1940er
Refine
Year of publication
- 2008 (15)
- 2011 (11)
- 2006 (10)
- 2005 (9)
- 2004 (8)
- 1999 (7)
- 2018 (7)
- 2009 (6)
- 2010 (6)
- 2012 (6)
- 2017 (6)
- 2007 (5)
- 2015 (5)
- 1993 (4)
- 1995 (4)
- 2014 (4)
- 2022 (4)
- 2024 (4)
- 2013 (3)
- 2016 (3)
- 2019 (3)
- 2020 (3)
- 2021 (3)
- 1997 (2)
- 2001 (2)
- 2002 (2)
- 2003 (2)
- 1981 (1)
- 1984 (1)
- 1988 (1)
- 1989 (1)
- 1992 (1)
- 1994 (1)
- 1996 (1)
- 1998 (1)
- 2023 (1)
Document Type
- Journal Article (78)
- Part of a Book (46)
- Book (18)
- Online Publication (11)
Language
- German (153) (remove)
Keywords
- Deutschland (DDR) (5)
- Begriffe (3)
- Deutschland (3)
- Nationalsozialismus (3)
- Deutschland (Bundesrepublik) (2)
- Geschichte 1946-1970 (2)
- Sozialistische Einheitspartei Deutschlands (2)
- Zensur (2)
- 750 Jahre Berlin (1)
- Agrargesellschaft (1)
Von den Nürnberger Wirtschaftsprozessen bis zu den Verhandlungen um Zwangsarbeiterentschädigungen - deutsche Konzerne haben stets versucht, das öffentliche Bild von ihrer NS-Vergangenheit selbst zu prägen. Sebastian Brünger untersucht nun erstmals die Kontinuitäten und Brüche dieser Vergangenheitsbearbeitung seit 1945. An vier Beispielen (Bayer, Deutsche Bank, Daimler und Degussa) erörtert er Strategien und Formen unternehmerischer Vergangenheitsbearbeitung und analysiert sie im Kontext von Öffentlichkeit, Politik und Wissenschaft ihrer jeweiligen Zeit.
Brünger zeigt, wie Unternehmen die Veränderungen der deutschen Geschichtskultur nachvollzogen bzw. mitbestimmten, während konkrete Rollenbilder wie etwa das vom »anständigen Kaufmann« weiter tradiert und Forschungsaufträge an Historiker zunehmend zu einem wichtigen Imagefaktor wurden. Damit erweitert Brünger den gedächtnisgeschichtlichen Blickwinkel auf die deutsche Geschichtskultur um die Dimension der Unternehmensgeschichte und begreift Unternehmen als Akteure des kulturellen Gedächtnisses.
Alle ausgestellten 100 Werke aus der israelischen Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem eint, dass sie im Augenblick der Verfolgung entstanden und nicht retrospektiv nach dem Ende des Krieges oder im Abstand von Jahrzehnten auf die Ereignisse blicken. Jedes Bild vereint drei Ebenen in sich, die die Bildtexte zu verbinden suchen: das Dargestellte, den Darstellenden sowie die Überlieferung des Werkes. Der hervorragende Katalog analysiert zudem Text, Kontext und Subtext der Bildinhalte. Zugleich geht die Ausstellung auf einer weiteren Ebene auch der Frage nach, wie unter den Umständen von Lager und Ghetto das Material für das Anfertigen der Kunstwerke beschafft werden konnte. Gemalt wurde auch auf Kartoffelsäcken und auf Watteverpackungen; für Linolschnitte wurden alte Reifen verwandt. Doch die meisten Werke sind auf Papier meist minderer Qualität entstanden und deshalb konservatorisch heikel. Überlebt haben die verbotenen Bilder in Tongefäßen oder anderen Verstecken.
Auch der 2014 veröffentlichte Comic „Irmina“, um den es hier gehen soll, entworfen und gezeichnet von der Berliner Comic-Autorin Barbara Yelin, behandelt eine Familiengeschichte im Deutschland der 1930er- und 40er-Jahre. „Irmina“ basiert auf Tagebüchern und Briefen ihrer Großmutter, auf die die Autorin vor einigen Jahren gestoßen ist. Wie nah die Geschichte sich an diesen Aufzeichnungen orientiert, bleibt offen, deutlich wird aber, dass dem Buch ausführliche historische Recherchen zugrunde liegen. Dabei nutzt Yelin, wie ich darlegen möchte, genau jene Potenziale des Comics, die das Medium für die Geschichtsschreibung bereithält.
Bildagenturen, die zwischen Fotografen und Redaktionen vermitteln, sind zentrale Akteure bei der Produktion massenmedialer Sichtbarkeit. Ihre Rolle im System der NS-Bildpropaganda ist weitgehend unerforscht. Der Aufsatz widmet sich einem brisanten Spezialfall, der amerikanischen Associated Press und ihrer Niederlassung im Deutschen Reich. 1935 unterstellte sich die deutsche AP GmbH dem Schriftleitergesetz und ließ sich damit »gleichschalten«. Bis zum Kriegseintritt der USA im Dezember 1941 hatte sie eine eminente Bedeutung als transatlantischer Bildlieferant für die nationalsozialistische Propaganda. Außerdem durfte AP weiterhin im Deutschen Reich produzieren. Die von der Agentur unter der Ägide des Propagandaministeriums, der Wehrmacht und der SS aufgenommenen Fotos bestückten die NS-Presse, aber die New Yorker AP-Zentrale stellte sie auch der nordamerikanischen Presse zur Verfügung, wo sie mal als scheinbar neutrale Nachrichtenbilder erschienen, mal ausdrücklich als Propagandabilder gekennzeichnet wurden.
Unter denen, die vor der NS-Diktatur flüchteten, waren nicht wenige bildende Künstler/innen – so auch die deutsch-jüdische Bauhausfotografin Grete Stern (1904–1999), die 1935/36 nach Argentinien emigrierte. Trotz autoritärer politischer Tendenzen genoss sie dort deutlich mehr künstlerische Freiheit. Während der ersten beiden Amtszeiten des demokratisch gewählten Präsidenten Juan Domingo Perón (1946–1955), der sich vor allem in der staatlichen Kontrolle der Medien an den europäischen Faschismen orientierte, auf den sich wegen seiner Sozialpolitik jedoch auch linksgerichtete Bewegungen beriefen, veröffentlichte Stern in der Zeitschrift »Idilio« (»Idylle«) eine Serie von Fotomontagen. Nach einem Überblick zur peronistischen Kulturpolitik bildet die Einordnung dieser Montagen, die zusammen mit einer Traumdeutungs-Kolumne erschienen, den Schwerpunkt des Aufsatzes. In subtiler Weise kritisierte Stern soziokulturelle Missstände der Zeit. Zu einem ihrer Hauptthemen wurden die Geschlechterbeziehungen – ein Gebiet, auf dem sich das peronistische Regime nicht zuletzt in seiner umfangreichen Bildpropaganda rühmte, tiefgreifende Veränderungen hervorgebracht zu haben.
In den 1920er- und 1930er-Jahren gab es, ähnlich wie heutzutage, auf dem deutschen Zeitschriftenmarkt Modemagazine unterschiedlicher Preisklassen, die sich unter anderem durch die in ihnen präsentierte Mode und Modefotografie voneinander unterschieden. Höherpreisige Magazine wie beispielsweise »die neue linie« (1929–1943, Otto Beyer, Leipzig), »Die Dame« (1911–1943, Ullstein, ab 1937 Deutscher Verlag, Berlin) und »Die Mode« (1941–1943, Otto Beyer, Leipzig) richteten sich an gehobenere Schichten und präsentierten ihrer Leserschaft statt konkreter Bekleidungsvorschläge eher einen »Lebens- und Kleidungsstil«. Die abgedruckten Modefotografien orientierten sich an internationalen Fotostandards und sollten Ausdruck einer »deutschen Hochmode« sein.
Am 8. Mai 2015 jährte sich die bedingungslose Kapitulation der Wehrmacht und damit das Ende des Zweiten Weltkrieges in Europa zum 70. Mal. Dieser Termin ist zugleich der 30. Jahrestag eines gedächtnispolitischen Schlüsselereignisses in der bundesrepublikanischen Geschichte, nämlich der Rede des damaligen Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker (1920–2015) zum 40. Jahrestag des Kriegsendes vor dem Deutschen Bundestag in Bonn. In Nachdrucken, Ton- und Filmaufnahmen bald millionenfach verbreitet und zumal an Schulen intensiv thematisiert, wurde sie anlässlich Weizsäckers Tod zu Beginn dieses Jahres noch einmal nachhaltig im öffentlichen Bewusstsein verankert: Von der »Frankfurter Allgemeinen Zeitung« bis zum »neuen deutschland«, von der LINKEN bis zur CSU – kaum ein Nachruf verzichtete auf eine Würdigung der Rede, als deren normativer Kern seit jeher die Erklärung des im bundesrepublikanischen Gedächtnisdiskurs traditionell umstrittenen 8. Mai 1945 zum ›Tag der Befreiung‹, ein klares Bekenntnis zur Notwendigkeit einer anhaltenden Auseinandersetzung mit dem NS-Regime sowie des Gedenkens an dessen Opfer gelten.
Im Sommer 1940 kam es in Moskau zu einer denkwürdigen Begegnung. Stalin hatte erfahren, dass sein Jugendfreund, Sergei Kawtaradze, verhaftet und in ein Lager gebracht worden war. Als er davon hörte, erteilte er die Anweisung, den Freund zu entlassen und ihm eine Wohnung in Moskau zu verschaffen. Eines Abends überkam Stalin das Bedürfnis, ihn zu besuchen. Er befahl seinen Geheimdienstchef zu sich, den Georgier Lawrentij Berija, und gemeinsam fuhren sie zu Kawtaradze. Sie klingelten an der Wohnungstür, und eine Frau, die sich mit den Kawtaradzes die Behausung teilte, öffnete die Tür. Als sie den Diktator und seinen Gehilfen im Hausflur stehen sah, geriet sie außer Fassung. Sie stolperte und fiel rückwärts in den Flur. Berija fing sie auf und sagte: »Warum haben Sie denn Angst vor dem Vater der Völker?« Die Frau antwortete: »Ich dachte, dass das Portrait Stalins auf mich zukommt.«
Die Besatzung großer Teile Europas in den Jahren des Zweiten Weltkriegs stellte einen tiefgreifenden, häufig krisenhaften Einschnitt in die Normalitätsverhältnisse von 200 Millionen betroffenen Menschen dar. Dennoch hat Besatzung als Erfahrungsgeschichte bisher einen eher geringen Widerhall in der Forschung gefunden, zumal in europäisch-vergleichender Perspektive. Dies ist nicht zuletzt den Begriffen und Konzepten geschuldet, die die Forschung strukturieren. Tatjana Tönsmeyer beleuchtet daher zunächst mit „Widerstand und Kollaboration“ sowie der jüngeren Holocaustforschung zwei einschlägige Interpretationszusammenhänge, bevor sie mit dem Begriff der Besatzungsgesellschaften ein eigenes konzeptionelles Angebot formuliert. Besonderes Augenmerk gilt dabei den Akteur/innen sowie ihren Handlungsoptionen in Interaktion mit den Besatzern.
Brasiliens Moderne 1940-1964
(2014)
Seit dem 27. September 2013 ist im Berliner Museum für Fotografie die Ausstellung Brasiliens Moderne 1940–1964 mit Arbeiten der Fotografen José Medeiros, Thomaz Farkas, Marcel Gautherot und Hans Gunter Flieg zu sehen. Nun ist, etwas verspätet, auch der von Ludger Derenthal und Samuel Titan Jr. herausgegebene Katalog zur Ausstellung im Bielefelder Kerber-Verlag erschienen. Der Band dokumentiert einen Teil der in der Ausstellung gezeigten Fotografien, ergänzt durch einen einleitenden Beitrag, vier werkbiografische Texte über die vorgestellten Fotografen und einen Katalogteil.
Angesichts der kaum zu überschätzenden Bedeutung von Bildern für die Erinnerung und insbesondere von Fotos für das »Erscheinungsbild« der jüngeren Geschichte ist es frappierend, dass das Bildgedächtnis zur Zwangsmigration der Deutschen aus dem Osten am Ende des Zweiten Weltkriegs und in seinem Gefolge bislang kaum Beachtung gefunden hat. Erst in den letzten Jahren haben einige Historikerinnen und Historiker auf diese wichtige Forschungslücke hingewiesen und versucht, sich den kollektiven Bilderwelten von Flucht und Vertreibung anzunähern. Bislang wurden dabei insbesondere zentrale Bildmotive von ikonischer Qualität eruiert – wie der Flüchtlingstreck und das Mutter-Kind-Motiv –, ihre politisierten Entstehungskontexte untersucht und ihr strategischer Gebrauch in der Vertreibungserinnerung bestimmt.
„Volksgemeinschaft”
(2014)
„Volksgemeinschaft”, wie sie vom NS-Regime propagiert worden ist, hat es als soziale Wirklichkeit nicht gegeben. Nicht in der Feststellung eines sozialen Ist-Zustandes, sondern vielmehr in der Verheißung, in der Mobilisierung lag die politische Kraft. Michael Wildt plädiert in seinem Beitrag dafür, den Begriff der „Volksgemeinschaft“ praxeologisch zu verstehen und nach den Praktiken ihrer Herstellung zu fragen. In dieser analytischen Perspektive bildet „Volksgemeinschaft” keine festgefügte soziale Formation, sondern wäre vielmehr als soziale Praxis zu untersuchen.
Diktaturenvergleich
(2014)
Komparative Verfahren gehören inzwischen auch in der Geschichtswissenschaft zum selbstverständlichen methodischen Handwerkszeug. Detlef Schmiechen-Ackermann zeichnet in seinem Beitrag frühe Etappen der Diktaturforschung und des Vergleichs im internationalen Maßstab nach und fragt, warum vergleichende Betrachtungen von Diktaturen in öffentlichen Debatten in der Vergangenheit so umstritten waren. Daran schließen sich Überlegungen zur Methodik und zu den unterschiedlichen Varianten des „Diktaturenvergleichs“ an sowie ein knapper Ausblick auf die sich wandelnden Perspektiven vergleichender Diktaturforschung im 21. Jahrhundert.
Der Schlaf scheint auf den ersten Blick eine „anthropologische Konstante“ zu sein. Eine Historisierung der Regeln und Praktiken des Schlafs im 20. Jahrhundert kann jedoch zeigen, wie eng Vorstellungen vom „richtigen“ Schlafen an die Machtstrukturen der Gesellschaft geknüpft waren. Dieser Artikel geht der Frage nach, auf welche Weise Arbeitgeber, Sozialplaner, Ärzte und Psychologen auf den Schlaf und damit auf den Körper, die Arbeitskraft und die Zeit des Individuums zuzugreifen versuchten. Anhand von fachwissenschaftlichen Veröffentlichungen und Diskussionen, aber auch von populären Ratgebertexten wird in einem ersten Schritt untersucht, wie und warum der Rhythmus des Schlafs seit Ende der 1920er-Jahre zu einem stark beachteten Thema wurde. In einem zweiten Schritt geht es um die Veränderungen, die der Zweite Weltkrieg im Umgang mit dem Schlaf bewirkte. In einem dritten Schritt wird der entscheidende Bruch in der Mitte der 1950er-Jahre untersucht, der das schlafende und arbeitende Individuum zum Gegenstand einer modernen Schlafforschung und neuer Schlafregeln machte.
Der Aufsatz entwirft eine Zeitgeschichte der Vorsorge, die sich für den hygienepolitischen Übergang von Praktiken der Intervention und Krisenbewältigung zu Praktiken der Prävention interessiert. Am Beispiel der Pestvorsorge in der Sowjetunion wird erstens ein Prozess der Institutionalisierung, Professionalisierung und Verwissenschaftlichung dargestellt. Zweitens werden die Eigenheiten des sowjetischen Falls herausgearbeitet. Die dortige Pestbekämpfung war bis in die 1930er-Jahre von Interventionen geprägt, die aus einem Repertoire repressiver, im Kontext der Zwangskollektivierung etablierter Maßnahmen schöpften. Der Umgang mit der Pest war nicht mit Aufklärung verknüpft, sondern mit Geheimhaltung. Die Einrichtung eines Netzwerks wissenschaftlicher Forschungsstätten führte zu einem Wandel im Umgang mit der Seuche. Dies war eingebettet in parallele Diskurse über administrative Grenzen und geographisches Wissen. Der Aufsatz stützt sich auf Quellen aus Staats- und Partei-Archiven in der Russischen Föderation und der Republik Aserbaidschan.
Der Beitrag befasst sich mit dem „Peckham-Experiment“, einem Forschungsprojekt, das in den 1930er- und 1940er-Jahren im „Pioneer Health Centre“ (PHC) durchgeführt wurde, einem Freizeit- und Gesundheitszentrum im Londoner Stadtteil Peckham. Im Fokus der Fallstudie steht die Genese neuen präventionsmedizinischen Wissens und neuer vorsorgebezogener Praktiken. Die beteiligten Experten versuchten, das „natürliche“ Potential von Individuen und die sozialen Beziehungen zwischen Familien zu nutzen, um ein gesundheitsförderliches Verhalten zu stimulieren. Das „Peckham-Experiment“ wird im Kontext der britischen wohlfahrtspolitischen Debatten und der biologisch-medizinischen Theorien seiner Gründungszeit analysiert. Gezeigt wird aber auch, dass der neue, stark auf Selbstverantwortung gerichtete Ansatz des PHC sich zudem aus den spezifischen Herausforderungen der „Laborsituation“ ergab, die im Laufe des Experiments zur Revision interventionistischer Vorannahmen führten. Allerdings waren andere Wissenschaftler skeptisch gegenüber den in Peckham gewonnenen Erkenntnissen. Zudem ließ sich das PHC nicht in den neuen „National Health Service“ integrieren. Beides bewirkte 1950 letztlich die Schließung des Centres.
Am Beispiel von Gustav Krukenberg (1888–1980), der zunächst in den 1920er-Jahren Sekretär des deutsch-französischen „Mayrisch-Komitees“ war, dann 1933 für kurze Zeit den Reichsrundfunk leitete und am Ende des Zweiten Weltkriegs zum „Inspekteur“ der französischen SS-Division „Charlemagne“ wurde, um schließlich in den 1960er-Jahren als führendes Mitglied des „Verbands der Heimkehrer“ für eine deutsch-französische Versöhnung im europäischen Rahmen einzutreten, werden drei verschiedene Typen von Verständigungs- und Europapolitik skizziert, die sich eher einer konservativ-autoritären als einer liberal-demokratischen Europa-Konzeption verdanken. Bei seiner regen Vortragstätigkeit vor allem während der 1960er-Jahre stützte sich Krukenberg auf ein christlich-abendländisches Geschichtsbild, das die Jahre 1933–1945 völlig ausblendete. Die Berufung auf „Europa“ konnte also in sehr unterschiedlichen politischen Konstellationen als verbindendes Stichwort dienen und ermöglichte ein erstaunliches Bewusstsein der Kontinuität.
In der gegenwärtigen Krise europäischer Integration richtet sich der kritische Blick der Historiker auch auf problematische Ursprünge „Europas“ im 20. Jahrhundert, und hier besonders auf die NS-Zeit. Die zeitweilige deutsche Hegemonie über den Kontinent während des Zweiten Weltkriegs, die mit millionenfachen Massenmorden verbunden war, wurde in Teilen der Literatur als Ausdruck antieuropäischer Ideologie und Praxis bezeichnet, die Anwendung des Integrationsbegriffs auf die nationalsozialistische Herrschaftsausübung dagegen scharf kritisiert, ja sogar als „Pseudowissenschaft“ abgetan. Im Kontext des vorliegenden Themenhefts und im Licht neuerer Forschungen soll hier noch einmal gefragt werden, ob und wie sich die Zeit des Nationalsozialismus und besonders des Zweiten Weltkriegs als Teil europäischer Integrationsgeschichte interpretieren lässt.
Die ab 1939 verwirklichten „Großraum“-Pläne der Nationalsozialisten werden mittlerweile auch in der deutschen Zeitgeschichtsforschung als radikale Ausprägung antiliberaler Europakonzepte anerkannt.1 Diese überhaupt als eigenständige europäische Ideen innerhalb politisch konkurrierender Vorstellungen zu behandeln war noch vor zehn Jahren keineswegs gängige Forschungsmeinung. Wenig Aufmerksamkeit wird jedoch nach wie vor den Konzeptionen anderer faschistischer Regimes und Bewegungen zuteil. Diese gerieten im Zuge des Kriegsverlaufs in ein zunehmend konfliktbeladenes Verhältnis zur deutschen Hegemonialmacht, scheiterten gleichwohl weitgehend an der Realität der nationalsozialistischen Herrschaftspraktiken. So steht eine grundlegende Untersuchung der groß angelegten Neuordnungspläne des faschistischen Italiens noch aus.2 In noch stärkerem Maße trifft dies für jene Faschismen im übrigen Europa zu, welche weder vor 1939/40 noch danach unter der deutschen Besatzung die Position eigenständiger Regimes erreichten. Gerade diese Bewegungen entwickelten aber trotz ihres politisch marginalen Einflusses eine beachtliche konzeptionelle Eigenständigkeit und Vielfalt.
Als sich am 16. Dezember 1943 das „Europakränzchen“ im Hotel Esplanade in Berlin traf, eröffnete Hans Kehrl, Chef des Planungsamts im Reichsministerium für Rüstung und Kriegsproduktion, die Sitzung mit einem Rückblick: Er erinnerte an die „Geburt der europäischen Idee [im] Sommer 1940“, bedauerte jedoch, dass die Zusammenarbeit „der europäischen Wirtschaftsgemeinschaft“ immer noch zu wünschen übrig lasse. Diese Europa-Rhetorik ist kein Einzelfall, sondern zeigt sich in zahllosen Dokumenten aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs. Das immense Interesse an einer möglichen ‚Neuordnung‘ Europas im nationalsozialistischen Deutschland fand allerdings in der historischen Forschung nach 1945 zunächst keinen Widerhall. Mittlerweile haben die nationalsozialistischen Europavorstellungen mehr Aufmerksamkeit gefunden; entsprechende Quellensammlungen sind jedoch weiterhin rar. In diesem Beitrag werden mit „Anatomie der Aggression“ von Gerhart Hass und Wolfgang Schumann, „Europa und das 3. Reich“ von Hans Werner Neulen sowie „National Socialist Ideas on Europe“ von Michael Salewski drei relevante Zusammenstellungen erläutert und problematisiert.