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Harald Schmitt (*1948) ist einer der bekanntesten deutschen Fotografen des späten 20. Jahrhunderts. Nachdem er sich in den 1970er-Jahren vor allem für die Fotoagentur Sven Simon betätigte, war er seit 1977 festangestellter Fotoreporter des Magazins „stern“, für das er bis 1983 in der DDR arbeitete. Danach fotografierte er weltweit für „stern“-Fotoreportagen. Während seiner Laufbahn erhielt er sechs „World Press Photo Awards“.
In einem Interview mit zwei Studierenden des Public History-Masters der Freien Universität Berlin am 27. Mai 2014 sprach Harald Schmitt über seine Zeit in Ost-Berlin, seine prägendsten Erlebnisse und den Wandel der Fotografie.
Der Artikel widmet sich aus medienwissenschaftlicher Perspektive der „televisiven Historiographie“ und speziell dem Format „Virtual History“, welches der Sender „Discovery Channel“ entwickelt hat. Dieses Sendeformat versucht mittels aufwändiger digitaler Techniken, Bildmaterial von historischen Ereignissen neu zu produzieren, das dennoch einer historischen „Realität“ entsprechen soll und als „authentisch“ deklariert wird. Ausgehend von der Annahme, dass das Fernsehen generell weniger dem Authentischen als dem Falschen und der Verfälschung verpflichtet ist, fragt der Artikel nach der „Indexikalität“ virtueller digitaler Fernsehbilder. Im Anschluss an Maurice Halbwachs’ Unterscheidung von Geschichte und Gedächtnis wird die These entwickelt, dass der klassische Film mit der Konstitutionslogik der Geschichte korrespondiert, während das Fernsehen ein paradoxes Gedächtnismedium ist: Indem es überall dabei (gewesen) sein will, unterläuft es die operative Gedächtnisfunktion, zwischen Erinnern und Vergessen zu unterscheiden.
„Video“ oder: Was haben die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) mit Homer zu tun?“ – so lautet der vielleicht etwas rätselhafte und ungewöhnliche Titel meiner heutigen Abschiedsvorlesung.„Video. Zu Ihrer Sicherheit“ – so ist auf Hinweisschildern an und in U-Bahnhöfen in Berlin und auch in den Bahnen selbst zu lesen. Zu sehen ist ein einzelnes stilisiertes Auge, ein Monoculus, das den Betrachter fixiert. Klären möchte ich im Folgenden einige Fragen, die auch etwas mit unserem heutigen Alltag zu tun haben: Was hat „Video“ – zu deutsch: „Ich sehe“ – mit „Sicherheit“ zu tun? Woher stammt der irrwitzige Glaube, dass Sehen bzw. Gesehenwerden Sicherheit erzeugt? Warum ist es ein Einzelauge und kein Augenpaar, das uns fixiert? Wer sieht hier eigentlich bzw. wird gesehen? Es geht um Fragen wie: Wo kommen diese Bildzeichen her? Für welches Bildverständnis stehen sie? In welchen anderen kulturellen Zusammenhängen begegnen wir ihnen? Was bedeuten bzw. was bedeuteten sie?
Der „Todestango“ gehört zu den bekanntesten und zugleich rätselhaftesten Kompositionen, die in Konzentrations- und Vernichtungslagern der SS gespielt worden sein sollen. Der Legende nach entstand er im Zwangsarbeits- und Durchgangslager Janowska in Lemberg/Lviv, der damaligen Hauptstadt Galiziens, das nach dem Überfall des Hitler-Regimes auf die Sowjetunion am 22. Juni 1941 unter deutsche Besatzung geriet. In einer Bildanalyse führt Dietz aus, dass wesentliche Inhalte, die Rückschlüsse (oder Zweifel) über den Ort der Aufnahme erlauben, im bisherigen Diskurs übergangen wurden. In diesem Zusammenhang wird die Frage zu diskutieren sein, ob die Aufnahme wirklich das Orchester des Janowska-Lagers oder möglicherweise das Orchester des Lemberger Ghettos zeigt.
Ausgehend von der These, dass die Internationalen Organisationen im Zeitalter der Dekolonisation nach 1945 auf die Erfindung einer neuen Bildsprache angewiesen waren, die uns bis heute zutiefst vertraut ist und inzwischen selbstverständlich anmutet, fragt das Projekt nach Akteuren, Politik und Praxis des Fotojournalismus im Mid-Century. Die Geschichte der Internationalen Organisationen ohne ihr Bildprogramm erklären zu wollen, läuft daher zumindest für die nach unserem heutigen Verständnis naiv-optimistischen 1950er Jahre ins Leere: Bilder waren die Sprache, welche weltweit verstanden werden konnte, und sie waren – vieles weist darauf hin – anders als die „Weltsprachen“ Englisch oder Französisch zumindest zeitgenössisch als herrschaftsfreie Ausdrucksformen weitgehend akzeptiert.
Der gebürtige Münchner Thomas Höpker (*1936) befasste sich bereits in seiner frühen Jugend mit dem Feld der Fotografie. Während seines Kunstgeschichts- und Archäologiestudiums in München und an der Universität Göttingen beteiligte er sich an der „Deutschen Bilderschau“ und erhielt erste Preise beim Wettbewerb „Jugend fotografiert“ auf der Fotomesse „Photokina“. Ab 1959 begann er regelmäßig als Fotojournalist für Zeitschriften, Jahrbücher, aber auch schon an langfristig angelegten Fotoprojekten zu arbeiten. Über Publikationen in den Zeitschriften „twen“ und „Kristall“ bekannt geworden, wurde er als Fotoreporter 1964 von Henri Nannen und Rolf Gillhausen für das Magazin „Stern“ engagiert.
Historische Ausstellungen und Museen gelten als typische Arbeitsfelder für Historiker. In der Tat ist eine geschichtswissenschaftliche Grundausbildung eine gute Voraussetzung, doch reicht sie aus, um eine gute historische Ausstellung zu entwickeln? Was macht überhaupt eine gute Ausstellung aus? Hier kommt neben der wissenschaftlichen Arbeit die praktische Umsetzung ins Spiel - ein Aspekt, der bei der Beurteilung von Ausstellungen oft vergessen wird. Dabei geht es nicht um die Entscheidung zwischen Oberflächlichkeit und Tiefgang, zwischen Inszenierung und Originalobjekten oder zwischen Eventkultur und Bildungsangebot. Vielmehr geht es darum, sich der sprachlichen Unschärfen sowie der Vermischung von Begriffen wie Geschichte, Museum, Ausstellung, Erinnerung, Gedächtnis auf der einen und Event, Erlebnis, Management, Unterhaltung auf der anderen Seite bewusst zu werden. Erst dann nämlich steht die Qualität einer Ausstellung zur Debatte, nicht die Güte der wissenschaftlichen Leistung. Anders ausgedrückt: Eine Ausstellung zu realisieren erfordert mehr als die wissenschaftliche Basis der Fachdisziplin, in unserem Fall der Geschichtswissenschaft. Hier geht es darum, (aktuelle) Bezugspunkte für die Besucher zu schaffen, ein Konzept zu entwickeln, das Geschichte im wahrsten Sinne des Wortes (be)greifbar macht. Es ist der dreidimensionale Raum, in dem sich das Konzept bewähren muss, in dem Geschichte gestaltet werden will. Dazu gehören auch und vor allem die Objekte - die im Geschichtsstudium nicht oder nur am Rande behandelt werden. Hinzu kommt die praktische Durchführung des Vorhabens, die Planung und Organisation von Arbeitsabläufen, die Vermittlung sowie die Finanzierung. Und spätestens hier sieht sich der Historiker vor Aufgaben gestellt, auf die ihn sein Studium in den seltensten Fällen vorbereitet hat.
In Frankfurt am Main ist noch bis zum 24. Oktober 2021 eine ganz besonders lohnenswerte Ausstellung zur Fotografie der deutschen Zwischenkriegszeit zu sehen. Sie macht durch Ausstellungsgestaltung und fundiert aufbereitete Hintergrundinformationen große Lust, die fotografischen Schmuckstücke „neu zu sehen“ und den Sammlungsbestand (unter Ergänzung einzelner Leihgaben) näher in den Blick zu nehmen. Der Kuratorin Kristina Lemke ist mit dieser Ausstellung etwas Wunderbares gelungen. Ein Besuch lohnt sich sehr – mit Zeit zum genauen Hinsehen erschließt diese Ausstellung neues Terrain, denn selten wird dem fotografischen Abzug an sich so viel Aufmerksamkeit und Hinwendung zuteil. Es handelt sich um ein kleines Ausstellungsjuwel; insbesondere in der Zusammenschau mit dem im Kerber Verlag erschienenen Katalog offenbart sich die fundierte Recherche.
Nach einem kurzen einführenden Überblick zur Geschichte der Unterrichtsvideografie in Deutschland wird in diesem Beitrag anhand ausgewählter Beispiele ein methodischer Zugang aus der Perspektive einer historischen Bildungs- und Unterrichtsforschung entwickelt, der insbesondere auf den visuellen Gehalt dieser noch relativ neuen Quellengattung fokussiert und diesen im Zuge des Kontextes der Unterrichtsaufzeichnungen zu reflektieren sucht.
Die Röntgentechnik ist in der heutigen Wahrnehmung so eng mit der Medizin verknüpft, dass man sie sich kaum außerhalb des medizinischen Kontextes vorstellen kann. Tatsächlich waren Röntgenbilder in den Anfangsjahren aber noch auf kein spezielles Untersuchungsgebiet oder einen besonderen Anwendungsbereich festgelegt. Röntgen selbst richtete die von ihm identifizierten Strahlen im Winter 1895 auf alle möglichen Gegenstände – so zum Beispiel auf ein „eingebundenes Buch von ca. 1000 Seiten“, ein „doppeltes Whistspiel“ oder „zwei bis drei cm dicke Bretter aus Tannenholz“ – und verglich die bei der Durchstrahlung erzeugten Lichtreaktionen. Weiterhin experimentierte er mit Platten aus Aluminium, Hartgummi und verschieden zusammengesetzten Glasarten, bevor er den wohl bekanntesten Effekt der Röntgenstrahlen beschrieb: „Hält man die Hand zwischen den Entladungsapparat und den Schirm, so sieht man die dunkleren Schatten der Handknochen in dem nur wenig dunklen Schattenbild der Hand.“
Medienikonen der Fotografie bzw. des Films – denken wir etwa an den „Falling Soldier“ von 1936 in der Fotografie von Robert Capa, an den Jungen aus dem Warschauer Getto im sogenannten Stroop-Bericht, an das „Napalm-Mädchen“ aus dem Vietnamkrieg in der Fotografie von Nick Út, an den „Kapuzenmann“ in der digitalen Aufnahme eines amerikanischen Soldaten aus dem Foltergefängnis von Abu Ghraib oder an die Filmschleife vom Anflug auf die Twin Towers auf NBC – besitzen aufgrund ihrer spezifischen ikonischen Kraft einen hohen Aufmerksamkeitswert, der sie als visuelle Ankerpunkte aus der alltäglichen Bilderflut herausragen lässt. Über das abgebildete Ereignis hinaus verfügen diese Ikonen über einen symbolischen Mehrwert, der sie zu Stellvertretern historischer Ereignisse macht. Über diese erinnern wir bzw. formen wir kollektiv wie individuell unsere Vorstellung von Geschichte, unser Geschichtsbild. Zum Teil überlagern diese Bilder die eigenen Erinnerungen oder setzen sich gar an ihre Stelle. Bereits die bloße Nennung einer auf dem Bild dargestellten Person (z.B. Kim Phúc) oder eines Ereignisses (z.B. der Kniefall) vermag die visuelle Erinnerung zu aktivieren. Nicht zuletzt können diese Ikonen eigene Realitäten generieren und auf diese Weise selbst Geschichte machen, die dann eigene Geschichten erzählen und kaum mehr korrigierbar sind.
Auch gut zehn Jahre nach dem militärgeschichtlichen Paradigmenwechsel, den John Keegan 1993 eingeleitet hatte, fällt es schwer, Chancen und Fallstricke des schwerbewaffneten „cultural turn“ gegeneinander abzuwägen. In seinem Werk „A History of Warfare“ - das zwei Jahre später ebenso programmatisch wie problematisch unter dem deutschen Titel „Die Kultur des Krieges“ erschien - hatte Keegan zu einer radikalen Abkehr von den traditionellen Perspektiven der Militärgeschichtsschreibung aufgerufen. In der Nachfolge von Clausewitz habe die Forschung das Phänomen Krieg falsch kontextualisiert und irrtümlich dem Beziehungsgeflecht von Staat und Politik zugeordnet. Anstatt den Krieg als „Fortführung der Politik mit anderen Mitteln“ zu definieren, sei es angebrachter, ihn als „Fortführung der Kultur mit ihren eigenen Mitteln“ zu analysieren.
Der Historiker Gerhard Paul gehört zu den wichtigsten Vertreter*innen der deutschsprachigen Visual History. Er war bis 2016 Professor für Geschichte und Geschichtsdidaktik an der Europa-Universität Flensburg, wo er seit seiner Pensionierung als Seniorprofessor weiterforscht. Das von Christine Bartlitz und Josephine Kuban für das Online-Portal „Visual History“ (www.visual-history.de) geführte multimediale[1] Interview stellt die Privatperson ebenso wie den renommierten Wissenschaftler vor, der 1951 in Hessen geboren wurde, und verschränkt dies mit aktuellen Fragen zum Forschungsfeld der Visual History rund um die Methoden, den Stellenwert in den Geschichtswissenschaften und Debatten zu Bild- und Urheberrechten.
Eine Grundfrage der von Péter Korniss erstellten fotografischen Arbeiten war stets die nach den Möglichkeiten der transgenerationalen Weitervermittlung von Werten innerhalb einer Gemeinschaft. Geht die „alte Welt“, gehen die ländlichen Traditionen in unserer modernen Zeit unwiederbringlich verloren? Werden die Bräuche vom Neuen überlagert? Oder gibt es Spuren des Vergangenen, die erfolgreich mit in die Zukunft übernommen werden können? Bei der Beschäftigung mit Korniss‘ fotografischem Werk fällt auf, dass er im Zuge seiner Arbeit eine Bindung, teilweise sogar Freundschaften, zu den fotografierten Menschen aufbaute und dass er sie über längere Zeiträume hinweg begleitete.
Die Aufnahme hält eine dramatische Szene fest: Angehörige der Volksmarinedivision erwidern am Morgen des 24. Dezember 1918 das von Regierungstruppen auf sie gerichtete Artilleriefeuer, das eben ihre Verteidigungsstellung im Pfeilersaal des Berliner Schlosses getroffen hat; sechs Mann richten in fieberhafter Eile die durcheinandergeworfenen Maschinengewehre neu aus, ohne einen Blick für den tot vor ihnen liegenden Kameraden übrig zu haben; ein weiterer Matrose spurtet mit einer Munitionskiste über den von Glassplittern und Mobiliartrümmern übersäten Teppich, um Nachschub an die Frontlinie zu bringen.
„Wenn ich nicht Peter Panter wäre, möchte ich ein Buchumschlag im Malik-Verlag sein“, schrieb Kurt Tucholsky 1932. Dieses Zitat findet sich in der großen Ausstellung, mit der die Akademie der Künste am Pariser Platz in Berlin noch bis zum 23. August 2020 John Heartfield würdigt – unter anderem als kongenialen Gestalter von Buchumschlägen. Während diese Ausstellung geradezu ein Gesamtkunstwerk ist und Heartfield als Multimedia-Künstler hervortreten lässt, zeigt der Salon Berlin des Museums Frieder Burda vom 12. Mai bis zum 24. Oktober 2020 eine Fotokunstausstellung, die demgegenüber minimalistisch wirkt, aber ihren eigenen Reiz hat – und direkte Bezüge zur Heartfield-Ausstellung. Darauf wird noch einzugehen sein.
Wenn Historiker/innen das NS-Regime als „charismatische Herrschaft“ bezeichnen, dann legen sie ihren Ausführungen explizit oder implizit ein Modell zugrunde, das der deutsche Soziologe Max Weber entwickelt hat. Rüdiger Hachtmann stellt das Modell vor und zeigt die Grenzen und Defizite des Idealtypus „charismatische Herrschaft“ sowie seiner Anwendung auf die NS-Herrschaft auf, würdigt zugleich aber auch Webers Verdienste. Ausgelotet wird schließlich, inwieweit die Forschung daran in der Zukunft anschließen kann.
Vor etwas mehr als zehn Jahren schlug der Atmosphärenchemiker und Nobelpreisträger Paul Crutzen vor, eine neue geologische Epoche zu taufen, die mit der Industrialisierung in England und im übrigen Europa begonnen habe: das Anthropozän. Die Bezeichnung unterstreicht, dass menschliche Aktivitäten immer größere Spuren in allen Teilsystemen des Erdsystems hinterlassen, seitdem sie sich mit der Kraft fossiler Brennstoffe entfalten. Der geologische Epochenschnitt koinzidiert mit einer Zäsur in der Gesellschaftsgeschichte, die in der Geschichtswissenschaft seit langem allgemein akzeptiert ist: die industrielle Transformation. Die daraus folgende Parallelisierung von Menschen- und Erdgeschichte kann nicht zufällig sein. Aber bisher ist unklar, in welcher Verbindung ihre Narrative stehen und welche Implikationen das für die Geschichtsschreibung hat. Das folgende Plädoyer für eine Klimageschichte des 19. und 20. Jahrhunderts zielt auf diesen Nerv.
Nimmt man Fritz Fischers Buch heute wieder zur Hand, so versteht man kaum die Aufregung, die es bei seinem Erscheinen ausgelöst hat. Minutiös und in gedrängter Form untersuchte der Hamburger Neuzeithistoriker auf fast 900 Seiten ebenso erschöpfend wie ermüdend die Kriegszielprogramme der zivilen und militärischen Reichsleitung sowie einflussreicher gesellschaftlicher Gruppen des deutschen Kaiserreichs während des Ersten Weltkriegs. (...)
Wiederveröffentlichung von: Klaus Große Kracht, „An das gute Gewissen der Deutschen ist eine Mine gelegt“. Fritz Fischer und die Kontinuitäten deutscher Geschichte in: Jürgen Danyel/Jan-Holger Kirsch/Martin Sabrow (Hrsg.), 50 Klassiker der Zeitgeschichte, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2007, S. 66-70.
Die Deutung der jüngeren und jüngsten Vergangenheit liegt nicht allein in der Hand professioneller Zeithistorikerinnen und Zeithistoriker, sondern ist ein hart umkämpftes Feld mit verschiedensten Akteuren. Das vorliegende Heft widmet sich diesem breiteren Feld der „populären“ Geschichtsschreibung aus unterschiedlichen Perspektiven. Welche Rolle spielt die „akademische“ Zeitgeschichte nun bei der Konstituierung von Geschichtsbildern und Geschichtserzählungen? „Akademisch“ mag wie ein abwertendes Signum klingen – unverständlich, im System Wissenschaft verfangen, vorbei am Publikum –, während es für den praktizierenden Akademiker eine Quelle seines Berufsethos sein dürfte (oder vielleicht der letzte Rettungsanker der Selbstlegitimierung). Strittig bleibt indes, was das „Fachwissenschaftliche“ genau ausmacht: Sind es bestimmte Mindeststandards, die ein Geschichtswerk erfüllen muss, um als „wissenschaftlich“ anerkannt zu werden, oder ist die „akademische“ Geschichtsschreibung im Wesentlichen durch eine (nicht allein fachspezifische) Forschungspraxis gekennzeichnet, die an strukturelle Bedingungen von Drittmittel- und „Exzellenz“-Projekten und akademische Moden gebunden ist sowie zu guter Letzt als „Abschlussbericht“ in Darstellung überführt werden muss?
While Crises are omnipresent in history and historiography, the meaning of the concept of „Crisis“ is becoming more elusive than ever. The new article by Rüdiger Graf and Konrad H. Jarausch scrutinizes how historians use the concept with respect to contemporary history, the twentieth century, and modernity in general. After briefly sketching the conceptual history of "crisis," the article addresses the questions of how the concept structures historiographical narratives, what types of crises historians distinguish, and, considering its vagueness, suggestive power, and political instrumentalization, if we should retain the concept or refrain from using it.
By the late 1970s, it was technologically possible to manufacture microcomputers – very small, stand-alone computers for personal use – in very large quantities. Selling them, however, meant creating a mass market where none existed: conventionally, only trained professionals, and a few devoted enthusiasts, interacted directly with the machines. Designers, marketers, retailers and other promoters therefore sought to build meanings into the design and presentation of computers which would connect them with new audiences. Such meanings reflected – and might themselves modify – the prevalent hopes, fears, desires and expectations of the users’ cultures.
The introduction to this issue on historical surveillance studies argues for an integrated understanding of surveillance that focuses on the interconnectedness of the state, economy and sciences within the context of different forms of technological revolution. It suggests reading contemporary diagnoses of ‘total surveillance’ from a long-term historical perspective beginning in the seventeenth century. In this light, surveillance is not limited to intelligence history or state control. Rather, it produces patterns of order and data that can be deployed for political processes like urban planning, welfare policy, crime prevention, or the persecution of political opponents. Furthermore, surveillance is also part of the economy, encompassing market and consumption research, advertising, and workplace monitoring. Research into the political and the economic aspects of surveillance should be combined. After defining the term ‘surveillance’ and differentiating between security and surveillance studies, the article provides an overview of different empirical studies in this new historiographical field. It concludes with short summaries of the articles collected in this issue.
Über Ski, Boote und Autos
(2024)
Auf acht Fotos im Album der Familie Lindenberger fahren die Fotografierten Ski, Schlittschuh oder Schlitten. Auf zwei Bildern sitzen sie auf einer Kutsche und dreimal in einem Boot. Einmal zeigen sie sich mit einem Pferd, zweimal mit einem Fahrrad sowie zehnmal mit einem Auto. Auf 26 der insgesamt 95 Abzüge posieren die Fotografierten mit Fortbewegungsmitteln oder bewegen sich selbst mit ihnen fort.
Der Hochkommissar der Vereinten Nationen für Flüchtlinge (UNHCR) spricht von der größten humanitären Flüchtlingskatastrophe seit dem Zweiten Weltkrieg (UNHCR 2014) und die Anzahl an Asyl- und Schutzsuchenden in Europa nimmt Ausmaße wie seit dem Ende des Kalten Krieges nicht mehr an. Die Themen Flucht und Flüchtlingsaufnahme werden in Öffentlichkeit und Politik kontrovers diskutiert. Für die Sozialwissenschaften sind die Themen Vertreibung, Zwangsmigration und Flüchtlingsschutz nicht nur hoch aktuell, sondern fundamental mit der Organisation und Gestalt der modernen Staatenwelt verbunden. Aus vielfältigen Gründen sind Menschen gezwungen, auf der Suche nach Unterstützung und politischem Schutz ihre Länder zu verlassen. In der nationalstaatlich organisierten Welt können fundamentale Rechte nur gewährleistet werden, wie Hannah Arendt es bekanntermaßen ausdrückte, sofern man das Recht hat, Rechte zu haben (Arendt 1994: 290-302). Jene, die aus ihren Herkunftsländern fliehen, klagen damit nicht nur gegenüber der restlichen Welt ihre Menschenrechte ein, sie stellen auch grundsätzliche Fragen an die Sozialwissenschaften. Wie gehen in unserer globalen Gesellschaft, aber auch regional, national und lokal, Flucht und Vertreibung einher mit humanitärer Unterstützung, mit dem Anspruch auf Rechte und Schutz für Flüchtlinge? Damit verbunden sind auch Fragen von Sicherheitspolitik, Grenzschutz, Rassismus und ökonomischen Interessen, um nur einige Themen zu benennen. Flüchtlinge existieren tatsächlich und metaphorisch zugleich an der Peripherie und im Zentrum.
Über die Kriege nach dem Zweiten Weltkrieg. Tendenzen, ursächliche Hintergründe, Perspektiven
(2003)
Meine unvollständigen und groben Striche zu einem hochkomplexen, strukturgeschichtlichen Vorgang können lediglich andeuten, daß sowohl theoretische Überlegungen als auch empirische Indizien für die These sprechen, daß es sich bei den vielen Kriegen in der Dritten und nun auch vormals Zweiten Welt um einen konfliktiv nachholenden Prozeß kapitalistischer Vergesellschaftung und bürgerlicher Staatskonsolidierung handelt, der eines Tages in eine Zivilisierung wie in den kapitalistischen Metropolen münden müßte. Einen deterministischen Automatismus gibt es dabei allerdings nicht; jeder Schritt in diese Richtung wird aus sozialen Kämpfen hervorgehen müssen. Wohl aber darf man hoffen, daß der Prozeß insgesamt schneller und weniger kriegerisch als in Europa vonstatten gehen wird.
Ästhetisierung
(2020)
Ist es ethisch vertretbar, Menschen in Not ästhetisch ansprechend zu zeigen? Birgt dies die Gefahr, eine eigentlich erschreckende soziale Realität zu verklären und die Gemüter zu beruhigen, anstatt aufzurütteln und zum Handeln zu motivieren? Oder steckt in einer solchen Darstellungsweise die Chance, Aufmerksamkeit für ein Thema zu schaffen, da sie Marginalisierten ein Gesicht verleiht, mit dessen visuell vermittelter, unantastbarer Würde sich die Betrachterinnen und Betrachter identifizieren können?
Stress ist als Begriff und Problem weit über die Medizin- und Wissenschaftsgeschichte hinaus relevant; Stressdiskurse können als Sonde für breitere gesellschaftsgeschichtliche Konstellationen dienen. Eine geschichtswissenschaftliche Auseinandersetzung mit Stress muss daher zum einen dem medizinisch-biologischen Konzept nachgehen, zum anderen dessen gesellschaftliche Funktionalität erfassen. Die Zeitgeschichte wird den Fokus besonders auf die sozioökonomischen Prozesse und die soziale Sinngebung richten. Gleichwohl gibt es ein nicht zu vernachlässigendes methodisches Grundproblem: Wie lässt sich eine Beziehung herstellen zwischen den biochemischen und psychologischen Dimensionen, die mit dem Stressbegriff verknüpft sind, sowie den komplexen sozialen Konfigurationen, die dieser Begriff rationalisieren soll? Was sind die Konstituenten und Selbstbeschreibungsmodi einer Gesellschaft, die sich durch Flexibilisierung und Regulierung gleichermaßen auszeichnet? In welchem Verhältnis stehen zudem die jüngere Entwicklung seit den 1970er-Jahren, in der Stress eine hohe Deutungsmacht erhalten hat, und die Überforderungsdiskurse seit dem Ende des 19. Jahrhunderts?
Alle ausgestellten 100 Werke aus der israelischen Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem eint, dass sie im Augenblick der Verfolgung entstanden und nicht retrospektiv nach dem Ende des Krieges oder im Abstand von Jahrzehnten auf die Ereignisse blicken. Jedes Bild vereint drei Ebenen in sich, die die Bildtexte zu verbinden suchen: das Dargestellte, den Darstellenden sowie die Überlieferung des Werkes. Der hervorragende Katalog analysiert zudem Text, Kontext und Subtext der Bildinhalte. Zugleich geht die Ausstellung auf einer weiteren Ebene auch der Frage nach, wie unter den Umständen von Lager und Ghetto das Material für das Anfertigen der Kunstwerke beschafft werden konnte. Gemalt wurde auch auf Kartoffelsäcken und auf Watteverpackungen; für Linolschnitte wurden alte Reifen verwandt. Doch die meisten Werke sind auf Papier meist minderer Qualität entstanden und deshalb konservatorisch heikel. Überlebt haben die verbotenen Bilder in Tongefäßen oder anderen Verstecken.
Viele Aborigines und Torres-Strait-Insulaner*innen vermeiden Darstellungen von kürzlich Verstorbenen in Filmen oder auf Fotos sowie die Nennung ihrer Namen. Dies gilt als schmerzhaft und respektlos den Angehörigen gegenüber und könnte den Übergangsprozess des Toten ins Jenseits stören. Ob und wie lange diese Vermeidungsgebote bis hin zu Darstellungs- und Nennungsverboten angewandt werden, ist abhängig von den unterschiedlichen Communities der First Australians sowie individuellen ethischen Vorstellungen von Angehörigen.
Das australische Nationalarchiv entschied sich bei der digitalen Präsentation seiner Film- und Fotosammlung für den oben erwähnten Warnhinweis – um der Verletzung von Gefühlen vorzubeugen und Respekt gegenüber den kulturellen Werten der Aborigines und Torres-Strait-Insulaner*innen auszudrücken. Die Abbildungen von verstorbenen First Australians würden einige Wissenschaftler*innen als „kulturell sensibel“ bezeichnen.
Wie gehen andere Archive, Museen, Universitäten und weitere Institutionen mit sensiblen Bildern und Objekten in ihren Sammlungen um? Was sind Problemfelder und Lösungsansätze? Transparenz und Partizipation sind zwei zentrale Stichworte hinsichtlich des Umgangs mit sensiblen Objekten in Sammlungen.
Zeitgeschichte selbst kann man genauso wenig „ausstellen“ wie Geschichte an sich; Museen und Ausstellungen können nur bestimmte historische Artefakte präsentieren und tragen dadurch zur (Re-)Konstruktion von „Geschichte“ bei. Eine Debatte über die Kriterien der Sammlung und Präsentation, wie sie hier angeregt wird, ist dabei zugleich eine über das heutige Museum bzw. die moderne kulturhistorische Ausstellung. Das Museum ist nicht mehr allein die alte „Wunderkammer“, baut aber in seinen Sammlungen historisch und systematisch immer noch auf diesem Prinzip auf. Hinzugetreten ist seit dem 19. Jahrhundert ein zunehmend historisch und an nationalen Konstruktionen orientiertes Präsentations- und Deutungsmuster der Ausstellungen, das eng verknüpft ist mit der Professionalisierung der Ausstellungsmacher. Darüber hinaus sind Museen neuerdings „Informations- und Dienstleistungszentren“ geworden, die die Rekonstruktion von Geschichtsfragmenten mittels Objektarrangements und Textinformationen inszenieren.
Kairos ist ein Nebendarsteller im olympischen Spektakel griechischer Mythologie. Er ist der „Gott des glücklichen Moments“. Dargestellt mit einer unübersehbaren Stirnlocke, die es zu ergreifen gilt in dem einen, dem richtigen Moment.
Diesem jüngsten Sohn des Zeus begegnete der Immobilienmakler und Hobbyhistoriker John Maloof im Jahr 2007. Und er traf die richtige Entscheidung im unwiederbringlich richtigen Moment. Für den Preis von 380 Dollar ersteigerte er in einem Chicagoer Auktionshaus mehrere Kartons voller Negative. Erhofft hatte er sich Bilder über sein Chicagoer Stadtviertel Portage Park für eine Chronik dieses Teils der Stadt, an der er gerade arbeitete. Gefunden hat er Fotografien aus den Jahren 1950 bis weit in die 1990er-Jahre von einer ihm unbekannten Fotografin: Vivian Maier.
Eine systematisch verfasste interdisziplinäre Bildwissenschaft bedarf eines Theorierahmens, der die unterschiedlichen Forschungsperspektiven und -ergebnisse aufeinander zu beziehen erlaubt. Der hierfür diskutierte Vorschlag besteht in der These, dass Bilder wahrnehmungsnahe Medien sind. Diese These betont die kommunikativen Aspekte des Bildphänomens: Mit Bildern gibt jemand jemandem (oder auch wir uns selbst) etwas zu verstehen. Da dies bei Bildern in einer spezifischen Weise erfolgt, die wesentlich mit dem Wahrnehmungsaspekt von Bildern zusammenhängt und in besonderer Weise von der Materialität und Medialität der Bilder abhängt, bedarf die Bildwissenschaft einer wahrnehmungstheoretischen Ausrichtung. Eine systematisch verfasste interdisziplinäre Bildwissenschaft impliziert folglich die theoretische Integration von Zeichen-, Medien- und Wahrnehmungsaspekten.
Zum 50. Heft
(2021)
Der 17. Jahrgang dieser Zeitschrift markiert auf den ersten Blick keinerlei Jubiläum. Trotzdem ist die vorliegende Ausgabe für Herausgeber und Redaktion eine besondere: Es handelt sich um das 50. Heft insgesamt. (2007 gab es ein Doppelheft, sonst immer drei Hefte pro Jahrgang.) Dies ist der Anlass für einen knappen Rückblick auf die anfänglichen Ziele und die bisherigen Entwicklungen, aber auch für einen (selbst-)kritischen Ausblick. Mit Recht hat die erst in den Anfängen befindliche kulturwissenschaftliche Zeitschriftenforschung festgestellt: »Nicht selten geht das Zeitschriftenmachen mit Reflexionen über den Wert, die Bedingungen oder die Versprechen des Zeitschriftenmachens einher.«
In diesem Aufsatz soll es indessen weniger um den relativen, in der Gerontologie ausgehandelten Stellenwert von der Länge des Lebens einerseits und seiner Qualität und Sinnhaftigkeit andererseits gehen. Was uns beschäftigen soll, ist stattdessen die besondere Form der Zukunft oder, wenn man so will, der besondere Zukunftsbegriff, der sich in Baltes' Text sowie in wissenschaftlichen Studien wie der »Berliner Altersstudie« zu Wort meldet. Dem Aufsatz liegt die Vermutung zugrunde, dass »Alter« und »Altersforschung« zu den wichtigsten »gesellschaftliche Zukunftsformen« des 20. Jahrhunderts gehören, deren Generierungs-, Wirkungs- und Entwertungsmechanismen unbedingt identifiziert und analysiert werden müssen.
Zu diesem Heft
(2022)
War es in den Jahren 2020/21 vor allem die Corona-Pandemie, die von vielen als gravierende Zäsur wahrgenommen wurde, so ist mit dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine seit dem 24. Februar 2022 noch ein ganz anderer Ereigniszusammenhang von existentieller Bedeutung hinzugetreten, dessen mittel- und längerfristige Folgen erst teilweise absehbar sind. Während der Buchtitel »Der 11. September 2001 – (k)eine Zeitenwende?« aus dem Frühjahr 2022 schon klingt wie aus einer längst vergangenen Epoche, wird die Frage »Beginnt jetzt eine neue Zeit?« nun unter veränderten Vorzeichen gestellt oder die »Zeitenwende« und das »Ende der Globalisierung« gleich forsch behauptet. Eine im besten Sinne akademische Tagung über »Epochenwenden und Epochenwandel« erhielt im April 2022 eine so nicht erwartete Aktualität; das Organisationsteam schrieb dazu: »Das Thema hat uns in der Gegenwart eingeholt und vielleicht schon überholt.« Allerdings gehört zur geisteswissenschaftlichen Arbeit immer auch die Skepsis gegenüber eiligen Zeitdiagnosen und Zäsurbehauptungen, wie etwa der aus Indien stammende Politikwissenschaftler Parag Khanna betont hat: »Wir sollten uns vor großspurigen Proklamationen hüten, die unsere Zeiten auf den Punkt bringen wollen. Solche Prägungen erfassen nur den Moment, der gerade vergangen ist, und sind garantiert bald wieder passé.« Nun mag selbst eine derartige »Garantie« des Vorläufigen fragwürdig erscheinen, wenn es doch »überdeutliche Symptome des Umbruchs, der tiefen Zäsur« gibt, wie der Historiker Jörn Leonhard hervorgehoben hat. Mit Rückbezug auf Reinhart Koselleck betont er die grundsätzlich enge Verbindung von »Zäsur und Wiederholung«, von »Einmaligkeit der Geschichte« und ihrer »Rekurrenz«.
Zu diesem Heft
(2023)
Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine, der nun schon seit über einem Jahr andauert, hat vielfältige historische Bezüge und Implikationen – auch solche, an die man vielleicht nicht sofort denkt. Nach Angaben des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge kamen während dieses Krieges bisher menschliche Überreste von über 800 Wehrmachtssoldaten an die Oberfläche, einige davon beim Ausheben neuer Schützengräben. Mitunter werden auch Helme und Stiefel gefunden. Die »Zeitschichten«-Metapher des Historikers Reinhart Koselleck (1923–2006), der als Soldat selbst in der Ukraine gewesen war, gewinnt hier eine veränderte Bedeutung und sehr konkrete Materialität. In ihrer Dankesrede bei der Verleihung des Leipziger Buchpreises zur Europäischen Verständigung sagte die russische, momentan in Berlin lebende Schriftstellerin Maria Stepanova im April 2023: »Sind wir jetzt dazu verdammt, das zwanzigste Jahrhundert immer wieder neu zu erleben, seine Gefängnisse, Konzentrationslager und Propagandamaschinen, seine Grabenkriege und seine Flächenbombardements? Was tun, wenn das Gewebe der Sprache, ihre Textur, plötzlich durchsichtig wird und man all die verborgenen Schichten latenter und offener Gewalt sieht, die in ihr liegen und nach außen drängen?«
Zeitzeugin / Zeitzeuge
(2022)
Zeitzeug*innen sind nicht mehr wegzudenken aus der deutschen und internationalen Erinnerungskultur. Der Artikel von Steffi de Jong beschäftigt sich mit der Frage, wie die Zeitzeug*in zu einer derart populären Figur werden konnte. Der erste Teil behandelt den Begriff der Zeitzeug*in, im zweiten wird eine mögliche Genealogie von der Französischen Revolution bis ins digitale Zeitalter vorgeschlagen, und im dritten Teil geht es um die wissenschaftliche Beschäftigung mit der Zeitzeug*in als Quelle, als Untersuchungsgegenstand und als Geschichtsvermittler*in, um schließlich in einem Ausblick nach der zukünftigen Rolle von Zeitzeugenschaft zu fragen.
„Umwelt“ ist in aller Munde. Längst sind es nicht mehr nur die Birkenstock-Sandalen oder „Jesuslatschen“ tragenden „Ökos“, die den Umweltschutz auf ihren Baumwoll- oder Jutetaschen propagieren, sondern es gehört generell zum guten Ton, sich mindestens verbal für den Erhalt einer lebenswerten Umwelt einzusetzen. Umwelt(schutz) ist aus den alltäglichen Praktiken und gesellschaftlichen Diskursen sowie nationaler, internationaler und supranationaler Politik nicht mehr wegzudenken. Die Umweltbewegung erhielt ab dem zweiten Drittel des 20. Jahrhunderts einen solch zentralen Stellenwert, wie es zuvor nur die Arbeiterbewegung und die nationalen Bewegungen im 19. und 20. Jahrhundert vermocht hatten. Dabei hat sich die Umweltbewegung über einen vergleichsweise viel kürzeren Zeitraum konstituiert und eine Vielzahl einflussreicher Institutionen auf allen Ebenen hervorgebracht. Doch welche Möglichkeiten hat die zeithistorische Forschung, um die Entwicklungen der vergangenen Jahrzehnte und der Gegenwart unter dem Aspekt „Umwelt“ zu analysieren – jenen Jahrzehnten, die auch als „Ära der Ökologie“ beschrieben werden?
Die Zeitgeschichte ist ein Kind des „Zeitalters der Extreme“. Über die aktuellen Probleme einer zeitlichen und definitorischen Einordnung des Begriffs der Zeitgeschichte schreibt Gabriele Metzler und weist dabei gleichzeitig auf die andauernde Hochkonjunktur zeithistorischer Themen in den Medien und der Öffentlichkeit hin. Die Autorin plädiert für eine unbedingt nötige Neupositionierung der Disziplin. Denn die Zeitgeschichte sieht sich angesichts technischer Neuerungen, der Verfügbarkeit neuer Ressourcen für die Forschung sowie von gewandelten trans- und interdisziplinären Verflechtungen mit neuen Herausforderungen konfrontiert.
Obwohl Psychologie und Psychoanalyse Nachbardisziplinen der Geschichtswissenschaft sind, findet eine methodische und theoretische Auseinandersetzung mit diesen kaum statt. Dennoch können sie, wie Nikolas R. Dörr im vorliegenden Beitrag erörtert, hervorragende Hilfswissenschaften der (zeit-)historischen Forschung sein, wenn sie richtig ausgewählt und angewendet werden. Er plädiert für eine (Wieder-)Entdeckung beider Disziplinen und erörtert den Nutzen mithilfe eines kurzen geschichtlichen Abrisses sowie von praxisbezogenen Anwendungsbeispielen.
In einer aktuell überarbeiteten und ergänzten Version 2.0 beschreibt Irmgard Zündorf die Etablierung der Public History als fachwissenschaftliche Antwort auf die mit dem Geschichtsboom verbundenen Herausforderungen. Public History setzt sich mit jeder Form der Geschichtsdarstellung auseinander, die sich an eine breite, nicht vorgebildete Öffentlichkeit richtet, und erforscht diese. In ihrem Docupedia-Beitrag gibt sie einen Überblick über die verschiedenen Definitionen von Public History, zeichnet die institutionelle Entwicklung nach und fragt abschließend, wie akademische und öffentliche Geschichte künftig stärker miteinander verschränkt werden können.
(Version 1.0, siehe auch Version 2.0)
Public History ist ein Projekt der Zeitgeschichte, schreiben Hanno Hochmuth und Irmgard Zündorf in ihrem Kommentar. Diese Nähe beschränke sich nicht nur auf die historischen Parallelen ihrer Etablierung, sondern beide Subdisziplinen seien auch inhaltlich und institutionell eng miteinander verknüpft. Die Autoren beschreiben die Ursachen dafür und diskutieren die wissenschaftliche Verortung ebenso wie die gesellschaftlichen Potenziale der Public History.
In den vergangenen Jahren hat eine Entwicklung eingesetzt, in deren Rahmen zahlreiche geisteswissenschaftliche Fächer eine ‚kulturwissenschaftliche Neuausrichtung‘ vorgenommen oder doch zumindest angekündigt haben. Auch an der Geschichtswissenschaft ist diese Entwicklung nicht spurlos vorbeigegangen, wenngleich die Rolle des Vorreiters in dieser Hinsicht eher bei den Literaturwissenschaften liegt, vor allem der Anglistik und Germanistik. Innerhalb der Geschichtswissenschaft gibt es verschiedene Ansätze zur Entwicklung einer ‚neuen Kulturgeschichte‘, die teilweise an ältere Vorbilder anknüpfen, die aber nicht umhinkommen, sich auch mit der aktuellen ‚Verkulturwissenschaftlichung‘ der Geisteswissenschaften auseinanderzusetzen. In diesem Kontext gilt es zu klären, was wir unter Kulturwissenschaft verstehen, was die Kulturwissenschaft als eigenständige akademische Disziplin von den Kulturwissenschaften unterscheidet, die oft als Synonym für die Geisteswissenschaften, d.h. als Sammelbegriff verstanden werden. Zu diskutieren ist in diesem Kontext aber vor allem, in welchem Verhältnis Kultur- und Geschichtswissenschaft, speziell Kulturwissenschaft und Zeitgeschichte, zueinander stehen.
Während sich die Zeitgeschichtsforschung über mangelnde Aufmerksamkeit heute nicht beklagen kann, fristet die Geschichtsdidaktik sowohl in der öffentlichen Wahrnehmung als auch in den Fachdebatten der Geschichtswissenschaft eher ein Schattendasein. Die erregten historisch-politischen Diskussionen der 1970er-Jahre, in denen gerade Geschichtsdidaktiker für ein emanzipatives „Geschichtsbewusstsein“ stritten, sind in den Hintergrund getreten. Aus der Sicht der meisten Zeithistoriker gibt es gegenwärtig keinen besonderen Anreiz, sich mit der Geschichtsdidaktik näher zu befassen, da sich diese Disziplin in einer Abwärtsspirale aus intellektueller Mittelmäßigkeit und Sparzwängen befinde - so zumindest eine verbreitete Meinung.
Ist Facebook eine zeithistorische Quelle, und wer archiviert die Tweets der Politiker? Wie nutzt man digitale Quellen, und wie verändert sich die Quellenkritik, wenn die Kopie sich vom Original nicht mehr unterscheiden lässt? Seit Beginn der 2010er-Jahre wird unter dem Stichwort „Digital Humanities” insbesondere im angelsächsischen Raum eine intensive Debatte über neue Potenziale für die Geisteswissenschaften geführt: Peter Haber zeichnet in seinem Beitrag die Entwicklung der Digital Humanities nach und fragt, ob sich mit der Digitalisierung nicht nur die Qualität und Quantität der Quellen, sondern auch der gesamte Arbeitsprozess von Zeithistoriker/innen verändert hat.
Zeitgeschichte neurodivers? Standpunktepistemologie und (geschichts-)wissenschaftliche Kommunikation
(2022)
In der akademischen wie der breiteren Öffentlichkeit ist der Begriff der Diversität gegenwärtig nahezu universal anschlussfähig. Der Gründungsdirektor des Göttinger Max-Planck-Instituts zur Erforschung multireligiöser und multiethnischer Gesellschaften Steven Vertovec stimmt gar Loretta Lees zu, die schon 2003 bemerkte, mit Diversität verhalte es sich wie mit Mutterschaft oder Apfelkuchen: Man könne nur mit größeren Schwierigkeiten dagegen sein. In den letzten dreißig Jahren ist Diversität zunächst in den USA und dann auch in Westeuropa sowohl als sozialwissenschaftliche Analysekategorie wie auch als gesellschaftliche Selbstbeschreibung und zur Aushandlung von Teilhabeansprüchen immer bedeutsamer geworden. Diversität ist das normative Leitbild staatlicher und internationaler Antidiskriminierungsprogramme, die, wie etwa das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz von 2006 in der Bundesrepublik, »Benachteiligungen aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität […] verhindern oder […] beseitigen« sollen (§ 1). Das öffentliche Bekenntnis zu Diversität ist inzwischen eine Selbstverständlichkeit in Unternehmen und Organisationen, die oft Strategien des Diversitätsmanagements entwickeln. Der Ursprung dieser gesellschaftlichen Diversitätsbejahung liegt in der US-amerikanischen Bürgerrechtsbewegung der 1960er-Jahre, der zweiten Frauenbewegung, aber auch der Gay-, Lesbian- und Transgender-Bewegung sowie der Behindertenrechtsbewegung, die vor allem seit den 1970er-Jahren in den USA und in Westeuropa für die Anerkennung ihrer marginalisierten und diskriminierten Subjektpositionen stritten.
In ihrem Beitrag über „Zeitgeschichte in Museen - Museen in der Zeitgeschichte“ widmet sich Kristiane Janeke der Entwicklung von Museen und Ausstellungen zu zeithistorischen Themen und der interdisziplinären Forschung zu Theorie und Praxis des Ausstellens. Nach Janeke sind zeithistorische Museen in der letzten Zeit in einer zunehmend heterogenen und multikulturellen Gesellschaft zu Bildungsorten geworden, in denen relevante zeithistorische Diskurse reflektiert und durch das Medium der Ausstellung mitgeprägt werden. Anlass genug, dass sich auch Zeithistoriker/innen noch stärker mit der Thematisierung von Geschichte in Museen auseinandersetzen.
Wie verändern sich die Objekte der Geschichtsschreibung, also die Gegenwart und die jüngere Vergangenheit, durch die Medien? Wie verändert sich die Geschichtsschreibung selbst durch die Medien? Was bedeutet die in Forschung und Öffentlichkeit verbreitete Rede von der ‚Mediengesellschaft‘ aus historischer Perspektive eigentlich genau? Der Aufsatz unterscheidet zunächst einige Prozesse der ‚Medialisierung‘, geht damit verbundenen Strukturverschiebungen nach und betrachtet insbesondere Veränderungen von Öffentlichkeiten. Dabei wird dafür plädiert, die Ambivalenz der Entwicklungen anzuerkennen und nicht vorschnell Paradigmenwechsel zu behaupten. Zudem werden einige Leitlinien formuliert, was eine Medialisierung der Zeitgeschichtsschreibung bedeuten könnte. Hier gilt es, neue Wege zu beschreiten und neue Ziele zu setzen, die der Ära der Audiovisualität gerecht werden.