Deutschland
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West-Berlin galt besonders in den 1980er-Jahren als Hochburg der Subkultur, als Labor des stadtpolitischen Protestes und Experimentierfeld einer anderen Stadtpolitik. Speziell der Bezirk Kreuzberg ist mit seiner Geschichte der Hausbesetzungen und regelmäßigen Krawalle, aber auch mit dem Konzept einer »Behutsamen Stadterneuerung« (im Rahmen der Internationalen Bauausstellung 1984) zum Synonym für eine Stadtentwicklung jenseits des Mainstreams geworden.
Wohl kaum ein anderer Film hat die Vision von der Stadt der Zukunft und dem mechanisierten Menschen so geprägt wie Fritz Langs „Metropolis“. Dabei war dieser heutige Klassiker 1927 im Kino zunächst mit mäßigem Erfolg gestartet. Obwohl er mit einem für die damalige Zeit sehr hohen Aufwand produziert wurde (18 Monate Drehzeit, Budget von letztlich 6 bis 7 Mio. Reichsmark), wollten ihn nach der Premiere nur 15.000 Berliner sehen. Inzwischen hingegen hat sich das Filmbild der Metropole mit ihren auftürmenden Hochhäusern, dem pulsierenden Verkehr mit Autos, Bahnen und Flugzeugen in unser kollektives Gedächtnis eingeschrieben. Es ist zum Symbol geworden für die architektonische Moderne und für die Visualisierung des Begriffs „Moloch Großstadt“. „Metropolis“ gilt inzwischen als der wichtigste deutsche Stummfilm und wurde 2001 als erster Film überhaupt von der UNESCO in das Register „Memory of the World“ aufgenommen. Neben der vielfältigen Rezeptionsgeschichte hat der Film auch eine höchst interessante Überlieferungsgeschichte.
Die politischen Funktionseliten der DDR stellten noch vor wenigen Jahren ein Desiderat der historischen Forschung dar. Das hat sich seitdem geändert. Mittlerweile liegen einige profunde Studien vor, die sich beispielsweise mit dem Militär- und Sicherheitsapparat oder aber auch mit den Wirtschaftseliten der ostdeutschen Planwirtschaft beschäftigen. Für den SED-Parteiapparat und die Regierungsadministration sieht die Lage dagegen immer noch etwas anders aus: Nach wie vor ist in zahlreichen Untersuchungen häufig von der SED-Führung oder der DDR-Regierung als kollektiv handelndem Akteur die Rede. Einzelne erfolgversprechende Ansätze können insgesamt nicht darüber hinwegtäuschen, dass dieser Bereich noch weitgehend ein Schattendasein fristet. Dies hängt zweifellos auch mit der spezifischen Aktenüberlieferung zusammen. Da in den Protokollen der SED-Führungsgremien und den Sachakten des ZK-Apparates die Führungsspitze in der Regel als kollektive „Masse“ auftaucht, scheinen sozialhistorische Untersuchungen etwa zum SED-Politbüro - jenseits der vertrauten Zäsuren 1953, 1956/58, 1971 etc. - nicht möglich zu sein. Darüber hinaus wird in einigen Überblicksdarstellungen das von der SED propagierte und angewandte Prinzip des „demokratischen Zentralismus“ sehr stark überbetont, was stellenweise sogar zur irreführenden Kennzeichnung der DDR als SED-Staat führt.
Zeitgeschichte - verstanden als Geschichte des 20. und 21. Jahrhunderts - ist im Bereich der Ausstellungen in der Regel darauf angewiesen, dass es zu dem gewählten Thema Objekte gibt. Das gilt für Sonderausstellungen ebenso wie für die Teile einer Dauerausstellung. Ein eigener Ausstellungstyp sind solche Veranstaltungen, die - wie vergrößerte Bücher - einen Denkraum schaffen, in dem man entlang der Zeitleiste Ereignisse kennenlernen kann. Im Gegensatz zum Buch sind sie soziale Orte - Plätze, an denen Menschen miteinander ins Gespräch kommen können, an denen sie sich gemeinsam etwas intellektuell aneignen. Wie für eine gute Unterrichtsstunde sollte dabei ein Medienwechsel stattfinden zwischen Texten, vergrößerten Fotografien, Filmen - seien es Wochenschauen oder mitgeschnittene Reden von Politikern, Dokumentar- oder Spielfilme.
In der westdeutschen Universitätsmedizin galt Stress zunächst als deskriptive Laborbeobachtung und nur wenig origineller Versuch des Hormonforschers Hans Selye, die Regulationsmechanismen des Körpers mit einem ganzheitlichen Konzept zu beschreiben. Selyes in Kanada entwickelte Ansätze fanden in der Bundesrepublik kaum positive Resonanz; das Stresskonzept schien in den 1950er-Jahren keine Zukunft zu haben. Dies änderte sich in den 1960er-Jahren, als Stress über das Risikofaktoren-Modell mit der Diskussion um Herz- und Kreislauferkrankungen verbunden wurde. Stress wurde nun Leitbegriff und Forschungsressource von Disziplinen wie Sozialmedizin, Psychosomatische Medizin, Arbeitsmedizin und Präventivmedizin. Um 1970 trat zu den Bezugsebenen »Zivilisation« und »Gesellschaft« noch »Umwelt« hinzu. Insbesondere drei Bedrohungsszenarien erwiesen sich als Stimuli der medizinischen Stressforschung: Überbevölkerung und Verstädterung, Verkehr und Lärm sowie der Wandel der Arbeitswelt. Weit über wissenschaftliche Verwendungen hinaus wurde der Stressbegriff populär, weil er zeitdiagnostisches Deutungspotential gewann und sich als eine Verständigungsplattform der Verunsicherten eignete.
Der Axel-Springer-Verlag gilt als ein transatlantisch orientiertes Unternehmen, was seit 2001 sogar in den Unternehmensgrundsätzen verankert ist. Dies war jedoch nicht immer so. Der Beitrag beleuchtet anhand von Medienquellen sowie deutschen und amerikanischen Archivalien eine in der Forschung bisher kaum beachtete Skepsis des Verlegers und seiner Zeitungen gegenüber den USA. Springer schreckte in den 1950er- und 1960er-Jahren vor mitunter scharfer Amerikakritik nicht zurück; er wurde von der amerikanischen Administration intern als Gegner der USA eingestuft. Erst durch die Auseinandersetzung mit der „68er“-Bewegung und der Neuen Ostpolitik gewannen Verleger und Verlag ihr bis heute charakteristisches Profil. Von nun an wurde jede antiamerikanische Tendenz deutlich kritisiert und eine „Kontinuität unseres Kurses“ konstruiert (so Springer 1973). Diese Entwicklung steht paradigmatisch für die Geschichte des deutschen Konservatismus, der im Verhältnis zu den USA eine historische Kehrtwende zum Atlantizismus vollzog.
In den Meisternarrativen der deutschen Zeitgeschichte spielt die Jugend als Vorhut kultureller und politischer Entwicklungen eine bedeutende Rolle. Neuere Gesamtdarstellungen des 20. Jahrhunderts differenzieren jugendliche Subkulturen, Konsumgewohnheiten, Bildungswege und politische Lager ausführlich. Die historische Entwicklung wird in diesen Erzählungen vorangetrieben durch die rechtsnationalen und antisemitischen Studenten der Weimarer Zeit, die jungen Funktionäre und Soldaten des Nationalsozialismus, die sich dem Westen zuwendenden jungen »Fünfundvierziger«-Eliten der 1950er- und 1960er-Jahre sowie schließlich die revoltierenden Jugendlichen von »1968«. Oft sind solche Narrative mit einem Generationenmodell verknüpft, das in Anlehnung an Karl Mannheim die Jugend als formative Phase und treibende Kraft historischer Veränderung versteht und diese vorwiegend als männlich und intellektuell definiert. Historiker/innen definieren damit Jüngere als den geschichtlichen Akteur »Jugend« und investieren stark in die Binnendifferenzierung dieser Gruppe.
Berlin-Moabit, 1971: Drei Anwälte sitzen im Gerichtssaal – der eine, Horst Mahler, als Angeklagter, dem die Mitgliedschaft in der Roten Armee Fraktion (RAF) vorgeworfen wird; die beiden anderen, Hans-Christian Ströbele und Otto Schily, als seine Verteidiger. Ein Foto dieser Szene wählt die Regisseurin Birgit Schulz als Einstieg für ihren Dokumentarfilm „Die Anwälte“ über die Lebensläufe von Mahler, Ströbele und Schily, die sich damals in jenem Gerichtssaal kreuzten, in dem sie nun für den Film interviewt wurden. Doch geht Schulz weit über diesen Schnittpunkt hinaus. Sie nutzt das Foto als Ausgangspunkt für eine filmische Parallelbiographie, die den Werdegang der drei Anwälte bis in die Gegenwart verfolgt. Die Protagonisten werden nicht allein als „RAF-Anwälte“ beschrieben – eine Kennzeichnung, gegen die sie sich auch selbst verwahren. So betont Schily, wie unsinnig das Label „Terroristenanwalt“ sei. Man werde ja auch nicht zum „Mörderanwalt“, wenn man einen Mörder verteidige, oder zu einem „Flick-Untersuchungsanwalt“, nur weil man den gleichnamigen Untersuchungsausschuss geleitet habe. Damit gibt Schily das Stichwort für eine weitere zentrale Episode der jüngeren bundesdeutschen Zeitgeschichte, die der Film in biographisch verdichteter Form erzählt. „Eine deutsche Geschichte“ lautet schließlich auch der Untertitel des Films, dessen Protagonisten die Geschichte der Bundesrepublik gleichermaßen entscheidend mitgestaltet haben, wie sie umgekehrt von ihr geprägt wurden.
Stadtgeschichte als Zeitgeschichte. Methodische Impulse zur Historisierung West-Berlins. Einleitung
(2014)
Wem gehört die Stadt? Um diese Frage kreisen derzeit viele öffentliche Debatten in Berlin und anderswo. Steigende Mieten, die Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen, die globale Erschließung des Immobilienmarktes und die zunehmende Touristifizierung der Innenstädte sind nur einige der Themen, die seit einigen Jahren heiß diskutiert werden. Diese breite gesellschaftliche Relevanz hat zugleich zu einem deutlichen Aufschwung der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit der Stadt als gestaltetem und häufig umkämpftem Lebensraum geführt. Dabei werden die städtischen Entwicklungen nicht nur aus sicherer Distanz reflektiert. Vielmehr bietet die Stadtforschung das theoretisch-methodische Arsenal, um bestimmte Prozesse im urbanen Raum zu begreifen und in der öffentlichen Debatte auf den Punkt zu bringen. So hat sich der sozialwissenschaftliche Begriff »Gentrification« inzwischen zu einem politischen Kampfbegriff entwickelt, mit dem die Verdrängung ärmerer Bevölkerungsschichten im Zuge urbaner Aufwertungsprozesse problematisiert wird. Die Grenze zwischen wissenschaftlicher Reflexion und politischer Intervention ist mitunter fließend.
West-Berlin hat Konjunktur. Nostalgische Erinnerungen widmen sich der Insel inmitten der DDR; die alte City West rund um den Breitscheidplatz wird wiederentdeckt; Ausstellungen beschäftigen sich mit West-Berlin und seinen Heroen. Vor allem aber boomt das visuelle Gedächtnis der Teilstadt. In dichter Folge erscheinen derzeit Bildbände mit Fotografien, die von der frühen West-Berliner Nachkriegszeit bis zum Fall der Mauer reichen. Besonders der Bezirk Kreuzberg findet hierbei ein unvergleichliches Interesse: Allein im Jahr 2013 erschien ein halbes Dutzend neuer Bildbände mit zeithistorisch interessanten Kreuzberg-Fotos.
Public Visual History zur Industriekultur. Industriekultur in Berlin, Brandenburg und Luxemburg
(2023)
Nach dem Industriezeitalter kommt die Industriekultur. Fotografie spielt dabei eine wichtige Rolle. Und ehemalige Industrieanlagen bilden beliebte fotografische Motive. Im Seminar „Public Visual History“ beschäftigten sich Studierende des Masterstudiengangs Public History an der Freien Universität Berlin mit der Geschichte der Industriekultur in Berlin, Brandenburg und Luxemburg. Auf dem Instagram-Kanal von Visual History stellten die Studierenden ihre Texte und Fotos vor und kombinierten somit Public und Visual History.
Unmittelbar nach dem Bau der Mauer, die West-Berlin zu einer eingeschlossenen Stadt machte, bot das bundesdeutsche Fernsehen, dessen selbstverständlicher Teil auch die Sendungen des Senders Freies Berlin (SFB) waren, einen audiovisuellen Kontakt zur Welt nach ›draußen‹ – oft sogar ›live‹, so dass man als West-Berliner teil hatte am Geschehen der westlichen Welt. Für die innere Gemütsverfassung sorgten jedoch spezifisch West-Berliner Programmbeiträge, die vom sicheren und zugleich idyllischen Leben auf der Insel im DDR-Meer erzählten und die ein Gefühl von Geborgenheit vermittelten. Mein frühester Eindruck stammt aus der Serie »Jedermannstraße 11«, die von einem Berliner Mietshaus handelt und von der ich einige Folgen als 17-Jähriger 1962/63 gesehen habe: mit eingängig wiederkehrender Titelmusik, mit bekanntem Personal wie dem in West-Berlin legendären Volksschauspieler Willi Rose, von dem die Eltern schwärmten; herzhaft und immer gut gelaunt, immer einen Scherz auf den Lippen, von seiner Frau (gespielt von Berta Drews) liebevoll in die Seite geknufft. Das Fernsehen war zu dieser Zeit noch ein neugierig-lustvolles Anschauen der Welt im Familienkreis. Denn wie die Menschen in dieser Serie, so lebten wir auch.
Die Automatisierung der industriellen Produktion hat innerhalb der Geschichtswissenschaften bislang erstaunlich wenig Aufmerksamkeit gefunden. An einem Fallbeispiel, der Halle 54 bei Volkswagen in Wolfsburg, widmet sich der Aufsatz den Grenzen der (Voll-)Automatisierung, wie sie in den 1980er-Jahren sichtbar wurden. Die Halle 54, eröffnet 1983, wurde zeitgenössisch als »Modell des technischen Fortschritts« bezeichnet. Hier hatte VW in einem weltweit beachteten Versuch die komplizierte Endmontage zu 25 Prozent automatisiert. Die anfangs gefeierten Roboter erwiesen sich jedoch schnell als fehlerhaft. Der Beitrag analysiert insbesondere das Mensch-Maschine-Verhältnis und dessen damalige Bewertung. Das Fallbeispiel verdeutlicht zum einen die aufgeregten Diskurse der 1980er-Jahre um eine scheinbare Wiederentdeckung menschlicher Überlegenheit gegenüber der Maschine; zum anderen zeigt es die Grenzen der Vollautomatisierung in der Endmontage, die bis heute als zu schwierig für Roboter gilt. Gleichwohl führten diese Erfahrungen nicht zu einer prinzipiellen Abkehr von der Automatisierung, sondern vielmehr zu einer »angepassten Automatisierung«.
Kein Aspekt der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft hat in den vergangenen zwei Jahrzehnten eine derart rasante Forschungskarriere absolviert wie das Thema „NS-Zwangsarbeit“. Ein kaum mehr überschaubarer Katalog von Veröffentlichungen legt seit den 1980er Jahren die unzähligen Einzelschichten des Themas frei, so dass unser Wissen über dieses in der Geschichte singuläre Großprojekt zur ungehemmten Abschöpfung von fremder Arbeitskraft für die eigene Kriegswirtschaft exponentiell gewachsen ist.
Die Entstehung des modernen Staates und die damit verbundenen Herrschaftstechniken sind das Generalthema von Michel Foucaults Geschichte der modernen Gouvernementalität. In diesem Zusammenhang schreibt er dem Liberalismus eine zentrale Bedeutung zu, weil er ihn nicht als Abwesenheit von Herrschaft ansieht, sondern als eine besondere Form der ‚Regierung‘. Insbesondere der Vorlesungszyklus aus dem Jahr 1979 dient der systematischen Analyse des Liberalismus, beginnend mit dem klassischen Liberalismus des 18. Jahrhunderts bis hin zum amerikanischen „Neoliberalismus“ der 1970er-Jahre. Der Liberalismus - so Foucaults Ausgangsüberlegung - habe die Selbstbegrenzung der Regierung zum Grundprinzip der Herrschaftstechnik erhoben. Die Gouvernementalität des modernen Staates beruhe darauf, dass der Markt als eine Art Kontrollinstanz des Regierungshandelns eingeführt worden sei; das begründe seine eigentliche Stärke. Innerhalb dieser Konzeption habe sich der Liberalismus in drei groben Schritten entwickelt: vom klassischen europäischen Liberalismus des 18. Jahrhunderts über den deutschen und französischen Liberalismus der unmittelbaren Nachkriegszeit hin zum amerikanischen Neoliberalismus.
Ein Familienfest
(2024)
Welche Geschichte kann ein Bild erzählen? Am Beispiel eines Fotos aus dem Album der Familie Lindenberger, auf dem sich mehrere Generationen der Familie zu einem besonderen Anlass versammelt und diesen Moment für die Erinnerung künftiger Generationen festgehalten haben, möchte ich eine kurze Geschichte dieser Familie erzählen. Trotz wechselnder Lebensumstände ist es der Familie gelungen, ihre Geschichte fotografisch zu dokumentieren.
Die sozialistischen Vordenker Marx, Engels und Lenin begründeten die „sozialen Ursachen“ der Kriminalität mit dem herrschenden kapitalistischen Gesellschaftssystem, dessen „ökonomische Basis die Wurzel allen Übels“ sei. Das Verbrechen sei keine dem Menschen angeborene Eigenschaft, sondern „historisch entstanden und wird mit dem Sozialismus/Kommunismus allmählich überwunden“. Entsprechend teilte auch die DDR-Führung die Sicht, dass „mit der Liquidierung der Ausbeuterordnung in der DDR die wesentlichen Wurzeln der Kriminalität verschwunden [sind]. Das ermöglicht [es] erstmalig in der deutschen Geschichte, die Vorbeugung der Verbrechen zur Aufgabe der gesamten Gesellschaft zu machen.“
Das Blatt mit den großen Namen seiner Bildberichterstatter und dem Ruf seines letzten Chefredakteurs in der Weimarer Republik Stefan Lorant gilt bis heute als Keimzelle des modernen Bildjournalismus. Angaben zur Zeitschrift und zu ihrer Redaktion sind oft unvollständig oder falsch, in der nationalen und internationalen bildjournalistischen Literatur lebt sie jedoch beständig fort. Der Fotojournalist Tim N. Gidal prägte ein bis heute mächtiges Narrativ: „Die Photoreportage hatte 1929 bei der Münchner den entscheidenden Schritt zu einem klar umrissenen Selbstverständnis getan. Dasselbe gilt für den Photojournalismus als Ganzes.“ Der moderne Bildjournalismus begann nicht dort, wo Gidal und Lorant den „Paukenschlag“ hörten. Es entwickelte sich in der Forschung ein realitätsnäheres prozessuales Verständnis zu dessen Professionalisierung, die sich auf viele Beiträge berufen kann. Auch gingen die Untersuchungen zeitlich und räumlich über nationale Fokussierungen hinaus. Geblieben ist der Ruf der „Münchner Illustrierte Presse“, obwohl die Zeitschrift – abgesehen von den subjektiven Werturteilen Gidals und Lorants – wenig untersucht worden ist. Wurde die Illustrierte im Jahr 1929 wirklich aus einem „statischen […] etwas provinziell […] in ihrer Aufmachung noch phantasielosen“ Dasein geführt? Und wie würde ein Vergleich mit der auflagenstärkeren „Berliner Illustrirte Zeitung“ ausfallen?
Symbolisch für die menschliche Hoffnung auf eine sichere Landung schaut der kleine Hund in den Himmel (Abb. 1). In der „Parachutes-Number“ vom März 1937 brachte „Life“ einen dreiteiligen Bildbeitrag über den Fallschirmsport. Neben Titelbild und -story von Margaret Bourke-White wurde Agenturmaterial für den beim damaligen Publikum so beliebten „Thrill“ verwendet. Mit dem Bild vom deutschen Dachshund hinterließ Kurt Korff einen Nachweis seiner Beratungsarbeit für das amerikanische Magazin.
»Du sollst Solidarität mit den um nationale Befreiung kämpfenden und den ihre nationale Unabhängigkeit verteidigenden Völkern üben.« So lautet das letzte der 1958 von Walter Ulbricht verkündeten »Zehn Gebote der sozialistischen Moral und Ethik« (auch: »Zehn Gebote für den neuen sozialistischen Menschen«), die von 1963 bis 1976 Teil des SED-Parteiprogramms waren.1 Die sozialistische Variante der christlichen Zehn Gebote findet sich häufig auf der ersten Seite von »Brigadetagebüchern«, die Beschäftigtenkollektive in der DDR und in anderen staatssozialistischen Ländern verfassten. Über die Grenzen der DDR hinaus stellten auch »Freundschaftsbrigaden« der Freien Deutschen Jugend (FDJ) solche Brigadetagebücher zusammen, um ihre Aufenthalte in Ländern Afrikas, Asiens und Lateinamerikas zu dokumentieren. Diese Quellen geben einen wertvollen Einblick in die sozialistische Globalisierung und deren Alltagspraktiken.
Die akademische Geschichtswissenschaft steht mit der Präsentation ihrer Erkenntnisse in der Öffentlichkeit heute in einer bisher nicht dagewesenen Konkurrenzsituation. Fernsehsendungen und -serien bereiten vor allem die NS-Vergangenheit, aber auch wichtige Ereignisse der Nachkriegszeit in einer publikumsgerechten Weise auf. Filme erzählen Geschichten insbesondere aus dem „Dritten Reich“, aus Bombenkrieg und Nachkriegsära. Umfangreiche Dokumentationsreihen haben Konjunktur, gut recherchiert, auf die Erzählung von Zeitzeugen gestützt, mit illustrierender Hintergrundmusik dramatisierend aufgemacht, mit zeitgenössischen Photos und Filmstreifen Augen und Ohren ansprechend.
Geschichtserzählungen haben derzeit eine Konjunktur, die einzigartig ist in der Geschichte der deutschen literarischen Kultur. Der Zusammenbruch der DDR und die deutsche Vereinigung gaben ihr zusätzlichen Auftrieb, doch handelt es sich offenkundig nicht um einen kurzfristigen Wachstumsschub, sondern um eine „Trendperiode“, die in West- und Ostdeutschland, in der alten Bundesrepublik und in der DDR nach einzelnen Vorläufern in den sechziger Jahren anlief und seit nunmehr vierzig Jahren mit einer wachsenden Zahl von Titeln und Auflagen anhält.
Rezension: #LastSeen Bildatlas. Fotografische Überlieferung von Deportationen aus dem Reichsgebiet
(2023)
Als Online-Rechercheplattform zur Fotogeschichte der nationalsozialistischen Verfolgung präsentiert sich seit Mitte März 2023 das Projekt #LastSeen und setzt dabei eigene neue Maßstäbe. Auf der Landingpage der Webseite www.lastseen.org hat der:die Benutzer:in zunächst die Wahl zwischen dem Entdeckungsspiel und dem Bildatlas. Der vorliegende Text widmet sich ausschließlich dem Bildatlas sowie der historischen Einbettung und Präsentation der in ihm enthaltenen derzeit 406 Fotografien von Deportationen von Jüdinnen und Juden sowie von Sinti:zze und Rom:nja aus 32 Orten in den Jahren 1938 bis 1943
Von den Toten der Berliner Mauer nimmt Peter Fechter (1944-1962) im kollektiven Gedächtnis einen herausgehobenen Rang ein. Schon unmittelbar nach seiner gescheiterten Flucht wurde in der Berliner Zimmerstraße nahe dem ehemaligen Checkpoint Charlie ein Denkmal in der Form eines Holzkreuzes errichtet, das man am 13. August 1999 durch eine Stahlstele ersetzte. Jährlich legten und legen Delegationen Kränze am Denkmal nieder. Fernsehdokumentationen informierten 1997 aus Anlass des Prozesses gegen die Mauerschützen. In der öffentlichen Wahrnehmung gilt Peter Fechter deswegen für viele als der erste Tote an der Berliner Mauer überhaupt.
Ganz im Freud’schen Sinne war die deutsche Sprache für Theodor W. Adorno das von Anfang an Vertraute, das vor dem Hintergrund des Nationalsozialismus, der Erfahrung von Verfolgung und Exil sowie dem Wissen um die Vernichtung der europäischen Jüdinnen und Juden jedoch zum Unvertrauten wurde. Gerade deshalb, so könnte man meinen, hielt Adorno beharrlich am Ideal eigener, »authentischer« Sprachverwendung als Muttersprachler fest, als sei seine Sprache ein autonomer Bereich. Zugleich richtete sich seine Sprachkritik aber gleichsam »objektiv« auf den mit formelhafter Sprachverwendung einhergehenden gesellschaftlichen Erfahrungsverlust. Unter dieser spannungsreichen Doppelperspektive reflektierte Adorno sein Verhältnis zur deutschen Sprache und die Funktion von Sprache als Medium des Denkens in einer Vielzahl von Texten. Während in einigen davon das Deutsche als Muttersprache vor allem ein identitätsstiftendes Moment bedeutet und als biographische Klammer nach der Zäsur von Exil und Holocaust eine Verbindung zur Kindheit herstellt, steht einem solchen emphatischen Verständnis des Deutschen die Analyse entleerter, formelhafter Sprachverwendung in unterschiedlichen Bereichen der Gesellschaft gegenüber. So deutet sich an, dass der Remigrant Adorno in der verwalteten Welt nach dem »Zivilisationsbruch« (Dan Diner) in der deutschen Sprache sprachmächtig agieren konnte, während er zugleich einen allgemeinen Erfahrungsverlust konstatierte. Der Spannung, ja dem Changieren Adornos zwischen radikaler Sprachkritik einerseits und Idealisierung der deutschen Muttersprache andererseits möchte ich hier in fünf Schritten nachgehen.
Die gleichberechtigte Einbeziehung von Frauen in Forschung und Lehre steht heute weit oben auf der politischen Agenda bundesdeutscher Wissenschaftspolitik. Primäres Ziel ist es gemäß dem sogenannten »Kaskadenmodell«, den Frauenanteil auf allen Karrierestufen in Forschung und Lehre demjenigen der Studierenden und Promovierenden anzugleichen. Dies sei, so das Bundesministerium für Bildung und Forschung, »nicht nur eine Frage der Gerechtigkeit«. Gemischte Gruppen führten, »wenn sie geeignete Rahmenbedingungen vorfinden«, außerdem »zu besseren Forschungs- und Entwicklungsergebnissen« sowie »zu einer Erweiterung der Forschungsperspektive«. Das gelte auch »für die Berücksichtigung von Geschlechterfragestellungen als Forschungsgegenstand«. Ähnlich beschreibt die Europäische Kommission das Ziel ihrer Gleichstellungspolitik für Wissenschaft und Forschung.
Pathologie der Gesellschaft und liberale Vision. Ralf Dahrendorfs Erkundung der deutschen Demokratie
(2004)
Dahrendorfs „Gesellschaft und Demokratie in Deutschland“ ist in besonderer Weise von den Umständen der noch jungen Bundesrepublik geprägt; das Werk gehört „heute selber zur Frühgeschichte dieses Staates und seiner Gesellschaft“. Der Soziologe Dahrendorf (geb. 1929) hatte eine Zeitdiagnose in nationalpädagogischer Absicht und mit sozialliberalem Impetus verfasst - „politischer Traktat, Einführungsvorlesung und Theorie der Demokratie“ in einem. Seine Untersuchung war „ein Plädoyer für das Prinzip der liberalen Demokratie“ (S. 27). In der Trias von historischer Erklärung, soziologischer Analyse und engagierter politischer Theorie bleibt „Gesellschaft und Demokratie“ bis heute eine Ausnahme und kann wirkungsgeschichtlich kaum überschätzt werden.
Nach dem Ende des Ersten Weltkriegs schien eine europäische Neuordnung im Sinne internationaler Zusammenarbeit, gemeinsamer liberaler Werte und demokratischer Regierungsformen greifbar zu sein. Kaum jemand ahnte, wie rasch die ideellen Grundpfeiler des westlichen Modells, die US-Präsident Wilson in seinem 14-Punkte-Plan skizziert hatte, durch multiple Krisen erschüttert würden. Die Situation unterschied sich sehr deutlich von den epochalen Zäsuren der Jahre 1945 oder 1989, als die liberale Ordnung in Westeuropa eine historische Legitimation für sich beanspruchte. Nach 1918 zeichnete sich bald ab, dass kein Spielraum für eine selbstgewisse liberaldemokratische Verortung am „Ende der Geschichte“ vorhanden war. Anstelle einer Rückkehr zum optimistischen Fortschrittsparadigma drohte allenthalben Regression.
Zwölf Jahre nationalsozialistischer Herrschaft hatten im Gefüge der deutschen Reichsbehörden buchstäblich kaum einen Stein auf dem anderen gelassen: Die Dienstgebäude vieler Reichsministerien in Berlin waren schwer beschädigt und ihre Akten, sofern nicht unter Trümmern begraben oder bei Kriegsende vernichtet, in alle Himmelsrichtungen verstreut. Aber auch im übertragenen Sinne stand am Ende der NS-Herrschaft kaum ein Stein mehr auf dem anderen. Der expandierende Bereich des Autobahnbaus war auf Hitlers Weisung wenige Monate nach der nationalsozialistischen Machteroberung aus dem Verkehrsministerium ausgegliedert worden. Das Reichsfinanzministerium hatte einen beträchtlichen Teil seines Einflusses auf die Haushalte der einzelnen Ressorts verloren, dem Reichsarbeitsministerium waren Zuständigkeiten in der Arbeitsmarkt-, Lohn- und Wohnungsbaupolitik entzogen worden, und das Reichswirtschaftsministerium hatte Schlüsselbereiche wie die Energiepolitik abtreten müssen. Besonders in den Kriegsjahren büßten nahezu alle Reichsministerien erhebliche Kompetenzen ein, und manchen war am Ende der NS-Herrschaft kaum mehr als eine funktionell entkernte Fassade geblieben.
Der Aufsatz leistet anhand des deutschen Beispiels einen Beitrag zur historischen Analyse von Ordnungsmodellen des 20. Jahrhunderts. Dem Schlagwort „Fordismus“ sollen mit Blick auf den Produktionsbereich schärfere Konturen gegeben werden. Zugleich wird der Akzent jedoch darauf gelegt, den Fordismus als Herrschaftstechnik in einem breiteren Sinne zu verstehen. Zunächst geht es um die Anfänge von Taylorismus und Fordismus sowie die Auswirkungen auf die Zusammensetzung der betroffenen Belegschaften, sodann um die Verbindungen des Fordismus mit unterschiedlichen politischen Systemen. Fordistische Elemente finden sich sowohl in demokratischen als auch in diktatorischen Kontexten. Diskutiert wird deshalb, wie fordistische, auf Rationalisierung und Effizienzsteigerung ausgerichtete Arbeitszusammenhänge die Macht- und Herrschaftsverhältnisse beeinflussten und welche Widerstandsformen sich entwickelten. Ein Ausblick richtet sich auf den so genannten Postfordismus, die „neuen Produktionskonzepte“ und die Frage nach der Zukunft des Fordismus.
Anfang 1933 war die international hochangesehene Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft (KWG) bereits eine vergleichsweise altehrwürdige wissenschaftliche Einrichtung. Gegründet wurde sie 1911 als Großorganisation der deutschen Spitzenforschung. Aufgrund exzellenter Arbeitsbedingungen in den Instituten der KWG konnten zahllose Spitzenforscher gewonnen werden; Namen wie Max Planck, Otto Hahn, Lise Meitner, Albert Einstein, Adolf Butenandt, Werner Heisenberg und viele andere sagen genug. Institutionell gegliedert war die KWG in fünf große Säulen.
Die Revolution ist nicht mehr aufzuhalten: Zehntausend Berliner Bürger strömen am 18. März 1848 friedlich vor dem Stadtschloss zusammen - in hoffnungsfroher Erwartung der Reformen, die der preußische König Friedrich Wilhelm IV. an diesem Tag verkünden würde. Unter anderem soll die Pressezensur aufgehoben werden. Doch vor dem Stadtschloss sieht sich die Menge unerwartet einem gewaltigen Aufgebot an Soldaten gegenüber. Dann lösen sich - ein Versehen - zwei Schüsse. Panik bricht aus, die Menge stiebt auseinander. Nur wenig später errichten erzürnte Arbeiter und Bürger die ersten Barrikaden. Binnen Stunden entlädt sich eine über Jahrzehnte aufgestaute Spannung: Immer wieder waren in Preußen Freiheit und Mitbestimmung in Aussicht gestellt worden, immer wieder harren sich
die reaktionären Kräfte durchgesetzt.
Götz Alys neuestes Buch hat erhebliches Aufsehen erregt; die ersten Auflagen waren rasch vergriffen, Aly selbst ein gern gesehener Gast in bundesdeutschen Talk-Shows. Warum dieser Erfolg? Wenn Alys »Volksstaat« so reißenden Absatz fand, dann liegt dies weniger daran, dass er substantiell Neues präsentiert. Dies ist zwar durchaus der Fall, vor allem in den ausgesprochen lesenswerten Teilen II und III seiner Arbeit. Die Medien haben sich jedoch in erster Linie auf die Statements gestürzt, die Aly mit den Schlagworten »Volksstaat« und »nationaler Sozialismus« bereits im Titel seines
Buches anklingen lässt. Sie lassen sich auf folgende Kernthese zuspitzen: Das NS-Regime habe die sozialen Unterschiede eingeebnet. Es sei mit »Härte gegen die Bourgeoisie« vorgegangen und habe »klassenbewußt innenpolitisch die Lasten zum Vorteil der sozial Schwächeren verteilt«. Die NS-Diktatur müsse folglich als »Gefälligkeitsdiktatur« und »Volksstaat« verstanden werden, als eine Art "Diktatur für das Proletariat". Die Hitler-Diktatur sei mithin
den sozialistischen Systemen zuzurechnen, die NS-Propagandisten hätten Recht gehabt, wenn sie ihre Herrschaft als »nationalen Sozialismus« bezeichneten. Der moderne Sozialstaat schließlich sei die weitgehend bruchlose Fortsetzung der rassistischen »Fürsorgediktatur« der Nazis gewesen. Diese These hat Aly in einigen Zeitungsartikeln weiter zugespitzt. Dort spricht er von einer »sozialstaatlichen« oder »kriegssozialistischen Umverteilungsgemeinschaft«, einem »Regime der sozialen Wärme«, das »mit den Reichen weit weniger zartfühlend umgegangen« sei als mit »den gehätschelten Volksgenossen«.
Die "Arbeiterverbrüderung" war eine unter maßgeblicher Federführung des Buchdruckers Stephan Born und des Goldschmieds Ludwig Bisky im Hochsommer des europäischen Revolutionsjahres 1848 ins Leben gerufene Mischung aus Gewerkschaft und früher Arbeiterpartei. Förmlich gegründet wurde die Arbeiterverbrüderung von insgesamt 34 stimmberechtigten und fünf beratenden Delegierten während eines dem Anspruch nach nationalen, tatsächlich jedoch in erster Linie norddeutschen Kongresses, der vom 23. August bis zum 3. September 1848 in den Räumlichkeiten des Berliner Handwerkervereins tagte. Zweck und Ziel dieses Kongresses war es, die im Frühjahr und Sommer 1848 in zahlreichen deutschen Städten entstandenen Ansätze berufsübergreifender, quasi gewerkschaftlicher Arbeiterorganisationen zusammenzufassen und gleichzeitig den Forderungen der in den deutschen Staaten noch schwachen sozialistischen Bewegung einen möglichst repräsentativen Ausdruck zu verleihen.
Nach zwölf Jahren Naziherrschaft war Deutschland, von außen betrachtet, ein in hohem Maße befremdendes Land. Beobachter aus den Reihen der Alliierten maßen das nazistischer Barbarei anheimgefallene, hochindustrialisierte Land fast zwangsläufig mit ethnologischem Blick - so auch der zum Zeitpunkt der Befreiung 28-jährige US-amerikanischen Nachrichtenoffizier Daniel Learner, der Anfang April 1945 eine Informationsreise durch die von den Ame1ikanern bereits besetzten Teile des Ruhrgebiets unternahm. Seine Eindrücke faßte er in einem Bericht zusammen.
Mit der „deutschen Revolution 1848“ werden heute gemeinhin die Ereignisse im Südwesten Deutschlands assoziiert: „Frankfurter Paulskirche“ oder „Hecker-Zug durch Baden“ sind geläufige Stichworte. Vergessen wird vielfach, daß die Märzrevolution in Berlin nicht nur Signalwirkung für Norddeutschland hatte, sondern in ihrer Tragweite durchaus mit den Demokratiebewegungen in den europäischen Metropolen Paris und Wien zu vergleichen ist.
In der Forschung zum "Dritten Reich" wird häufig von "Verwaltungskonfusion", Zerrüttung und Zerfall des Staates gesprochen, von Chaos, allgemeinem Wirrwarr, "Desorganisation" oder "irrationalen Organisationsformen", so dass man sich verwundert die Augen reibt und fragt, wie dieser angebliche 'Nicht-Staat' innerhalb kurzer Zeit einen rasanten wirtschaftlichen Aufschwung induzieren und schließlich fast sechs Jahre lang einen Weltkrieg gegen mindestens ökonomisch weit überlegene Gegner führen konnte. Tatsächlich ist das Diktum von Zerfall des Staates zu kurz gegriffen. Was sich auflöste, war der klassisch-moderne Staat - der Staat mit mindestens im Groben verfassungsrechtlich wie politisch-praktisch abgeklärten, auf Dauer angelegten arbeitsteiligen Kompetenzen zwischen den Institutionen, mit rechtsförmig geregelten, überpersönlichen Verwaltungsgängen, mit eindeutigen und vergleichsweise festgefügten, also nur begrenzt fluiden Hierarchien. Diese Form der Staatlichkeit löste sich auf. Was in Deutschland 1936, 1939 oder 1941 existierte, waren jedoch nicht lediglich staatliche Trümmer. Es bildete sich vielmehr eine neue, ganz eigenartige politische Struktur heraus, eine neue Variante von Staatlichkeit, die nur sehr begrenzt Vorbilder kannte. Um diese neue Staatlichkeit geht es im folgenden.
Das NS-Regime und seine Repräsentanten erwiesen sich im Hinblick auf die industrielle Frauenerwerbstätigkeit als „Modernisierer wider Willen". Der vielbenutzte und meist wenig aussagekräftige Terminus „Modernisierung" wird dabei im folgenden auf die einfache Formel reduziert: Entwicklung der vorgefundenen Wirtschafts- und Gesellschaftsverhältnisse hin zur entfalteten kapitalistischen Industriegesellschaft, wie wir sie heute z. B. in der Bundesrepublik Deutschland vorfinden. Das „Dritte Reich" wird in diesem Zusammenhang als eine Art „Übergangsgesellschaft" verstanden, in der in der Weimarer Republik in Ansätzen zwar vorhandene, jedoch noch nicht voll entfaltete Formen entwickelter industriekapitalistischer Produktion und Rollenzuweisungen in innerbetrieblicher und überbetrieblicher Hinsicht entfesselt sowie vor- bzw. frühkapitalistische Mentalitäten aufgebrochen und durch uns heute geläufige „moderne" Wertorientierungen ersetzt wurden.
Wie bürgerlich war der Nationalsozialismus? Diese Frage scheint abwegig, angesichts des antibürgerlichen Gestus der Nationalsozialisten und angesichts eines von ihnen gepflegten Antiliberalismus, der neben dem Rassismus und Antisemitismus sowie der entschiedenen Feindschaft gegenüber allem, was links war, als markante Signatur des Nationalsozialismus als »Bewegung« wie als Ideologie vor und ebenso nach 1933 gelten kann. Indes ist diese Frage keineswegs so abwegig, wie sie auf den ersten Blick zu sein scheint. Der SA-Rabauke beherrschte nur bis Mitte 1934 die politische Szenerie. Zumindest in wichtigen gesellschaftlichen Teilsystemen gaben seitdem - oft auch schon vorher - Nationalsozialisten den Ton an, die durchaus auf gute Manieren achteten und die deutsche Hochkultur zu schätzen wussten. So wenig wie das deutsche Bürgertum bis (mindestens) zur Jahrhundertmitte mit Demokratie und Liberalität zu identifizieren war, so wenig ist der Nationalsozialismus auf Antibürgerlichkeit zu reduzieren.
Bürgertum, Revolution, Diktatur - zum vierten Band von Hans-Ulrich Wehlers "Gesellschaftsgeschichte"
(2004)
Auch der vierte Band der "Deutschen Gesellschaftsgeschichte" Hans-Ulrich Wehlers übet den Zeitraum 1914 bis 1949 ist zweifelsohne eine große Leistung: Die kaum zu überblickende Forschung zum Ersten Weltkrieg, zur Weimarer Republik, zum "Dritten Reich" und zur unmittelbaren Nachkriegszeit hat der Nestor der Bielefelder Schule wenigstens zum größten Teil rezipiert und zu einer lesbaren, in manchen Teilen prägnant formulierten Synthese zusammengefasst.
Vor dem Thron haltgemacht
(1998)
Andere Revolutionen würden „gar nicht zum Ausbruch gekommen oder im Entstehen unterdrückt worden sein, wenn sie ihr nächstes Ziel in den ersten 16 Stunden wie in Berlin erreicht hätten", resümierte Hans Victor von Unruh, letzter Präsident der Preußischen Nationalversammlung und seit 1867 eine der führenden Persönlichkeiten der Nationalliberalen, drei Jahre nach der Revolution von 1848. ln der Tat überstürzten sich die Ereignisse in der preußischen Revolution. Demokraten und Liberale wogen sich nach dem 18. März zunächst in der Illusion, alles sei erreicht - und bemerkten zu spät, daß nur die Oberfläche des überkommenen politischen Systems angekratzt war.
Ziel des vorliegenden Aufsatzes ist es nachzuweisen, daß der in der historischen Forschung im allgemeinen unkritisch übernommene Eindruck, das NS-Regime habe die Lebenshaltungskosten auf niedrigem Niveau weitgehend stabilisieren können und den Arbeitern - womöglich als Konzession für politisches 'Stillhalten' - ein hohes durchschnittliches Realeinkommen zugestanden, die tatsächliche Entwicklung grob verzerrt. ...
Das Jubiläum ist lange vorbei. Gleichwohl ist der Berg an Überblicksdarstellungen, Aufsatzbänden, lokal- und regionalhistorischen Studien zum 'tollen Jahr' 1848 nach wie vor nur schwer zu übersehen. Überdies ist die 'Revolutionswelle' keineswegs vollständig verebbt. Die Arbeiten, die im folgenden vorgestellt werden, sind eine kleine, gleichwohl exemplarische Auswahl unter den etwa 600 Neuerscheinungen, die seit 1997/98 anläßlich des 150. Jubiläums der Revolution von 1848/49 publiziert wurden. ...
"In dem hiesigen Arbeitshause hat sich in Folge der mißverstandenen politischen Freiheit in neuerer Zeit unter den Häuslingen ein Geist der Ungebundenheit und Widersetzlichkeit gezeigt, der" - so stellt der Prediger des Berliner Arbeitshauses Andrae im September 1848 fest - "die traurigsten Folgen befürchten" lasse.
Labour Policy in Industry
(2008)
From 1933 onwards industrial law was transformed from one which protected employees to one intended to secure the regime’s power over them. In the Third Reich the political and ideological aims of the regime - under the cloak of ‘Volk und Rasse’ (nation and race) - became the guiding principles of a new labour law. Evidence of this can be found in the destruction of trade unions, the arbitrary treatment to which non-conforming employees could be subjected, the integration of employees into the network of National Socialist institutions, the authoritarian wage policy, the rapidly vanishing significance of labour courts and the ascendancy of legal offices of the German Labour Front (Deutsche Arbeitsfront, DAF), which propagated the theory of a racist national community (Volksgemeinschaft).
Die rechtlichen Regelungen der Arbeitsbeziehungen während der zwölf Jahre, die das Dritte Reich überdauerte, systematisch auszuleuchten, würde den Rahmen eines Aufsatzes bei weitem sprengen, allein weil der relativ kurze
Zeitraum der NS-Herrschaft von einer ungemeinen politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Dynamik war, die immer auch die rechtlichen Regelungen, in unserem Fall: Formen, Inhalte und Wirkungen der Arbeitsverfassung, erfassen musste. Die folgenden Bemerkungen konzentrieren sich
auf einige zentrale Aspekte des NS-Arbeitsrechts.
Ich werde im folgenden zunächst das Phänomen beschreiben, d.h. der Frage nachgehen: Wie scharf überlappten sich während der Revolutionszeit von 1848/49 die unterschiedlichen politischen Haltungen mit den generationellen Differenzierungslinien? Dabei wird ein Blick auf die zentralen Revolutionsorte (Barrikade, Parlamente, Vereinswesen), auf die wichtigsten Sozialschichten (Bürgertum nebst Kleinbürgertum sowie die heterogenen Unterschichten) und auf die wichtigsten ‘Minderheiten’ (Frauen und Juden) geworfen. Im zweiten Teil wird ein Feld in Augenschein genommen, das nicht nur in der heutigen, spät- oder vielleicht schon ‘postbürgerlichen’ Gesellschaft einen hohen Stellenwert besitzt, sondern diesen in revolutionserschütterten Zeiten immer schon gehabt hat: die Mode, also die Kleidung und die Haartracht im Wandel der Zeitläufte. Dies schließt sowohl das typische Outfit des jungen Revolutionsenthusiasten als auch die gediegene biedermeierlich geprägte Kleidung des kreuzbrav konservativen oder doch mindestens nationalliberalen älteren Bürgers ein. Im letzten, dritten Teil wird ein Drei-Generationen-Modell vorgestellt und das Verhältnis der generationellen Konflikte zu anderen relevanten Differenzierungslinien (Sozialschicht/Klassen, Geschlecht, Konfession usw.) diskutiert.
Das „Revolutiönchen" im Königreich der beiden Sizilien im Januar 1848, der „Schweif an Konstitutionen" (Friedrich Engels), den diese in Mittel- und Norditalien nach sich zogen, und der Schweizer Sonderbundskrieg vom November 1847 wurden im allgemeinen noch nicht als Vorboten tiefgreifender gesamteuropäischer Umwälzungen wahrgenommen. Erst die Pariser Revolution vom 22. bis 24. Februar machte den Zeitgenossen schlagartig bewußt, daß gravierende Veränderungen auch in den deutschen Staaten bevorstanden. Überall waren sie von der erneuten Revolution in Frankreich gleichsam elektrisiert - auch in den drei anhaltischen Herzogtümern Dessau, Bernburg und Köthen.
Berlin, die "geist- und staubreiche Hauptstadt Preußens", sei, so hat der Schriftsteller Heinrich Bettziech unter seinem Pseudonym "Beta" in einer vor dem Ausbruch der Revolution veröffentlichten Schrift behauptet, moderne Weltstadt und zugleich "ungezogenes Lieblingskind der neueren und neuesten deutschen Cultur und Civilisation".
Angesichts der überwältigenden Flut an Zeitungsartikeln zum Thema "1848" könnte man glauben, daß das, was während der vorhergehenden Jubiläen der Revolution vor 150 Jahren versäumt wurde, nun, im Jahre 1998 in konzentrierter Form nachgeholt werden sollte. Der Frage, warum sich in der Bundesrepublik die Presse - und in ähnlicher Weise auch (öffentlich-rechtlicher) Funk und Fernsehen - so gründlich dieses Kapitels deutscher und europäischer Geschichte annahm, soll im folgenden nachgegangen werden. "Geschichte kann man nicht verändern, Traditionen aber kann man wählen." Diese Formel, die im Vorwort eines Sonderheftes der "Zeit" zur Revolution von 1848 zu finden ist, kann als erste Antwort genommen werden, eine Antwort freilich, die ihrerseits Fragen aufwirft: Was für eine Tradition soll geschaffen oder vertieft werden? Inwieweit verformt der Wille zur Traditionsbildung "die Geschichte", wird "die Geschichte" infolge der Inbesitznahme durch die Medien - entgegen der obigen Formel - also doch verändert? Welche Defizite in der Präsentation von "1848" sind zu beobachten?
Vernetzung um jeden Preis. Zum politischen Alltagshandeln der Generalverwaltung im "Dritten Reich"
(2007)
Wie stand die Generalverwaltung der KWG zum NS-Regime? Welches Verhältnis entwickelte umgekehrt das NS-Regime, genauer: entwickelten die wissenschaftspolitisch einflußreichen Institutionen der Diktatur zur KWG? Diese Fragen lassen sich nur beantworten, wenn man die Netzwerke der zentralen Akteure der Wissenschaftsgesellschaft und ihrer Generalverwaltung als politischem Kern der KWG genauer unter die Lupe nimmt.
Vergangenheit mutet mitunter höchst gegenwärtig an. Der Blick in angestaubte, schon lange abgelegte Polizeiakten und Gerichtsprotokolle kann über das unmittelbar historische Interesse hinaus lehrreich sein, nämlich zeigen, wie scheinbar zeitlos der Umgang mit politischen Gegnern der jeweiligen Obrigkeit, nicht zu letzt mit vermeintlichen linken "Schreibtischtätern" ist. Auch darüber will die folgende biographische Studie berichten. Im Jahre 1851, wenige Tage vor Herbstbeginn, kam es in Berlin zu einem aufsehenerregenden Prozeß, in dem die Staatsanwaltschaft eine Anklage verlas, die in ihrer Wortwahl merkwürdig ,modern', geradezu aktuell anmutet: Der von mehrwöchiger Untersuchungshaft auch körperlich angeschlagene
Angeklagte habe (so das Resümee der Anklageschrift) nicht nur nicht den "Terrorismus" gegeißelt, wie es sich für jeden braven preußischen Staatsbürger gezieme, oder sich wenigstens distanziert, nein, er habe sich "unumwunden dahin artikulirt'', dass, solange die Linksterroristen "vor nichts zurückbebte[n] und unerschrocken den Vernichtungskrieg gegen alle Feinde der Demokratie" geführt hätten, sie richtig gehandelt, nämlich "die Herrschaft der Demokratie" gegen die alten Mächte gesichert hätten. Der Angeklagte habe die demokratischen Terroristen dann links zu überholen versucht, nämlich diese wegen ihres schließlich doch zögerlichen Handelns, dass sie den "Terrorismus nicht bis zur äußersten Consequenz zu verfolgen die Kraft besessen" hätten, sogar noch gescholten. Nicht genug damit, habe der Angeklagte zur "Nacheiferung" des Terrorismus in deutschen und preußischen Landen aufgefordert, zur "Ueberschreitung der als Schwäche bezeichneten Grenzen, an denen Jene [die ,Terroristen'-R.H.] endlich doch inne gehalten" hätten. Durch eine breite und farbige Schilderung historischer Ereignisse habe der Angeklagte beim preußischen Volk
"Beifall für die terroristische Herrschaft" radikaler "Revolutionsmänner" hervorrufen wollen - allein das sei hochgradig verdammenswert. Dieser erste Blick in eine staatsanwaldiche Anklageschrift wenige Jahre nach der Revolution von 1848 zeigt, daß die Begriffe Terror, Terrorismus und Terroristen keine Erfindungen moderner, spätbürgerlicher Staaten und Öffentlichkeiten sind. Nicht erst seit der Wende ins 21. Jahrhundert war die Obrigkeit mit entsprechenden Verdächtigungen schnell bei der Hand, wenn es darum ging, kritische Stimmen gegen die Allgewalt eines gegenwärtigen Staates mundtot zu machen. Diese Politik und mit ihr der Terrorismusverdacht besitzen eine lange Vorgeschichte.
Bevor ich auf die Rolle und das Selbstverständnis der politisch aktiven Berliner Juden und die Frage eingehe, welche Stellung die nichtjüdische Bevölkerung ihren jüdischen Mitbürgern und der >Judenfrage< gegenüber einnahm, sollen die sozialökonomische Stellung der Berliner Juden während der vierziger Jahre sowie die politisch-rechtlichen Restriktionen skizziert werden, unter denen preußische Juden während des Vormärz zu leiden hatten. Danach läßt sich leichter nachvollziehen, warum den Juden in der preußischen Hauptstadt und andernorts nach den europäischen Februar- und Märzrevolutionen gleichsam eine Zentnerlast von der Seele fiel.
»Kapital-Tausch«, »Ressourcen für einander« und »Netzwerke« bzw. »Networking« sind inzwischen zu Schlüsselkategorien der Wissenschafts- und Wissenschaftspolitikgeschichte geworden, auch und gerade für die Zeit des »Dritten Reiches«. Wie jedoch mißt man, ob und in welchem Umfang »Kapital« erfolgreich getauscht, »Ressourcen« zum gegenseitigen Nutzen mobilisiert und Netze erfolgreich ausgeworfen wurden? Der sicherlich aussagekräftigste Indikator ist die Entwicklung der Einnahmen einer Forschungseinrichtung - in unserem Falle der KWG und ihrer Institute.
Am 2. Mai 1933 wurden die schon zuvor massiven Angriffen ausgesetzten Gewerkschaften, allen Anbiederungsversuchen zum Trotz, endgültig durch das NS-Regime zerschlagen. Die gewaltsame Auflösung der Gewerkschaften war die entscheidende Voraussetzung für die Gründung der Deutschen Arbeitsfront (DAF). Am 6. Mai 1933 richtete Robert Ley einen Aufruf an die SS, die SA, die Politische Leitung der NSDAP und die NSBO, in dem er ihnen für die „mustergültige Durchführung der Aktion“ gegen die Gewerkschaften dankte und bereits als „Führer der DAF“ Unterzeichnete. Am 10. Mai wurde die neue Organisation auf dem „Ersten Kongreß der Deutschen Arbeitsfront“ förmlich ins Leben gerufen. Hitler, der die Schirmherrschaft übernommen hatte, ernannte Ley offiziell zum Chef der DAF.
"Volksgemeinschaft statt Klassenkampf" - so und ähnlich suchten die Nationalsozialisten ihre Vorstellungen von einer neuen Arbeits- und Sozialordnung zu umreißen. Zwar wurden - aller NS-Propaganda zum Trotz - die sozialen Gegensätze zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern während des 'Dritten Reiches' keineswegs aufgehoben; indessen gelang es dem NS-Regime erfolgreich, die deutsche Arbeiterschaft so weit zu 'bändigen', daß von dieser keine, den rüstungskonjunkturellen Aufschwung ab 1934 gefährdende oder gar das NS-System destabilisrende 'Unruhe' ausging. Warum dies gelang, welche politischen, rechtlichen, ideologischen und wirtschaftlichen Faktoren dafür verantwortlich waren, soll im Folgenden in groben Zügen - vornehmlich am Beispiel der Eisen und Stahl erzeugenden sowie metallverarbeitenden Industrie des Ruhrreviers - skizziert werden.
Der in der neueren historischen Forschung gern benutzte Terminus "Modernisierung" mag insofern von Nutzen sein, als sich mit seiner Hilfe recht gut der Frage nachgehen läßt, inwieweit Kontinuitäten vom "Dritten Reich" zur Bundesrepublik bestanden und in welcher Hinsicht während der Zeit der NS-Herrschaft Entwicklungen angebahnt wurden, die erst nach 1945 zum Durchbruch kamen. Falsch wäre es allerdings, den Blick ausschließlich auf die Zeit ab 1933 zu verengen: Alle entscheidenden Elemente dessen, was für die Zeit des "Dritten Reiches" als "Modernisierung" der Industriearbeit bezeichnet werden kann, hatte sich bereits in der Weimarer Republik, seit Beginn der "goldenen zwanziger Jahre" (ab 1924/25) herausgebildet.
Arbeitsverfassung
(1998)
Die Regeln, nach denen sich Arbeitnehmer und Arbeitgeber als soziale Kontrahenten formieren und ihre Interessen zur Geltung bringen, und ebenso die Modalitäten, nach denen die Arbeitsbeziehungen einem realen oder fiktiven gesamtgesellschaftlichen Interesse zu- und untergeordnet werden, berühren in allen hochindustrialisierten Gesellschaften immer auch den Kern des politischen Gesamtsystems. Zugleich spiegeln die jeweiligen Arbeitsverfassungen das Selbstverständis der herrschenden Eliten wie die allgemein-politischen Konstellationen. Dies gilt nicht zuletzt für die drei deutschen Gesellschaftssysteme, die hier zur Debatte stehen.
It is difficult to state conclusively whether the German revolution of 1848 was a success or a failure. I take a more sceptical view of the positive consequences of this revolution view than many recenbt historians of the period, at least in Germany. In order to explain and substantiate this position, I will begin by outlining a few theses taking a closer look at the character of the German revolution of 1848 and its social and political base. Then I shall discuss the question of the 'success or failure of the revolution' and the long-term effects of the events and developments of the year 1848. In the following I shall concentrate primarily on Prussia as the centre of the later German
Empire, and I shall focus particularly on the situation in the cities.
Die großstädtische Revolution von 1848 war ein paradoxes Phänomen: Es bildeten sich Ansätze von Klassenbewußtsein und
Klassenorganisationen heraus, ohne daß eine gemeinsame Klassenlage existierte, bevor moderne Klassen überhaupt entstanden waren. 1 Besonders sichtbar war dieses Paradoxon bei Arbeitern und Gesellen; abgeschwächt war es jedoch auch auf »Arbeitgeberseite«, bei »großen« Kaufleuten und den frühen industriellen
Unternehmern zu beobachten. Für das Gros der Meister wiederum galt das Gegenteil: Sie idealisierten die »gute alte Zeit«, klammerten sich an die vormals korporativen Zwangsorganisationen,
die Zünfte bzw. Innungen, und konservierten ein ausgeprägt ständisches Statusdenken.
Die Geschichte der Revolution von 1848 ist auch eine Geschichte des Gegensatzes zwischen Stadt und Land, in Berliner Perspektive: zwischen Hauptstadt und Provinz. Zwar haben neuere Untersuchungen gezeigt, daß die Agrarbevölkerung keineswegs so konservativ war, wie die traditionelle Revolutionshistoriographie häufig annahm. Namentlich in Schlesien, im Rheinland, in der Pfalz, in den hessischen und den südwestdeutschen Mittelstaaten schlug die demokratische Bewegung auch auf dem Land kräftige Wurzeln. Aus der Sicht der Berliner Zeitgenossen und hier namentlich der demokratischen Bewegung war die „Provinz“ jedoch tiefschwarz. Dieser Eindruck halle durchaus seine Berechtigung. Denn die „rote“ Hauptstadt war gleichsam von einem Ring kleinerer „schwarzer“ Städte umgeben.
Zweieinhalb Monate waren seit der Märzrevolution vergangen, da wurde am Abend des 30. Mai 1848 ein auf dem Berliner Stadtschloß befestigter Gegenstand zum Objekt allgemeiner Aufmerksamkeit. Es hatte sich nämlich »das Gerücht allgemein verbreitet, daß an der Kuppel des Königl. Schlosses eine Leine und eine Stange deßhalb angebracht worden sei, um von Seiten des Ministeriums bei eintretender Gefahr damit den um Berlin stehenden Truppen ein Signal zum Einmarsch geben zu können«. Bei Nacht, so wurde gemutmaßt, sollte »eine große Laterne und bei Tag eine Fahne aufgesteckt werden«. Eine aufgeregte Menge versammelte sich vor dem Schloß und wählte eine Deputation, welcher zur Aufgabe gemacht wurde, der dubiosen Sache auf den Grund zu gehen. Die Abgesandten »begab(en) sich sogleich in das Schloß, um Nachricht einzuholen«, und wurden dort auch freundlich eingelassen. Um größeren Aufregungen wegen des geheimnisvollen Gegenstands vorzubeugen, stieg »Hr. Hofbaurath Schadow selbst mit den Herren auf die Kuppel«. Oben angelangt konnte der Hofbaurat seine Begleiter von der Harmlosigkeit des in Rede stehenden Gegenstandes überzeugen. Denn die Vorrichtung, die den Anlaß zu den Gerüchten gegeben hatte, war tatsächlich »nichts weiter als ein durchaus nöthiger Blitzableiter und dessen Draht«.
Diese Sätze wurden nicht im Sommer 1848 oder Ende 1849 niedergeschrieben, obwohl sie vorzüglich auf die Revolution von 1848/49 gepaßt hätten, sondern knapp zwei jahrzehnte früher - 1830. Ihr Verfasser war Joseph Maria von radowitz. Wer war dieser Radowitz, der eine Grundtendenz der Pariser Julirevolution so prägnant reflektierte und zugleich mit Blick auf die deutsche und europäische Revolution 18 Jahre später ungewollt prophetische Worte zu Papier brachte? Woher kam dieser preußische Politiker, der 1849/50 den "deutschen Angelegenheiten" eine neue Wendung zu geben versuchte?
Ich werde zunächst einen knappen Überblick über die soziale wie politische Zusammensetzung der Abgeordneten geben. Danach werde ich zwei wichtige Debatten und Beschlüsse ausführlicher skizzieren - und zwar zwei Debatten vom Spätsommer und im Herbst 1848, die einerseits ein Schlaglicht werfen auf das ausgeprägt radikalliberale Selbstverständnis der Preußischen Nationalversammlung und andererseits zugleich bedeutsam sind mit Blick auf das Ende der Berliner und damit der Preußischen Revolution. Am Schluß meines Vortrages werde ich dann auf das Ende der Preußischen Nationalversammlung und mit ihr auch das Ende der Revolution in Preußen zu sprechen kommen.
Meinen Ausführungen liegen zwei Thesen zugrunde. Erstens: Die im »Gesetz zur Ordnung der nationalen Arbeit« (AOG) vom 20. Januar 1934 fixierte nationalsozialistische Arbeitsverfassung war nicht endgültig, sondern ein zeitlich begrenzter Herrschaftskompromiss, der seit 1936 vor allem von der Deutschen Arbeitsfront (DAF) infrage gestellt wurde. Zweitens: Angesichts einer grundsätzlichen Offenheit der NS-Arbeitsideologie sowie quasi verbandsimperialistischer Ambitionen der DAF entwickelten sich vor dem Hintergrund einer strukturellen Krise der nationalsozialistischen Tarifpolitik kontroverse Visionen einer künftigen Gestaltung der NS-Arbeitsverfassung. Und zwar seitens der Arbeitsfront auf der einen Seite, sowie seitens traditionell-staatìicher und quasi industrienaher Institutionen wie dem Reichsarbeitsministerium, dem Reichswirtschaftsminister, der Reichswirtschaftskammer, der Reichsgruppe Industrie und führenden Industriellen auf der anderen Seite. An Kontur gewannen diese Konzepte für eine Neugestaltung der NS- Arbeitsverfassung zwischen Herbst 1936, als die mit dem »Vierjahresplan« eingeleitete forcierte Aufrüstung auch eine Neuorientierung der Sozialpolitik und der Grundlagen des Arbeitsrechtes notwendig zu machen schien, und Mitte 1940, als auch hohe Funktionsträger des NS-Regimes glaubten, der »Endsieg« stünde unmittelbar bevor. Die Vision der DAF ziehe auf eine völlige Militarisierung der Arbeit. Die industrienahe Vision lief im Grundsatz auf eine Entstaatlichung der Tarifpolitik hinaus - mit freilich schwachen, von der Betriebsleitung abhängigen Arbeitnehmerausschüssen, die nur mit großem Wohlwollen als betriebsrats- und gewerkschaftschaftsähnliche Vertretungen hätten bezeichnet werden können.
In dem Beitrag wird untersucht, in welcher Weise Lohnzugeständnisse und andere materielle Zuwendungen dazu beigetragen haben, die Industriearbeiterschaft, und hier v.a. die Arbeiter der Metallindustrie, insbesondere in der Phase der Vollbeschäftigung ab 1935/36 politisch ruhig zu halten und insgesamt erfolgreich in den gesamten Wirtschaftsprozeß zu integrieren - ohne gleichzeitig durch eine drastische Erhöhung des Konsumtionsniveaus der Arbeiterschaft die Konsumgüterproduktion 'übermäßig' zu stimulieren und damit die forcierte Aufrüstung grundsätzlich zu gefährden. Ausführlich wird dargestellt, welche Rolle dabei den spezifischen Formen der Leistungsentlohnung zukam. Da die Entwicklung der (Effektiv-)Löhne nur vor dem Hintergrund der Situation auf dem Arbeitsmarkt verständlich wird, wird zu Beginn ein Überblick über die Beschäftigungsentwicklung bis September 1939 gegeben. Die Untersuchung kommt zu dem Ergebnis, daß die Erhöhung des Arbeitseinkommens der Metallarbeiterschaft, der am wirtschaftlichen Aufschwung am stärksten partizipierende Teil der Gesamtarbeiterschaft, auch nach Erreichen der Vollbeschäftigung nicht überschätzt werden darf.
Die Revolution von 1848/49 ist die einzige geblieben, die gesamteuropäische Dimensionen besaß. Sie erfaßte die Schweiz, Frankreich, alle deutschen Staalen, das dreigeteilte Polen (hiervor allem das preußiscl1e Großherzogtum Posen), sämtliche Landesteile der Habsburgermonarchie, neben dem heutigen Österreich mit dem Zentrum Wien vor allem 'Böhmen und Mähren' (heute Tschechien und Slowakei) sowie die ungarische Reichshälfte, die neben eiern heutigen Ungarn außerdem u. a. Slowenien, Kroatien, Serbien und Transsylvanien (das heutige Rumänien) einschloß. Von der Revolution erfaßt wurde außerdem das 'Königreich' Lombardo-Venetien, das damals gleichlalls zum österreichischen Vielvölkerstaat gehörte, Piemont-Sardinien, die (Groß-)Herzogtümer Parma, Modena und Toskana, der Kirchenstaat und nicht zuletzt das sozialökonomisch besonders rückständige Königreich der beiden Sizilien mit der Hauptstadt Neapel. Weitgehend unberührt von revolutionären Erschütterungen blieben lediglich die beiden konstitutionell-parlamentarischen Monarchien in Belgien und Groß Britannien (damals die 'fortgeschrittensten' politischen Systeme) und das zaristische Rußland, in den Augen der Zeitgenossen der „Hort der Reaktion'. In den Niederlanden und den skandinavischen Staaten kam es mehr zu Reformschüben denn zu 'echten' Revolutionen, in dem seit 1830 selbständigen Griechenland , in Irland und in Spanien nur zu kleineren, lokalen Aufständen.
In demokratischen Gesellschaften ist Courage wohlfeil - obwohl es selbst dann für Wissenschaftler und (andere) Intellektuelle durchaus Mut braucht, kritische Positionen gegen den Mainstream zu formulieren, wenn der Arbeitsmarkt überfüllt ist und Anpassung mit Karriere honoriert wird. In Zeiten der Unfreiheit riskieren couragierte Menschen die ökonomische Existenz und manchmal auch Leib und Leben. Die Zeit der größten Unfreiheit in der deutschen Geschichte waren ohne Zweifel die zwölf Jahre, die das "Tausendjährige Reich" überdauerte. Ich werde mich im Folgenden einer Persönlichkeit zuwenden, deren hohes wissenschaftliches Renommee unbestritten ist, deren politisch-moralische Positionierung zwischen 1933 und 1945 jedoch in einem merkwürdigen Halbdunkel verschwimmt. Es geht um Max Planck, den weltberühmten Physiker, der auch während der NS-Zeit wichtige wissenschaftspolitische Ämter innehatte. Nämlich von 1930 bis 1937 als Präsident der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft (KGW) amtierte und nach 1933 innerhalb der Preußischen Akademie der Wissenschaften seine Funktion als einer der vier beständigen Sekretäre, in die er am 23. März 1912 für die mathematisch-physikalischen Klasse gewählt worden war, beibehielt.
Überlegungen zur Vergleichbarkeit von Deutscher Arbeitsfront und Freiem Deutschen Gewerkschaftsbund
(2003)
Ein Vergleich von Diktaturen, nicht zuletzt von »Drittem Reich« und DDR, ist ein schwieriges Unterfangen, ebenso der Vergleich einzelner Institutionen, Organisationen oder anderer, gesonderter Aspekte beider deutscher Diktaturen. Das gilt auch, wenn Organisationen wie die beiden Pseudo- Gewerkschaften Deutsche Arbeitsfront (DAF) und Freier Deutscher Gewerkschaftsbund (FDGB) untersucht werden, die - oberflächlich betrachtet - eine ganze Reihe frappierender Ähnlichkeiten aufwiesen und bereits deshalb einen Vergleich nahelegen.
Die traditionelle Revolutionshistoriographie hat für den deutschen Raum bisher in aller Regel lediglich die beiden Großmächte Preußen und Österreich sowie die deutschen Mittelstaaten, Bayern, Württemberg und vor allem das revolutionsbewegte Baden, seltener die hessischen Staaten, Sachsen oder das Königreich Hannover in den Blick genommen, nur ausnahmsweise die deutschen Klein- und Zwergstaaten. Diese Schieflage ist durch die im Jubiläumsjahr 1988 publizierten Forschungsergebnisse zwar ein wenig austariert worden. Aber auch wenn kleinere Fürstentümer jüngst ihre Revolutionshistoriker gefunden haben, so sind die vielschichtigen Beziehungen, das Spannungsverhältnis zwischen benachbarten Groß- und Mittelmächten einerseits sowie Klein- und Zwergstaaten andererseits für die Jahre 1848/49 bisher kaum untersucht worden.
Obgleich der Berliner Handwerkerverein erst 1850 verboten - und 1859 erneut ins Leben gerufen - wurde, beschränken sich die folgenden Ausführungen im wesentlichen auf die Zeit bis Anfang 1848: Mit der Berliner Märzrevolution brach eine neue Zeit an, während der der große Handwerkerverein an Bedeutung verlor. Die über den März 1848 hinausreichenden Wirkungen des Handwerkervereins, seine Bedeutung als Keimzelle der späteren Arbeiterbewegung, werden nur gestreift. In anderer Beziehung wird uns die in dem eingangs zitierten Satz von Born aufgeworfene Frage allerdings näher interessieren: Lange vor der Märzrevolution hatten Vertreter der Obrigkeit den gleichen Verdacht geäußert, bei dem Handwerkerverein handele es sich um einen “Heerd der Hegung und Verbreitung politisch gefährlicher Bestrebungen". Die Frage, warum der Verein von den Behörden dennoch nicht kurzerhand verboten wurde, bedarf der Klärung. In diesem Zusammenhang müssen ferner die Querverbindungen zu liberal- bürgerlichen Vereinen, die in der ersten Hälfte der vierziger Jahre ins Leben gerufen wurden, und zum Bund der Kommunisten wenigstens in groben Zügen nachgezeichnet werden. Schließlich ein terminologisches Problem: Eigentlich müßte man nicht von einem, sondern von vier Berliner Handwerkervereinen in der Zeit des Vormärz sprechen; denn neben dem 'großen' existierten in der preußischen Hauptstadt noch drei kleinere. Allein die Zahl der Mitglieder des ‘großen’ Handwerkervereins (nach seinem Gründer und langjährigen Vorsitzenden auch: Hedemannscher Handwerkerverein genannt) übertraf die der drei kleineren um das vier- bis achtfache. Um ihn geht es in erster Linie: Wenn im folgenden im Singular von 'Handwerkerverein’ die Rede ist, ist stets der große, Hedemannsche gemeint.
Da eine Arbeiterklasse als relativ homogene, soziale Großgruppe 1848 noch nicht existiert hat, drängen sich als erstes folgende Fragen auf: Was heißt eigentlich 'soziale Unterschichten'? Wie setzten sie sich zusammen? Welches Bewußtsein, welche Verhaltensmuster herrschten in den unteren Sozialschichten?
Mit Blick auf den Charakter und den Verlauf der Revolution
wäre dann genauer zu untersuchen: Welche Veränderungen lassen sich 1848 hinsichtlich Bewußtsein und Verhaltensdispositionen beobachten? Was läßt sich über das Organisationsverhalten insbesondere der Gesellen und Fabrikarbeiter sagen? Abschließend sollen dann einige Thesen zum Verhältnis von Bürgertum und städtischen Unterschichten formuliert werden. Im folgenden geht es ausschließlich um Großstädte, genauer: um die drei großen Metropolen Mitteleuropas, die zugleich für den Verlauf der europäischen Revolution 1848 am wichtigsten waren - um Berlin, um
Paris sowie um Wien.
Am 13. Mai 1939, also ein gutes Vierteljahr vor Beginn des Zweiten Weltkrieges, ließ Robert Ley, Reichsorganisationsleiter der NSDAP und Chef der Massenorganisation Deutsche Arbeitsfront, unter dem Titel „Nachlese und Bilanz vom 1. Mai 1939", in der nationalsozialistischen Tageszeitung „Der Angriff' einen Leitartikel publizieren. ...
Das Revolutionsjahr 1848 markiert den Aufbruch in die Moderne. Nicht zuletzt Berlin wurde zum Schauplatz einer fundamentaldemokratischen Bewegung bis dahin unbekannten Ausmaßes, in Dimensionen, wie sie - so muß man leider ergänzen - in den folgenden eineinhalb Jahrhunderten in den an traditionsbildenden demokratischen Ereignissen armen deutschen Staaten eine seltene Ausnahme geblieben sind.
Vor allem drei Faktoren bestimmten während des "Dritten Reiches" die Struktur der Frauenarbeit: erstens die geschlechtsspezifische, biologistisch begründete Diskriminierung, zweitens der klassenbezogene Aspekt sowie drittens der Rassismus. Zweifelsohne waren alle drei Faktoren für das Verhalten des NS-Regimes gegenüber Frauen und für die Wandlungen der Struktur lohnabhängiger, idustrieller Frauenarbeit während des "Dritten Reiches" relevant. Entscheidend ist jedoch die Frage nach der Gewichtung der drei Faktoren: ...
'Rationalisierung' war als - meist höchst unbestimmtes - Schlagwort zwar keineswegs auf den industriellen Betrieb beschränkt, sondern fungierte besonders in der zweiten Hälfte der zwanziger Jahre als eine Art Zauberformel, die auch politisch-gesellschaftliche Probleme zu lösen vorgab. Materieller Kern (oder zumindest Ausgangspunkt) der Rationalisierungsdebatten der zwanziger und dreißiger Jahre waren jedoch zumeist spezifische Aspekte der innerbetrieblichen 'Modernisierung', namentlich die verschiedenen Formen und die spezifischen deutschen Probleme der Fließfertigung sowie - damit unmittelbar verknüpft - die (gleichfalls) aus den USA importierten 'wissenschaftlichen' Arbeits- und Zeitstudien, außerdem die verschiedenen Arbeitsbewertungssysteme. 'Fordismus' und 'Taylorismus' zielten in ihren verschiedenen Varianten nicht nur auf fertigungstechnische und arbeitsorganisatorische Veränderungen. Ihnen parallel lief eine neue Personalpolitik, spezifische Ausformungen der betrieblichen Sozialpolitik und (weitere) 'moderne Sozialtechniken'. Diese drei Problemkreise - fertigungstechnische, arbeitsorganisatorische und soziale 'Rationalisierung' - stehen deshalb nicht zufällig im Zentrum neuerer Untersuchungen.
Die preußische Hauptstadt sei "sehr groß". Man könne "sich leicht verlaufen, so daß man weder Weg noch Steg weiß", mokierte sich wohl auch aufgrund eigener leidvoller erfahrungen der berühmte Historiker Jacob Burckhardt, 1839 aus dem beschaulichen Basel nach Berlin gekommen, um bei Leopold v. Ranke und Gustav Droysen Geschichte zu studieren.Auf andere wirkte die Preußenmetropole nicht so einschüchternd. Obwohl (oder:weil) Berlin im zweiten Drittel des 19. Jahrhunderts gleichsam "blitzschnell" in die erste Garnitur der größeren europäischen Hauptstädte aufstieg, mit altehrwürdigen Metropolen wie Wien gleichzog und andere wie Prag oder Rom in den Schatten stellte, äußerte Heinrich Heine, der mit der traditionsreichen kontinentaleuropäischen Metropole Paris wohl auch eine zu hohe Meßlatte ansetzte, 1822 verächtlich: "Berlin ist gar keine Stadt, sondern Berlin giebt bloß den Ort dazu her, wo sich eine Menge Menschen ... versammeln, denen der Ort ganz gleichgültig ist."
»Staat« und »Wissenschaft«, die beiden Zentralkategorien des Titels dieses Aufsatzes, scheinen auf den ersten Blick eindeutig. Sie sind es jedoch keineswegs. Bevor auf die Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft (KWG) und ihre Geschichte während des »Dritten Reiches« eingegangen werden kann, soll deshalb zunächst in groben Zügen geklärt werden, was die Begriffe »Staat« und »Wissenschaft« während der NS-Zeit bedeuteten.
Auch in Berlin schlug die Pariser Februarrevolution wie »ein Blitz aus heiterem Himmel« ein und weckte Hoffnungen auf fundamentale politische Reformen. Wie in anderen deutschen Städten fanden sich in Berlin in der zweiten Märzwoche zunächst Hunderte, bald schon Zehntausende von Menschen zu politischen Versammlungen in dem der Stadt vorgelagerten Tiergarten zusammen. Anfangs zaghaft, nach kurzer Zelt dann entschiedener begannen sie, »Volksforderungen« aufzustellen, wie sie anderswo gleichfalls kursierten: nach Aufhebung des Versammlungsund Vereinigungsverbots sowie der Zensur; Gesellen und Arbeiter verlangten darüber hinaus nach französischem Vorbild bereits die Schaffung eines »Arbeiterministeriums«. Für Preußen und seine Hauptstadt waren diese politischen Bewegungen unmittelbar'vor der Revolution allerdings ein größerer Bruch mit der Vergangenheit als im Südwesten Deutschlands. Denn im Unterschied zu Baden, Württemberg und anderen Staaten, die schon lange eine Verfassung sowie ein recht kräftig entwickeltes politisches Vereinswesen besaßen, mußte »das Volk« in Berlin und Preußen 1848 gleichsam »bei Null« anfangen und »Politik« überhaupt erst lernen.
Fordismus und Sklavenarbeit. Thesen zur betrieblichen Rationalisierungsbewegung 1941 bis 1944
(2008)
Die arbeitsorganisatorischen und fertigungstechnischen Innovationen, die sich mit den Namen Henry Ford und Frederick W. Taylor verbinden, und ebenso die Gesellschaftsvisionen namentlich des US-amerikanischen Automobilkönigs haben das kurze 20. Jahrhundert entscheidend geprägt, auch und gerade im deutschen Raum. Hier wurde der Fordismus während der Goldenen Zwanziger Jahre, die nach der Währungsstabilisierung 1923/24 begannen und (spätestens) mit dem Schwarzen Freitag, dem 25. Oktober 1929, endeten, allerorten intensiv debattiert.
'Rationalisierung' war als - meist höchst unbestimmtes - Schlagwort zwar keineswegs auf den industriellen Betrieb beschränkt, sondern fungierte besonders in der zweiten Hälfte der zwanziger Jahre als eine Art Zauberformel, die auch politisch-gesellschaftliche Probleme zu lösen vorgab. Materieller Kern (oder zumindest Ausgangspunkt) der Rationalisierungsdebatten der zwanziger und dreißiger Jahre waren jedoch zumeist spezifische Aspekte der innerbetrieblichen 'Modernisierung', namentlich die verschiedenen Formen und die spezifischen deutschen Probleme der Fließfertigung sowie - damit unmittelbar verknüpft - die (gleichfalls) aus den USA importierten 'wissenschaftlichen' Arbeits- und Zeitstudien, außerdem die verschiedenen Arbeitsbewertungssysteme. 'Fordismus' und 'Taylorismus' zielten in ihren verschiedenen Varianten nicht nur auf fertigungstechnische und arbeitsorganisatorische Veränderungen. Ihnen parallel lief eine neue Personalpolitik, spezifische Ausformungen der betrieblichen Sozialpolitik und (weitere) 'moderne Sozialtechniken'. Diese drei Problemkreise - fertigungstechnische, arbeitsorganisatorische und soziale 'Rationalisierung' - stehen deshalb nicht zufällig im Zentrum neuerer Untersuchungen.
Berlin
(1998)
»Der Riß, welcher durch alle unsere gesellschaftlichen Verhältnisse geht«, war in Berlin - so konstatierten kritische Zeitgenossen wie der Frühsozialist Ernst Dronke bereits zu Beginn der vierziger Jahre - viel tiefer, die soziale Polarisierung in der preußischen Hauptstadt weit stärker fortgeschritten als in allen anderen deutschen Städten, von Wien vielleicht abgesehen. Berlin war eine »zweifelhafte Schöne«, eine »Braut der Zukunft«, spöttelte ein anderer demokratischer Zeitgenosse, der Schriftsteller Heinrich Bettziech (der unter seinem Pseudonym >Beta< im Revolutionsjahr als Satiriker zu einigem Ruhm gelangen sollte) gleichfalls um 1845: »Ihr Kostüm ist schäbig-gentil, hier und da äußerst kostbar und glänzend, aber wenn sie den Fuß hebt, kann man die zerrissenen Sohlen bemerken, und der feine Strumpf könnte auch besser gestopft seyn.« Berlin, so Bettziech weiter, oszilliere zwischen zwei Polen, nämlich dem »der Vornehmheit und des Staatsglanzes um das Brandenburger und das Potsdamer Thor herum« und seinem Gegenstück: »Nach den vielen entgegengesetzten Thoren hin breitet sich der viel umfangreichere Pol des Proletariats, des Verbrechens und der Armuth aus, durchspickt von Industrie und Dampffabrikation.«
“Religion, Tugend, Moral und Sittsamkeit sind die Grundpfeiler, auf welchen das große, colossale Gebäude der gesamten Interessen der Nation ruht, und werden diese erschüttert, so stürzt das Gebäude zusammen,” Dieser Satz ist nicht etwa dem Leserbrief eines um das Wohl der Staates besorgten Bürgers, der Denkschrift eines Stadtrates oder einer Broschüre der im Dezember 1848 gegründeten “Inneren Mission” entnommen. Der Satz findet sich vielmehr in einer Petition der (wie sie sich selbst titulierten) “früheren Bordellbesitzer” vom 7, April 1848.
In diesen Sätzen ist anschaulich und wie im Brennglas die zentrale Bedeutung der Wissenschaften für die Kriegführung zusammengefaßt. Darüber hinaus macht das Zitat deutlich, daß der Erste Weltkrieg eine Epochenschwelle markiert - für die Geschichte der Kriege, für die Geschichte der Wissenschaften und für die Geschichte des Verhältnisses beider zueinander. Dies heißt selbstredend nicht, daß die Wissenschaften für die älteren Kriege und in den älteren Kriegen keine Rolle gespielt haben. Sie blieben bis weit ins 19. Jahrhundert jedoch von eher untergeordneter Bedeutung. Das änderte sich mit Beginn der Hochindustrialisierung. Die Entwicklungen seit 1945, sowohl innerhalb der Wissenschaften als auch im Verhältnis von Wissenschaften und Militär zueinander, wiederum unterscheiden sich - allen personellen und auch organisatorisch-strukturellen Kontinuitäten zum Trotz - auf Grund eines völlig veränderten politisch-ökonomischen Kontextes von den Jahrzehnten zuvor so stark, daß es den Rahmen eines Aufsatzes sprengen würde, ihnen gleichfalls nachzugehen. Der Schwerpunkt des folgenden Beitrages liegt deshalb auf dem Zeitraum zwischen 1880 und 1950.
Das Revolütionsiahr 1848 markiert den Aufbruch in die Moderne. Nicht zuletzt Berlin wurde zum Schauplatz einer fundamentaldemokratischen Bewegung bis dahin unbekannten Ausmaßes, in Dimensionen, wie sie - so muss man leider ergänzen - in den folgenden eineinhalb Jahrhunderten in den an traditionsbildenden demokratischen Ereignissen armen deutschen Staaten eine seltene Ausnahme geblieben sind.
Im Folgenden werden zunächst die entscheidenden Ereignisse des 18. März 1848, der für Berlin die Schwelle in die Epoche der demokratischen Moderne markiert, ins Gedächtnis gerufen. Im systematischen Teil des Vortrags wird dann erstens die europäische Dimension der Umwälzungen Mitte des 19. Jahrhunderts zur Sprache kommen. Anschließend werden zweitens die verschiedenen Ebenen und Akteure der Revolution, drittens die Bedeutung Berlins im europäischen und deutschen Kontext 1848 thematisiert, viertens einige Schlaglichter auf die Folgewirkungen der Revolution geworfen und abschließend fünftens die Frage diskutiert, warum die Berliner Revolution und der 18. März auch und gerade gegenwärtig erinnerungspolitisch so wichtig sind.
In der neueren Forschung zur Geschichte des "Dritten Reichs" hat sich inzwischen die Ansicht durchgesetzt, daß die Industriearbeiterschaft zwar überwiegend in Distanz zum NS-Regime blieb, jedoch keineswegs rebellisch, sondern eher resigniert bis apathisch auf die tiefgreifenden Veränderungen nach 1933 reagierte. Die Frage, warum dies so war, ist bisher nicht schlüssig beantwortet worden. (...)
Die „Umwälzungen“ des Jahres 1848 waren nicht nur der "Anstrengung", sondern auch "dem Erfolge nach eine wirkliche Revolution". Obgleich nicht alle Zeitgenossen diese Ansicht Robert Springers teilten und manche Konservative und Liberale schon frühzeitig den revolutionären Charakter der Märzereignisse leugneten, sie zum bloßen "Ministerwechsel" zu degradieren suchten - daß im März 1848 Berlin nicht nur äußerlich zum revolutionären Schlachtfeld mit Hunderten von Toten und zahllosen Barrikaden wurde, sondern in ganz Preußen ein fundamentaler politischer Umbruch stattfand, läßt sich kaum bestreiten: Für acht Monate wurde dem Monarchen ein Parlament zur Seite gestellt, das mit diesem eine Verfassung "vereinbaren" sollte und überdies nicht unwesentlich die Politik des preußischen Staates mitbestimmte. (Aus der Einleitung)
Gut einen Monat nach der Märzrevolution, am 20. April 1848, wurde in Berlin ein junger Mann verhaftet. Der junge Mann - sein Name war Gustav Adolf Sehlöffel und er war zu diesem Zeitpunkt ein 19jähriger Student - hatte es damals vor allem als Herausgeber und alleiniger Redakteur einer in hoher Auflage vertriebenen Zeitschrift in der preußischen Hauptstadt zu erheblicher Popularität gebracht. In der zweiten Nummer dieser wie ein Flugblatt vertriebenen Zeitschrift - nach dem Vorbild von Jean-Paul Marats »Ami du Peuple« - Der Volksfreund genannt, hatte Sehlöffel sein politisches Programm zu Papier gebracht, die radikale Version eines Menschenrechts- bzw. Grundrechtekatalogs: »Alle Bürger im Staate sind gleich, Adel und Titel aufgehoben. Weder Glaubensbekenntnis noch Besitz bewirken einen Unterschied der Rechte«, lautete der erste Artikel des Programms. In den folgenden Artikeln verlangte Sehlöffel darüber hinaus die »Aufhebung aller [noch bestehenden] Feudallasten ohne Entschädigung«, uneingeschränkte Presse-, Rede- und Lehrfreiheit, die vollständige Trennung der Kirche vom Staat, die »Einsetzung eines Arbeiterministeriums« sowie eine Gesetzgebung, die »einzig und allein in den Händen des Volkes« ruhe.
„Großstädte sind unbestimmte Verheißungen“, schreibt Curt Moreck in seinem „Führer durch das ‚lasterhafte‘ Berlin“ aus dem Jahr 1931. „Sie sind Konglomerate von unendlichen Möglichkeiten. Sie sind Labyrinthe, in denen die schönsten Straßen einen nicht ahnen lassen, wohin sie einen führen werden. Wen das Land hineinstößt, der fühlt sich hilflos und wird plötzlich von der Angst überfallen, das zu versäumen, was er kennenlernen möchte, das zu verpassen, was ihm einen Gewinn an Vergnügungen verspricht. [...] Man muß in diesem rauschenden Strudel untertauchen, sich darin verlieren, aber nicht ohne sich wiederzufinden. Man muß den Irrwegen nachgehen, aber nicht ohne das Ziel zu kennen. Man wird sich nach einem Führer umsehen müssen. Ohne den Führer verliert man kostbare Zeit, die man besser dem Genuß widmet. Man muß sich die Erfahrungen anderer zunutze machen.“
Der Aufsatz analysiert die Kontakte zwischen der Hauptkommission zur Erforschung der deutschen bzw. »hitleristischen« Verbrechen in Polen und der bundesdeutschen Zentralen Stelle der Landesjustizverwaltungen zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen. Welche Dynamiken und Problemfelder entwickelte eine solche Kooperation vor dem Hintergrund des Kalten Krieges? Ein Schwerpunkt der Untersuchung liegt auf dem jeweiligen Verständnis von Recht und den praktischen Herausforderungen. Da zwischen Polen und der Bundesrepublik bis 1970/72 keine direkten diplomatischen Beziehungen bestanden, war schon die Frage heikel, was »Rechtshilfe« bedeuten konnte. Der Dialog bewegte sich zwischen Kooperationswillen und beidseitiger Frustration, die aus konträren gesellschaftspolitischen und juristischen Voraussetzungen resultierte. Die polnische Hauptkommission war bereits 1945 gegründet worden, die Ludwigsburger Zentralstelle erst 1958. Für die justizielle Aufarbeitung der NS-Verbrechen im bilateralen Kontext bedurfte es mühevoller Verhandlungen. Vielfach berührten sie die Ebene der politischen Emotionen; dies zeigte sich etwa im situativ variierenden Gebrauch der deutschen Sprache durch die polnischen Vertreter. Die Intensität der Kommunikation über das Recht war bemerkenswert, auch jenseits der konkreten Ergebnisse für die Strafverfolgung.
Die ab 1939 verwirklichten „Großraum“-Pläne der Nationalsozialisten werden mittlerweile auch in der deutschen Zeitgeschichtsforschung als radikale Ausprägung antiliberaler Europakonzepte anerkannt.1 Diese überhaupt als eigenständige europäische Ideen innerhalb politisch konkurrierender Vorstellungen zu behandeln war noch vor zehn Jahren keineswegs gängige Forschungsmeinung. Wenig Aufmerksamkeit wird jedoch nach wie vor den Konzeptionen anderer faschistischer Regimes und Bewegungen zuteil. Diese gerieten im Zuge des Kriegsverlaufs in ein zunehmend konfliktbeladenes Verhältnis zur deutschen Hegemonialmacht, scheiterten gleichwohl weitgehend an der Realität der nationalsozialistischen Herrschaftspraktiken. So steht eine grundlegende Untersuchung der groß angelegten Neuordnungspläne des faschistischen Italiens noch aus.2 In noch stärkerem Maße trifft dies für jene Faschismen im übrigen Europa zu, welche weder vor 1939/40 noch danach unter der deutschen Besatzung die Position eigenständiger Regimes erreichten. Gerade diese Bewegungen entwickelten aber trotz ihres politisch marginalen Einflusses eine beachtliche konzeptionelle Eigenständigkeit und Vielfalt.
„Gott ist tot – macht nichts“, titelte kürzlich die „ZEIT“ und präsentierte ihren Lesern unter dieser Überschrift „Hausbesuche bei vier Atheisten“. Vergegenwärtigt man sich die Aufmerksamkeitsregeln von Printmedien, die ja vor allem auf das Außergewöhnliche als das Berichtenswerte setzen, dann sind auch diese Skizzen ein Beleg für die neue Konjunktur, die die Religion in all ihren Facetten findet. Hat die bewusste Abwendung von einem transzendental begründeten Glauben, gar an eine personal gedachte Gottheit (schon wieder) Neuigkeitswert? Dass Glauben nicht Wissen sei, sich die Entstehung der Welt auch ohne göttliche Fügung erklären lasse, moralisches Verhalten sich nicht ausschließlich aus religiösen Überzeugungen ableite – taufrisch sind die in den Gesprächen thematisierten Überlegungen nicht.
Während des Kalten Krieges wurde in Millionen Wohnzimmern, Kasernen und Schulen gespielt: Klassische Unterhaltungsspiele wie Memory bzw. Merk-Fix, aber auch Spiele wie Fulda Gap oder Klassenkampf, die die Systemkonfrontation als Auseinandersetzung zwischen Gut und Böse erleb- und simulierbar machten. Der Aufsatz betrachtet eine in der zeithistorischen Forschung und in den Cold War Studies bislang vernachlässigte Quellengattung, die gerade in den 1970er- und 1980er-Jahren für die populärkulturelle Vermittlung von Grundcharakteristika des Ost-West-Konflikts sehr bedeutsam war. Untersucht wird, wie sich Brett- und Computerspiele in die Wettkampflogik des Kalten Krieges einschrieben, inwiefern sie für die Systemkonfrontation auf beiden Seiten sinnbildend waren, nationale Spezifika aufwiesen oder aber als Foren der Gesellschaftskritik dienten. Deutlich wird auch, wo für die jeweiligen Obrigkeiten die Grenzen des »Spielbaren« lagen. Den eigenen Untergang als Handlungsmöglichkeit oder Dystopie zu erproben, erschien vielfach als moralisch und politisch bedenklich, weil die in Spielen entwickelten Szenarien womöglich den Blick auf die Realität verändern und Kritik verstärken konnten. Andererseits konnten die Spiele aber auch die Veralltäglichung des Kalten Krieges unterstützen: Sie bereiteten Wissen über militärische Sachverhalte auf und trugen zur Gewöhnung an das atomare Drohpotential bei.
Die beiden wohl prominentesten antiliberalen Europapläne der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts – der während des Ersten Weltkriegs von Friedrich Naumann im Rahmen der deutschen Kriegsziel-Diskussion verkündete „Mitteleuropa“-Plan sowie das „Neue Europa“ der Nationalsozialisten – erlangten nicht nur im öffentlichen Diskurs innerhalb Deutschlands Bedeutung. Als Bedrohungswahrnehmungen waren sie auch in den Ländern der Kriegsgegner präsent. Im Rahmen dieses Beitrags wird die diesbezügliche Berichterstattung englischer und amerikanischer Qualitätszeitungen („Times“, „Manchester Guardian“, „New York Times“, „Chicago Tribune“) untersucht. Mittels einer digitalen Volltextrecherche wird dabei methodisch eine Verbindung von medialer Inhaltsanalyse und Diskursanalyse angestrebt. So erlaubt die Arbeit mit Online-Archiven eine massive Ausweitung des bisher im Rahmen medienhistorisch angelegter Untersuchungen üblichen Quellenfundus sowie die Auswertung langer Zeiträume statt der bisher gängigen Stichproben. Nicht zuletzt die Möglichkeit einer verfeinerten Suche mittels Operatoren, Platzhaltern oder Begriffspaaren bietet unter anderem neuartige Einblicke in die diskursiven Kontexte der beiden antiliberalen Europakonzepte zur Zeit der Weltkriege und gestattet quantifizierende Rückschlüsse bezüglich deren Intensität. Wann und in welchen Formen wurden „Mitteleuropa“ und das „Neue Europa“ der Nationalsozialisten von britischen und amerikanischen Journalisten aufgegriffen? Worin wurde die Bedeutung dieser Konzepte gesehen? Die übergreifende These lautet, dass die massive Angst vor den antiliberalen deutschen Europamodellen bei Engländern und Amerikanern der Einsicht den Weg bereitete, dass eine aktive eigene Europapolitik und letztlich die Ausarbeitung eines alternativen liberal-demokratischen Einigungsplans notwendig sei.
„There is no reason for any individual to have a computer in his home.“ Diese Einschätzung Kenneth H. Olsens, seinerzeit Präsident der Digital Equipment Corporation (lange eine der führenden amerikanischen Computerfirmen), stammt aus dem Jahr 1977. Die gesellschaftliche Vorstellung von Computern war damals eng mit Großrechnern verknüpft, die lediglich durch Spezialisten bedient werden konnten. Dieses Paradigma stellten Spielekonsolen wie „Pong“ von Atari allerdings bereits 1975 in Frage. Andere Branchengrößen wie IBM hatten weiterhin Bedenken, ob die Leistung der Großrechner auf einem Schreibtisch Platz finden könne. Unternehmen wie Commodore oder Apple bewiesen ab 1977, dass dies möglich war, indem sie kompakte, sofort nach dem Kauf verwendbare Rechner auf den Markt brachten und sich somit an die Spitze der Computerhersteller katapultierten. Sie setzten damit eine Entwicklung in Gang, die sich zu Beginn der 1980er-Jahre beschleunigte: IBM definierte mit dem „IBM PC 5150“ ab 1981 einen Standard im Bereich der Heimcomputer. Sony und Philips brachten die Digitalisierung im Audiobereich voran und legten die technischen Spezifikationen für die Compact Disc fest.
Wie wirkte sich die materielle Beschaffenheit von Kunstgegenständen auf den Kunstmarkt und seine Akteure aus? Alarmiert durch den schlechten Zustand, in dem sich die öffentlichen Kunstsammlungen präsentierten, entwickelte sich seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert ein naturwissenschaftlich-technologischer Fachbereich zur Analyse von Kunstmaterialien, der durch stete Innovationen bis heute dynamisch geblieben ist. Die wissenschaftlichen Erkenntnisse steigerten den Aufwand immens, der betrieben wurde, um Kunstwerke sachgerecht unterzubringen, zu versorgen und zu transportieren. Folglich beeinflussten sie auch die Sichtbarkeit und den ökonomischen Wert von Werken bildender Kunst. Die naturwissenschaftlichen Untersuchungsmethoden unterstützten zudem die Authentifizierung. Damit verringerten sie den Bestand anerkannter Originalwerke und vergrößerten zugleich die Sicherheit bei Kaufentscheidungen. Da sie dem Wahrnehmungsapparat der Menschen in dieser Frage teilweise überlegen waren, erschütterten die neuen Technologien das menschliche Selbstverständnis dabei grundlegend. Eindeutige Urteile ließen auch die naturwissenschaftlichen Befunde allerdings längst nicht immer zu.