Geschichtstheorie(n)
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Je weiter unser Abstand zum 20. Jahrhundert wächst, desto stärker wird das historiographische Bedürfnis, den gemeinsamen Handlungs- und Deutungsrahmen zu fassen, in dem der erbitterte Kampf um die gültige Ordnung der Moderne ausgetragen wurde. Was ließ Menschen in diesem 20. Jahrhundert nach einem erlösenden Messias rufen, die Allmacht ihrer jeweiligen Weltanschauung beteuern oder „Freiheit statt Sozialismus“ fordern? Die mit dem Namen von Reinhart Koselleck verbundene Untersuchung „Geschichtlicher Grundbegriffe“ liefert einen Zugang zur unsichtbaren Welt der Vorstellungen, die Wirklichkeit als Erlebnis- und Gestaltungsraum überhaupt erst konstituieren und gerade darum in ihrer gemeinsamen Prägekraft oft wirkmächtiger sind als die unterschiedlichen Geschehnisse und widerstreitenden Interpretationen der sichtbaren Welt. Es ist an der Zeit, dem auf die Herausbildung der Moderne gewidmeten Lexikon der geschichtlichen Grundbegriffe ein Archiv der zeitgeschichtlichen Leitbegriffe zur Seite zu stellen, das die Historizität der Moderne aus dem Blickwinkel ihrer Semantiken zu erfassen sucht.
Destination Vergangenheit. David Lowenthals Panorama geschichtskultureller Aneignungen (1985/2015)
(2021)
»The Past is a Foreign Country« ist ein Zentralmassiv der Heritage Studies, der Cultural and Historical Geography und der Public History. Das 1985 erschienene Buch nimmt populäre Zugänge und Formen der Bewahrung und Repräsentation der Vergangenheit in den Blick; dabei spannt es den Bogen von der Gegenwart bis zurück in die Renaissance. Lowenthal zitiert mit seinem Titel den britischen Schriftsteller Leslie Poles (L.P.) Hartley (1895–1972), der seinen Roman »The Go-Between« (1953) mit den Worten begann: »The past is a foreign country; they do things differently there.« Schon die Umschlagbilder legen eine Reise in ferne Vergangenheiten nahe und wecken zugleich den mit dem (Geschichts-)Tourismus verbundenen Exotismus, der aus dem Fremden ebenso wie aus dem Vergangenen das unberührt-unverfälscht Natürliche und Authentische macht. Die Destinationen, die Lowenthal bei seiner Reise in vergangene Geschichtskulturen aufsuchte, lagen vor allem im Vereinigten Königreich, in Nordamerika und im westlichen Europa. Das Buch durchzieht die These, dass alle populären Versuche, die Vergangenheit möglichst authentisch zu bewahren, zu rekonstruieren, darzustellen oder wahrzunehmen, auf die eine oder andere Weise zum Scheitern verurteilt sind, dass sich aber gerade aus der Formbarkeit der Vergangenheit ihre identitätsbildende Kraft erschließt.