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Christoph Classen, Achim Saupe, Hans-Ulrich Wagner
Wie stellt sich das Verhältnis von Authentizität, Medien und Geschichte
unter den Bedingungen der fortgeschrittenen Moderne dar? Der Sammelband
führt kursorisch in dieses Dreiecksverhältnis ein und zeigt die Probleme
auf, in die das Konzept von Authentizität angesichts der
Unvermeidbarkeit von Medien in historischen und generell kommunikativen
Zusammenhängen führt.
Mit Beiträgen von: Christoph Classen, Miriam Frank, Juliane Hornung,
Judith Keilbach, Sylvia Kesper-Biermann, Georg Koch, Helmut Lethen,
Michael Ostheimer, Raphael Rauch, Brigitte Sahler, Magdalena
Saryusz-Wolska, Achim Saupe, Franziska Schaaf, Julia Schumacher, Daniel
Siemens, Katja Stopka, Hans-Ulrich Wagner
Das Lebensthema des Religionsphilosophen, Kulturhistorikers und Politikers Ernst Troeltsch (1865-1923) war die „moderne Welt“. In den großen Neuordnungsdiskursen nach 1918 spielte er eine wichtige Rolle in den westeuropäischen, aber auch in den osteuropäischen Kulturtransfers. Gangolf Hübinger und Johannes Bent stellen sein spätes Hauptwerk „Der Historismus und seine Probleme“ vor und betonen die intellektuelle Bedeutung von Troeltsch sowohl für die Demokratiediskurse der ersten deutschen Republik als auch für die Frage nach der Orientierungskraft von „Geschichte“ für die moderne Gesellschaft, insbesondere für die „Europadiskurse“ des 20. Jahrhunderts.
Der Kunsthistoriker Peter Geimer zeichnet in seinem jüngsten Buch mit dem griffigen Titel „Die Farben der Vergangenheit“ die Entwicklungen und Veränderungen der „visuellen Repräsentation von Geschichte“ seit dem 19. Jahrhundert nach. Eröffnet wird die Darstellung mit kenntnisreich und flüssig geschriebenen Kapiteln zur Historienmalerei, die zeigen, wie sich die Malerei im 19. Jahrhundert mit dem Aufkommen der Idee, Wirklichkeit abzubilden, veränderte. Fortan galt es, detailliert und so genau wie möglich, Ereignisse wiederzugeben, die sich im besten Falle durch Zeitzeugen bzw. Augenzeugen oder originale Objekte belegen ließen. Anja Tack rezensiert im Visual-History-Beitrag das neu erschienene Werk.
Zeitgeschichte neurodivers? Standpunktepistemologie und (geschichts-)wissenschaftliche Kommunikation
(2022)
In der akademischen wie der breiteren Öffentlichkeit ist der Begriff der Diversität gegenwärtig nahezu universal anschlussfähig. Der Gründungsdirektor des Göttinger Max-Planck-Instituts zur Erforschung multireligiöser und multiethnischer Gesellschaften Steven Vertovec stimmt gar Loretta Lees zu, die schon 2003 bemerkte, mit Diversität verhalte es sich wie mit Mutterschaft oder Apfelkuchen: Man könne nur mit größeren Schwierigkeiten dagegen sein. In den letzten dreißig Jahren ist Diversität zunächst in den USA und dann auch in Westeuropa sowohl als sozialwissenschaftliche Analysekategorie wie auch als gesellschaftliche Selbstbeschreibung und zur Aushandlung von Teilhabeansprüchen immer bedeutsamer geworden. Diversität ist das normative Leitbild staatlicher und internationaler Antidiskriminierungsprogramme, die, wie etwa das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz von 2006 in der Bundesrepublik, »Benachteiligungen aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität […] verhindern oder […] beseitigen« sollen (§ 1). Das öffentliche Bekenntnis zu Diversität ist inzwischen eine Selbstverständlichkeit in Unternehmen und Organisationen, die oft Strategien des Diversitätsmanagements entwickeln. Der Ursprung dieser gesellschaftlichen Diversitätsbejahung liegt in der US-amerikanischen Bürgerrechtsbewegung der 1960er-Jahre, der zweiten Frauenbewegung, aber auch der Gay-, Lesbian- und Transgender-Bewegung sowie der Behindertenrechtsbewegung, die vor allem seit den 1970er-Jahren in den USA und in Westeuropa für die Anerkennung ihrer marginalisierten und diskriminierten Subjektpositionen stritten.
Zu diesem Heft
(2022)
War es in den Jahren 2020/21 vor allem die Corona-Pandemie, die von vielen als gravierende Zäsur wahrgenommen wurde, so ist mit dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine seit dem 24. Februar 2022 noch ein ganz anderer Ereigniszusammenhang von existentieller Bedeutung hinzugetreten, dessen mittel- und längerfristige Folgen erst teilweise absehbar sind. Während der Buchtitel »Der 11. September 2001 – (k)eine Zeitenwende?« aus dem Frühjahr 2022 schon klingt wie aus einer längst vergangenen Epoche, wird die Frage »Beginnt jetzt eine neue Zeit?« nun unter veränderten Vorzeichen gestellt oder die »Zeitenwende« und das »Ende der Globalisierung« gleich forsch behauptet. Eine im besten Sinne akademische Tagung über »Epochenwenden und Epochenwandel« erhielt im April 2022 eine so nicht erwartete Aktualität; das Organisationsteam schrieb dazu: »Das Thema hat uns in der Gegenwart eingeholt und vielleicht schon überholt.« Allerdings gehört zur geisteswissenschaftlichen Arbeit immer auch die Skepsis gegenüber eiligen Zeitdiagnosen und Zäsurbehauptungen, wie etwa der aus Indien stammende Politikwissenschaftler Parag Khanna betont hat: »Wir sollten uns vor großspurigen Proklamationen hüten, die unsere Zeiten auf den Punkt bringen wollen. Solche Prägungen erfassen nur den Moment, der gerade vergangen ist, und sind garantiert bald wieder passé.« Nun mag selbst eine derartige »Garantie« des Vorläufigen fragwürdig erscheinen, wenn es doch »überdeutliche Symptome des Umbruchs, der tiefen Zäsur« gibt, wie der Historiker Jörn Leonhard hervorgehoben hat. Mit Rückbezug auf Reinhart Koselleck betont er die grundsätzlich enge Verbindung von »Zäsur und Wiederholung«, von »Einmaligkeit der Geschichte« und ihrer »Rekurrenz«.
Das ägyptische Körperkultur-Magazin »al-Abṭāl« (»Die Champions« oder »Die Helden«; beide Übersetzungen sind möglich) berichtete im Februar 1933 über eine öffentliche athletische Leistungsschau in Kairo. Angesichts der beeindruckenden Performance ägyptischer Männer und ihrer trainierten Körper feierte es eine »sportliche arabische Renaissance« (an-nahḍa ar-riyāḍiyya). Diese Leistungsschau zu Ehren des Besuchs Viktor Emanuels III., des Königs von Italien, war nur denkbar in einem politischen und gesellschaftlichen Kontext, in dem der männliche Körper zur Projektionsfläche ägyptischer Selbstbehauptung gegenüber dem britischen Kolonialismus auserkoren wurde. Der Historiker Wilson Chacko Jacob hat in seinem Buch »Working Out Egypt« dargelegt, wie sich die Bemühungen einer aufstrebenden Mittelschicht, ein »unverwechselbares modernes und ägyptisches Selbst vom kolonialen Blick (colonial gaze) zu befreien«, in Diskursen über Geschlecht und Sexualität äußerten, bei welchen einer performativen, auf den athletischen Körper bezogenen Männlichkeit ein zentraler Stellenwert zukam. Eine solche Fokussierung auf den virilen männlichen Körper hatte bereits zur Jahrhundertwende eine globale Dimension erreicht. Dies war eng mit den kolonialen Hierarchien und dem Prozess der Nationsbildung verknüpft, wie Sebastian Conrad feststellt. Beide Aspekte sind auch für den ägyptischen Fall in der Zwischenkriegszeit von Bedeutung, wo vergleichbare Prozesse nicht zuletzt als Reaktion auf den Orientalismus zu sehen sind, hier verstanden als eine diskursive Strategie zur Beherrschung des Orients, der das koloniale Ausgreifen Europas auf die islamische Welt und damit die Region immer auch geschlechtlich codierte. Edward Said hatte dies bereits in seiner heute klassischen Studie »Orientalism« von 1978 konstatiert. Zwar ist die Polemik Saids seit ihrem Erscheinen vielfach kritisiert worden; seiner grundsätzlichen Beobachtung aber, der Orientalismus konstruiere einen feminisierten und als passiv verstandenen Orient, dem das maskuline kolonisierende Subjekt gegenüberstehe, wird weitgehend zugestimmt.
Zeitzeugin / Zeitzeuge
(2022)
Zeitzeug*innen sind nicht mehr wegzudenken aus der deutschen und internationalen Erinnerungskultur. Der Artikel von Steffi de Jong beschäftigt sich mit der Frage, wie die Zeitzeug*in zu einer derart populären Figur werden konnte. Der erste Teil behandelt den Begriff der Zeitzeug*in, im zweiten wird eine mögliche Genealogie von der Französischen Revolution bis ins digitale Zeitalter vorgeschlagen, und im dritten Teil geht es um die wissenschaftliche Beschäftigung mit der Zeitzeug*in als Quelle, als Untersuchungsgegenstand und als Geschichtsvermittler*in, um schließlich in einem Ausblick nach der zukünftigen Rolle von Zeitzeugenschaft zu fragen.
Anthropozän
(2022)
Seit der Jahrtausendwende wird das „Anthropozän“ in den Natur- und Geisteswissenschaften sowie in Medien und Kunst breit und kontrovers diskutiert. Ariane Tanner erläutert die Begriffsgeschichte und zeigt auf, wie das Konzept Anthropozän der Zeitgeschichte erlaubt, über Zeitlichkeit und Akteur*innen der Geschichte neu nachzudenken und ihre Forschungsfragen, Methoden und Narrative auszuweiten.
Bewegungsorientierte Themen liegen im Trend. Der Beitrag stellt Mobilitätsgeschichte als heterogenen Querschnittsbereich vor. Dieser erfasst mehrere Forschungsfelder wie die Verkehrs-, Umwelt-, Migrations-, Tourismus- und Globalgeschichte. Im Beitrag werden theoretisch-methodische Überlegungen aus den interdisziplinären Mobility Studies rekapituliert und Schlaglichter auf aktuelle Forschungsthemen, Potenziale und Grenzen der Mobilitätsgeschichte geworfen.
Selten ist das Thema eines Sammelbandes so aktuell wie das des vorliegenden: „Corona und die journalistische Bildkommunikation“, herausgegeben von dem Kommunikationswissenschaftler und Journalisten Felix Koltermann. Dass es sich dabei nur um eine Momentaufnahme handeln kann, ist kaum nötig zu erwähnen. Ein absehbares Ende der Pandemie war zum Redaktionsschluss des Bandes im Mai 2021 ebenso wenig in Sicht wie zur Veröffentlichung dieser Rezension. Folgerichtig beabsichtigen die Autor:innen nicht, die langfristigen Folgen der Pandemie auf den Bildjournalismus zu prognostizieren; vielmehr soll hier eine Art Zwischenfazit nach rund einem Jahr Pandemie gezogen werden. Die einzelnen Beiträge betrachten, wie die Coronakrise die Arbeit von Bildredakteur:innen, Foto- und Datenjournalist:innen bis zu diesem Zeitpunkt eingeschränkt und verändert sowie neue Diskurse geschaffen hat.
Eliten
(2022)
Neu in einer aktualisierten Version 2.0: Dem Begriff der „Elite“ wohnt eine begriffliche Unschärfe inne, der Morten Reitmayer in seinem Artikel auf den Grund geht. Beginnend bei frühen Elite-Theorien, die die Unterscheidung von Elite und Nicht-Elite als wichtigste gesellschaftliche Trennlinie betrachteten, wendet er sich zentralen Termini zu und grenzt Funktions- und Machteliten voneinander ab. Zentral für Reitmayer sind auch die fruchtbaren kritischen Ansätze von Bourdieu, die für ihn eine potenzielle Bereicherung der Erträge der Eliten-Forschung bereithalten.
Ohne afroamerikanische Geschichte kann die amerikanische Geschichte und Gegenwart nicht verstanden werden. Christine Knauer zeichnet in ihrem Beitrag die Genese der afroamerikanischen Geschichtsschreibung nach und verweist auf die enge Verknüpfung von Geschichtsschreibung, Freiheitskampf und Bürgerrechtsbewegung im 19. und besonders im 20. Jahrhundert. Sie beschreibt die derzeitigen Forschungsansätze und -trends in der afroamerikanischen Historiografie, die auch in der europäischen sowie deutschen Amerikaforschung zunehmend bearbeitet werden.
Juristische Zeitgeschichte
(2021)
Die „Juristische Zeitgeschichte“ bezeichnet den jüngsten Zeitabschnitt im Bereich der Rechtsgeschichte, also die der gegenwärtigen Rechtsepoche. Welchen Zeitraum diese Epoche einnimmt, erörtert Thomas Vormbaum in seinem Artikel und geht auf die Kritik an der herkömmlichen Rechtsgeschichte ein, die sich überwiegend auf Dogmen- und Theoriegeschichte stützt. Unter Berücksichtigung der Geschichts- sowie Rechtswissenschaft beschreibt er aufkommende Methodenfragen des Forschungsfelds.
In Frankfurt am Main ist noch bis zum 24. Oktober 2021 eine ganz besonders lohnenswerte Ausstellung zur Fotografie der deutschen Zwischenkriegszeit zu sehen. Sie macht durch Ausstellungsgestaltung und fundiert aufbereitete Hintergrundinformationen große Lust, die fotografischen Schmuckstücke „neu zu sehen“ und den Sammlungsbestand (unter Ergänzung einzelner Leihgaben) näher in den Blick zu nehmen. Der Kuratorin Kristina Lemke ist mit dieser Ausstellung etwas Wunderbares gelungen. Ein Besuch lohnt sich sehr – mit Zeit zum genauen Hinsehen erschließt diese Ausstellung neues Terrain, denn selten wird dem fotografischen Abzug an sich so viel Aufmerksamkeit und Hinwendung zuteil. Es handelt sich um ein kleines Ausstellungsjuwel; insbesondere in der Zusammenschau mit dem im Kerber Verlag erschienenen Katalog offenbart sich die fundierte Recherche.
Herrschaft und Macht
(2021)
In ihrem Artikel geben Andrea Maurer und Christoph Lau einen Überblick über die Begriffe „Herrschaft“ und „Macht“, wobei sie zunächst wichtige Charakteristika von Herrschaft in Abgrenzung zu Macht und anderen Formen der Über- und Unterordnung (Gewalt) erläutern. Daran anschließend werden Forschungsperspektiven und -desiderata besprochen und die Potenziale einer wissenschaftlich fundierten Herrschaftsdiskussion ausgewiesen.
Nostalgie wird oft in kulturellen und, mehr noch, popkulturellen Kontexten diskutiert. Gelegentlich – und gerade in den letzten Jahren wieder – findet sich der Begriff jedoch auch in politischen Zusammenhängen. So wird er dazu verwendet, politische Entwicklungen zu erklären: etwa das britische EU-Referendum, die Wahl Donald Trumps zum Präsidenten der USA, das Erstarken der AfD in Deutschland oder den Aufstieg neuer Autoritarismen im östlichen Europa. Viele Beobachter*innen stellen einen in ihren Augen alarmierenden Zusammenhang zwischen Politik und Vergangenheitssehnsucht her. Aus ihrer Sicht resultieren die Effekte einer ungebremsten Globalisierung in einer gefährlichen Rückwärtsgewandtheit. Statt über sozioökonomische Konstellationen und Interessen erklären sie Politik emotional und psychologisch, wobei sie Nostalgie repathologisieren.
Gewerkschaftsgeschichte
(2021)
Gewerkschaften sind bis heute als Selbstorganisationen und Interessenvertretungen der Arbeiterschaft ein wichtiger Teil des wirtschaftlichen und sozialen Lebens. Sie waren vor allem im 19. und 20. Jahrhundert bedeutende historische Akteure der Vorgeschichte der Gegenwart. Knud Andresen bietet in seinem Artikel einen Überblick zur Entwicklung der Gewerkschaften mit Schwerpunkt auf Deutschland, besonders der Bundesrepublik ab 1945, aber auch mit Seitenblicken auf die Gewerkschaftsgeschichte der DDR, und der internationalen Verbünde. Verschiedene sozialwissenschaftliche und historiografische Deutungen werden dargestellt und damit das Forschungsfeld skizziert. Auch nach systematischen Potenzialen der zeitgeschichtlichen Gewerkschaftsgeschichte wird gefragt.
Es ist notwendig, ein kritisches Bewusstsein über die Rolle und Funktion von Bildern in antisemitischen Diskursen zu schaffen und durch die Vermittlung von Medienkompetenz antisemitische Kommunikation durchschaubar zu machen. Außerdem sollten durch historisierende Bildanalysen solche Elemente herausgearbeitet werden, durch die antisemitische Bilder von anderen visuellen Aussagen unterschieden und abgegrenzt werden können.
Orientalismus
(2021)
Westliche Repräsentationen des „Orients“ gehören zu den zentralen Gegenständen geistes- und kulturwissenschaftlicher Forschung der letzten Jahrzehnte, was insbesondere auf Edward Saids kontrovers diskutierte Studie „Orientalism“ zurückzuführen ist. Felix Wiedemann widmet sich in seinem Docupedia-Beitrag der Said’schen Orientalismus-Theorie, ihrer Rezeption, Kritik und Weiterführung. Im zweiten Teil des Beitrags werden exemplarische Problemfelder der neueren Orientalismusforschung – der deutsche Orientalismus, die Rolle der Altertumswissenschaften, der jüdische Orientalismus, der Zusammenhang von Orientalismus, Rassismus und Antisemitismus – skizziert.