Fotografie
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Die mexikanische Fotojournalistin Julia Le Duc nahm das Foto der Toten am Montag, dem 24. Juni 2019, auf. Der vorliegende Beitrag nimmt dieses im Juni 2019 weltweit verbreitete Foto zum Anlass, um über Bildzirkulation und Medienkritik nachzudenken. Nach einer Kontextualisierung des Fotos einerseits mit dem Fall Alan Kurdi, andererseits mit Folgebildern der Hinterbliebenen und Überlebenden, führt der Beitrag neuere Foto- und Bildtheorien von Ariella Azoulay, Lilie Chouliaraki, Robert Hariman und John Louis Lucaites weiter. Die These lautet, dass über Fragen der Bildethik hinaus es vor allem darum gehen muss, Gesellschaften so zu verändern, dass – auch strukturelle – Gewalt nicht mehr stattfindet. Hierin liegt die imaginativ-transformative Kraft des Fotojournalismus.
Othering begegnet uns nicht nur im geschriebenen Wort. Es kann sich ebenfalls in der Kombination von Bild und Text manifestieren. Wie wichtig eine Reflexion der Artikelbebilderung durch die Redaktion ist, möchte ich im Folgenden anhand eines Artikels der „Berliner Morgenpost“ veranschaulichen. Hierzu ist ein poststrukturalistisch orientierter Zugriff besonders geeignet, da hier die Auffassung vertreten wird, dass die Bedeutungen den Dingen nicht immanent sind, sondern sie ihnen diskursiv zugewiesen werden. Somit werden im Diskurs die Dinge erst als soziale Phänomene konstituiert, über die gesprochen bzw. geschrieben wird. Mittels einer solchen anti-essentialistischen Perspektive auf Identitäten kann die Forschung dazu beitragen, binäre Identitätskonstruktionen aufzudecken, zu hinterfragen und letztlich zu überwinden.
In dem Projekt „Visual Histories“ werden unter dem Motto „Alte Bilder, neuer Blick“ die Geschichten und die Geschichte hinter den Bildern in unterschiedlichen Reiseberichten ergründet. In Form eines Podcasts werden Untersuchungen von Reiseberichten aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts präsentiert. Im Vordergrund stehen dabei nicht nur die Reiseberichte von neun verschiedenen Autor*innen, sondern auch vier Weltregionen, die China, Japan und Korea, Afrika sowie Australien und Neuseeland umfassen.
Virtual Reality. Sowjetische Bild- und Zensurpolitik als Erinnerungskontrolle in den 1930er-Jahren
(2010)
Am Beispiel eines zur Bild-Ikone geratenen Lenin-Fotos aus dem Jahr 1920 untersucht der Beitrag die Praxis manipulativer Eingriffe in das visuelle Gedächtnis der UdSSR vom Stalinismus bis zur Perestrojka. Die Aufnahme, die im Original Lenin und Trotzki vor sowjetischen Truppen in Moskau zeigte, wurde massiven Geschichtsfälschungen unter-zogen, an denen sich prototypisch die Intentionen, Mechanismen und politischen Strukturen der sowjetischen Bild- und Medienzensur seit den 1930er-Jahren rekonstruieren lassen. Die UdSSR gab sich ein neues ideologisches wie visuelles Design, das den Staat im In- und Ausland als Erfolgsmodell darstellen sollte. Dieses Design erforderte nicht nur eine nachträgliche „Optimierung“ der Vergangenheit; in ihm manifestierten sich zugleich stalinistische Visualisierungsstrategien, mit denen Staat und Partei politische Sichtbarkeiten zu kontrollieren versuchten. Trotz des enormen Aufwands war dieser Versuch indes nur teilweise erfolgreich: Es erwies sich letztlich als unmöglich, die Unperson Trotzki flächendeckend aus dem kulturellen Gedächtnis zu eliminieren.
Urban Eyes. Deutschsprachige Fotograf:innen im New Yorker Exil in den 1930er und 1940er Jahren
(2023)
New York: Faszinosum – Freiheit – Vielfältigkeit – Überwältigung – Chaos – Orientierungslosigkeit. So in etwa erging es in den 1930er und 1940er Jahren auch jenen deutschsprachigen Fotograf:innen, die sich nach der Passage in die Emigration auf den Straßen in der US-amerikanischen Metropole wiederfanden. Die Großstadt war einigen von ihnen durch Medien der Weimarer Republik bekannt. Ihre Ankunft fand jedoch nicht im Kontext einer Reise statt, in der Sightseeing an erster Stelle stand.
Der Beitrag verfolgt die Karriere eines Bildes der amerikanischen Fotografin Dorothea Lange, das im März 1936 als Presseaufnahme in Umlauf kam und in der Folge unter dem Titel „Migrant Mother“ zu einer Ikone der Großen Depression in den USA wurde. Das Foto wird hier erstmals im Zusammenhang der gesamten Serie von sieben Aufnahmen analysiert, der es entnommen ist. Ausgehend vom politisch-sozialen Kontext des New Deal leistet der Autor eine ikonographische Analyse; er arbeitet die semantischen Überschreibungen und Adaptionen des Bildes im Verlauf seiner Rezeptionsgeschichte heraus und ordnet das Foto schließlich vier verschiedenen Diskursen zu, die die Semantik der „Migrant Mother“ maßgeblich bestimmt haben. Die historische Bedeutung von Dokumentarfotografie erweist sich dabei im Wesentlichen als eine Funktion der sozialen und diskursiven Praxis ihrer Verwendung.
Ukrainische „Nachtwache“
(2022)
Der Krieg Russlands gegen die Ukraine, den die russischen Streitkräfte unter der bewusst nebulös gehaltenen Bezeichnung als „militärisch-technische Sonderoperation“ mit ihrer Invasion am 24. Februar 2022 begonnen haben, wird auch in einer globalisierten medialen Öffentlichkeit als sogenannter Kommunikations-Krieg ausgetragen – darüber sind alle Kommentare und Analysen einig. Auf diesem Kriegs-Schauplatz kommt der Darstellung und Deutung der Ereignisse mittels visueller Medien eine zentrale Bedeutung zu: Auch diese Feststellung wird nicht nur weithin geteilt, sie beeinflusst deren Auswahl aufgrund des Referenzrahmens, den sie für die Deutung des Geschehens zur Verfügung stellen.
Hier soll ein Motiv herausgehoben werden, dem in allen Analysen ebenfalls eine zentrale Bedeutung zugeschrieben wird: der Repräsentation der beiden Spitzenpolitiker als zentraler Akteure, des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj und seines russischen Gegenübers, Wladimir Putin.
Ukrainische "Nachtwache"
(2024)
Der Krieg Russlands gegen die Ukraine, den die russischen Streitkräfte unter der bewusst nebulös gehaltenen Bezeichnung als „militärisch-technische Sonderoperation“ mit ihrer Invasion am 24. Februar 2022 begonnen haben, wird auch in einer globalisierten medialen Öffentlichkeit als sogenannter Kommunikations-Krieg ausgetragen – darüber sind alle Kommentare und Analysen einig. Auf diesem Kriegs-Schauplatz kommt der Darstellung und Deutung der Ereignisse mittels visueller Medien eine zentrale Bedeutung zu: Auch diese Feststellung wird nicht nur weithin geteilt, sie beeinflusst deren Auswahl aufgrund des Referenzrahmens, den sie für die Deutung des Geschehens zur Verfügung stellen.
Hier soll ein Motiv herausgehoben werden, dem in allen Analysen ebenfalls eine zentrale Bedeutung zugeschrieben wird: der Repräsentation der beiden Spitzenpolitiker als zentraler Akteure, des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj und seines russischen Gegenübers, Wladimir Putin.
Das Fotoarchiv der Reemtsma Cigarettenfabriken besteht aus ungefähr 70.000 Aufnahmen, die als Einzelbilder, in Fotoalben, als Negative oder Dias gesammelt wurden. Die Überlieferung umfasst Aufnahmen aus dem Zeitraum vom Umzug des Unternehmens von Erfurt nach Altona-Bahrenfeld im Jahr 1923 bis zur Übernahme durch Imperial Tobacco im Jahr 2002 und spiegelt das breite Spektrum der firmenbezogenen Fotografie zwischen Dokumentation, Selbstdarstellung und Werbung: Hier finden sich Aufnahmen aus dem Betrieb oder zur Firmengeschichte ebenso wie Bildmaterial für Broschüren, Mitarbeiterzeitschriften oder Werbekampagnen. Eine Besonderheit sind die Bilder der „Tabakreisen“, auf denen bekannte Fotografen und Bildjournalisten den Tabakanbau in verschiedenen Gebieten und die Verarbeitung dokumentierten; zwei dieser Reportagen werden im Folgenden beispielhaft vorgestellt. Sofern die Fotografie in der Werbung eingesetzt wurde - was seit den 1920er-Jahren zunehmend geschah und wofür die beiden ausgewählten Teilbestände ebenfalls Beispiele sind -, überschneiden sich die Bestände des Fotoarchivs mit jenen des Werbemittelarchivs. Dieses enthält als nahezu vollständige Überlieferung der Werbeaktivitäten Reemtsmas aus der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg bis in die jüngste Vergangenheit insgesamt etwa 3.500 Plakate, 25.000 Anzeigen, 12.000 bis 15.000 Packungen und über 50.000 Aufsteller, Schilder, Aufkleber und ähnliches, dazu Werbepläne und interne Dokumente.
Unter denen, die vor der NS-Diktatur flüchteten, waren nicht wenige bildende Künstler/innen – so auch die deutsch-jüdische Bauhausfotografin Grete Stern (1904–1999), die 1935/36 nach Argentinien emigrierte. Trotz autoritärer politischer Tendenzen genoss sie dort deutlich mehr künstlerische Freiheit. Während der ersten beiden Amtszeiten des demokratisch gewählten Präsidenten Juan Domingo Perón (1946–1955), der sich vor allem in der staatlichen Kontrolle der Medien an den europäischen Faschismen orientierte, auf den sich wegen seiner Sozialpolitik jedoch auch linksgerichtete Bewegungen beriefen, veröffentlichte Stern in der Zeitschrift »Idilio« (»Idylle«) eine Serie von Fotomontagen. Nach einem Überblick zur peronistischen Kulturpolitik bildet die Einordnung dieser Montagen, die zusammen mit einer Traumdeutungs-Kolumne erschienen, den Schwerpunkt des Aufsatzes. In subtiler Weise kritisierte Stern soziokulturelle Missstände der Zeit. Zu einem ihrer Hauptthemen wurden die Geschlechterbeziehungen – ein Gebiet, auf dem sich das peronistische Regime nicht zuletzt in seiner umfangreichen Bildpropaganda rühmte, tiefgreifende Veränderungen hervorgebracht zu haben.
Es gibt keinen Krieg ohne Heldengeschichten. Gegenwärtige Forschungen zum NS-Heldenkult knüpfen an diesen Gedanken unmittelbar an, vertreten jedoch zwei sehr unterschiedliche Ansichten, ohne dass dies eine Forschungsdebatte ausgelöst hätte: Auf der einen Seite steht die Vermutung, erst nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs, und somit nachdem der soldatische Heldenkult mit den Verbrechen der Nazis in Verbindung gebracht werden konnte, sei Abstand genommen worden von heroisierenden Kriegserzählungen. Auf der anderen Seite steht der Befund, schon während des Zweiten Weltkriegs und vor allem mit der Niederlage der 6. Armee in Stalingrad 1943 sei die Heroisierung der Wehrmacht unglaubhaft geworden. Mein Dissertationsprojekt überprüft diese These in Bezug auf die Wehrmachtssoldaten durch die Analyse der in illustrierten Zeitschriften veröffentlichten Bilder, die von Fotografen der NS-Propagandakompanien aufgenommen wurden und damit der Zensur des Reichsministeriums für Volksaufklärung und Propaganda und des Oberkommandos der Wehrmacht unterstanden.
Eine schwarz-weiße Fotografie mit neun Personen, die zu einem Gruppenbild versammelt sind: Sieben Personen stehen, zwei sitzen. Alle tragen einen Lendenschurz, der den Blick auf die untergewichtigen, ausgezehrten, geschwächten Körper freigibt. Drei Personen stützen sich mit einem Stock ab, einige tragen Halsketten als Schmuck. Auch Ringe um die Knöchel sind zu sehen. Es ist unklar, ob es sich dabei vielleicht um Eisenketten handelt. Die Blicke sind meist auf den Betrachtenden gerichtet, nur die sitzenden Personen scheinen die Augen geschlossen zu haben. Im Hintergrund sieht man eine karge Landschaft; ein Zelt am rechten oberen Bildrand fällt ins Auge. Weitere Details sind bei näherem Hinsehen erkennbar, ohne den Betrachtenden genauen Aufschluss über die Personen, den Ort oder die Zeit der Aufnahme zu geben. Man ist auf Spekulationen angewiesen: „Afrikaner“, dem Aussehen nach? Der Landschaft zufolge möglicherweise ein Ort im südlichen Afrika. Material und Art der Aufnahme lassen auf einen lange zurückliegenden Entstehungszeitraum schließen.
1917 veröffentlichte das US-amerikanische Magazin „Vanity Fair“ einen Artikel mit der Überschrift „Moving Pictures for Golfers“. Das war nichts Ungewöhnliches, denn Sport war eines der Themen, die das zumeist weiße, urbane, gebildete Publikum dieses Lifestyle-Magazins ansprach. Außergewöhnlich waren die beiden Bilderserien, die den Artikel illustrierten – bestehend aus je 22 individuellen Fotos zeigten sie zwei Golfer beim Abschlag des Balls. Die bloße Anzahl unterschiedlicher Bilder athletischer Körper in diesem Zeitraum ist ein Indikator für ihre Relevanz. Und jenseits dieser quantitativen Beobachtung waren große mediale Räume von diesen Darstellungen besetzt, von Zeitungen, Zeitschriften und Büchern, über Werbeposter, Sammelkarten und Kunst bis hin zu Lehrfilmen, Wochenschauen und Spielfilmen. Das Projekt widmet sich diesen Quellen als eine ausdrücklich transnational ausgerichtete Kulturgeschichte der USA.
»Wir bummeln langsam die Donau hinab in Richtung Wien […].« Mit diesen Worten wandte sich am 29. Juli 1956 ein Reisender auf der Rückseite einer Ansichtskarte an seine Familie in Berlin. »Liebe kleine Mutti, liebe Omi, liebe Kinderchen!«, so redete er die Seinen an und unterzeichnete die Karte mit »Vati«. Der Absender war, zusammen mit seiner Frau, in Österreich unterwegs. Sein Postkartengruß ist auf den ersten Blick nichts Ungewöhnliches, denn derartige stereotype Botschaften wurden viele verschickt. Bei genauerem Hinsehen aber ist diese Karte anders. Denn auf ihrer Bildseite ist nicht eine beliebige Donaulandschaft zu sehen, sondern die Stadt Mauthausen, die in der Nachkriegszeit zu einem Symbol für die nationalsozialistische Herrschaft in Österreich wurde. Die Geschichte der Gewalt, die sich in dieser Stadt zutrug, kommt auch auf der Rückseite der Karte zur Sprache.
Skiurlaube
(2024)
Durch ihre Aufbewahrung und Erhaltung geben die Fotografien einen Einblick in besondere Momente der Familiengeschichte. Die Schwarz-Weiß-Bilder zeigen die Familie Lindenberger in verschiedenen Lebenslagen, von alltäglichen Szenen bis hin zu ihrer Freizeit. Bemerkenswert im Fotoalbum sind auch die Seiten, die die Bilder der Familie vom Skiurlaub präsentieren. In Deutschland wurde das Skifahren im späten 19. Jahrhundert populär, auch für den Mittelstand. Etwa 35.000-40.000 Deutsche standen auf Skiern. Im Vergleich zu anderen europäischen Ländern war die Zahl sehr hoch, wie eine Münchner Zeitung im Jahr 1912 berichtete. Fotos aus dem Skiurlaub waren daher gleichzeitig auch ein Statussymbol.
Sehnsucht nach einem stillen Land. Wie zwei Reporter der „ZEIT“ im Jahr 1979 die DDR darstellten.
(2009)
Die heutige Lektüre des Buches irritiert, so eigenartig und doch auch vertraut wirkt das vor 30 Jahren entworfene DDR-Bild. Die Texte und Fotos wurden zwischen Herbst 1978 und Sommer 1979 zunächst als einzelne Reportagen im „ZEIT“-Magazin veröffentlicht. Die Journalistin Marlies Menge und der Fotograf Rudi Meisel waren seit 1977/78 die ersten akkreditierten „ZEIT“-Korrespondenten in der DDR - und blieben es bis 1990. Der Hanser-Verlag brachte sieben dieser Beiträge als großformatigen Bildband heraus. Meisel erhielt dafür 1979 den Kodak-Fotobuchpreis.
Von den Toten der Berliner Mauer nimmt Peter Fechter (1944-1962) im kollektiven Gedächtnis einen herausgehobenen Rang ein. Schon unmittelbar nach seiner gescheiterten Flucht wurde in der Berliner Zimmerstraße nahe dem ehemaligen Checkpoint Charlie ein Denkmal in der Form eines Holzkreuzes errichtet, das man am 13. August 1999 durch eine Stahlstele ersetzte. Jährlich legten und legen Delegationen Kränze am Denkmal nieder. Fernsehdokumentationen informierten 1997 aus Anlass des Prozesses gegen die Mauerschützen. In der öffentlichen Wahrnehmung gilt Peter Fechter deswegen für viele als der erste Tote an der Berliner Mauer überhaupt.
Schwitzende Werkarbeiter in der DDR, Menschen im Porträt, Bilder als kombinierte Triaden, die ihnen einen neuen Sinn geben – die aktuelle Werkschau des Berliner Fotografen Ludwig Rauch erzählt im Cottbusser Dieselkraftwerk Geschichte und Geschichten. Es geht um die DDR, um Menschen und ihre Biografien: sichtbar gemacht in Porträts und Serien. Das Altern, der Tod und vor allem das Leben sind Motive in Rauchs Werkschau, die er unter dem Titel Noch ein Leben zusammenfasst. Auf drei Etagen begegnen die Ausstellungsbesucher unterschiedlichsten Arbeiten, die auf teilweise überraschende Weise zusammengehören.
Der vorliegende Beitrag richtet seinen Blick auf die japanische Kriegs- und Frauenfotografie, die in NS-Fotoillustrierten den deutschen Rezipient*innen als eine konsequente Antwort auf Armut und Kriminalität in Asien präsentiert wurde, und fragt danach, welche Wechselwirkungen hierbei mit den deutschen Kriegsfotografien der Propagandakompanien (PK) entstanden.
Die Ausstellungsankündigung „Ruth & Lotte Jacobi“, die im Rahmen des EMOP Berlin – European Month of Photography 2020 präsentiert wurde, klingt vielversprechend: „Zum ersten Mal ist das fotografische Werk – bestehend aus Porträts, Stillleben, Reportagen, Lichtbildern und Experimentalaufnahmen – dieser vierten Generation einer jüdischen Fotografenfamilie in einer Ausstellung vereint.“ (Einführungstext) Selten haben Besucher*innen die Möglichkeit, sich Werke von Fotografinnen vergleichend anzusehen. Viel zu häufig werden diese als Einzelgängerinnen und Ausnahmen präsentiert.
„Ich war damals in Marburg nicht ganz unbekannt durch 24 Farbfotografien, die ich als Postkarten veröffentlicht hatte“ (S. 21). Schlicht und bedeutungsvoll zugleich sind die Worte, die der Apotheker und Drogerie-Fabrikant Georg Heinrich Mylius (1884-1979) in einem der letzten Briefe 1978 seinen 1911 entstandenen Aufnahmen widmete. Als erste fotografische Darstellungen Marburgs in Farbe und als solche seinerzeit ein öffentlich stark beachtetes technisches Novum können diese sogenannten Autochrome (S. 18) nach wie vor einiges Interesse für sich beanspruchen.
Selten ist das Thema eines Sammelbandes so aktuell wie das des vorliegenden: „Corona und die journalistische Bildkommunikation“, herausgegeben von dem Kommunikationswissenschaftler und Journalisten Felix Koltermann. Dass es sich dabei nur um eine Momentaufnahme handeln kann, ist kaum nötig zu erwähnen. Ein absehbares Ende der Pandemie war zum Redaktionsschluss des Bandes im Mai 2021 ebenso wenig in Sicht wie zur Veröffentlichung dieser Rezension. Folgerichtig beabsichtigen die Autor:innen nicht, die langfristigen Folgen der Pandemie auf den Bildjournalismus zu prognostizieren; vielmehr soll hier eine Art Zwischenfazit nach rund einem Jahr Pandemie gezogen werden. Die einzelnen Beiträge betrachten, wie die Coronakrise die Arbeit von Bildredakteur:innen, Foto- und Datenjournalist:innen bis zu diesem Zeitpunkt eingeschränkt und verändert sowie neue Diskurse geschaffen hat.
Rezension: Martina Winkler, Panzer in Prag. Der fotografische Blick auf die Invasion von 1968
(2018)
Das Protestjahr 1968 ist ohne die Fotografien, die damals in den Bildjournalen der westlichen Welt kursierten, heute nicht mehr zu denken. Längst hat sich ein visuelles Narrativ dieses annus mirabilis verfestigt, das als Chiffre stellvertretend für die politische und kulturelle Revolte der langen 1960er Jahre steht.In ihrem Essayband „Panzer in Prag“ unternimmt Martina Winkler es, diese bekannten Motive im Kontext des ungleich vielfältigeren Korpus an fotografischen Sujets der seinerzeit professionell wie privat tausendfach abgelichteten Geschehnisse historisch zu interpretieren. Sie leistet damit Pionierarbeit, denn obwohl Fotografien des Prager Frühlings und seiner Niederschlagung besonders nach 1989 vielfach veröffentlicht worden sind, waren sie bislang noch nicht Gegenstand einer kritischen Betrachtung.
Maria Schindelegger legt mit ihrem Buch „Die Armierung des Blickes. Margaret Bourke-Whites Fotografien aus dem Zweiten Weltkrieg“ ein umfassendes Werk zu einem spannenden Abschnitt in der ereignisreichen Karriere der US-amerikanischen Fotografin Margaret Bourke-White (1904-1971) vor. Bourke-White zählt nicht nur zu einer der Pionierinnen im Fotojournalismus des letzten Jahrhunderts, sondern stilisierte sich selbst auch zum schillernden Medienstar. Davon zeugt nicht zuletzt ihre 1963 erschienene Autobiografie, die wochenlang auf der Bestsellerliste der „New York Times“ rangierte. In der Fachliteratur wird Bourke-White gemeinhin als die Frau rezipiert, die Männer wie Winston Churchill vor ihre Kameralinse lockte und die Stalin beim Fotoshooting zum Lächeln brachte.
Sebastian Dobson, freier Wissenschaftler auf dem Gebiet der frühen Fotografiegeschichte Japans und Ostasiens, hat gemeinsam mit Sabine Arqué, Dokumentarin, Bildredakteurin und Autorin mit den Themenschwerpunkten Tourismus und Fotografie, eine umfangreiche Monografie zu Fotografien Japans um 1900 vorgelegt. Der mit mehr als 700 zu einem großen Teil kolorierten Fotografien reich bebilderte, mit englischen, deutschen und französischen Texten versehene Band „Japan 1900: A Portrait in Color“ lädt ein zu einer „Reise durch Japan um die Jahrhundertwende“.
Kriegerische Auseinandersetzungen, gewaltsame Konflikte und Terrorismus gehören zu den dominanten Themen der weltweiten Berichterstattung. Die dabei vermittelten Bilder prägen unser Wissen und unsere Konfliktwahrnehmung entscheidend. Bisher nähert sich die Kommunikations- und Medienforschung der (foto)journalistischen Praxis zumeist von Seiten des fertig ausgewählten, abgedruckten bzw. ausgestrahlten Medienmaterials. Im Mittelpunkt stehen dabei Forschungsbegriffe wie Nachrichtenfaktoren, Gatekeeping oder Framing. In seiner Dissertation „Fotoreporter im Konflikt. Der internationale Fotojournalismus in Israel/Palästina“ nimmt Felix Koltermann eine neue Perspektive ein. Ihn interessieren nicht die Auswahl der fertigen Bilder oder deren Distribution, sondern die konkreten Produktionsbedingungen von Fotoreporter*innen.
Am Anfang der Untersuchung stehen zwei Alben mit 40 Tatortdokumentationen aus der Polizeihistorischen Sammlung im Berliner Polizeipräsidium. Die darin enthaltenen, um 1900 entstandenen Tatortfotografien, die die „schonungslose Gewalt des Tötens“ (S. 27) zeigen, werfen für Christine Karallus die Frage nach dem dahinter stehenden „fotografischen Akt“ (Philippe Dubois) auf, das heißt nach den Entstehungsbedingungen der Fotografien in ihrer Gesamtheit. Vor dem Hintergrund, dass Tatortfotografien 1903 vom Deutschen Reichsgericht als Beweismittel in Strafsachen zugelassen wurden, richtet sich ihr Interesse darauf, auf welche Weise diese als unmittelbar und objektiv konstruiert wurden. Dazu wählt sie den an Michel Foucault orientierten Ansatz einer „genealogisch-historischen Diskursanalyse, die nach den Wissens- und Wahrheitspraktiken von Recht und Kriminalistik“ fragt (S. 21). Der Schwerpunkt liegt also auf der diskursiven Hervorbringung der Bilder, die auch Rückschlüsse auf die nur selten dokumentierten Produktionspraktiken erlaubt.
Fotohistorikerinnen und -historiker – deren Perspektive auch diese Rezension folgt – machen seit vielen Jahren darauf aufmerksam, dass die Geschichtsschreibung des 19. und vor allem des 20. Jahrhunderts Bildquellen in die historische Analyse einbeziehen muss. Wie Fotografien politik-, sozial- und kulturgeschichtliche Prozesse in der Vergangenheit mit gestaltet haben, kann man seit den 1980er-Jahren in den Fachzeitschriften „Fotogeschichte“ und dem „Rundbrief Fotografie“, in unzähligen Monografien und Tagungsdokumentationen, seit einigen Jahren auch in geschichtswissenschaftlichen Zeitschriften wie den „Zeithistorischen Forschungen“ und nicht zuletzt an dieser Stelle nachlesen. Nun legt Annette Vowinckel eine fotohistorische Studie vor, die ausdrücklich nicht von den Fotos ausgeht, sondern „von den Handlungen, deren Ziel und Inhalt die Produktion und Zirkulation von Bildern ist“ (S. 15).
Der Zweite Weltkrieg ist bis heute in der deutschen und europäischen Erinnerungskultur präsent und wird auf individueller wie kollektiver, medialer Ebene mit ganz bestimmten Bildern assoziiert. Auf deutscher Seite waren vor allem die Propagandakompanien (PK) der Wehrmacht die wichtigsten Bildlieferanten zeitgenössischer Medien. Ihre Fotografien durchliefen eine doppelte Zensur: eine militärische sowie die durch das Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda (RMVP). Die PK-Fotografen waren aber zumeist aufgrund ihrer Ausbildung, oft auch ihrer ideologischen Prägung nach, in ihrer fotografischen Praxis darauf ausgerichtet, vom Regime gewünschte Bildvorstellungen umzusetzen.
„Lach über alles und vergiss es.“ Dieses Motto stellte der Holländer Aart M. an den Beginn eines Fotoalbums, das seine bildlichen Erinnerungen an den Zweiten Weltkrieg und den Einsatz als Zwangsarbeiter in Berlin festhält. Es zeigt die Widersprüchlichkeit privater Fotoalben: Werden die Bilder aufbewahrt, um zu erinnern oder zu vergessen? Hilft ein solches Album dem Besitzer dabei, über die Erfahrungen der Zwangsarbeit zu lachen? Und wie kann die Geschichtswissenschaft die oft so ‚fröhlich‘ wirkenden Fotoalben als historische Quellen interpretieren?
Seit dem Ende der 1960er-Jahre lieferte der für seine Sofortbildkameras und -filme bekannte US-amerikanische Fotografiehersteller Polaroid Apparate nach Südafrika, die zur effizienten Erstellung von Ausweisdokumenten für die schwarze Bevölkerung dienen konnten. Besonders in der Firmenzentrale in Massachusetts löste dies den Protest schwarzer Mitarbeiter/innen aus (Polaroid Revolutionary Workers Movement, PRWM). Die Fallstudie untersucht einige Pamphlete und Flugblätter, die sich elaborierter Manipulationen von Fotografien und einer aufrüttelnden Bildsprache bedienten. Die Bewegung setzte das Medium Fotografie gegen den Sofortbildhersteller ein, um diesen mit seinen eigenen Waffen zu schlagen. Der Streit um den US-amerikanischen Handel mit Südafrika gelangte bis ins Repräsentantenhaus. Die Darstellung der Bild- und Konfliktgeschichte ermöglicht es zugleich, einen breiteren Blick auf die Genese und die konkrete historische Situation der ausweisbasierten Kontrollmechanismen im Apartheidstaat Südafrika zu richten. Der tatsächliche Einsatz der Polaroid-Technik für Überwachungszwecke lässt sich nicht eindeutig ermitteln, und der Protest hatte insofern Erfolg, als das Unternehmen seine Lieferungen nach Südafrika Ende der 1970er-Jahre stoppte.
Dicht gedrängt sitzen oder liegen die Gefangenen auf der Erde, in der prallen Sonne. Einer von ihnen, ein Rotarmist asiatischer Herkunft im Vordergrund, schaut in die Kamera. Sein Blick ist eindringlich, man meint Erschöpfung und Demütigung darin zu lesen. „Sowjetische Kriegsgefangene an einer Sammelstelle der Wehrmacht, vermutlich Belarus, Anfang Juli 1941“ heißt es in der Beschreibung über das Bild, das im Nachweis als Fotografie einer Propagandakompanie identifiziert wird. Es handelt sich um das Titelbild der Open-Air-Ausstellung „Dimensionen eines Verbrechens: Sowjetische Kriegsgefangene im Zweiten Weltkrieg“, die am 18. Juni, kurz vor dem 80. Jahrestag des Überfalls auf die Sowjetunion, in Anwesenheit von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier eröffnet wurde und noch bis zum 16. Januar 2022 in Berlin-Karlshorst zu sehen ist.
Was ist die „Haltung“ der Bilder – summarisch verstanden als die mit Herstellung und Verwendung, Motiv und Inszenierung einer Fotografie einhergehenden Ideen und Werte – und unsere Haltung ihnen gegenüber?
Das seit April 2017 laufende Dissertationsprojekt untersucht den sich wandelnden Medieneinsatz und Stellenwert von Visualisierungen in lokalen Stadtplanungsdebatten der Berliner Öffentlichkeit im Laufe des 20. Jahrhunderts. In der sozial- und medienhistoriografischen Arbeit werden anhand ausgewählter Beispiele der Berliner Bebauungsgeschichte aus verschiedenen Zeitphasen (zwischen1910 und 1990) schlaglichtartig zeitgenössische Schnittpunkte zwischen Stadtplanung, Gesellschaft, Öffentlichkeit sowie Medientechnologie und -einsatz erforscht. Um die historischen Prozesse von Mediatisierung und Medienwandel einzuordnen, sollen die Erkenntnisse zu Nutzung und Stellenwert von visuellen Medien aus den Fallbeispielen in Form einer diachronen Vergleichsgeschichte systematisch kontextualisiert werden.
Materialität der Erinnerung
(2024)
31 weiße Seiten aus dickem Papier, hochkant nahezu quadratisch, getrennt durch ebenfalls weißes Pergaminpapier, sind eingebunden in mittelbraunen, glatten Kunststoff, welcher einen Ledereinband imitieren soll. Das Album der Familie Lindenberger ist relativ klein: 25 cm hoch, aufgeklappt 45 cm breit und knapp 5 cm dick. 99 Schwarz-Weiß-Bilder in unterschiedlichen Formaten sind vorder- und rückseitig fest eingeklebt auf Seiten – ein Teil der Seiten bleibt leer. Die meisten Bilder sind Einzelabzüge, seltener sind zwei Fotos als Doppelabzüge auf einer Pappe. Die Fotos sind eine Mischung aus professionell aufgenommenen Bildern, wie die Logos der Fotografen am Fotorand zeigen, und spontaneren, selbst gemachten Aufnahmen.
Der Erste Weltkrieg ist auch ein Krieg der Bilder, genauer: ein Krieg, in dem erstmals das Medium der Fotografie massenhaft eingesetzt wurde. Schon der „begeisterte“ Abmarsch der deutschen Truppen Anfang August 1914[1] wurde in unzähligen Aufnahmen dokumentiert. Dabei war die Bildberichterstattung stark der Zensur unterworfen. Alle Kriegsparteien hatten zu Beginn oder während des Kriegs eigene Presse- oder Propagandabüros eingerichtet. Die Kriegsberichte und die Fotografien wurden extrem für propagandistische Zwecke eingesetzt; viele Bilder von der angeblichen Front waren zudem gefälscht bzw. in der Heimat nachgestellt worden. Der Krieg war also auch zu einem Medienkrieg geworden. Andererseits blieben die Kriegsaufnahmen nicht mehr auf Bildjournalisten, Fotografen und Propagandaabteilungen beschränkt. Einige Soldaten besaßen inzwischen Kleinbildkameras und dokumentierten ihre Kriegserlebnisse mit eigenen Fotoapparaten.
Künstlerische Strategien bei der Aneignung von fotografischen Bildern im Kontext der Digitalisierung
(2019)
Es erscheint zunächst nur konsequent, wenn einige Künstler*innen sich heute entschließen, auf die Herstellung eigener Fotografien gänzlich zu verzichten, und sich gleich aus dem globalen Pool von Bildern bedienen, um diese dann zu verfremden, zu collagieren und neu zu kontextualisieren. Sie überspringen den Schritt der Bilderstellung und gehen gleich zur Realisation (und Vermarktung) szenischer oder ornamentaler Ideen über.
Jeder Fotograf – Laie wie Profi – wird unter diesen Bedingungen mit seinen Bildern im Netz zum Materiallieferanten, der zuweilen auch den Künstlern im Atelier zuarbeitet, wenn diese die Bildrechte im Sinne der Kunstfreiheit außer Kraft zu setzen wissen. Die Praktiken der originalen Bildherstellung entfallen so zugunsten der Operationen an vorhandenen Bildern. Das Studio wird zum Post-Studio. Diesen Arbeitsraum gilt es, im Folgenden genauer zu untersuchen. Es handelt sich im Gegensatz zum konkreten, stillen Raum um eine Virtual Reality, die ihrerseits von immateriellen, selbstaktiven Prozeduren bestimmt wird.
Symbolisch für die menschliche Hoffnung auf eine sichere Landung schaut der kleine Hund in den Himmel (Abb. 1). In der „Parachutes-Number“ vom März 1937 brachte „Life“ einen dreiteiligen Bildbeitrag über den Fallschirmsport. Neben Titelbild und -story von Margaret Bourke-White wurde Agenturmaterial für den beim damaligen Publikum so beliebten „Thrill“ verwendet. Mit dem Bild vom deutschen Dachshund hinterließ Kurt Korff einen Nachweis seiner Beratungsarbeit für das amerikanische Magazin.
Kontrollverlust
(2020)
Sie habe versucht, das Bild unsichtbar zu machen, gestand die Fotografin Nina Berman 2016 in einem Vortrag über ihr Hochzeitsfoto einer jungen Frau mit einem schwer verletzten Veteranen aus dem Irak-Krieg: „It’s a very strange thing”, so Berman, „to have fought really hard in my career to make a story known about a subject that people were trying to hide, which is the human cost of war, and then feeling that I need to keep this picture, which I know is a very powerful picture, under wraps because for me the viral experience was very crass.“
Kommerzielle Bildanbieter entledigen sich zunehmend ihrer analogen Fotoarchive. Dabei geht es nicht selten um Millionen von Fotografien. Angesichts dieser Entwicklung stellt sich die Frage, wie es bei solchen Anbietern um die Wertschätzung ihres analogen Fotoerbes steht. Die Antwort scheint entsprechend einfach zu sein: Solche Bestände werden gering geschätzt. Die Fotoarchive werden abgegeben oder gar vernichtet, weil sie für ihre Besitzer mehr Verlust als Profit einbringen. In manchen Fällen übernehmen öffentliche Gedächtnisinstitutionen wie Archive, Museen und Bibliotheken die Bestände und widmen sie von Gebrauchs- zu historischen Fotoarchiven um. Dies hat im Zusammenspiel mit der allgemeinen Digitalisierung der Fotografie das Bewusstsein für die Historizität alter Pressefotografien und damit für ihren kulturellen sowie wissenschaftlichen Wert geschärft. Die einst massenhaft für den Verkauf hergestellten Gebrauchsbilder gelten heute als zeithistorische Dokumente. In der medialen Öffentlichkeit wird vollmundig vom »visuellen« oder vom »fotografischen« Gedächtnis eines ganzen Landes geschrieben.
Ziel meines Forschungsprojekts ist es, Kolonialfotografien von Menschen und Landschaften Kameruns, die zur Zeit des Deutschen Kaiserreichs produziert wurden, zu untersuchen. Vor dem Hintergrund der aktuellen – nicht nur in Deutschland – geführten Debatten über das unzureichend aufgearbeitete „Erbe“ des Kolonialismus ist dieses Thema von hoher Aktualität. Die Vielfalt deutscher Kolonialbilder zu Kamerun ist Ausgangspunkt des Forschungsprojekts. Im Mittelpunkt steht die Untersuchung der Rolle kolonialer Bilder in der Vermittlung anthropologischen Wissens über Menschen fremder Herkunft im Kontext europäischer bzw. deutscher Kolonialherrschaft.
Kollegen bei der Arbeit. Die Fotografien von Günter Franzkowiak zwischen Schilderung und Portrait
(2019)
Innerhalb des weit gefächerten Feldes der auf sozialdokumentarische Inhalte ausgerichteten Fotografie nimmt der Bereich der Arbeiterfotografie einen umfangreichen, häufig politisch und sozialkritisch motivierten eigenen Bereich ein. Vor allem im Zuge der fortschreitenden Industrialisierung und der Wirtschaftskrise zwischen den beiden Weltkriegen im 20. Jahrhundert entwickelte sich die authentisch von Arbeitern fotografierte Arbeitswelt mit ihren Schilderungen von Produktions- und Arbeitsbedingungen zu einem auch agitatorisch eingesetzten eigenen Bereich der Fotografie. Von der beschreibenden Darstellung bis hin zu über Missstände aufklärenden Gesichtspunkten gehört die Arbeiterfotografie bis heute zu wichtigen bildjournalistischen Inhalten.
Eines seiner wohl berühmtesten Bilder ist zur Ikone geworden – zu einem jener Bilder, in denen Vergangenheit und Zukunft ineinander fallen: der gealterte Nelson Rolihlahla Mandela, der mit tiefen Falten und ergrautem Haar aus dem mit massiven Gitterstäben versehenen Fenster schaut. Den rechten Ellenbogen hat Mandela auf die Fensterbank gelegt, auf seiner linken Brusttasche fällt ein Emblem ins Auge. Das Bild ist 1994 entstanden. Offiziell ist Südafrika ein freies Land, und Mandela ist für das Foto in die Zelle auf Robben Island zurückgekehrt, in der er 18 seiner insgesamt 27 Jahre in Haft verbrachte. Der Fotograf Jürgen Schadeberg erinnert sich: „This was where he studied, did pushups and reflected on the goal of the liberation of his people. He looked out of the bars and when he thought I had finished taking pictures, relaxed somewhat, and turned around to smile.“ Die Photographers‘ Gallery in London hat dieses Foto als eines der fünfzig prägendsten Bilder des 20. Jahrhunderts gewählt.
Das Journalisten-Netzwerk n-ost existiert seit 15 Jahren mit Sitz in Berlin-Kreuzberg und hat sich gegründet, um die deutsche und westeuropäische Berichterstattung über Osteuropa zu verbessern. Inzwischen initiiert die Medien-NGO verschiedene Projekte zu grenzübergreifenden europäischen Themen zu Auslandsberichterstattung und Medienkompetenz mit Schwerpunkt im östlichen Europa. Ganz aktuell startet gerade die monatliche Newsletter Publikation EUROPEAN IMAGES mit einem fotografischen Schwerpunkt. Der Fotograf Stefan Günther hat nach einem Design-Studium und freiberuflicher fotografischer Tätigkeit den Bildbereich von n-ost seit 2012 aufgebaut. Nach dem russischen Überfall auf die Ukraine am 24. Februar 2022 verfolgt er intensiv die Bildberichterstattung dazu und steht in engem Austausch mit Fotograf:innen aus dem Kriegsgebiet. Im Gespräch mit Christine Bartlitz stellt Stefan Günther auf Visual History das Journalisten-Netzwerk n-ost vor und gibt einen Einblick in seine Arbeit und die aktuellen Entwicklungen.
Joseph und Helene am 1. Mai?
(2024)
Auf dem vorliegenden Bild posiert Joseph vor einem Lastwagen. Helene schaut zusammen mit einem Kind aus der Fahrerkabine in die Kamera. Auf der Ladefläche stehen weitere Kinder sowie eine abgeschnittene größere Person. Die Abgebildeten tragen weiße Hemden und einige der Kinder auch weiße Hüte – sie wirken aufgeregt. Mindestens zwei der Kinder halten kleine einfarbige Fahnen in ihren Händen.
Als Industriefotograf ist uns Herbert List (1903-1975) praktisch nicht geläufig. Wir kennen seine hervorragenden Porträtfotografien, so von den Malern Chagall, Braque, Miró und Picasso, seine journalistischen und künstlerischen Arbeiten wie „Licht über Hellas“ und viele Aufnahmen für die Bildagentur „Magnum“.
Industrieaufträge im engeren Sinne sind nur für die Phoenix-Gummiwerke in Hamburg und die August Thyssen-Hütte (ATH) nachgewiesen. In vier Kampagnen hat List 1954 bis 1959 in Duisburg-Hamborn dieses Werk fotografiert. Jetzt hat das ThyssenKrupp Konzernarchiv diesen exzeptionellen Fundus wiederentdeckt und zeigt ihn bis 31. Juli 2014 in einer Ausstellung im Foyer der Hauptverwaltung von ThyssenKrupp Steel Europe in Duisburg.
Das Genre der Arbeiterfotografie erlebte, nachdem sie eine erste Hochphase in der Weimarer Republik erfahren hatte – in jenen Jahren oftmals mit deutlich agitatorischem, propagandistischem Hintergrund –, in der jungen Bundesrepublik eine zweite Blüte, wenn auch unter ganz anderen Vorzeichen. Warum das so war, brachte der Industriefotograf Peter Keetman rückblickend anschaulich auf den Punkt. Als er 1953 nach Wolfsburg reiste, um für drei Tage ganz ohne Auftrag, aber mit Erlaubnis der Werksleitung im Volkswagenwerk zu fotografieren, erlebte er, wie er viele Jahre später sagen sollte, die „aufregendsten Tage in meinem langen Berufsleben“ – und dies nicht ohne Grund: „Es gab keine Einschränkungen, keine Tabus. Ich war auf einmal frei, niemand befahl mir, was ich zu tun hatte. Unglaublich.“ Seine damals entstandenen Aufnahmen zählen heute zu den Klassikern der Industriefotografie, sie markieren Gijs van Tuyl zufolge einen „Meilenstein“ in deren Entwicklung.
Im Sommer 1940 kam es in Moskau zu einer denkwürdigen Begegnung. Stalin hatte erfahren, dass sein Jugendfreund, Sergei Kawtaradze, verhaftet und in ein Lager gebracht worden war. Als er davon hörte, erteilte er die Anweisung, den Freund zu entlassen und ihm eine Wohnung in Moskau zu verschaffen. Eines Abends überkam Stalin das Bedürfnis, ihn zu besuchen. Er befahl seinen Geheimdienstchef zu sich, den Georgier Lawrentij Berija, und gemeinsam fuhren sie zu Kawtaradze. Sie klingelten an der Wohnungstür, und eine Frau, die sich mit den Kawtaradzes die Behausung teilte, öffnete die Tür. Als sie den Diktator und seinen Gehilfen im Hausflur stehen sah, geriet sie außer Fassung. Sie stolperte und fiel rückwärts in den Flur. Berija fing sie auf und sagte: »Warum haben Sie denn Angst vor dem Vater der Völker?« Die Frau antwortete: »Ich dachte, dass das Portrait Stalins auf mich zukommt.«
Wie auch immer Geschichtsausstellungen heißen mögen, ob Aufbruch zur Freiheit oder Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941 bis 1944, sie haben ein gemeinsames Problem: Sie wollen Geschichte darstellen. Die Frage, ob Geschichte überhaupt ausstellbar ist, beziehungsweise unter welchen Bedingungen Geschichtsausstellungen möglich sind, ob es sich um Rekonstruktionen handelt, um Modelle von Geschichte, sind Fragen, die selten zur Sprache kommen.
Gegenbilder
(2020)
Wo Worte gesprochen werden, gibt es meist auch Widerworte. Wo Erzählungen gesponnen werden, formen sich Gegen-Narrative. Und so gibt es selbstverständlich zu bildlichen Aussagen auch Gegen-Bilder: Bilder, die in Form, Inhalt und Gebrauch auf andere Bilder reagieren, indem sie diese in Frage stellen oder ihnen widersprechen. Bilder, die als generative Kräfte im historischen Prozess wirken. Oder aber Bilder, die marginalisiert beziehungsweise gar nicht gezeigt wurden und erst zu einem späteren Zeitpunkt ein bislang herrschendes Narrativ in Frage stellen können.
Friedrich Klinsky wurde 1925 in Wien geboren und starb dort im Jahr 2002. Als Zehnjähriger begann er sich für Fotografie zu interessieren, war mit einem billigen Apparat unterwegs und entwickelte in der elterlichen Küche die ersten Bilder selbst. Er hatte bei einem Fotografen einer befreundeten Familie zusehen dürfen. Der Besuch der Höheren Graphischen Bundes-Lehr- und Versuchsanstalt blieb ihm aus Geldmangel verwehrt. Er begann als 17-Jähriger wahrscheinlich eine Lehre als Fotolaborant in der Gaulichtbildstelle der Nationalsozialistischen Volkswohlfahrt (NSV), die er aufgrund einer Lungen-Krankheit bereits nach einem Jahr wieder abbrechen musste. Nach 1945 gelang es ihm, bei diversen Fotoagenturen sowie bei den Tageszeitungen „Bild-Telegraph“, „Express“, „Kurier“ und „Wochenpresse“ seine Arbeit als Fotograf fortzusetzen. Friedrich Klinsky war vierzig Jahre lang von 1946 bis zu seiner Pensionierung 1984 als Pressefotograf in Österreich tätig.