Fotografie
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Im Sommer 1940 kam es in Moskau zu einer denkwürdigen Begegnung. Stalin hatte erfahren, dass sein Jugendfreund, Sergei Kawtaradze, verhaftet und in ein Lager gebracht worden war. Als er davon hörte, erteilte er die Anweisung, den Freund zu entlassen und ihm eine Wohnung in Moskau zu verschaffen. Eines Abends überkam Stalin das Bedürfnis, ihn zu besuchen. Er befahl seinen Geheimdienstchef zu sich, den Georgier Lawrentij Berija, und gemeinsam fuhren sie zu Kawtaradze. Sie klingelten an der Wohnungstür, und eine Frau, die sich mit den Kawtaradzes die Behausung teilte, öffnete die Tür. Als sie den Diktator und seinen Gehilfen im Hausflur stehen sah, geriet sie außer Fassung. Sie stolperte und fiel rückwärts in den Flur. Berija fing sie auf und sagte: »Warum haben Sie denn Angst vor dem Vater der Völker?« Die Frau antwortete: »Ich dachte, dass das Portrait Stalins auf mich zukommt.«
Fotografien haben für die historische Forschung zunehmend an Bedeutung gewonnen. Dienten sie vormals zumeist der Textillustration, werden sie inzwischen als eigenständige historische Quellen ernstgenommen. Die einschlägigen Publikationen, die sich entweder theoretisch mit der Visual History auseinandersetzen oder aber an konkreten Beispielen sich bildhafter Quellen annehmen, sind kaum mehr zu überblicken. Eine Gemeinsamkeit ist dabei: Nicht mehr nur der Bildinhalt spielt für die Geschichtswissenschaft eine Rolle; gefragt wird auch nach dem Entstehungskontext, der Überlieferung und der Rezeption der Bilder. Damit gerät zugleich die bisher übliche Aufbewahrungspraxis der Fotografien im Archiv in den Fokus: Die meist thematische Ordnung der Materialien lässt häufig keine Rückschlüsse auf diese neuen Fragen zu.
Vom 24. April bis zum 1. August 2015 zeigt die Staatsbibliothek zu Berlin, unterstützt von Bertelsmann, die Ausstellung „Last Folio. Spuren jüdischen Lebens in der Slowakei“. 32 großformatige Fotografien des slowakisch-kanadischen Fotografen Yuri Dojc sind im Foyer der Staatsbibliothek in der Potsdamer Straße arrangiert. Die britische Filmemacherin Katya Krausova hat die Ausstellung kuratiert.
Ob das Foyer der geeignete Ort ist, um die Bilder in Ruhe zu betrachten und auf sich wirken zu lassen, sei dahingestellt – auf jeden Fall muss man an ihnen vorbei. Auf dem Weg zur Ausleihe nimmt man sie zunächst nur aus den Augenwinkeln wahr. Auf dem Rückweg jedoch überwiegt die Neugier. Was ist auf den Bildern eigentlich zu sehen? Verlassene Räume, Bücher, die sich auflösen – nicht alles lässt sich sofort zuordnen.
Anfang 2014 konnte der rund 50.000 Aufnahmen umfassende Nachlass des Fotografen Wolfgang G. Schröter (1928–2012) zusammen mit zahlreichen Arbeitsabzügen, Belegexemplaren, der Handbibliothek und biographischen Dokumenten von der Deutschen Fotothek für das »Archiv der Fotografen« übernommen werden. Schröter gehörte zu den paradigmatischen Ausnahmefotografen der frühen DDR. Unter Nutzung der Methoden von Wissenschafts- und experimenteller Fotografie entwickelte er eine eigene Bildsprache, die avantgardistische internationale Fotografie-Entwicklungen aufgriff, ohne diese zu imitieren. Schröters frühe farbfotografische Experimente wurden 1977 im Zuge der Nobilitierung der Fotografie als künstlerisches Medium in der Hallenser Ausstellung »Medium Fotografie« gewürdigt. Bis heute werden seine Aufnahmen in zahlreichen Einzel- und Gruppenausstellungen gezeigt.
Albert Gehring, ein 1897 geborener Einwohner des Ortes Ditzingen, setzte in den 1920er- und 1930er-Jahren das Kleinstadtleben seiner schwäbischen Heimat ins Bild. Besonders häufig findet sich im Konvolut von rund 1.000 Glasplattennegativen das Motiv des Festumzuges und damit eines Elements von Festkultur, welches oft als die Grundform nationalsozialistischen Kultes und als erfolgreiches Mobilisierungsinstrument beschrieben worden ist. Gehrings Fotografien ermöglichen am lokalen Beispiel eine differenzierte Perspektive auf die Aushandlungs- und Aneignungsprozesse in der Praxis der Festumzüge. Haben sich die äußere Form der Umzüge, ihre Symbolik und Choreographie – also das, was sie zu vermitteln suchten – mit der nationalsozialistischen Machteroberung von 1933 verändert? Und ging mit diesem möglichen Wandel auch eine veränderte Visualisierung durch Albert Gehring einher? Im Fokus stehen damit fotografische Positionen zu der sich wandelnden Festpraxis des Umzuges: Die Ordnung des Bildes wird in ein Verhältnis zur Ordnung des Festes gesetzt, um Erkenntnisse über die Rolle von Fotografie in Prozessen von Mobilisierung und Partizipation an der Schwelle zur NS-Diktatur zu erlangen.
Modeled after the Soviet propaganda magazine SSSR na stroike (›USSR in Construction‹, published 1930–1941, 1949), the Japanese overseas propaganda photo magazine FRONT (1942–1945) provided visual propaganda for the so-called ›Greater East Asia Co-Prosperity Sphere‹, a concept that was proclaimed in 1940 and served to disguise Japan’s quest for hegemony in Asia. Employing the aesthetics of Russian Constructivism and Socialist Realism of SSSR na stroike, FRONT created a visual aesthetic that could be termed Japanese Co-Prosperity Realism. Its dynamic and modernistic design was a transculturally inspired practice by Japanese photographers, graphic designers, journalists and producers of visual media, some of whom had been left-wing intellectuals or had lived and worked in the Soviet Union. In a comparative perspective, this paper carves out the political, cultural and gendered semantics of the (in)visibility of power, political religion and ethnic diversity that such aesthetics entailed. It explores some of the shifting backgrounds against which photographic techniques were enacted, from their avant-garde beginnings to their application in authoritarian regimes.
Als der Verfasser dieses Textes 2009 seine Dissertation abschloss, lagen insgesamt 49 World Press Photos of the Year vor. Seit 1955 waren sie durch eine in den Niederlanden ansässige Stiftung mit unablässigem Einsatz aus der immer größer werdenden Flut von Einsendungen herausdestilliert worden. Dass 2014 mehr als 5000 professionelle Fotografen rund 100.000 Fotos zur Begutachtung einsandten, illustriert den enormen Stellenwert dieses eigentlich impertinenten Preises. Steht es einem Foto tatsächlich zu, das Pressefoto des Jahres zu sein? Kann es in seiner endlichen Anzahl von Bildelementen die theoretisch unendliche Komplexität eines Jahres dahingehend verdichten, einen absoluten Bezugspunkt in der retrospektiven Betrachtung seiner Zeit zu verankern? Und lassen sich darüber hinaus überhaupt nachvollziehbare Maßstäbe für die Wahl eines Pressefotos des Jahres formulieren, die sich zumindest nachträglich aus der Analyse des Materials ableiten lassen?
In 1967, an exhibition opened in East Berlin that proposed, through an overload of images, to unite the histories of the Soviet Union and the GDR, and to confront international photography exhibitions produced in the United States and West Germany. More than the design principles and methods of this show, entitled Vom Glück des Menschen or On the Happiness of People, directly connect it with Edward Steichen’s The Family of Man exhibition, first presented at MoMA in New York in 1953. Its original title was in fact The Socialist Family of Man, and its designers addressed Steichen’s show directly with a scathing critique that echoes the critical discourse in general around The Family of Man. Ultimately, and despite the acknowledged relationship of the exhibition to its Western model, Vom Glück des Menschen also departed from it, crafting a narrative through photographs specifically designed for a socialist society under construction.
In der Volksrepublik Ungarn erschien seit 1986 auf Initiative des Zentralkomitees der Ungarischen Sozialistischen Arbeiterpartei (MSZMP) sowie des Politbüros die Publikumszeitschrift »Képes 7« (»Bebilderte Woche« oder »Die bebilderten Sieben«), die den Lesern als Vorzeigeprojekt der modernen sozialistischen Magazingestaltung angekündigt wurde. Anhand des turbulenten ersten Erscheinungsjahrs von »Képes 7« werden unterschiedliche Praktiken des Umgangs mit Fotografien beleuchtet. Wie sah die bislang kaum untersuchte sozialistische Bildpolitik bzw. Bildlenkung im Alltag aus? Die Bandbreite der Haltungen und Handlungen der Akteure reichte von der Übernahme von Fotos aus westlichen Zeitschriften (»Scherenarbeit«) über die Produktion eigener Reportagen bis hin zu massiven Konflikten um einzelne Bilder oder Themenfelder. Näher betrachtet werden Personen und Institutionen, die am Prozess der Bilderzeugung und massenwirksamen Verbreitung beteiligt waren. Der Aufsatz stützt sich auf die veröffentlichten Ausgaben von »Képes 7«, auf zeitgenössisches Archivmaterial sowie auf eigene Interviews mit ausgewählten Akteuren.
Kommerzielle Bildanbieter entledigen sich zunehmend ihrer analogen Fotoarchive. Dabei geht es nicht selten um Millionen von Fotografien. Angesichts dieser Entwicklung stellt sich die Frage, wie es bei solchen Anbietern um die Wertschätzung ihres analogen Fotoerbes steht. Die Antwort scheint entsprechend einfach zu sein: Solche Bestände werden gering geschätzt. Die Fotoarchive werden abgegeben oder gar vernichtet, weil sie für ihre Besitzer mehr Verlust als Profit einbringen. In manchen Fällen übernehmen öffentliche Gedächtnisinstitutionen wie Archive, Museen und Bibliotheken die Bestände und widmen sie von Gebrauchs- zu historischen Fotoarchiven um. Dies hat im Zusammenspiel mit der allgemeinen Digitalisierung der Fotografie das Bewusstsein für die Historizität alter Pressefotografien und damit für ihren kulturellen sowie wissenschaftlichen Wert geschärft. Die einst massenhaft für den Verkauf hergestellten Gebrauchsbilder gelten heute als zeithistorische Dokumente. In der medialen Öffentlichkeit wird vollmundig vom »visuellen« oder vom »fotografischen« Gedächtnis eines ganzen Landes geschrieben.