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Der fotografische Akt
(2020)
Um Missverständnisse gleich vorwegzunehmen: Bei diesem Text geht es keineswegs um die Beschäftigung mit der fotografischen Form des Akts als einem zentralen Motiv der Kunstgeschichte. Stattdessen wird der fotografische Akt hier als der Akt des Fotografierens verstanden. Es geht also um die Situation, in der Fotograf*in, Fotografierte und Kamera aufeinandertreffen und aus der in der Regel ein Bild entsteht. Damit einher geht die Einschränkung, dass die hier dargelegten Argumente vor allem auf Situationen zutreffen, in denen Menschen fotografiert werden. Während mit „Bildethik“ oft pauschal diverse Aspekte von Fotografie gemeint werden, die sowohl die Ästhetik und die Bildlichkeit als auch die Produktion umfassen, fällt bei einer Zerlegung des fotografischen Prozesses in seine Einzelteile auf, dass sich verschiedene bildethische Fragen stellen.
Sie stehen vor Rathäusern, auf Friedhöfen, auf öffentlichen Plätzen und in Parks. Denkmäler, die an die Konföderierten erinnern, gehören zum typischen Stadtbild in den US-amerikanischen Südstaaten. Was im Zusammenhang mit den Nationalstaaten in Europa plausibel erscheint, wirft im US-amerikanischen Kontext Fragen auf, fand das Gedenken an die Konföderation doch in eben jenem Staat statt, der die Unabhängigkeit des Südens vereitelt hatte. Die Denkmäler können Aufschluss darüber geben, was die Denkmalsstifter für erinnerungswürdig hielten (und was nicht) und wie sich die Monumente in das kollektive Gedächtnis in den Südstaaten einpassten. Aufgrund der Niederlage des Südens ist es umso interessanter, was Denkmäler in den Südstaaten vor dem Hintergrund der Selektivität des kollektiven Gedächtnisses einer Gesellschaft aussagen sollten und wie sich diese Aussage womöglich über die Jahrzehnte hinweg veränderte. Anhand von drei Denkmälern im Bundesstaat North Carolina soll diese Entwicklung exemplifiziert werden.
Das Dokumentationszentrum und Museum über die Migration in Deutschland (DOMiD) ist ein Kölner Verein, der sich die Dokumentation der Migration nach Deutschland zur Aufgabe gemacht hat. 1990 als „Archiv von unten“ von aus der Türkei stammenden Migranten unter dem Kürzel DOMiT (Dokumentationszentrum und Museum über die Migration aus der Türkei e.V.) gegründet, widmete es sich zunächst ausschließlich der Migrationsgeschichte aus der Türkei. 2007 erfolgte die Fusion mit dem Verein Migrationsmuseum in Deutschland und die thematische Weitung hin zur Geschichte der Einwanderung nach Deutschland in allen Facetten.
Eine charakteristische Kompaktkamera, ein vertrautes Klick- und Summgeräusch sowie eine quadratische Fotografie mit dickem weißen Rand stehen spätestens seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts für die Marke und die originelle Fototechnik „Polaroid“. Mit einem Sofortbild, das in wenigen Sekunden, ohne Dunkelkammer oder Negativentwicklung, auf fast magische Art und Weise vor den Augen des Machers entsteht, hält das Polaroid-Bild den nie wiederkehrenden Augenblick fest und verkörpert Momenthaftigkeit und Schnelllebigkeit wie kein anderes. Die Fototechnik hat sich ihren Platz in der Geschichte erobert und büßte in den letzten Jahrzehnten wohl gerade deshalb bei Profis, Amateuren und Liebhabern kaum an Charme oder Beliebtheit ein. Für die Ausstellung „Das Polaroid Projekt“ stellte die C|O Berlin Foundation aus den weltweiten Beständen der „Polaroid Collection“ in Cambridge (USA) und Amsterdam rund 250 Polaroid-Bilder neu zusammen. Diese künstlerischen Werke werden durch Kameramodelle, Prototypen und allerhand Ausstellungsstücke ergänzt, sodass sowohl die bedeutende Technik als auch das Phänomen „Polaroid“ umfangreich beleuchtet werden.
Das Fremde denken
(2008)
Das Fremde ist einerseits etwas Uraltes, andererseits etwas höchst Aktuelles. Was das Uralte angeht, so genügt es, auf zwei Quellen der westlichen Kultur hinzuweisen. In Mose 2,22 heißt es: „Die Fremdlinge sollst du nicht schinden und drücken; denn ihr seid auch Fremdlinge in Ägypten gewesen.“ Es ist ein Gebot, das auf eine vorherige Erfahrung hinweist, nämlich auf das Exil, von dem das Jüdische bis in die Gegenwart gezeichnet ist. Bei den Griechen trägt Zeus den Beinamen xenios - der Gott, der das Gastrecht schützt. Wie eng Fremdheit, Gastfreundschaft und Feindschaft beieinander wohnen, zeigt sich in der schillernden Bedeutung der lateinischen Wörter hostis und hospes. Hat die Aktualität der Fremdheitsproblematik überhaupt etwas mit diesen alten Traditionen zu tun? Vielleicht könnte das Denken des Fremden - speziell aus Sicht der Philosophie - darauf eine Antwort geben, gerade weil sich dieses Denken weder auf sicher vorhandene Traditionen stützt noch in Tagesfragen aufgeht.
Cultural Turns
(2010)
In den neueren Kultur- und Sozialwissenschaften ist noch immer die Rede vom „Cultural Turn”, der in den letzten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts die Hinwendung der einzelnen Disziplinen auf die Analyse kultureller Bedeutungen und symbolischer Ordnungen ausgelöst hat. Diese Meistererzählung von dem einen herausgehobenen Cultural Turn, der noch dazu im Bann eines übermächtigen linguistic turn verharrt, ist jedoch fragwürdig. Denn wendet man sich der Vielzahl und Verschiedenheit der cultural turns zu, dann entfaltet sich eine andere Geschichte der neueren Kulturwissenschaften, die ausdrücklich auf Pluralisierung zielt.
»I Have Diabetes. Am I to Blame?«, fragte Rivers Solomon im Oktober 2016 in der »New York Times«. Der Artikel war von der Redaktion mit »Disability« getaggt worden, und in ihm verschränkten sich die Beschreibungen von erlebten und zugewiesenen körperlichen und mentalen Defiziten. Solomon war 26 Jahre alt, Afroamerikanerin, dick. Sie kritisierte, dass ihre Krankheit anderen deshalb als selbstverschuldet gelte, als Resultat von mangelndem Wissen und Willen.
Ein knappes Jahrhundert zuvor wäre Solomons Erkrankung anders verstanden worden, folgt man Arleen Marcia Tuchmans 2020 veröffentlichter Geschichte von Diabetes in den USA. Tuchman zeigt, dass die Krankheit zwar schon am Beginn des 20. Jahrhunderts zu einer Folge von übermäßigem Essen und mangelnder Bewegung erklärt, gleichzeitig aber mit spezifischen Befähigungen in Verbindung gebracht wurde. Diabetes galt als typische Krankheit der Erfolgreichen und Modernen. 1936 beschrieb ein Artikel im Magazin »Collier’s« Diabetiker*innen als »bessere Bürger«, die besonders selbstständig und intelligent sein mussten, um ihre Krankheit managen und mit ihr überleben zu können. Galten Afroamerikaner*innen noch zu diesem Zeitpunkt als kaum anfällig für Diabetes (weil sie nicht für »zivilisiert« genug gehalten wurden), wurden sie in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts zu typischen Diabetes-Patienten. Die Krankheit wandelte sich zum Zeichen von Verantwortungslosigkeit und ungesundem Lebensstil.
Das Beispiel zeigt, wie historische Phänomene von unterschiedlichen Fähigkeitsnormen durchzogen sind. Im Vordergrund meiner Skizze steht dabei nicht der behinderte oder von Behinderung »bedrohte« Körper. Vielmehr interessiere ich mich für die Geschichte der Normen und Prämissen »fähiger« Körper und Subjekte, die bestimmten Menschen bzw. Menschengruppen zu- oder abgesprochen werden. Die ganz knappe Historisierung von Diabetes steht exemplarisch für den Blickwechsel, der sich mit einer Critical Ability History vornehmen lässt.
Es sind ethische, nicht historische oder ästhetische Fragen, mit denen die Dokumentarfotografin Janina Struk in den letzten Absätzen ihrer Studie „Photographing the Holocaust“ die Leser*innen konfrontiert. Sie gibt zu bedenken, ob nicht die heutige Verwendung der von Tätern gemachten Fotos einer konspirativen Demütigung der fotografierten Opfer gleichkäme und die abgebildeten Leidensmomente aktiv fortsetze und wiederhole, während Millionen Besucher*innen dabei zusehen.
Heute startet das Themendossier „Bildethik. Zum Umgang mit Bildern im Internet“ auf Visual History. In den folgenden Wochen werden wir Beiträge präsentieren, die sich aus wissenschaftlicher, archivalischer und musealer Perspektive Fragen der Bildethik in Dokumentations- und Forschungsprojekten, Zeitschriftenredaktionen, Online-Archiven, Museen und Ausstellungen widmen. Mit diesem Themendossier wollen wir einen Austausch zum Umgang mit historischem Bildmaterial in Online-Umgebungen anregen. Viele Beiträge gehen auf einen Workshop zurück, der am 18. März 2019 am Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung (ZZF) in Potsdam stattgefunden hat.
Nachrichten, Blogs, Online-Zeitschriften, Websites von Museen, von Gedenkstätten und anderen Bildungseinrichtungen, Online-Ausstellungen, Social Media – sie alle zeigen Bilder: groß aufgezogen, als Fotostrecke, in kleineren Formaten, mit oder ohne Bildunterschrift. Visuelle Informationen gehören im Netz dazu. Häufig dienen Bilder der Illustrierung von Texten; sie sind ästhetische Elemente, die visuell die Inhalte der Website kommunizieren sollen. Selten steht ihr eigener Quellenwert im Vordergrund. Bilder – und hierzu zählen auch historische Fotografien – sind niedrigschwellig durch Bildagenturen, Online-Bildarchive, Bilddatenbanken und Social Media zugängig, darunter auch solche, die diskriminierende Inhalte zeigen. Wie aber können wir mit Bildmaterial umgehen, das negative oder ausgrenzende Zuschreibungen aufweist und etwa die Persönlichkeitsrechte eines Menschen verletzt? Auseinandersetzungen über bildethische Fragestellungen in der Verwendung von (historischen) Fotografien finden zwar intern in einer Redaktion, in einem Ausstellungsteam, bei der Planung eines Buches immer wieder statt, allerdings werden diese noch kaum dokumentiert. Eine Diskussion in der Fachöffentlichkeit hat sich darüber noch nicht etabliert. Der Workshop „Bildethik – zum Umgang mit Bildern im Internet“ wollte genau hier ansetzen und einen Austausch von Erfahrungen, Methoden und Strategien im Umgang initiieren.