Deutschland
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Für Alexander Kluge gibt es keine abgeschlossenen Werke: „Bücher halten nicht still. Sie sind auch nie ‚beendet‘“. So ist es auch im Fall der „Schlachtbeschreibung“ nicht bei der Erstausgabe von 1964 geblieben. Kluge versteht seine Bücher als „work in progress“, als „Baustellen“ und als Produkte einer Sammlertätigkeit, die nicht beendet werden kann. Ein Buch wie die „Schlachtbeschreibung“ ist in diesem Sinne lediglich ein kleiner Teil eines stetig wachsenden und sich immer wieder aufs Neue verändernden multimedialen Netzwerks, das nicht nur literarische Texte umfasst, sondern auch philosophische Arbeiten, Kinofilme und Fernsehmagazine. Bis heute sind nicht weniger als sieben zum Teil sehr stark voneinander abweichende – gekürzte, erweiterte, neu arrangierte und um Abbildungen ergänzte – Ausgaben des Stalingrad-Buchs erschienen. Die vorerst letzte (gedruckte) Überarbeitung stammt aus dem Jahr 2000, als Kluge sein erzählerisches Gesamtwerk, ergänzt durch neu entstandene Texte, unter dem Titel „Chronik der Gefühle“ in einer umfangreichen zweibändigen Ausgabe versammelte. Darin findet sich die „Schlachtbeschreibung“ – als ein Kapitel unter vielen – in einen neuen Zusammenhang gestellt.
Warum wurde eine West-Berliner Großsiedlung weit über die Grenzen der Stadt hinaus zum viel zitierten Beispiel einer fehlgeschlagenen Stadtplanung und sozialer Probleme? In den Jahren um 1970 erschien eine beeindruckende Zahl an Zeitungsartikeln, Filmen und wissenschaftlichen Studien, die sich mit dem Märkischen Viertel befassten – einer Großsiedlung, die von 1963 bis 1974 am nördlichen Stadtrand West-Berlins entstand. Der Aufsatz folgt der diskursiven Herstellung des Viertels als urbaner Problemzone. Er zeigt, wie darin eine Desillusionierung über die urbane Moderne zum Ausdruck kam, die eng verknüpft war mit der Sorge um eine neue Schicht von desintegrierten Randständigen. Durch ihre Forschungs-, Sozial- und Medienarbeit wirkten in erster Linie Angehörige eines linksalternativen Milieus, das in West-Berlin besonders aktiv war, auf die mediale Darstellung des Viertels ein. In ihrem Bemühen, gesellschaftliche Missstände aufzudecken, trugen sie unfreiwillig zu der nachhaltigen Abwertung des Quartiers bei. Dessen Image war verbunden mit der Suche nach alternativen Beschreibungen der »Ränder« der Gesellschaft angesichts einer sich auflösenden traditionellen »Arbeiterklasse«.
Im Gegensatz zu ähnlich gelagerten Ordnungsbegriffen wie „Masse" oder „Klasse", die in der Bundesrepublik nach 1945 relativ schnell aus dem sozialwissenschaftlichen Vokabular wie aus der politischen Sprache und dem Alltagsgebrauch verschwanden, erfreut sich der Elite-Begriff nach wie vor einer großen und sogar zunehmenden Beliebtheit bei Wissenschaftler/innen, Publizist/innen und Politiker/innen. In der politisch-publizistischen Sprache der Bundesrepublik changiert die Bedeutung des Begriffs zwischen Ansprüchen auf den Vorbildcharakter der Eliten-Mitglieder einerseits und der individuellen Leistungsauslese andererseits, während im anglo-amerikanischen Raum die Akkumulation gesellschaftlicher Macht im Vordergrund steht.
„Ich kenne kein publizistisches Mittel, das über 40 Jahre lang so kontinuierlich geführt worden ist und im Grunde fast alle wesentlichen Personen oder Persönlichkeiten aus der ganzen breiten Skala des Lebens gezeigt hat.“ Mit diesen Worten eröffnet Egon Bahr die Begleit-DVD zur Edition „klassischer“ Interviews von Günter Gaus aus den Jahren 1963 bis 1972. Bahr verweist damit bereits auf die beiden zentralen Aspekte des Quellenwertes der Interviews: Zum einen sind Gespräche inhaltliche Dokumente, in denen die Befragten über sich selbst und ihre Positionen Auskunft geben. Zum anderen repräsentieren Gaus’ Gespräche ein besonderes Stück Mediengeschichte. Ganz so bruchlos, wie Bahr suggeriert, verlief die Geschichte allerdings nicht. Daher seien zunächst ein paar Daten zur Entwicklung der Sendereihe genannt.
Obwohl in der deutschen Zeitgeschichte über den Zugang zu politisch sensiblen Akten seit einigen Jahren diskutiert, mit Archiven und Behörden verhandelt oder gar öffentlich gestritten wird, sind die Vorgeschichten, Wege und Umwege dieser Konflikte noch so gut wie unerforscht. Abgesehen von Astrid M. Eckerts weiterhin einschlägiger Studie zum „Kampf um die Akten“ des NS-Staats nach 1945 hat sich die zeithistorische Forschung selten für die politischen, gesellschaftlichen und kulturellen Faktoren interessiert, von denen der Gebrauch staatlichen Schriftguts durch Historiker, Journalisten und Juristen abhing. Wer sich über den Wandel der Nutzungsbedingungen, der Rechtslage und der gesellschaftlichen Nachfrage nach Akten informieren möchte, kann bislang nur auf wenige Spezialstudien zurückgreifen.
In allen Phasen und annähernd allen politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Bereichen der DDR haben die Stiefel der bewaffneten Organe mehr oder minder tiefe Spuren hinterlassen. Wer die DDR in ihrer Komplexität begreifen will, kommt am Faktor Militär nicht vorbei. Das hat vor allem zwei Gründe: Erstens lassen sich die militär- und sicherheitsrelevanten Fragen in der DDR nur unter einem sehr weit gefassten Sicherheitsbegriff analysieren. Dabei müssen die exogenen Faktoren (Lage der DDR an der Nahtstelle des Kalten Krieges, Bedrohungsbild, Bündnisverpflichtungen im Warschauer Vertrag, Schutz der Landesgrenze) stets im Zusammenhang mit den inneren Wirkungskräften gesehen werden, vor allem mit der Herrschaftssicherung des SED-Regimes. Der äußere und innere Kreis sind oft nicht voneinander zu trennen; sie bildeten die Grundlage für ein engmaschiges Netz militärischer und paramilitärischer Strukturen. Zweitens war der Mobilisierungsgrad der Gesellschaft eine bedeutsame Größe. Etwa 400.000 hauptamtliche Mitarbeiter arbeiteten in den bewaffneten Organen der Nationalen Volksarmee (einschließlich Grenztruppen), der Deutschen Volkspolizei, der Transportpolizei, der Zollverwaltung, des Luftschutzes und der Zivilverteidigung, der Kampfgruppen der Arbeiterklasse, der Gesellschaft für Sport und Technik und natürlich des Ministeriums für Staatssicherheit. Jeder zehnte Erwerbstätige wurde in das so genannte „System der Landesverteidigung“ institutionell eingebunden. Gemessen an der Einwohnerzahl gehörte die DDR damit zu den militärisch am stärksten mobilisierten und letztlich auch militarisierten Gesellschaften im Kalten Krieg. Die ideologische Durchdringung reichte von der Leitidee der „Sozialistischen Wehrerziehung“ in Kindergarten, Schule, Berufsausbildung und Universität über die gesteuerte Präsenz in den Medien bis zur historischen Instrumentalisierung des „Antifaschistischen Kampfes“ und der „Befreiung durch die Sowjetarmee“. Qualität und Quantität dieser Vernetzung sind in der deutschen Militärgeschichte einzigartig. Sie machen die DDR zu einem ausgesprochen interessanten, aber auch methodisch schwer zu fassenden Gegenstand der militärhistorischen Forschung.
Am 31. Mai 2022 wurde in Hamburg eine Open-Air-Ausstellung unter dem Titel „Wir hatten ein normales Leben. Ukraine 2006-2022“ eröffnet – zu sehen bis zum 3. Juli 2022. Es ist ein gemeinsames Projekt der Fotograf:innen-Agenturen Focus (Hamburg) und MAPS (Brüssel). Die Landeszentrale für politische Bildung Hamburg ermöglichte die Ausstellung durch ihre Förderung. Das Mahnmal St. Nikolai, Hamburgs zentraler Erinnerungsort für die Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft, stellte den Raum zur Verfügung und unterstützte das Team bei der Ausstellung und beim Rahmenprogramm, das auch in Kooperation mit dem ZEIT-Verlag entstanden ist. Bei der Ausstellung wirkte David Rojkowski als freier Co-Kurator mit.
Die deutsche Filmgeschichte und Leni Riefenstahl (1902-2003), das war immer eine besondere Beziehung. Zum 100. Geburtstag der Regisseurin und dann in den Nachrufen konnte man die Spuren, Nachwirkungen und mitunter auch Fortschreibungen einer über Jahrzehnte geführten Auseinandersetzung feststellen, aber auch das seltsame Phänomen beobachten, dass die politischen Einwände gegen ihre Filme - von „Sieg des Glaubens“ bis „Tiefland“ - deutlich geringer geworden waren. Tatsächlich ist die Rezeption Riefenstahls in der deutschen Öffentlichkeit ein aufschlussreiches Phänomen, denn in ihr sind Konjunkturen und Wendungen zu beobachten, die ebenso viel über allgemeinere Entwicklungen im Verhältnis zur deutschen Geschichte verraten wie über den speziellen „Fall“ Riefenstahl. Dass sich eine Website die Aufgabe stellt, „mit einem Überblick über die Rezeptionsgeschichte von Leni Riefenstahl eine Grundlage für die weitere Auseinandersetzung mit einer der umstrittensten Persönlichkeiten des 20. Jahrhunderts zu geben“, ist daher eine vom Ansatz her verdienstvolle Entscheidung. Allerdings hat es mit dieser Website dann auch eine besondere Bewandtnis - sie ist ein Beleg dafür, dass das Internet nicht selten Relikte und Datenfriedhöfe enthält.
Die Meinungen über das zweibändige, unabgeschlossene Werk des protestantischen Tübinger Kirchenhistorikers gehen auseinander: Für manche ist es eine Meistererzählung, die aufgrund ihrer Brillanz zum Standardwerk avancierte, trotz ihrer mehr als 1.200 Seiten umgehend in englischer Übersetzung erschien und monumentalen Geschichten der NS-Zeit wie jenen von Richard Evans und Hans-Ulrich Wehler zugrundeliegt. Andere sehen darin eine Fülle zugespitzter Thesen, voreiliger Urteile und falscher Zusammenhänge, die sich als nicht stichhaltig erwiesen hätten. Bis heute scheiden sich immer noch die Geister an Klaus Scholders großen Bänden über die Kirchen und das „Dritte Reich“.
Geographisch und kulturell scheint der Nahe Osten von Deutschland weit entfernt zu sein. Historisch betrachtet ist dies ein Trugschluss, denn die dort virulenten Konflikte sind eng verflochten mit der europäischen Kolonialgeschichte, der Geschichte des Nationalsozialismus und der deutsch-deutschen Nachkriegsgeschichte. Im Alltag sind sowohl der Nahostkonflikt als auch Frieden im Kleinen heute in vielfältiger Weise präsent: Während sich in Deutschland antisemitische und antizionistische, aber auch antimuslimische Angriffe häufen, serviert das von einem jüdischen und einem arabischen Israeli gemeinsam betriebene Berliner Restaurant Kanaan im Prenzlauer Berg »Hummus zur Völkerverständigung«. Das von Daniel Barenboim und Edward Said 1999 in Weimar gegründete West-Eastern Divan Orchestra, paritätisch mit israelischen und arabischen Musiker*innen besetzt, existiert nunmehr seit 20 Jahren und hat einen seiner Arbeitsschwerpunkte in Berlin. Unter den Menschen wiederum, die seit Beginn des Bürgerkrieges in Syrien nach Deutschland kamen, sind nicht wenige Nachfahren von Palästinenser*innen, die im Kontext der israelischen Staatsgründung aus dem ehemaligen britischen Mandatsgebiet flüchteten oder vertrieben wurden.
Am 5. August 1974, gegen 20 Uhr am Montagabend, rief ein erboster Zuschauer im Mainzer Sendezentrum des ZDF an. Die laufende Sendung sei eine »Zumutung«, er wolle im Feierabend ein »Programm zur Entspannung«. Gedankliches Abschalten ließ die zweite Episode der monatlich ausgestrahlten, siebenteiligen Reihe »Unser Walter – Spielserie über ein Sorgenkind« offenbar nicht zu. Die Serie porträtierte Walter Zabel, einen Jugendlichen mit Trisomie 21. Derart ablehnende Reaktionen waren aber in der Minderzahl. Nach der Ausstrahlung jedes Teils notierte der ZDF-Telefondienst auf dem Mainzer Lerchenberg stets mehr mitfühlende und interessierte als kritische Rückmeldungen und »Schimpfereien«. Die ZuschauerInnen bekundeten nicht nur ihr Entsetzen über die alltäglichen Ausgrenzungen, denen die Familie Zabel begegnete. Sie befürworteten das Ziel der Serie, in »unserer grausamen Gesellschaft Verständnis für solche Kinder zu wecken«. Andere wollten betroffenen Eltern gar selbst Hinweise über spezielle Anlaufstellen geben, und auch behinderte Menschen griffen zum Telefon, um mit ihren Erfahrungen die fiktionale Handlung zu ergänzen. Nicht zuletzt fragten Eltern von Kindern mit Trisomie 21 nach AnsprechpartnerInnen, beispielsweise nach der Anschrift der in der Sendung genannten Bundesarbeitsgemeinschaft »Hilfe für Behinderte«, einem Dachverband von Organisationen von und für behinderte Menschen (heute: BAG Selbsthilfe). Diese Reaktionen des Fernsehpublikums zeigen, wie sehr sich die Darstellungskonventionen und auch die Wahrnehmungsweisen von Behinderungen in den frühen 1970er-Jahren im Umbruch befanden.
Neuzeitliche Kunstwörter entbehren häufig der Anschaulichkeit und semantischen Eindeutigkeit. Was genau unter gegenwartsbezogenen Kreuz- und Kofferwörtern wie »Bionik«, »Glokalisierung« oder »Stagflation« zu verstehen ist, bleibt im allgemeinen Sprachgebrauch diffus, und nicht anders ergeht es fachsprachlichen Neologismen wie »Demokratur« oder »autolitär« in der Zeitgeschichte. Diese Feststellung gilt in noch höherem Maße für Wortschöpfungen an der Schwelle zur Moderne, die erst nach Auswanderung aus ihrem Fachkontext sprachliche Popularität gewannen, während ihre Ursprungsverwendung sich wieder verlor: Mit Monomanie, Neurasthenie und auch Nostalgie werden in der Medizin pathologische Phänomene im Grenzbereich von Gesundheit und Krankheit bezeichnet, die erst durch die Sprachschöpfung als Krankheit konstituiert wurden und heute als »vergängliche Krankheitskonzepte« gelten, stattdessen aber zeitweilig oder dauerhaft Eingang in die Alltagssprache fanden.
Die Lebensgeschichte des SED-Chefs Erich Honecker (1912–1994) gilt gemeinhin als reizlos. Näheres biographisches Interesse hat bislang vor allem die Frage erweckt, weshalb ein so „mittelmäßiger“ Parteifunktionär sich über 18 Jahre lang in der DDR an der Macht halten konnte. Der Beitrag versucht zu zeigen, dass ein klassischer individualbiographischer Zugang dem Phänomen des „blassen Diktators“ Honecker nicht gerecht wird. Erst in einer milieu- und generationsgeschichtlichen Perspektive wird die biographische Bindungskraft des Herrschaftsstils fassbar, den Honecker als Repräsentant der jüngsten Kohorte der ostdeutschen Gründergeneration entwickelte. Die für ihn charakteristische Verbindung von Starrheit und Elastizität trieb zunächst den Übergang der kommunistischen Herrschaft in ihre auf bloße Machtsicherung bedachte Veralltäglichungsphase voran; später beschleunigte sie den Untergang dieses Systems.
Produktionsjubiläen werden gefeiert, seit es Massenproduktion gibt. Sie sind Selbstdarstellung erfolgreicher Arbeit und Inszenierung gesellschaftlicher Bedeutung, beides in der Hoffnung, dass die quantitative Größe der Produktion in eine qualitative Aufwertung des Produkts umschlägt. Die Form dieser Feiern folgt dabei medialen Vorgaben und ist etwa bei der Großserien-Fertigung von Automobilen direkt mit der Geschichte des Mediums Fotografie verbunden – wie es scheint, mit dessen Aufstieg und Ende gleichermaßen.
Seit den 1960er-Jahren wurden für die Migranten in der Bundesrepublik Radiosendungen und Zeitschriften in ihrer jeweiligen Nationalsprache produziert. Die Entwicklung dieser Medien wurde von weitgreifenden Konflikten geprägt, die sich im Kontext internationaler Auseinandersetzungen um die politische Beeinflussung der so genannten „Gastarbeiter“ entfalteten. Zum einen stand die Gründung und Finanzierung von „Gastarbeitersendungen“ bzw. „Gastarbeiterzeitschriften“ im Rahmen des Kalten Krieges: Die Medien sollten die Zuwanderer vom (befürchteten) Konsum fremdsprachiger Auslandsprogramme abhalten, welche die Ostblockstaaten zu propagandistischen Zwecken ausstrahlten. Zum anderen konnten die meist autoritären Heimatregierungen der Migranten die Kritik nicht dulden, die in den „Gastarbeitersendungen“ zum Ausdruck gebracht wurde. Daraus entwickelten sich schwerwiegende diplomatische und innerdeutsche Spannungen. Trotz aller politischen Schwierigkeiten orientierten sich die Programme inhaltlich vor allem an den sozialen Bedürfnissen der Migranten.
Gegen Entmischung und Monotonie der Städte. Alexander Mitscherlichs »Anstiftung zum Unfrieden«
(2015)
50 Jahre ist es nun her, dass Alexander Mitscherlichs Buch »Die Unwirtlichkeit unserer Städte« erstmals erschienen ist. Es umfasst mehrere Vorträge, die sich auf den bis dahin erfolgten Stadterneuerungsprozess bezogen. Mitscherlich betrachtete den Wiederaufbau nach 1945 als verpasste Chance. Besonderer Dorn im Auge waren ihm die städtebaulich dominanten, an funktionalistischen Prinzipien orientierten Strategien zur Entmischung des Stadtraums,[1] weil dies eine Bindung der Menschen an Räume behindere und weil der »Unsinn einer Entmischung« den Verfall städtischer Öffentlichkeit bewirke.
In der gegenwärtigen Krise europäischer Integration richtet sich der kritische Blick der Historiker auch auf problematische Ursprünge „Europas“ im 20. Jahrhundert, und hier besonders auf die NS-Zeit. Die zeitweilige deutsche Hegemonie über den Kontinent während des Zweiten Weltkriegs, die mit millionenfachen Massenmorden verbunden war, wurde in Teilen der Literatur als Ausdruck antieuropäischer Ideologie und Praxis bezeichnet, die Anwendung des Integrationsbegriffs auf die nationalsozialistische Herrschaftsausübung dagegen scharf kritisiert, ja sogar als „Pseudowissenschaft“ abgetan. Im Kontext des vorliegenden Themenhefts und im Licht neuerer Forschungen soll hier noch einmal gefragt werden, ob und wie sich die Zeit des Nationalsozialismus und besonders des Zweiten Weltkriegs als Teil europäischer Integrationsgeschichte interpretieren lässt.
Von „Ruhe und Ordnung“ zur „inneren Sicherheit“. Eine Historisierung gesellschaftlicher Dispositive
(2010)
Die „innere Sicherheit“ ist seit den 1970er-Jahren zu einem Leitbegriff der politischen Kultur der Bundesrepublik geworden. Ziel des vorliegenden Aufsatzes ist es, den Begriff und die Politik der „inneren Sicherheit“ in zweifacher Weise zu historisieren. Erstens wird „innere Sicherheit“ als ein politisches Schlagwort verstanden, welches in einer langfristigen Perspektive den Topos „Ruhe und Ordnung“ abgelöst hat. Zweitens wird anhand des kritischen politischen Diskurses der 1970er-Jahre auf die psychologische Dimension der Semantik der „inneren Sicherheit“ aufmerksam gemacht, die als neue Konzeption des Verhältnisses zwischen Staat und Individuum wahrgenommen wurde. Während mit „Ruhe und Ordnung“ die Vorstellung einer disziplinär-militärisch und obrigkeitsstaatlich verfassten Ordnung einherging, kann das neue Sicherheitsdispositiv neben seinem stabilitätsbetonenden und repressiven Charakter auch ein zivilgesellschaftliches Verständnis implizieren, welches Sicherheit weniger garantiert, sondern sie als Abwägung von Freiheiten und Risiken versteht.
Der Beitrag untersucht Authentizitätskonstruktionen und ihr Verhältnis zu Medialität im deutschsprachigen Mediendiskurs über »altes« Handwerk, handwerkliches Selbermachen und Do It Yourself (DIY) seit 1990. Dabei wird ebenfalls auf historische Spezialdiskurse eingegangen, auf welche die Deutungen in der Gegenwart zurückgreifen. Drei Paradoxien strukturieren die Untersuchung: das Paradoxon der materialbasierten Entmaterialisierung, das Paradoxon der schnellen Entschleunigung und das Paradoxon der massenmedialen Fortschrittskritik. Daran wird deutlich, dass Medien Authentizität zuschreiben und dabei in einen Widerspruch zu ihrer eigenen Verfasstheit gelangen. Über den Gegenstand »Handwerksdiskurs« hinaus wird dies als inhärenter Bestandteil von Authentisierungsstrategien identifiziert.
Bildagenturen, die zwischen Fotografen und Redaktionen vermitteln, sind zentrale Akteure bei der Produktion massenmedialer Sichtbarkeit. Ihre Rolle im System der NS-Bildpropaganda ist weitgehend unerforscht. Der Aufsatz widmet sich einem brisanten Spezialfall, der amerikanischen Associated Press und ihrer Niederlassung im Deutschen Reich. 1935 unterstellte sich die deutsche AP GmbH dem Schriftleitergesetz und ließ sich damit »gleichschalten«. Bis zum Kriegseintritt der USA im Dezember 1941 hatte sie eine eminente Bedeutung als transatlantischer Bildlieferant für die nationalsozialistische Propaganda. Außerdem durfte AP weiterhin im Deutschen Reich produzieren. Die von der Agentur unter der Ägide des Propagandaministeriums, der Wehrmacht und der SS aufgenommenen Fotos bestückten die NS-Presse, aber die New Yorker AP-Zentrale stellte sie auch der nordamerikanischen Presse zur Verfügung, wo sie mal als scheinbar neutrale Nachrichtenbilder erschienen, mal ausdrücklich als Propagandabilder gekennzeichnet wurden.
Picture agencies are mediators between photographers and editorial staffs; they play a crucial role in producing mass media visibility. However, their part in the system of the visual propaganda of the Nazi state is largely unexplored. This article features a controversial case, the American Associated Press and its German subsidiary. By submitting to the Schriftleitergesetz (Editorial Control Law) in 1935, the German AP GmbH (LLC) followed its German counterparts in the process of Gleichschaltung (forcible coordination). Until the United States entered the war in December 1941, AP supplied the Nazi press with American pictures. This service proved to be of particular relevance for propaganda. AP was also allowed to continue its photographic reporting in the Reich. AP pictures taken under the aegis of the Propaganda Ministry, the Wehrmacht and the SS were ubiquitous in the Nazi press. Moreover, the New York headquarters supplied the North American press with these same pictures, where they were published either as news photos or as propaganda images.
Zum 30. Mal jährte sich 2007 der „Deutsche Herbst“. Angesichts der gegenwärtigen Diskurse um Terrorismus und Innere Sicherheit besitzt das Thema eine doppelte publizistische Relevanz, auch wenn die Ereignisse des Jahres 1977 mit den gegenwärtigen Entwicklungen kaum vergleichbar zu sein scheinen. Dennoch kann ein Blick in die Literatur jener Zeit vielleicht neue historische und aktualitätsbezogene Erkenntnisse liefern.
Jillian Becker, geboren 1932 in Johannesburg und seit den 1960er-Jahren britische Schriftstellerin und Journalistin, veröffentlichte kurz vor der Entführung Hanns Martin Schleyers am 5. September 1977 ihr 300 Seiten starkes Werk „Hitler’s Children“. Die Resonanz auf Beckers Studie war in der Bundesrepublik immens, so dass das Buch nur kurze Zeit später ins Deutsche übersetzt, im Titel mit einem Fragezeichen versehen und von der Autorin um den Epilog des „Deutschen Herbstes“ bis zum Tod der „ersten Generation“ der RAF ergänzt wurde. Das Werk erhielt die Newsweek-Auszeichnung „Buch des Jahres 1977“ und wurde in acht Sprachen übersetzt. Becker hatte damit die erste fundierte und penibel recherchierte Zusammenfassung über den Baader-Meinhof-Terrorismus der 1970er-Jahre geliefert, was sie neben Analysen zur PLO für ihre politische Beratungstätigkeit der Thatcher-Regierung in den 1980er-Jahren qualifizierte.
Eine Geschichte der genetischen Beratung in der Bundesrepublik ist noch nicht geschrieben. Dies ist erstaunlich, lassen sich in der Verbindung von Beratungspraxis und Behinderung, Konzepten und Kritik an der Humangenetik doch grundsätzliche Fragen zum Wandel von Normalitätsvorstellungen, Geschlechterrollen und Gesellschaftsbildern verfolgen. Im Mittelpunkt des Aufsatzes steht ein brisantes Thema: Sterilisationsempfehlungen für geistig behinderte Frauen und Mädchen, die in den 1970er- und 1980er-Jahren ausgestellt wurden. Am Beispiel einer Hamburger humangenetischen Beratungsstelle betrachtet der Aufsatz das damalige Verhältnis von Genetik, Behinderung, Geschlecht und Vorsorgekonzepten. Die Kritik an der Sterilisationspraxis bildet einen weiteren Schwerpunkt des Beitrags. In den frühen 1980er-Jahren trugen Gegner und Befürworter geschichtspolitisch aufgeladene Kontroversen aus, die neue Blicke auf Behinderung hervorbrachten, zugleich aber auch Ambivalenzen gesellschaftlicher Liberalisierungsprozesse erkennen lassen.
Obdachlosen Männern wird aufgrund ihrer prekären Lebenssituation häufig eine »marginalisierte Männlichkeit« (Raewyn Connell) zugeschrieben. Welche Männlichkeitsformen diese soziale Gruppe von sich selbst öffentlich präsentierte, ist bisher aber noch unerforscht. Anhand des »Berber-Briefes« – einer von obdachlosen Männern selbst verfassten und vertriebenen Zeitung – und deutschen Straßenmagazinen werden Männlichkeitsentwürfe von Wohnungslosen oder ehemals Wohnungslosen analysiert. Dabei fällt auf: »Berber-Brief«-Autoren der späten 1980er- und frühen 1990er-Jahre präsentierten eine selbstbewusste »Protestmännlichkeit«, Straßenmagazinverkäufer der 2010er-Jahre eher eine von Dankbarkeit und Arbeitsethos geprägte »komplizenhafte Männlichkeit«. Wie lässt sich dieser Wandel erklären? Die verschiedenen Medienformate, deren Professionalisierung und Kommerzialisierung waren dabei wichtig, aber auch die Bereitschaft von Obdachlosen, sich bestimmten Verhaltenserwartungen partiell anzupassen – als Folge einer Sozialpädagogisierung und Individualisierung gesellschaftlicher Problemlagen. Der Aufsatz trägt zu einer Geschlechter- und Zeitgeschichte der Armut bei, die auf die Betroffenen als Akteure fokussiert.
Homeless men are often ascribed a ›marginalized masculinity‹ (Raewyn Connell) due to their precarious existence, yet the forms of masculinity this social group has publicly presented to others have remained unexplored. The article analyses the masculinities of homeless or formerly homeless people on the basis of the ›Berber-Brief‹ – a newspaper written and distributed by homeless men themselves – and German street magazines. It is striking that the ›Berber-Brief‹ authors of the late 1980s and early 1990s projected a self-confident ›protest masculinity‹, while the street magazine sellers of the 2010s tended to display a ›complicit masculinity‹ characterised by gratitude and a strong work ethic. How can this shift be explained? The various media formats and their professionalisation and commercialisation were important here, as was the willingness of homeless people to partially adapt to certain behavioural expectations – as a result of a social pedagogisation and individualisation of social problems. The article contributes to a gender and contemporary history of poverty that focuses on the people affected as actors.
Zur Durchsetzung einer Apologie. Hermann Lübbes Vortrag zum 50. Jahrestag des 30. Januar 1933
(2013)
Soll nun schon an das Jubiläum von Vorträgen erinnert werden, ließe sich fragen. In diesem Fall durchaus, denn gerade der Vortrag des Philosophen und Politikwissenschaftlers Hermann Lübbe anlässlich des 50. Jahrestags der nationalsozialistischen „Machtergreifung“, den er am 15. Januar 1983 im Berliner Reichstagsgebäude hielt, hat in der zeitgeschichtlichen Zunft eine ganz ungewöhnliche Karriere aufzuweisen. Hier, so der weit verbreitete Eindruck, hatte es ein kühl und nüchtern argumentierender konservativer Intellektueller den linken Moralisierern, die den angeblich defizitären Umgang mit der NS-Vergangenheit zur Diskreditierung der bundesdeutschen Gesellschaft funktionalisierten, einmal so richtig gegeben. Der thesenförmige Vortrag, sehr bald und an verschiedenen Orten veröffentlicht, gilt mitunter geradezu als kanonischer Text.
Zwischen Hoffen und Bangen. Südafrika im Blick westdeutscher Intellektueller der 1960er-Jahre
(2016)
In den 1960er-Jahren verbreitete sich die Kritik am südafrikanischen Apartheid-Regime weltweit. Aber die Bundesrepublik unterhielt gleichzeitig hervorragende und privilegierte Beziehungen zu den weißen Rassisten am Kap. Südafrika galt als natürlicher Verbündeter im Kalten Krieg gegen den Kommunismus und als Garant für die Sache des Westens im risikoreichen Dekolonialisierungsprozess auf dem schwarzen Kontinent.
»Die deutschen Juden, denen die neue Wendung nicht unerwartet kommen kann, haben ihre innere Ruhe und Würde zu wahren. Es ist selbstverständlich, daß das deutsche Judentum sich gegen jeden Versuch der formalen und tatsächlichen Entrechtung und Depossedierung mit allen Mitteln und aller Energie zur Wehr setzen wird. Diesen Kampf kann nur ein Judentum führen, das von unbeugsamem Stolz auf sein Volkstum erfüllt ist. Mit Versuchen der Anpassung und Selbstverleugnung ist es vorbei.«
Drei Bücher haben im 20. Jahrhundert zu unterschiedlichen Zeitpunkten das Bild der Deutschen über die Sowjetunion geprägt: René Fülöp-Millers „Geist und Gesicht des Bolschewismus“ aus dem Jahr 1926, Klaus Mehnerts „Der Sowjetmensch“ aus dem Jahr 1958 und Lois Fisher-Ruges „Alltag in Moskau“ aus dem Jahr 1984. Allen drei Publikationen ist gemeinsam, dass sie kaum auf die historischen Ereignisse oder das politische Tagesgeschäft zu sprechen kommen, sondern einen Einblick in die sowjetische Alltagskultur zu geben versuchen. Den Autoren der drei Bücher war von Anfang an klar, dass sie eigentlich Unmögliches vorhatten: Es ist ein Ding der Unmöglichkeit, alle Facetten einer Gegenwartskultur zu erfassen und darzustellen. Im Fall der Sowjetunion kam erschwerend dazu, dass man kaum auf verlässliche Quellen zurückgreifen konnte: Die Kultur teilte sich in einen offiziellen Betrieb und einen verbotenen Untergrund, soziologische Daten waren nicht erhältlich oder manipuliert, die Gesprächspartner mussten immer auf der Hut vor den staatlichen Überwachungsorganen sein. So blieb den Autoren nichts anderes übrig, als sich auf ihre persönliche Erfahrung zu stützen, die naturgemäß nur einen beschränkten Radius aufwies. Der Erfolg der genannten Bücher verdankte sich nicht nur ihrem Inhalt, sondern auch dem Erscheinungsdatum, das jeweils eine Wendezeit markierte: Fülöp-Miller lieferte nach zehn Jahren Sowjetregime eine erste Bilanz, Mehnert dokumentierte das Ende des Stalinismus, Fisher-Ruge gab einen Einblick in die gesellschaftlichen Startbedingungen der Perestrojka.
Wer endlose Regalkilometer mit großen Tonbandspulen in klimatisierten Räumen und aufwändige Archiverschließungssysteme erwartet, mag zunächst enttäuscht sein. Fünf Metallkoffer gefüllt mit DATs (Digital Audio Tapes) und CDs (Compact Discs), ein Aktenordner mit Informationen zu Aufnahmeobjekt, -ort, -datum, -kontext sowie einer rudimentären Verschlagwortung: So sieht die materielle Dimension des Schallarchivs zur Klanglandschaft Ruhrgebiet aus, das Richard Ortmann, Ralf R. Wassermann und ich seit den 1980er-Jahren aufbauen und das sich, grundsätzlichen Überlegungen zur Quellenbasis einer Musealisierung regionaler Industrialisierung folgend, in Kopie auch im Essener Ruhr Museum befindet. Anders als Rundfunkarchive, deren im Laufe von Jahrzehnten akkumulierte Geräuschesammlungen sich (Hörspiel-)Produktionen verdanken, versteht sich dieses Schallarchiv als eine geschichtskulturelle Aktivität, die jenen umfassenden Strukturwandel zum Thema macht, den das Ruhrgebiet als alteuropäische Montanregion seit Ende der 1950er-Jahre durchlebt und vorantreibt.
Eine besondere Chance, bottom-up-Einblicke in die Alltagsgeschichte von Menschen mit Behinderungen in der DDR und ihre Agency zu erhalten, bieten Eingaben: Bitt- und Beschwerdebriefe, die die Bürger:innen der DDR zu Hunderttausenden jährlich an staatliche Organe richteten, um Probleme im Alltagsleben und Konflikte mit Staat und Verwaltung zu lösen. Zunächst werden in diesem Beitrag die Besonderheiten solcher Eingaben in der DDR skizziert. Sodann wird erörtert, inwiefern die Analyse der Eingaben von Menschen mit Behinderungen und ihren Angehörigen eine wertvolle Perspektive auf ihr Alltagsleben und ihre Interaktionen mit Staat und Expert:innen ermöglicht und wo dabei Grenzen der Aussagekraft liegen. Dies wird anhand von Einzelfällen exemplarisch veranschaulicht.
Der Text markiert eine Zeitenwende. Mit ihm wurde der gängigen Rede von der „Vergangenheitsbewältigung“, die den politischen und moralischen Diskurs der Nachkriegsrepublik als Cantus firmus begleitete, ein kritisches Konzept entgegengesetzt. Adornos Leistung war es, mit diesem Aufsatz die Unangemessenheit des „Bewältigungs-Diskurses“ aufzuzeigen und ein alternatives Programm der Aufklärung über die NS-Zeit zu etablieren. In seiner Urform war „Was bedeutet: Aufarbeitung der Vergangenheit“ ein im Herbst 1959 vor dem Koordinierungsrat der Gesellschaften für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit gehaltener, im November des Jahres publizierter Vortrag. Seine subkutane Wirkung war immens, nicht zuletzt aufgrund einer historischen Koinzidenz: Kurz nach der Veröffentlichung schändeten Rechtsradikale die gerade neu eingeweihte Kölner Synagoge – ein Akt, der die von Adorno analysierte Persistenz des nazistischen Syndroms in das Bewusstsein der Öffentlichkeit hob. Dass es sich bei der Gewalttat aller Wahrscheinlichkeit nach um eine Aktion der Stasi handelte, gibt uns heute Anlass – ähnlich wie im Fall Kurras –, neu über das manchmal verwirrende Zusammenspiel ostdeutscher Delegitimierungsstrategien der Bundesrepublik mit den Aktivitäten der westdeutschen intellektuellen Opposition gegen den Adenauerstaat nachzudenken.
Denkmäler haben wieder Konjunktur – nicht nur in der Kontroverse um Erinnerungs- und Ehrungszeichen im öffentlichen Raum, die einen kolonialgeschichtlichen oder rassistischen Hintergrund besitzen. In der letzten Zeit wurde zwar heftig darüber gestritten, ob derartige Denkmäler, die im Konflikt oder sogar Widerspruch zum heutigen Wertekonsens stehen, erhalten bleiben, kommentiert oder ergänzt werden, ins Museum wandern oder besser ganz verschwinden sollten. Neben der Debatte über die Entrümpelung der deutschen Denkmallandschaft werden aber auch Vorschläge für eine Neumöblierung des öffentlichen Gedenkraumes gemacht. Alternative oder zusätzliche Denkmäler werden ins Gespräch gebracht, initiiert und auch errichtet, die dem gesellschaftlichen Selbstverständnis der Gegenwart besser entsprechen, es genauer zum Ausdruck bringen und gleichzeitig mitprägen sollen. Dazu gehören nicht zuletzt Denkmäler, die an Migration und Zuwanderung erinnern.
Angesichts der kaum zu überschätzenden Bedeutung von Bildern für die Erinnerung und insbesondere von Fotos für das »Erscheinungsbild« der jüngeren Geschichte ist es frappierend, dass das Bildgedächtnis zur Zwangsmigration der Deutschen aus dem Osten am Ende des Zweiten Weltkriegs und in seinem Gefolge bislang kaum Beachtung gefunden hat. Erst in den letzten Jahren haben einige Historikerinnen und Historiker auf diese wichtige Forschungslücke hingewiesen und versucht, sich den kollektiven Bilderwelten von Flucht und Vertreibung anzunähern. Bislang wurden dabei insbesondere zentrale Bildmotive von ikonischer Qualität eruiert – wie der Flüchtlingstreck und das Mutter-Kind-Motiv –, ihre politisierten Entstehungskontexte untersucht und ihr strategischer Gebrauch in der Vertreibungserinnerung bestimmt.
Ein Museum lässt Migranten sprechen. Die Wege jüdischer Zuwanderer in die Bundesrepublik Deutschland
(2011)
Die Ausstellung „Ausgerechnet Deutschland!“ dokumentierte die Geschichte von 20 Jahren jüdischer Zuwanderung aus der ehemaligen Sowjetunion nach Deutschland. Gleichzeitig ging sie über ein rein historisches Projekt hinaus: Das Jüdische Museum Frankfurt hat gezeigt, dass eine museale Darstellung nicht nur dokumentieren, sondern auch lebendige Gegenwartskulturen zum Sprechen bringen kann.
Der Aufsatz beschreibt anhand von Fallbeispielen die Einführung von Rechnern/Computern in Industrie und Verwaltung sowie die damit einhergehenden Fortschrittsversprechen und Utopien. Der Nutzen der neuen Technologie war für die Akteure zunächst schwer einzuschätzen; daher gab es ein breites Spektrum von Erwartungen, Euphorien und Ängsten. Den „Elektronengehirnen“ der 1950er-Jahre wie auch den späteren Computern wurde im gesamten Untersuchungszeitraum ein Potenzial zugewiesen, das über die damaligen technischen Möglichkeiten weit hinausging. Ein Schwerpunkt der Diskurse war die Frage nach der Zukunft der Arbeit. Als Computer in Unternehmen und Verwaltungen stärker vordrangen, entstanden zahlreiche soziologische Studien, die aus heutiger Sicht aufschlussreiche zeithistorische Quellen sind. Sie dokumentieren strukturelle Veränderungen der Industriegesellschaft, Erfahrungen von Arbeitnehmer/innen im Umgang mit der neuen Technik und zugleich die wissenschaftlichen Versuche, das Phänomen der Computerisierung zu erfassen.
Im Mai 2006 einigten sich Vertreter der elf Aufsichtsländer darauf, die Ressourcen des Internationalen Suchdienstes (ISD) des Internationalen Roten Kreuzes in Arolsen für die historische Forschung zu öffnen. Bis zum Oktober 2006 unterzeichneten die einzelnen Regierungen das entsprechende Protokoll. Die Ratifizierung durch die beteiligten Staaten zog sich allerdings noch bis November 2007 hin. Für den Präsidenten des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz, Jakob Kellenberger, nahm damit „ein langer und schwieriger Prozess“ sein Ende. Nach jahrzehntelanger Kritik an der Abschottung scheinen die Tore des Suchdienstarchivs nun endlich aufgestoßen zu werden.
Adorno als Redner und Sprecher – das ist ein zeitgeschichtlich brachliegendes Feld. Noch gibt es keine Monographie, die sein mündliches Wirken in der Öffentlichkeit genauer erkundet. Die folgenden Überlegungen stehen im Zusammenhang mit einem Publikationsprojekt, das diesem Desiderat begegnen soll – auf der Basis der schriftlichen und akustischen Quellen im Theodor W. Adorno Archiv. Das Rundfunkstudio und der Vortragssaal gehörten zu Adornos wichtigsten Wirkungsstätten. Er hatte mehr Hörer als Leser, und seine Auditorien waren umfassender als sein Lesepublikum. Durch das Radio konnte er seinen Wirkungskreis vervielfachen, also Zehntausende, mitunter wohl auch Hunderttausende erreichen. Adorno war sich dieser Verhältnisse durchaus bewusst, zeigte aber die Neigung, seine mündlichen Aktivitäten als Nebensachen darzustellen. Sie hing mit seinem schriftstellerischen Selbstverständnis zusammen. Dagegen verlangt eine zeithistorische Einschätzung seines Wirkens, in Adorno nicht nur den Autor zu sehen, sondern zugleich den öffentlichen Redner und Sprecher – seine intellektuelle Praxis also nicht auf das Schreiben zu verengen. Wenn man von Adornos „Ausstrahlung“ in der Bundesrepublik sprechen will, dann genügt es nicht, auf die Fülle seiner Essays und Bücher hinzuweisen.
Von Bundeskanzler Adenauer in den 1950er-Jahren initiiert, vom Verband der Heimkehrer, Kriegsgefangenen und Vermisstenangehörigen (VdH) in den 1960er-Jahren realisiert, stellt die „Friedland-Gedächtnisstätte“ eines der monumentalsten westdeutschen Denkmäler der Nachkriegszeit dar. Der Beitrag rekonstruiert ihre Geschichte, wobei zum einen nach Form und Inhalt des Denkmals gefragt, zum anderen ein besonderes Augenmerk auf den Kontext der Entstehung, auf beteiligte Akteure und auf Konflikte gerichtet wird, die sich zwischen den ersten Plänen im Jahr 1957 und der Einweihung im Jahr 1967 ergaben. Die Planung und Errichtung der „Friedland-Gedächtnisstätte“ fällt in eine Phase, in der sich der Umgang mit der NS-Zeit zu wandeln begann. Neben der bis dahin dominanten, auf Kriegsgefangenschaft, Flucht und Vertreibung, Bombenkrieg und Wiederaufbau fokussierten Erinnerung entstand eine kontroverser und (selbst)kritischer werdende öffentliche Bezugnahme auf die NS-Zeit.
Als im Frühjahr 1998 die Ergebnisse des zweiten Wettbewerbs zum Denkmal für die ermordeten Juden Europas diskutiert wurden und man diese breite öffentliche Debatte sogar als das eigentliche Denkmal für die Opfer des Holocaust bezeichnete, betrat eine „Initiative Denkmal Deutsche Einheit“ die erinnerungspolitische Bühne. In ihrem öffentlichen Aufruf forderte sie die Schaffung eines „Freiheits- und Einheitsdenkmals“, dem die Losung „Wir sind das Volk! Wir sind ein Volk!“ zugrundeliegen sollte. Das Denkmal sollte die friedliche Revolution in der DDR von 1989 würdigen und einen Ausdruck der Freude über die errungene nationale Einheit im Stadtbild der deutschen Hauptstadt darstellen. Der Kontrast zum jüngeren erinnerungspolitischen Diskurs in der Bundesrepublik Deutschland war markant: Dem Tiefpunkt deutscher Geschichte im Völkermord an den europäischen Juden wurde ein Höhepunkt des Freiheitswillens der Deutschen und des Ringens um ihre nationale Einheit gegenübergestellt.
Die Fernsehreihe »Wettlauf mit der Zeit« stellte von 1986 bis 1989 in über 80 Folgen den Zuschauern die Entwicklung und Anwendung sogenannter Schlüsseltechnologien vor und zeigte deren vorgeblich positive Wirkung sowohl auf die Volkswirtschaft der DDR wie auch auf die gesamte sozialistische Gesellschaft. Die Darstellung erfolgte dabei stets aus produktionsbezogener Sicht, nur selten rückte die Konsumentenperspektive in den Fokus. Schlüsseltechnologien wurden definiert als Techniken, »die auf längere Sicht die Produktivkraftentwicklung in der gegenwärtigen Etappe der wissenschaftlich-technischen Revolution wesentlich bestimmen«. Den Zuschauern der Reihe wurden als solche präsentiert: die Mikroelektronik, die Informatik, CAD/CAM-Systeme, verschiedene Automatisierungstechniken, Formen neuer bzw. verbesserter Energieverwendung und -verwertung, der Einsatz von Biotechnik und die so bezeichnete »sozialistische Umweltgestaltung«. Worin aber bestand nun der »Wettlauf mit der Zeit«?
Am Beispiel von Gustav Krukenberg (1888–1980), der zunächst in den 1920er-Jahren Sekretär des deutsch-französischen „Mayrisch-Komitees“ war, dann 1933 für kurze Zeit den Reichsrundfunk leitete und am Ende des Zweiten Weltkriegs zum „Inspekteur“ der französischen SS-Division „Charlemagne“ wurde, um schließlich in den 1960er-Jahren als führendes Mitglied des „Verbands der Heimkehrer“ für eine deutsch-französische Versöhnung im europäischen Rahmen einzutreten, werden drei verschiedene Typen von Verständigungs- und Europapolitik skizziert, die sich eher einer konservativ-autoritären als einer liberal-demokratischen Europa-Konzeption verdanken. Bei seiner regen Vortragstätigkeit vor allem während der 1960er-Jahre stützte sich Krukenberg auf ein christlich-abendländisches Geschichtsbild, das die Jahre 1933–1945 völlig ausblendete. Die Berufung auf „Europa“ konnte also in sehr unterschiedlichen politischen Konstellationen als verbindendes Stichwort dienen und ermöglichte ein erstaunliches Bewusstsein der Kontinuität.
Visuelle Quellen finden seit einiger Zeit zunehmend das Interesse der Geschichtswissenschaft. Die von Bernhard Jussen, Professor für Mittelalterliche Geschichte an der Johann Wolfgang Goethe-Universität in Frankfurt am Main, herausgegebene DVD widmet sich einer Quellengattung, die geradezu der Prototyp des modernen Massenbilds war: den farbigen Reklame-Sammelbildern, die Lebensmitteln, Zigaretten, Waschmitteln oder Schuhcreme beilagen und in Alben gesammelt wurden. Eine Ahnung ihrer enormen Bedeutung für die deutsche Alltagskultur besonders in den 1930er-Jahren vermittelt heute noch die Zahl der erhaltenen Exemplare, die auf den einschlägigen Internetseiten, in Antiquariaten oder auf jedem beliebigen Flohmarkt angeboten werden. Dass dieser Fundus kaum systematisch erforscht ist, liegt nicht zuletzt daran, dass die Bilder und Alben zwar für Sammlerzwecke katalogisiert, ihre Zahl und ihre Herausgeber bekannt sind, ein Überblick zu den Motiven bisher aber nicht möglich war. Analysen von Bedeutung oder Konjunkturen bestimmter Themen scheiterten an der mangelnden Handhabbarkeit des Materials. Die Editionen der Reihe „Atlas des Historischen Bildwissens“, Ergebnisse des Projekts „Kollektives Bildwissen und historische Imagination in der Moderne“ an der Universität Bielefeld, tragen dazu bei, diese Lücke zu schließen. Die 2002 erschienene erste DVD enthält die vollständigen Serien der verbreiteten „Liebig’s Sammelbilder“; die nun vorliegende zweite DVD umfasst 22.000 Sammelbilder verschiedener Hersteller mit historischen Motiven. Gefördert wurde das Projekt von der Fritz Thyssen Stiftung.
„Unschuldige Menschen sollten nicht wegen der Nazi-Verbrecher ihr Leben geben müssen.“ Mit diesen knappen Worten begründet die Köchin Martha Wiroth aus der hessischen Wetterau ihre Hilfe für jüdische Nachbarn, denen sie Lebensmittel zusteckte oder sogar Zuflucht gewährte. Sie erzählte dies dem Politologen Manfred Wolfson, der in den 1960er-Jahren als Erster systematisch die Beweggründe von Deutschen untersuchte, die in der Zeit des Nationalsozialismus den Mut hatten, verfolgten Jüdinnen und Juden zu helfen. Wolfson, selbst Jude, war 1939 gemeinsam mit seinem Bruder dank der Hilfe einer jüdischen Hilfsorganisation aus Deutschland entkommen und in die USA geflohen. Nach dem Krieg führte er als „Chief Research Analyst“ unter anderem während der Nürnberger Kriegsverbrecherprozesse Recherchen über das Herrschaftssystem der Nationalsozialisten durch. Später richtete sich sein wissenschaftliches Interesse nicht nur auf Täter und Mitläufer, sondern auch auf jene, die jüdischen Nachbarn halfen und sie vor dem Zugriff der Nazis schützten, um so die drohende Deportation in die Vernichtungslager zu verhindern. Im Rahmen eines Forschungsprojektes führte Wolfson, der sich in engem Austausch mit Max Horkheimer und Theodor W. Adorno vom Frankfurter Institut für Sozialforschung befand, zwischen 1965 und 1967 Gespräche mit 70 Retterinnen und Rettern. Aufgrund unzureichender Forschungsbedingungen war es Wolfson leider nicht möglich, diese Studie und einen zusätzlich geplanten pädagogischen Teil zu vollenden.
Programmzeitschriften stellen eine vielseitige Quelle für die Gesellschafts- und Kulturgeschichte dar. Die Rundfunk- und Familienzeitschrift „HÖR ZU“ steht für den wohl legendärsten ökonomischen Erfolg einer illustrierten Zeitschrift in der Bundesrepublik Deutschland. In den 1960er-Jahren wurde die Programmzeitschrift bei einer Auflage von mehr als vier Millionen Exemplaren bei einer wesentlich höheren Nutzungsrate von jedem dritten Bundesbürger gelesen. Der Beitrag zeigt, wie „HÖR ZU“ das Reformklima in der Bundesrepublik von Mitte der 1960er- bis Mitte der 1970er-Jahre medial verarbeitete. Nach einer Betrachtung der Vorgeschichte und der innerredaktionellen Veränderung des Blattes unter dem Chefredakteur Hans Bluhm steht die Be-richterstattung über Fernsehstars und -prominente im Mittelpunkt. Dabei wird untersucht, welche neuen Wert- und Denkmuster im Bereich von Ehe, Familie und privater Lebensführung postuliert wurden.
Gleich nach dem Erscheinen im August 1977 erntete das Buch von damaligen Stars der linksintellektuellen Szene wie Herbert Marcuse oder Ernest Mandel allerhöchstes Lob. Marcuse stellte fest, das Werk des bis zum Zeitpunkt seiner Verhaftung durch die Staatsorgane der DDR nur Insidern bekannten Autors Rudolf Bahro sei „der wichtigste Beitrag zur marxistischen Theorie und Praxis, der in den letzten Jahrzehnten erschienen ist“. Mandel, der führende Denker der trotzkistischen Vierten Internationale, bezeugte, Bahro sei ein „wirklicher Kommunist“ und „Revolutionär“. Keinen Gefallen an Bahros Werk fanden hingegen jene Theoriearbeiter, die dem „real existierenden Sozialismus“ nahe standen. So erklärte beispielsweise der Marburger Politologe Wolfgang Abendroth, Bahro verliere sich „in gelegentlich zutreffender, aber häufig verzerrter und übersteigerter Kritik der sozialistischen Länder“. Ihm hielt der Theologe Helmut Gollwitzer entgegen, Abendroth beschränke sich in seiner Auseinandersetzung mit Bahro auf eine Rechtfertigung des Sowjetsystems und übersehe die Herausforderung der „Alternative“ für die marxistische Theoriebildung: „Die kommunistische Zielsetzung wird hier endlich einmal wieder ernst genommen, wird aus dem Himmel der Ideale heruntergeholt in ‚konkrete Denkbarkeit‘; den schon erreichten Verhältnissen wird die Melodie ihrer Möglichkeiten vorgesungen, und diese wird zum Kriterium der Kritik - zu einem Kriterium, dem keiner sich entziehen kann, dem es um das Ziel des Sozialismus noch ernst ist.“
Awkward Object of Genocide: Vernacular Art and the Holocaust in and beyond Polish Ethnographic Museums was a initiative carried out at the Research Center for Memory Cultures at the Faculty of Polish Studies, Jagiellonian University, Kraków, by a group of four scholar-curators. The original aim of the project was to explore public and private Polish ethnographic collections in search of art objects referring to, representing, or commenting on the Holocaust. In our project we propose that this unique genre of the visual document, which has received little attention in studies regarding the Holocaust so far, could offer new insights, as well as forge new arguments, different from those commonly employed in attempts to understand the experience and memory of the Holocaust in Polish provinces.