produktionsmitteln beruhte auch die Vorstellung, daß die Arbeitskraft - im Unterschied zum Kapitalismus, für den das Marx herausgearbeitet hatte - ihren Warencharakter verlieren werde. Da alle Gesellschaftsmitglieder Eigentümer der Produktionsmittel seien, müßten sie ihre Arbeitskraft nicht mehr an die Besitzer der Produktionsmittel verkaufen, um ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Der damit letztlich zu verwirklichende Gleichheitsanspruch war jedoch nicht absolut, sondern stand latent im Widerspruch zu dem Erfordernis, auch in diesem als Alternative zur liberalen Wettbewerbswirtschaft gedachten System Wirtschaftswachstum inklusive Produktivitätssteigerung zu gewährleisten.
Warum ist der keine fünf Jahre nach dem Ende des SED-Regimes erschienene Aufsatzband „Sozialgeschichte der DDR" ein Meilenstein der historischen Forschung zum untergegangenen ostdeutschen Staat? Vor allem deshalb, weil dort differenzierte Fragestellungen und Arbeitshypothesen formuliert wurden, die die Forschung zur DDR bis heute prägen. Die einzelnen Beiträge vereint die Frage, wie sich die Geschichte der DDR in die deutsche Geschichte des 20. Jahrhunderts einordnen lässt, ob die Brüche oder doch eher die Kontinuitäten überwogen und wie sich die historischen Vörprägungen durch die NS-Diktatur auf den verschiedenen Ebenen von Staat und Gesellschaft bemerkbar machten. Der Gesichtspunkt der nationalen Pfadabhängigkeit wird in immer wieder neuer Perspektive aufgegriffen: Die Autoren diskutieren neben den Ähnlichkeiten mit der NS-Diktatur Aspekte des Systemvergleichs und der Systemkonkurrenz der DDR mit der Bundesrepublik; aber auch die Weimarer Republik und selbst das Kaiserreich werden keineswegs ausgeblendet. Kursorische Vergleiche mit anderen ost- und westeuropäischen Ländern erlauben schließlich wichtige Thesen über das spezifisch „Deutsche" in der DDR-Geschichte.
Planprojekt Meistererzählung. Die Entstehungsgeschichte des "Lehrbuchs der deutschen Geschichte"
(2000)
Kein anderes historiographisches Unternehmen in der DDR hat im Kampf um die Deutungshoheit über die Vergangenheit eine so umfassende Rolle gespielt wie das Hochschullehrbuch der deutschen Geschichte. Es unterfing sich, die ganze historische Zeit von den Jäger- und Sammlerhorden im Altpaläolithikum bis zur deutschen Doppelstaatlichkeit in der Gegenwart darzustellen, und es spiegelte in den fünfunddreißig Jahren, die zwischen dem ersten Entwurf 1952 und den letzten Neuauflagen 1986 lagen, die ganze Wegstrecke von der Konstitution bis zur Erosion des sozialistischen Geschichtsbildes. „Es geht darum, den werktätigen Massen - den wahren Schöpfern der Geschichte - die Vergangenheit zu beleuchten, damit sie ihren heutigen Kampf mit den revolutionären Traditionen verbinden“ - mit diesen Worten umriß der wissenschaftliche Sekretär des Lehrbuch-Projekts 1955 die Aufgabe in einem für das „Neue Deutschland“ bestimmten Beitrag.
Im kollektiven Gedächtnis der beiden deutschen Nachkriegsgesellschaften existierten die Erfahrungen mit Krieg und Nationalsozialismus in vielfältiger Weise weiter. In der DDR lebten wie in Westdeutschland Menschen, die als Anhänger der NSDAP, Flakhelfer(innen), Soldaten oder gar SS-Mitglieder aktiv in den Krieg involviert gewesen waren. Die filmische Rezeption dieser Erinnerung in der DDR bewegte sich im Kontext entlastender und politisch funktionalisierender Strategien um Mitverantwortung und antifaschistische Wandlung. Sie als reine Propagandaprodukte zu begreifen, griffe jedoch zu kurz. Zweifellos boten dokumentarische wie fiktionale Filme in der DDR als Agenturen des kulturellen Gedächtnisses emotional wirksame Varianten an. Wenn auch die durchschnittliche jährliche Filmproduktion des DEFA-Monopols nur etwa zwischen 15 und 18 Spielfilme umfaßte, bei einem durchweg beträchtlichen Anteil von historischen Sujets, so hatte sie im Geschichtsdiskurs durchaus ein eigenständiges Gewicht und korrespondierte mit dem neuen visuellen Medium Fernsehen. Durch die modernen Massenmedien des 20. Jahrhunderts, insbesondere des Films, wird Geschichte zum Ereignis, und dem geschichtlichen Ereignis wird ein neuer Status verliehen. Geschichte gerinnt in ihnen zu Geschichten (Jacques Le Goff), die in einem Spannungszustand zu kanonisierenden Deutungen stehen. Geschichte wird greifbar als Geschichte von Individuen, von Helden, sich innerhalb einer festgefugten narrativen Struktur bewegend. Die Leistung des Films liegt deshalb in seiner besonderen Fähigkeit zur Emotionalisierung, Personalisierung und Dramatisierung von Geschichte, die anders als Literatur öffentlich unmittelbarer von einem Massenauditorium rezipiert werden kann.
Einem weitgehend einhelligen Konsens darüber, daß der Antifaschismus für die DDR zum zentralen legitimierenden Gründungsmythos wurde, stehen bisher nur wenige konkrete Untersuchungen gegenüber, die Auskunft über die historischen Etappen der Entwicklung dieses Mythos in seinen inhaltlichen, narrativen und visuellen Dimensionen geben. Das gilt auch für den Widerstandsdiskurs, dem innerhalb des Antifaschismus ein bevorzugter Platz zugewiesen worden war. Die frühe Überformung der Geschichtlichkeit des Widerstandes durch abstrakte Heroisierungen und ideologische Indienstnahmen während der Zeit von 40 Jahren konnte erst nach 1989/90 genauer in ihren Konturen beleuchtet werden. Dabei zeigte sich ein Untersuchungsbedarf für die Art und Weise der Produktion und der Verwaltung des historischen Wissens über den Widerstand sowie der Formen des öffentlichen Umgangs mit seiner Geschichte, seinen Ereignissen und Akteuren. Damit ist ein komplexes Gefüge von Strategien und Abhängigkeiten, von Ideologien und Mentalitäten berührt, dessen diskursbildende Energien und identitätsstiftende Wirkungen noch genauerer Analyse bedürfen. Die Rekonstruktion der Regeln, nach denen die Leitbilder vom Widerstand etabliert und verbreitet wurden, die Analyse der produzierten und rezipierten historischen Wissensbestände sowie die Ausschließungen, Ausgrenzungen und Tabuisierungen auf diesem stets umkämpften Feld und nicht zuletzt die Rolle der Akteure dieses Diskurses gehören zu einem (verwirrenden) Geflecht mit politischen, wissenschaftlichen und künstlerisch-kulturellen Dimensionen. Im folgenden werden Widerstandsgeschichten der fünfziger Jahre erzählt, die diese Diskurse mitprägten, sinnstiftend auffüllen halfen, sich aber auch querläufig und randständig entwickelten. Das untersuchte Material kann in vielem als repräsentativ für den historischen Herrschaftsdiskurs gelten. Jedoch wird angestrebt, in einem Verfahren, das Walter Benjamin als „die Geschichte gegen den Strich bürsten“ definierte, jene ungewollten „Wahrheiten“ und historischen Botschaften aufzufinden, die neben den hochoffiziellen gewünschten jene un-repräsentativen Wahmehmungsweisen und Erfahrungshorizonte enthielten und auf die ihnen eigene Weise innerhalb dieses Diskurses wirken konnten. Repräsentative Materialien historiographischer, archivalischer und literarischer Art werden mit verschwiegenen oder verborgenen Widerstands-Zeugnissen konfrontiert, um die zentralen und die marginalen Elemente innerhalb des Diskurses in ihren Beziehungen, Brechungen und Ausblendungen historisch-genetisch genauer fassen zu können. Es wird daher auch an verdrängte und an weggeschobene Segmente des Widerstandsdiskurses zu erinnern sein.
Rund ein halbes Jahr nach der Gründung der DDR, am 21. April 1950, beschloß die Volkskammer die Einführung von zwei offiziellen Gedenktagen. Zum einen wurde der Grün- dungstag der DDR, der 7. Oktober, zum Feiertag befördert, zum anderen der Tag des offiziellen Kriegsendes, der 8. Mai. Als sich nur wenige Wochen später dieses Datum zum fünften Mal jährte, wurde somit erstmals der „Tag der Befreiung“ als staatlicher Feiertag begangen. Aus diesem Anlaß brachte der Rundfunk der DDR am Vorabend auf allen Sendern einen Beitrag von Karl Eduard von Schnitzler. Innerhalb der Reihe „Porträt der Woche“ widmete sich Schnitzler an diesem Abend Melitón Kantarija, einem der sowjetischen Soldaten, die auf jenem berühmten Foto zu sehen sind, das sie beim Hissen der roten Fahne auf der Ruine des Berliner Reichstages zeigt.
In den siebziger und achtziger Jahren wurde in der Tschechoslowakei unter Bedingungen des Informationsmangels eine Europaidee propagiert, die Träumereien über Europa, nebelhafte Vorstellungen und naive Erwartungen umfasste. Daneben aber wurde Europa auch als Wertegemeinschaft aufgefasst, etwa von Denkern wie Jan Patoćka und - im Exil - Vaclav Belohradsky. Alle diese Aspekte sind von Bedeutung und von Interesse für eine historische Analyse.
Mit dem Abkommen über die deutsche Wirtschafts- und Währungsunion galten ab 1. Juli 1990 die Bedingungen der Europäischen Gemeinschaft (EG) auch für das Gebiet der DDR. Damit war der zweite deutsche Staat dort angekommen, wo die SED-Führung nie hin wollte: in der westeuropäischen Integration. Das „Haus Europa“, das nach der Vorstellung Erich Honeckers stets Platz für zwei unterschiedliche gesellschaftliche Systeme bieten
sollte, erhielt so die Umrisse einer „Hausordnung“, die in den außenpolitischen Konzepten führender Staatsmänner weder in West noch in Ost in den vorhergehenden vierzig Jahren ernsthaft erwogen worden war. Während die Integration in Westeuropa aber bis zum Ende der achtziger Jahre sichtbare Ergebnisse und konkrete Pläne für die wirtschaftliche, politische und militärische Zukunft der westlichen Gemeinschaft hervorgebracht hatte, fielen der Ostblock und mit ihm seine Bündnissysteme in sich zusammen. Sang- und
klanglos wurde am 25. Februar 1991 der Warschauer Vertrag beendet. Am 28. Juni 1991 löste sich der Rat für Gegenseitige Wirtschaftshilfe (RGW) auf, ohne dass ersichtlich wurde, welche konkreten Vorstellungen die früheren Ostblockstaaten von ihrer zukünftigen Rolle in einem Gesamteuropa hatten.
Geopolitik in der Emigration. Die Denkaufgabe 'Europa' in der Publizistik von Juliusz Mieroszewski
(2008)
Die Pariser Emigrantenzeitschrift Kultura und ihr Chefredakteur Jerzy Giedroyc galten als ein Mythos im öffentlichen Bewusstsein der Polen sowohl zur Zeit des Kommunismus als auch nach seinem Zusammenbruch. Grażyna Pomian, die Herausgeberin einer zweibändigen Auswahl der Publizistik des Literaturinstituts in Maisons-Laffitte bei Paris, wo sich das geistige Zentrum des Periodikums befand, stellte fest: „1989 bekannte sich fast die ganze Opposition zur Lektüre der Kultura. Sogar diejenigen, die sie nie in der Hand gehalten hatten oder vielleicht nie vorher von ihr gehört hatten, verkündeten allen und überall, dass sie mit der Kultura aufgewachsen sind.“ Vielleicht war es das Bedürfnis, sich angesichts der grauen Realität des Kommunismus in die erhabene Welt der Intellektuellen zu begeben? Oder war es danach, im demokratischen Polen, der Wunsch, sich zu dem zu bekennen und sich mit dem zu identifizieren, wofür man in den vorangegangenen Jahrzehnten nicht die Kraft und den Mut gehabt hatte? Nach 1945 gelang es nicht vielen, an die Überwindung der sich auf dem ostmitteleuropäischen Territorium ausbreitenden Krake des Kommunismus zu glauben. Diejenigen, welche diesen Glauben in der Nachkriegszeit hegten und ihn mit immer neuen Mitteln und Konzepten aufrechtzuerhalten versuchten, wurden oft als realitätsferne Visionäre betrachtet.
Mit Stalins „Revolution von oben“ seit 1928 und dem Beginn der Fünfjahrespläne wandte sich die UdSSR von Europa ab. Während die Bolschewiki im Jahrzehnt nach ihrer Machtübernahme Europa revolutionieren wollten, erklärten sie nun die radikale Umgestaltung des eigenen Landes zur Priorität. Um die verschiedenen Nationen und Ethnien des Vielvölkerreiches für den „Aufbau des Sozialismus“ zu mobilisieren, bediente sich der Propagandastaat seit 1935 der Metapher der „Großen Freundschaft“ der sowjetischen Völker. Seit Ende der dreißiger Jahre betonte die Propaganda außerdem die Vorreiterrolle des russischen Volkes - seine Verdienste um die Revolution und seine historischen Leistungen in der Staatsbildung erhoben es zum primus inter pares, zu dem die kleineren Brudervölker der UdSSR in „Liebe und Dankbarkeit“ aufblicken sollten. Der Diskurs der Völkerfreundschaft war Bestandteil eines bolschewistischen Nationalismus, der die politische Kultur der Sowjetunion bis zu ihrem Ende prägte und die russische Gesellschaft bis in die Gegenwart beeinflusst.
Das Buch zeigt, inwiefern es den Machthabern in der SBZ/DDR gelang, auf dem Land eine neue "sozialistische" Gesellschaft zu errichten. Über die Agrarpolitik des Regimes hinaus behandelt die Studie die Auswirkungen von Bodenreform und Kollektivierung, insbesondere in Brandenburg. Dabei geht es auch um den Umgang gesellschaftlicher Gruppen und einzelner Dorfbewohner mit den politischen Eingriffen sowie um die Reaktionen der Menschen auf den Wandel ihrer Lebenswelt. Die Durchsetzung der Bodenreform und die schwierige Bildung der Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften werden ebenso untersucht wie die Not der Neubauern, das Lavieren der Funktionäre auf dem Lande, die Vertreibung der "Großbauern" und der Wandel innerhalb der Landarbeiterschaft. (Quelle: Verlag)