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Während des gesamten 20. Jahrhunderts standen Frauen in den USA im Fokus öffentlicher Debatten und Expertendiskurse, die ihre biologische und soziale Funktion als Mütter künftiger Staatsbürger reflektierten. Diese Auseinandersetzungen um „Concepts of Motherhood“ erlauben Rückschlüsse auf zentrale gesellschaftliche Wandlungsprozesse und deren Gegenbewegungen. So zeigen die hier analysierten Debatten um Frauenrechte, Frauenarbeit und Reproduktion erstens, dass sich Normen und Handlungsspielräume für Frauen zwar sukzessive erweiterten, sie jedoch stets von Forderungen nach einer Re-Biologisierung der Geschlechterrollen bedroht waren. Zweitens wird deutlich, dass das Ideal der „White Middle Class Nuclear Family“ in den Debatten nicht grundsätzlich angetastet wurde. Vielmehr ging es den Beteiligten um die Ausbalancierung der Geschlechterrollen innerhalb dieser Kerneinheit, unter Vernachlässigung der Bedürfnisse und Lebensrealitäten von Müttern aus anderen ethnischen oder sozialen Gruppen.
„There is no reason for any individual to have a computer in his home.“ Diese Einschätzung Kenneth H. Olsens, seinerzeit Präsident der Digital Equipment Corporation (lange eine der führenden amerikanischen Computerfirmen), stammt aus dem Jahr 1977. Die gesellschaftliche Vorstellung von Computern war damals eng mit Großrechnern verknüpft, die lediglich durch Spezialisten bedient werden konnten. Dieses Paradigma stellten Spielekonsolen wie „Pong“ von Atari allerdings bereits 1975 in Frage. Andere Branchengrößen wie IBM hatten weiterhin Bedenken, ob die Leistung der Großrechner auf einem Schreibtisch Platz finden könne. Unternehmen wie Commodore oder Apple bewiesen ab 1977, dass dies möglich war, indem sie kompakte, sofort nach dem Kauf verwendbare Rechner auf den Markt brachten und sich somit an die Spitze der Computerhersteller katapultierten. Sie setzten damit eine Entwicklung in Gang, die sich zu Beginn der 1980er-Jahre beschleunigte: IBM definierte mit dem „IBM PC 5150“ ab 1981 einen Standard im Bereich der Heimcomputer. Sony und Philips brachten die Digitalisierung im Audiobereich voran und legten die technischen Spezifikationen für die Compact Disc fest.
Wenn Svetlana Tichanovskaja bei ihrem Auftritt vor den EU-Außenminister*innen in Brüssel am 21. September 2020 sagt: „The Belarus the world has not seen before“, frage ich mich: Hat die Welt Belarus davor überhaupt gesehen? Ich blicke auf eigene Erfahrungen zurück, oft konnten die an meiner Herkunft interessierten Gesprächspartner*innen mit dem Namen „Belarus“ nichts anfangen. In den meisten Fällen bedurfte es einer weiteren Erklärung: Weißrussland. Auch damit konnte man nicht viel assoziieren, wenngleich der Wortteil „Russland“ immerhin eine geographische Orientierung gab. Gleichzeitig wurden wir, Belarus*innen in Deutschland, häufig nicht nur mit der Unkenntnis über Belarus, sondern auch mit einem offensichtlichen, beinahe an Arroganz grenzenden Desinteresse an dem Land konfrontiert. Die Gründe dafür sind vielfältig, ein wesentlicher ist, die durch den Kalten Krieg bedingte Blindheit für Regionen im Osten.
So war auch Belarus lange Zeit für die Welt unsichtbar.
By the late 1970s, it was technologically possible to manufacture microcomputers – very small, stand-alone computers for personal use – in very large quantities. Selling them, however, meant creating a mass market where none existed: conventionally, only trained professionals, and a few devoted enthusiasts, interacted directly with the machines. Designers, marketers, retailers and other promoters therefore sought to build meanings into the design and presentation of computers which would connect them with new audiences. Such meanings reflected – and might themselves modify – the prevalent hopes, fears, desires and expectations of the users’ cultures.
In the 1980s, when computers became affordable for private households, a hacker or cracking scene, which was the term used by members of this subculture, developed in several western and northwestern European countries. These (almost exclusively male) groups of adolescents ‘cracked’, copied and exchanged computer games. On the basis of magazines and published interviews with former members of this scene, this article shows how cracking became an important current in the broad spectrum of teenage subculture – with specific ethical codes and rituals of masculinity. Its members were by no means lone specialists who eschewed contact with the outside world, but rather developed their own forms of community and communication. This scene did not construe itself as a political counter-culture; it was rather part of the diversifying popular and consumer culture of the 1980s. In the early 1990s, when law enforcing agencies began to prosecute software piracy more resolutely, this computer subculture began to fade. However, it lived on in the field of computer graphics, in electronic music and in the growing IT sector.
This article investigates the little known phenomenon of tourism to the Iron Curtain, using the example of the inter-German border. The practice of traveling to the demarcation line to see where Germany and Europe were divided peaked during the mid-1960s but was already in full swing by the mid-1950s and lasted until the fall of the border in 1989. Based on archival documents, postcards and tourist guidebooks, the article analyses the growth of a tourist infrastructure on the western side of the inter-German border and situates this travel as a form of ‘dark tourism’. It argues that seeing the border and visualising the partition of the country did little for overcoming it but rather tended to underwrite the political and territorial status quo. In the Cold War battle for public opinion, seeing the border allowed West Germans and their visitors from abroad to juxtapose freedom and prosperity with captivity and decay, thus advertising the superiority of the capitalist model over its socialist other.
Viele Anregungen von Frank Bösch greife ich auf, knüpfe Fragen daran und schlage Schwerpunkte vor. Insbesondere plädiere ich für eine Sozialgeschichte, die an gesellschaftlichen Basisprozessen und weniger an staatlicher Politik interessiert ist. Außerdem schlage ich vor, stärker als bisher außerdeutsche Beiträge und solche aus den Kulturwissenschaften in die Bemühungen um eine integrierte deutsche Nachkriegsgeschichte einfließen zu lassen. Meine Überlegungen habe ich in acht Schritte gegliedert.
Sind die staatssozialistischen Diktaturen an einem Übermaß an „Sicherheit“ gescheitert? Gewöhnlich werden ja eher die verschiedensten Formen des Mangels als Grund für ihren Niedergang angeführt. Es fehlte an Vielem und an allen Ecken und Enden: an individuellen Freiheiten, an Konsumgütern, und schließlich auch den Kommunisten selbst an Zukunftsperspektiven. Selbstverständlich lässt sich argumentieren, dass das eine mit dem anderen zusammenhing. Eine umfassende, die Gesellschaft durchherrschende Politik der Sicherheit nach außen und innen verschlingt beträchtliche Ressourcen für Infrastrukturen, Schutz- und Waffensysteme sowie für die alltäglich zu verrichtenden Tätigkeiten des Überwachens, Kontrollierens und Disziplinierens. Weit vorausschauende vorbeugende Gefahrenabwehr hat ihren Preis, wenn sie allzu enge Grenzen setzt: Sie schränkt die Entfaltung und Selbstbestimmung vieler Individuen ein und kann Kreativität und Unternehmungsgeist behindern, Innovation und damit auch Produktivität und Wachstum hemmen. Wiewohl umfassende Sicherheit kurzfristig der Legitimität eines Regimes zu Gute kommen mag, können ihre Kosten und Nebenwirkungen auf Dauer die soziale Entwicklung behindern und so zum Legitimitätsverlust beitragen.
Junge Menschen brauchen moderne Möbel – so lautete sinngemäß der Appell in dem Artikel »Wohnen zwischen Teen und Twen«, der 1962 in der Einrichtungszeitschrift »Die Kunst und das schöne Heim« erschien. Darin bemängelte die Autorin, dass Jugendliche keinen Sinn für die Vorzüge moderner Möbel hätten und hartnäckig an den wuchtigen Einrichtungsgegenständen eines althergebrachten Stils festhalten würden: »Die modernen Möbel werden allgemein als ›zu leicht‹, ›zu empfindlich‹, und per se als ›wenig dauerhaft‹ empfunden.« Dabei sei gerade das in der modernen Inneneinrichtung verwendete Stahlrohr bemerkenswert knickfest und das gebogene Bugholz trotz seiner papierdünnen Leichtigkeit enorm stabil (schließlich werde es erfolgreich im Flugzeugbau verwendet). Das Unbehagen am neuen Wohnen, aller Vorzüge zum Trotz, betraf laut Verfasserin des Artikels beide Geschlechter: Männliche Teenager klagten darüber, dass die modernen Sitzmöbel unbequem und wenig rückenfreundlich seien, während junge Mädchen insbesondere skeptisch auf die neuen Schränke und Regale reagierten und sich die konventionellen tiefen Kommodenschubladen zurückwünschten, um Ordnung halten zu können. Rückwärtsgewandter sei nur die Elterngeneration, die das neue Wohnen komplett ablehne.
Der Beitrag untersucht sowjetische Diskurse zur Welternährung und Hungerhilfe im »Zeitalter der Ideologien« während der 1950er- bis 1980er-Jahre. Trotz Versorgungsengpässen stellten die wechselnden sowjetischen Führungen den Export von Getreide und Hilfsgütern schon seit den 1920er-Jahren als moralische Pflicht des sozialistischen Systems und als Zeichen seiner Überlegenheit dar. Die Hilfspropaganda betonte die Notwendigkeit, die Kolonien bzw. die dekolonialisierten Staaten aus den Klauen der kapitalistischen Ausbeutung zu befreien. Ab Mitte der 1970er-Jahre hinterfragten sowjetische Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler angesichts globaler Probleme bisherige ideologische Dogmen, wiesen auf die Vorteile der Handelsbeziehungen für die UdSSR hin und gingen von einer interdependenten globalen Ökonomie aus. Der Mangel an Zahlen führte bei der Bevölkerung indes zu Spekulationen über das Ausmaß der Hilfsleistungen. Sowjetische Publikationen, Karikaturen und andere Bilder geben Auskunft über den damaligen offiziellen Diskurs. Anekdoten aus sowjetischer Zeit, aber auch heutige Gespräche mit Zeitzeuginnen und Zeitzeugen belegen, wie die offiziellen Verlautbarungen und die visuelle Propaganda zur Getreideproduktion und zur Entwicklungshilfe in der Gesellschaft rezipiert und kritisiert wurden. Der Eindruck, die UdSSR habe zum Nachteil der eigenen Bevölkerung »Afrika gefüttert«, ist bis in die Gegenwart ein verbreitetes Stereotyp.
This article examines Soviet discourses on world food and famine relief in the ›age of ideologies‹ during the 1950s to 1980s. Despite supply shortages, the various Soviet governments presented the export of grain and aid since the 1920s as a moral duty of the socialist system and a sign of its superiority. Aid propaganda emphasised the need to free the colonies or decolonised states from the clutches of capitalist exploitation. From the mid-1970s onwards, Soviet scholars questioned previous ideological dogmas in the face of global problems, pointed to the advantages of trade relations for the USSR, and postulated an interdependent global economy. The lack of concrete figures, however, led to speculation among the population about the extent of the aid. Soviet publications, cartoons and other images provide information about the official discourse at the time. Anecdotes from the Soviet period and present-day conversations with contemporary witnesses provide evidence of how the official pronouncements and visual propaganda concerning grain production and development aid were perceived and criticised in society. The impression that the USSR ›fed Africa‹ to the detriment of its own population remains pervasive to this day.
»Berlin war anders«, schrieb die Journalistin Susanne Kippenberger 2009 in treffender Hilflosigkeit über das eingemauerte Gebilde zwischen DDR und Bundesrepublik, dessen quecksilbrige Facettenvielfalt so eigentümlich mit seinen scharf markierten Grenzen kontrastiert. Das Berlin, das sie meinte, war West-Berlin – in ihrer Erinnerung einerseits wild und elektrisierend, andererseits übersichtlich und familiär, eigentlich riesengroß und doch eher ein Dorf. West-Berlin war anders – aber wie und was war West-Berlin?
»Von neuem aufgeladen«. Anzeigenwerbung für Verjüngungsmittel in Illustrierten der Weimarer Republik
(2020)
Ewige Jugend ist ein uralter Menschheitstraum. Er war schon lange zur Ware geworden, bevor Anfang der 1990er-Jahre der Ausdruck »Anti-Aging« geprägt wurde. Das macht bereits ein flüchtiger Blick in die illustrierten Magazine der Weimarer Republik deutlich. In fast jeder Ausgabe finden sich Anzeigen, mit denen für den verjüngenden Effekt eines Nahrungsergänzungsmittels oder eines Hormonpräparats, einer Schönheitsoperation oder eines Fitnessprogramms geworben wurde. Hundertfach gewähren solche Anzeigen, die unter anderem von (inter)nationalen Kosmetik- und Pharmaherstellern, Privatkliniken und Kureinrichtungen in Auftrag gegeben wurden, einen Einblick in den Verjüngungsdiskurs der 1920er- und frühen 1930er-Jahre. Zudem zeugen sie von der raschen Expansion der damaligen Verjüngungsindustrie und belegen, wie sehr diese Industrie und die Weimarer Bilderblätter, die wie »kaum ein zweites Medium [...] die Befindlichkeiten der Epoche« spiegeln, voneinander profitierten.
Wolfgang Kaschuba zählt zu den bekanntesten empirisch forschenden Kulturwissenschaftlern in Deutschland. Er studierte Politikwissenschaft und Anglistik sowie Kulturwissenschaft und Philosophie. 1982 wurde Kaschuba an der Universität Tübingen promoviert, 1987 habilitierte er sich dort im Fach Empirische Kulturwissenschaft/Volkskunde. Seit 1992 lehrt er an der Humboldt-Universität zu Berlin als Professor für Europäische Ethnologie. Kaschuba war stellvertretender Sprecher des transatlantischen DFG-Graduierten-Kollegs »Metropolenforschung Berlin – New York« und Geschäftsführender Direktor des Georg-Simmel-Zentrums für Metropolenforschung. Zudem ist er Mitherausgeber mehrerer Buchreihen und Zeitschriften, darunter »Geschichte und Gesellschaft« sowie »WerkstattGeschichte«. Das Gespräch mit Wolfgang Kaschuba führte Hanno Hochmuth.
Im Laufe des 20. Jahrhunderts verwandelte sich die arbeitsfreie Zeit in ein Produkt der Leistungsgesellschaft: Der »Kult der Effizienz« dirigiere die Freiheit unserer Freizeit, so 1972 der Zukunftsforscher Horst Opaschowski. Jede Leistung bedürfe der »Abschlaffung«, verkündete ein Jahr später der Philosoph Franz Vonessen auf einer von der Carl Friedrich von Siemens Stiftung organisierten Vortragsreihe zum »Sinn und Unsinn des Leistungsprinzips«; eine Ausnahme bilde nur das »ernste Spiel der Gedanken« zum reinen Selbstzweck. Das allein am Erfolg orientierte Leistungsdenken sei ein »tödlicher Scherz«. Die wahre Leistung bestehe in der Ruhe, erinnerte er an Blaise Pascals berühmtes Diktum, also in der Fähigkeit des Menschen, in seinem Zimmer zu bleiben.
Die gezeigte Szene war Teil der täglichen Sendung »Medizin nach Noten«, einem Fernsehformat, das die DDR jahrzehntelang begleitete – und bis über ihr Ende hinausreichte. Die Erstausstrahlung erfolgte zu Beginn der 1960er-Jahre, die letzte Ausstrahlung 1994. Bemerkenswert ist diese Sendung nicht nur wegen der sehr langen Laufzeit, sondern auch, weil sie besondere Einblicke in die Geschichte des Sports und gleichzeitig in diejenige des Fernsehens der DDR liefert. Der folgende Beitrag versucht zu zeigen, in welcher Weise durch die Verbindung dieser beiden Geschichten neue Perspektiven für das Konvergenz- oder auch Spannungsfeld von Gesundheit, Politik und Ökonomie hervortreten.
»In den Musennestern, wohnt die süße Krankheit Gestern« – so schreibt Uwe Tellkamp im pathossatten Roman »Der Turm«, dem literarischen Abgesang auf die DDR. Er schildert darin ein Refugiumsbürgertum, das sich gegen die Zumutungen der DDR in den Villen der Dresdner Elbhänge eingenistet hat – Zumutungen, die nun offenbar mit der DDR nicht untergegangen sind, denn seit einiger Zeit gehört Tellkamp selbst zu einem rechtsintellektuellen Milieu ostdeutscher Neodissidenten, die sich von einem wie auch immer gearteten Mainstream ausgegrenzt fühlen. Sie erinnern an die DDR, beklagen ihr geistiges Exil, und einige von ihnen tragen zur Normalisierung der extremen Rechten in Ostdeutschland bei.
Einer der kühleren Sommertage im August. Durch eine kleine Passage erreiche ich Steibs Hof, wo früher mit Pelzen gehandelt wurde und heute das N’Ostalgie-Museum Leipzig seine Ausstellung zur »Alltagskultur der DDR« präsentiert. Am Eingangstresen, der zugleich als Bar des integrierten Cafés mit dem Namen »1:33« fungiert, begrüßt mich ein Mann: »Guten Tag. Wollen Sie Ihre Erinnerung auffrischen?« Noch bevor ich mein Ticket bezahlt habe, stellt er mir den »jungen Mann« vor, der all die hier präsentierten Objekte zusammengetragen habe. Das Porträt, auf das er weist, zeigt einen älteren Herrn in der Tür eines knallroten Wartburg 311. »In liebevoller Erinnerung« steht darüber, und unter der Fotografie: »Horst Häger. Geb. 24.11.1937, gest. 12.07.2011. Gründete 1999 das N’Ostalgie-Museum und hat über die Zeit bis 2011 alle ausgestellten Exponate zusammengetragen.« Wie ich erfahre, hat eine Enkelin Hägers das Museum 2016 aus Brandenburg an der Havel nach Leipzig überführt. Mit den Worten »Damit Sie wissen, wer Sie heute Abend ins Bett geleitet« überreicht mir der Mann an der Kasse meine Eintrittskarte, auf der das Sandmännchen abgebildet ist, und entlässt mich in die kleine Ausstellung. An diesem Vormittag bin ich die erste Besucherin, doch noch während ich die Objekte im Eingangsbereich betrachte, kommen weitere Gäste. Wie ich werden sie mit der Frage begrüßt, ob sie ihre Erinnerungen »auffrischen« wollen, was jeweils kurze Irritation auslöst. Fast rechtfertigend klingen die Antworten der beiden Paare: »Wir wollen gern das Museum besuchen« und »Wir würden uns gern umschauen«.
In den 1920er- und 1930er-Jahren gab es, ähnlich wie heutzutage, auf dem deutschen Zeitschriftenmarkt Modemagazine unterschiedlicher Preisklassen, die sich unter anderem durch die in ihnen präsentierte Mode und Modefotografie voneinander unterschieden. Höherpreisige Magazine wie beispielsweise »die neue linie« (1929–1943, Otto Beyer, Leipzig), »Die Dame« (1911–1943, Ullstein, ab 1937 Deutscher Verlag, Berlin) und »Die Mode« (1941–1943, Otto Beyer, Leipzig) richteten sich an gehobenere Schichten und präsentierten ihrer Leserschaft statt konkreter Bekleidungsvorschläge eher einen »Lebens- und Kleidungsstil«. Die abgedruckten Modefotografien orientierten sich an internationalen Fotostandards und sollten Ausdruck einer »deutschen Hochmode« sein.
Dieser Aufsatz erklärt die enorme Resonanz von Günter Wallraffs Bestseller »Ganz unten« (Erstausgabe 1985) mit den emotionalen Bedürfnissen und der soziokulturellen Verfasstheit der westdeutschen Mehrheitsgesellschaft. Das Buch artikulierte soziale Abstiegsängste während einer wirtschaftlichen Strukturkrise mit hoher Arbeitslosigkeit. Es präsentierte eine binäre Weltsicht, die die expressive Emotionskultur der 1980er-Jahre reflektierte. Die nahezu apokalyptische Darstellung der westdeutschen Industriegesellschaft und ihres menschenverachtenden Umgangs mit migrantischen (Leih-)Arbeitern stand im Einklang mit der Weltsicht eines wachsenden grün-alternativen Milieus. Im Gegensatz zur populären Erinnerung war das Buch jedoch kein Wendepunkt in der öffentlichen Repräsentation der türkischen »Gastarbeiter«, für deren Erfahrungen Wallraff nach seiner Undercover-Recherche als »Ali« zu sprechen schien. Vielmehr verdeutlichte »Ganz unten« massive Defizite im Umgang mit Differenz in der bundesrepublikanischen Gesellschaft der 1980er-Jahre, gerade auch auf der Linken. Nicht Wallraffs Buch, sondern die damalige, bisher vernachlässigte deutsch-türkische Kritik daran markiert eine historisch signifikante antirassistische Traditionslinie, die bis in die Gegenwart reicht.
»Free to Choose«. Die Popularisierung des Neoliberalismus in Milton Friedmans Fernsehserie (1980/90)
(2015)
In einem engen, stickigen Kellerraum irgendwo in Rochester, New York, klingeln die Telefone, es ist viel zu tun. Von überallher laufen Aufträge ein, denn die Firma P.H. Brennan Hand Delivery, die hier ihren Sitz hat, prosperiert. Pat Brennan, eine kleine, schmächtige Frau, die entschlossen in die Kamera blickt, ist die Gründerin der kleinen Firma. Die Kamera zeigt, wie sie als Zustellerin, mit Briefen beladen, zu Fuß durch Rochester läuft. Hinter ihr droht das große, einschüchternde Gebäude des United States Post Office. Ganz ähnliche Hochhäuser waren in dieser Serie schon früher zu sehen: In ihrer schieren Massivität visualisieren sie sehr genau das, was Milton Friedman, der die Geschichte aus dem Off kommentiert, big government nennt. Big government nämlich zerstört wenig später Pat Brennans prosperierendes Kleinunternehmen. In den USA des Jahres 1978 ist die Post ein gesetzlich gesichertes Staatsmonopol. Brennan Hand Delivery muss deshalb schließen, nach einem auch gerichtlich ausgetragenen Kampf gegen die Regierung. Die letzte Kameraeinstellung zeigt den Kellerraum, der die Firma beherbergte, still, leer und verlassen. Diesen Kampf gegen Goliath hat David verloren.
Am 5. August 1974, gegen 20 Uhr am Montagabend, rief ein erboster Zuschauer im Mainzer Sendezentrum des ZDF an. Die laufende Sendung sei eine »Zumutung«, er wolle im Feierabend ein »Programm zur Entspannung«. Gedankliches Abschalten ließ die zweite Episode der monatlich ausgestrahlten, siebenteiligen Reihe »Unser Walter – Spielserie über ein Sorgenkind« offenbar nicht zu. Die Serie porträtierte Walter Zabel, einen Jugendlichen mit Trisomie 21. Derart ablehnende Reaktionen waren aber in der Minderzahl. Nach der Ausstrahlung jedes Teils notierte der ZDF-Telefondienst auf dem Mainzer Lerchenberg stets mehr mitfühlende und interessierte als kritische Rückmeldungen und »Schimpfereien«. Die ZuschauerInnen bekundeten nicht nur ihr Entsetzen über die alltäglichen Ausgrenzungen, denen die Familie Zabel begegnete. Sie befürworteten das Ziel der Serie, in »unserer grausamen Gesellschaft Verständnis für solche Kinder zu wecken«. Andere wollten betroffenen Eltern gar selbst Hinweise über spezielle Anlaufstellen geben, und auch behinderte Menschen griffen zum Telefon, um mit ihren Erfahrungen die fiktionale Handlung zu ergänzen. Nicht zuletzt fragten Eltern von Kindern mit Trisomie 21 nach AnsprechpartnerInnen, beispielsweise nach der Anschrift der in der Sendung genannten Bundesarbeitsgemeinschaft »Hilfe für Behinderte«, einem Dachverband von Organisationen von und für behinderte Menschen (heute: BAG Selbsthilfe). Diese Reaktionen des Fernsehpublikums zeigen, wie sehr sich die Darstellungskonventionen und auch die Wahrnehmungsweisen von Behinderungen in den frühen 1970er-Jahren im Umbruch befanden.
Stress ist als Begriff und Problem weit über die Medizin- und Wissenschaftsgeschichte hinaus relevant; Stressdiskurse können als Sonde für breitere gesellschaftsgeschichtliche Konstellationen dienen. Eine geschichtswissenschaftliche Auseinandersetzung mit Stress muss daher zum einen dem medizinisch-biologischen Konzept nachgehen, zum anderen dessen gesellschaftliche Funktionalität erfassen. Die Zeitgeschichte wird den Fokus besonders auf die sozioökonomischen Prozesse und die soziale Sinngebung richten. Gleichwohl gibt es ein nicht zu vernachlässigendes methodisches Grundproblem: Wie lässt sich eine Beziehung herstellen zwischen den biochemischen und psychologischen Dimensionen, die mit dem Stressbegriff verknüpft sind, sowie den komplexen sozialen Konfigurationen, die dieser Begriff rationalisieren soll? Was sind die Konstituenten und Selbstbeschreibungsmodi einer Gesellschaft, die sich durch Flexibilisierung und Regulierung gleichermaßen auszeichnet? In welchem Verhältnis stehen zudem die jüngere Entwicklung seit den 1970er-Jahren, in der Stress eine hohe Deutungsmacht erhalten hat, und die Überforderungsdiskurse seit dem Ende des 19. Jahrhunderts?
In den 1980er-Jahren erweiterte die In-vitro-Fertilisation (IVF) nicht nur die Möglichkeiten der Familienplanung, sondern eröffnete auch neue, rasch expandierende Forschungs- und Geschäftsfelder für Mediziner in der Bundesrepublik. Die Vermarktlichung der menschlichen Reproduktion war Gegenstand eines breiten Aushandlungsprozesses über das technisch Machbare und das ethisch Vertretbare. Der Aufsatz stellt die Reproduktionsmediziner in den Mittelpunkt: Als Anbieter von innovativen Dienstleistungen verfolgten sie neben einem wissenschaftlichen Fortschrittsstreben auch ökonomische Interessen. Über die Medien sowie als Mitglieder von Ethikkommissionen nahmen sie politischen Einfluss. Sie verstärkten die öffentliche Wahrnehmung der Reproduktionsmedizin und waren an der Erstellung von gesetzlichen Richtlinien für ihr Tätigkeitsfeld beteiligt. Die medial geübte Kritik betonte die Gefahren einer technokratisch-politischen Steuerung und mögliche Kontinuitäten zur NS-Zeit. Mit der Verabschiedung des – im internationalen Vergleich restriktiven – Embryonenschutzgesetzes von 1990 kam die Debatte zu einem vorläufigen Ergebnis, war und ist jedoch keineswegs beendet.
Der Wohnungs- und Städtebau der Zwischenkriegszeit bildet ein Paradebeispiel für die Intentionen und Grenzen der frühen Rationalisierungsdiskurse als einem Kernelement des Fordismus. Der Erste Weltkrieg verhalf der Bewegung sowohl in Deutschland wie in Frankreich zum Durchbruch. Während in Frankreich die private Schwerindustrie trotz staatlicher Rahmensetzungen den Takt angab, wurden in Deutschland die ersten Pilotprojekte der Rationalisierung nach 1918 von sozialistischen „Bauhütten“ und den Kommunen realisiert. Die aus Amerika kommenden Konzepte von Ford, Taylor und Gilbreth wirkten als Katalysatoren auf die in Europa entwickelten Ideen. In der Weltwirtschaftskrise zeigte sich, dass die Rationalisierung im Bauwesen die steigenden Zinsbelastungen am Kapitalmarkt nicht ausgleichen konnte. Der Aufsatz vertritt die These, dass ungeachtet nationaler Varianten in Europa insgesamt die „endogenen“ Konzepte und Triebkräfte (wie Erster Weltkrieg, Wohnungsreform und Sozialpolitik) eine deutlich wichtigere Rolle spielten, als es das Schlagwort vom „Fordismus“ anzeigt.
Design aus der DDR ist heute scheinbar nur ein kunsthistorisches Randgebiet. Doch im Kontext der Dauerausstellung zum »Alltag in der DDR«, die die Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland nun seit November 2013 am früheren Ort der Sammlung Industrielle Gestaltung in der Berliner Kulturbrauerei zeigt, ist es in den letzten Jahren zu einem kontroversen öffentlichen Thema geworden. Der Konflikt bezieht sich unmittelbar auf diese Sammlung, eine der ältesten zum Design in Deutschland – und mit etwa 160.000 Objekten wohl die umfassendste und vielseitigste zur Produktgestaltung in der DDR, jedoch seit 2005 weder öffentlich sichtbar noch beworben. Aufgrund ihrer wechselhaften Geschichte nach der Wiedervereinigung wurden die Bestände bisher nur überblicksweise erschlossen. Obwohl Forscher sie auf Anfrage einsehen können, wäre eine systematische Katalogisierung, inhaltliche Bewertung und damit bessere Zugänglichkeit nötig.
FUTURA ist ein Qualifikationsangebot für Frauen- und Gleichstellungsbeauftragte in Hochschulen und Forschungseinrichtungen aller Wissenschaftsbereiche.
Das in Modulen aufgebaute Angebot vermittelt genderkompetentes Handeln im Beruf und wurde von der Zentralen Frauenbeauftragten der FU in Zusammenarbeit mit dem Weiterbildungszentrum der Freien Universität konzipiert und durchgeführt. Der erste Durchgang des Kurses fand von 2004 bis 2006 statt. Bis heute wird das Angebot vor dem Hintergrund der Erfahrungen der Koordinatorinnen fortlaufend evaluiert und modifiziert.
Ziel des Programms ist es, dem in der Verfassung verankerten Recht auf Chancengleichheit im Wissenschaftsbereich mit den Mitteln der Professionalisierung der Gleichstellungs- und Frauenbeauftragten zur Durchsetzung zu verhelfen. Dabei stattet das Weiterbildungsangebot die Amtsträger*innen (auch über das Amt hinaus) mit den notwendigen Kompetenzen für eine erfolgreiche Gleichstellungsarbeit aus. Die Arbeit von Frauen- und Gleichstellungsbeauftragten und Gleichstellungsakteur*innen wird somit als qualifizierte und qualifizierende Tätigkeit anerkannt. Zu den Inhalten dieses Professionalisierungsangebotes gehören neben den theoretischen Grundlagen von Gender, Diversität und Intersektionalität der rechtliche Rahmen, in dem sich Gleichstellungsarbeit bewegt, der Umgang mit sexualisierter Gewalt, gendergerechte Bewerbungs- und Berufungsverfahren u.v.m.
Unsere Gesprächspartnerin Josephine Bürgel ist Stellvertreterin der zentralen Frauenbeauftragten der FU und (gemeinsam mit Wendy Stollberg) Ansprechpartnerin und Koordinatorin des FUTURA-Programms.
Wie verändern sich die Objekte der Geschichtsschreibung, also die Gegenwart und die jüngere Vergangenheit, durch die Medien? Wie verändert sich die Geschichtsschreibung selbst durch die Medien? Was bedeutet die in Forschung und Öffentlichkeit verbreitete Rede von der ‚Mediengesellschaft‘ aus historischer Perspektive eigentlich genau? Der Aufsatz unterscheidet zunächst einige Prozesse der ‚Medialisierung‘, geht damit verbundenen Strukturverschiebungen nach und betrachtet insbesondere Veränderungen von Öffentlichkeiten. Dabei wird dafür plädiert, die Ambivalenz der Entwicklungen anzuerkennen und nicht vorschnell Paradigmenwechsel zu behaupten. Zudem werden einige Leitlinien formuliert, was eine Medialisierung der Zeitgeschichtsschreibung bedeuten könnte. Hier gilt es, neue Wege zu beschreiten und neue Ziele zu setzen, die der Ära der Audiovisualität gerecht werden.
Der Computer und die mit ihm verbundenen Informations- und Kommunikationstechnologien sind spätestens mit dem Aufkommen der Mikroelektronik Anfang der 1970er-Jahre zu entscheidenden Faktoren der Entwicklung moderner Industriegesellschaften geworden. Im Verlauf der 1980er-Jahre diffundierten Computer und neue Medien in nahezu alle Bereiche der Gesellschaft – angefangen von der Arbeit über die Formen der sozialen Kommunikation, die politische Kultur, die Bildung, den Konsum und die Freizeit bis hinein in die individuellen Lebensstile. Der „Informationsgesellschaft“ (ein Begriff, der nicht zufällig ab etwa 1980 populär wurde) hat die zeithistorische Forschung bislang eher wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Mit Blick auf die wichtigsten Phasen und Zäsuren diskutiert der Aufsatz mögliche Perspektiven einer Zeitgeschichte der Informationsgesellschaft. Plädiert wird dabei für eine integrierende gesellschaftsgeschichtliche Analyse des mit dem Computer verbundenen Wandels sowie der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Kontexte.
Die Restitution von Wohneigentum stellte ein großes Konfliktfeld im deutschen Einigungsprozess dar, das zugleich durch eine lange Vorgeschichte geprägt war. Eigentumsideen und -notationsformen aus dem 19. Jahrhundert sowie Praktiken aus der DDR spielten nach 1990 in die Entscheidungen der Ämter zur Regelung offener Vermögensfragen hinein; sie prägten Erfahrungen und Bewertungen des 1990 eingeführten Prinzips »Rückgabe vor Entschädigung«. Das zugrundeliegende Vermögensgesetz wurde in den 1990er-Jahren modifiziert und berücksichtigte vermehrt DDR-Praktiken. Trotzdem dominieren in den öffentlichen Darstellungen Verlusterzählungen, vor allem aufgrund der langen Zeit der Unsicherheit bis zur endgültigen Entscheidung. Das für den ersten Teil des Aufsatzes gewählte Beispiel Kleinmachnow, das unmittelbar an das frühere West-Berlin angrenzte, stand in den 1990er-Jahren besonders im Medieninteresse. Unklar blieb aber, welche Aussagekraft es für Ostdeutschland hat. Im zweiten Teil wird deshalb nach dem Typischen dieses Falles gefragt. Zugleich wird dafür auf die besonderen Quellen der Transformationsgeschichte eingegangen: Die Sozialwissenschaften produzierten seit 1990 eine Vielzahl qualitativer und quantitativer Daten, die nun auch der Geschichtswissenschaft als Quellen zur Verfügung stehen. Vor einer Sekundäranalyse müssen sie aber wissensgeschichtlich eingeordnet werden: Die Sozialwissenschaften beobachteten den Transformationsprozess nicht nur, sondern gestalteten ihn mit. Vorgeschlagen wird hier ein integratives Verfahren, um quantitative und qualitative Ergebnisse für die Geschichtswissenschaft zu verbinden und somit zu einem besseren Verständnis der komplexen Transformationsgeschichte zu gelangen.
Anhand von über 100 tschechischen und slowakischen Elternratgebern fragt der Aufsatz nach der Einbindung von Erziehungsnormen in Prozesse der Werte- und Gemeinschaftskonstruktion sowie nach der gesellschaftspolitischen Rolle von ExpertInnen. Die Analyse macht deutlich, dass Inhalte und Formen der Ratgeber nicht immer spezifisch sozialistisch waren. Vielmehr können die vermittelten Normen, die geschilderten Probleme und die vorgeschlagenen Lösungen auch in einen gesamteuropäischen oder globalen Zusammenhang moderner Industriegesellschaften eingeordnet werden. Für die 1950er-Jahre ist dabei eine Mischung aus sozialistischer Aufbaurhetorik und bürgerlich anmutenden Familienidealen markant. Der revolutionäre Ehrgeiz der tschechoslowakischen Politik nach 1948 ist in Elternratgebern nur sehr bedingt wiederzufinden. Für die 1960er-Jahre ist eine Psychologisierung der Kindheit zu beobachten, welche Erziehungsfragen in kritische gesellschaftspolitische Perspektiven einordnete (Mangel an Zeit und Zuwendung für Kinder, einseitig technokratische Medizin etc.). Diese Betrachtungsweise wurde in der »Normalisierungszeit« nach 1968 weitergeführt. Zugleich stiegen die Ansprüche an Elternschaft und Erziehung. Damit wurden Elternratgeber zu Instrumenten der Normen- und Konsensbildung, Disziplinierung und Subjektformung im späten Sozialismus.
Die Friedliche Revolution und die folgende Systemtransformation wurden von den Ostdeutschen als tiefer biographischer Einschnitt erlebt. Weite Teile ihrer Lebenswelt veränderten sich, einstige Sicherheiten waren auf einmal nicht mehr sicher. Dieser revolutionäre Wandlungsprozess wurde ganz unterschiedlich erlebt und gedeutet. Heute prägen die damaligen Erfahrungen den Rückblick auf diese Zeit. Es besteht ein Erinnerungskonflikt zwischen einem Revolutionsgedächtnis, das die demokratischen Errungenschaften hochhält, und einem Verlustgedächtnis, das den Umbruch als Zeit der Verunsicherung und enttäuschten Erwartungen abgespeichert hat und bis heute eine skeptische Haltung zur neuen politischen Ordnung einnimmt. Eng verklammert ist die jeweilige Deutung zudem mit unterschiedlichen Geschichtsbildern von der SED-Diktatur, deren wichtigste Quelle heute die Familie ist. Schule und Gedenkstätten spielen bei der Ausprägung von Geschichtsbildern hingegen eine deutlich nachgeordnete Rolle. Auch die jeweiligen Diktaturerfahrungen prägen also die Sicht auf die Transformation.
Drei Bücher haben im 20. Jahrhundert zu unterschiedlichen Zeitpunkten das Bild der Deutschen über die Sowjetunion geprägt: René Fülöp-Millers „Geist und Gesicht des Bolschewismus“ aus dem Jahr 1926, Klaus Mehnerts „Der Sowjetmensch“ aus dem Jahr 1958 und Lois Fisher-Ruges „Alltag in Moskau“ aus dem Jahr 1984. Allen drei Publikationen ist gemeinsam, dass sie kaum auf die historischen Ereignisse oder das politische Tagesgeschäft zu sprechen kommen, sondern einen Einblick in die sowjetische Alltagskultur zu geben versuchen. Den Autoren der drei Bücher war von Anfang an klar, dass sie eigentlich Unmögliches vorhatten: Es ist ein Ding der Unmöglichkeit, alle Facetten einer Gegenwartskultur zu erfassen und darzustellen. Im Fall der Sowjetunion kam erschwerend dazu, dass man kaum auf verlässliche Quellen zurückgreifen konnte: Die Kultur teilte sich in einen offiziellen Betrieb und einen verbotenen Untergrund, soziologische Daten waren nicht erhältlich oder manipuliert, die Gesprächspartner mussten immer auf der Hut vor den staatlichen Überwachungsorganen sein. So blieb den Autoren nichts anderes übrig, als sich auf ihre persönliche Erfahrung zu stützen, die naturgemäß nur einen beschränkten Radius aufwies. Der Erfolg der genannten Bücher verdankte sich nicht nur ihrem Inhalt, sondern auch dem Erscheinungsdatum, das jeweils eine Wendezeit markierte: Fülöp-Miller lieferte nach zehn Jahren Sowjetregime eine erste Bilanz, Mehnert dokumentierte das Ende des Stalinismus, Fisher-Ruge gab einen Einblick in die gesellschaftlichen Startbedingungen der Perestrojka.
After the Second World War, West German Catholics placed more faith in religious miracles than they did at almost any other period in the modern era. West German congregations reported eleven apparitions of the Virgin Mary to Church officials be-tween 1945 and 1954, as well as Europe’s most prominent twentieth century case of stigmata. Existing scholarship links the popularity of these alleged miracles to the ways in which Marian symbolism articulated anxieties about war trauma and the Cold War. This article illustrates how an interconnected movement of rural women, provincial priests, concentration camp survivors, and former prisoners of war based around Marian visions and stigmata emerged as a reaction not only to the Cold War, but also to Americanisation, consumerism, and the Nazi past. To frame the bitter conflicts between Marian pilgrims and Church hierarchy about the recognition of religious miracles, the article utilises Pierre Bourdieu’s concept of ‘religious field’. It also takes into account the gendered character of the conflicts.
„Mit Angst, Hass und entgrenzter Gewalt – und nicht mit Sektflaschen begann die Deutsche Einheit für Linke, Deutsche mit Migrationshintergrund, Ausländerinnen und Ausländer in vielen ostdeutschen Städten“, kommentierte unlängst Christian Bangel den 3. Oktober 2020 in DIE ZEIT. „Das war nicht nur ein schlechter Start der Deutschen Einheit. Es war ein Fanal für die neuen Zeiten.“ Tatsächlich bekamen die rechten Gewalteskalationen im Übergang von der DDR zur vereinigten Bundesrepublik, die von körperlicher Bedrohung und Herabsetzung bis zu tödlichen Angriffen reichten – zuletzt immer mehr Aufmerksamkeit. In manchen Regionen hatte diese „Gewalt der Vereinigung“ vor allem für nicht-weiße Personen, Wohnungslose und Linke eine permanente Bedrohungslage geschaffen.
Unter #Baseballschlägerjahre forderte Bangel vorletztes Jahr dazu auf, die Erinnerungen an die Vereinigungsgewalt zu teilen. Innerhalb einer Woche sammelten sich mehrere hundert kurze Einzelberichte an; im November 2020 veröffentlichte der RBB in Kooperation mit ZEIT ONLINE daran anknüpfend zusätzlich sechs Kurzfilme, die Schlaglichter auf einzelne Orte werfen und Geschichten von Bedrohung, Terror und Angst erzählen. Es gibt aber auch einige autobiographische Romane. Jene, die zu dieser Zeit ihre Jugend in Ostdeutschland erlebten, erzählen davon, wie sie angegriffen, bedroht und zusammengeschlagen wurden: Clemens Meyer in „Als wir träumten“ (2007), Peter Richter in „89/90“ (2015), Manja Präkels in „Als ich mit Hitler Schnapskirschen aß“ (2017).
Die autobiografischen Texte stehen im Mittelpunkt dieses Beitrages, da sie eine neue Perspektive auf die Erfahrung der Transformationsprozesse der Vereinigung eröffnen und sich mit einem anderen Phänomen der postsozialistischen Gesellschaft in Zusammenhang bringen lassen: der Abwanderung. Die enthemmte rechte Gewalt war für die in diesem Beitrag ausgewählten Berichtenden ein wichtiger Anlass, den Osten zu verlassen.
Nichts, jenseits der Luft zum Atmen und dem Wasser zum Trinken, ist für die menschliche Existenz so grundlegend wie die Ernährung, kaum etwas so essentiell wie die regelmäßige Nahrungsaufnahme. Doch während Empfehlungen für Ernährungsumstellungen zum Veganismus oder zu vermeintlich »natürlichen« Paleo-Diäten in Teilen der westlichen Öffentlichkeiten auf fruchtbaren Boden fallen1 und der Wunsch nach Selbstoptimierung das Alltagsverhalten vieler Menschen beeinflusst, berichten Ärzt:innen und Gesundheitsexpert:innen in aller Welt über wachsende Probleme mit Fettleibigkeit und damit verbundenen Krankheiten. Nach Daten der OECD von 2017 hat Übergewicht in der Altersgruppe der 15- bis 74-Jährigen in allen Mitgliedsländern während der letzten drei Dekaden kontinuierlich zugenommen. Während in Frankreich und Italien im Jahr 2017 etwa 40 Prozent der Bevölkerung als übergewichtig galten, erreichten die Werte in den USA und Mexiko fast 70 Prozent. Im OECD-Durchschnitt gilt zudem eine von fünf Personen nicht nur als übergewichtig, sondern als fettleibig.
Wahrnehmungen, Gebrauchsweisen und sozioökonomische Folgen der Computernutzung bis zum Aufkommen des PCs.
Die Verbreitung des Computers zählt zu den wichtigsten Veränderungen der jüngeren Zeitgeschichte. Bereits seit Mitte der 1950er Jahre setzten zunächst große Unternehmen und Behörden, dann auch das Militär und Sicherheitsdienste zunehmend Computer ein. Die Zeitgenossen diskutierten intensiv die Auswirkungen der Computernutzung und bewerteten sie als einen tiefgreifenden Umbruch. Dennoch hat sich die Zeitgeschichtsforschung bislang kaum mit dem Beginn des digitalen Zeitalters beschäftigt.
Die Autorinnen und Autoren dieses Bandes untersuchen die Verbindungen zwischen technischem und gesellschaftlichem Wandel als einen evolutionären Prozess, der selten gradlinig verlief. Klassische Themen der Zeitgeschichtsforschung, wie die Geschichte der Inneren Sicherheit, des Wohlfahrtsstaats und des Bankenwesens, der Arbeitswelt, der Verwaltung, aber auch von Protest- und Subkulturen werden auf diese Weise neu betrachtet. Dabei wird aufgezeigt, inwieweit Computer die Kontroll-, Betriebs- und Machtgefüge veränderten. Die Bundesrepublik steht im Vordergrund, jedoch mit vielfältigen Seitenblicken auf grenzübergreifende Verflechtungen.
Seit einiger Zeit kursiert das Schlagwort „Ostalgie“. Fernsehshows mit ehemaligen Medaillengewinnern, halb vergessenen Prominenten und ergrauten Medienstars boomen. Thema: die DDR im wehmütigen Rückblick. Man gewinnt den Eindruck, dass sich der Deutsche-Ost seine Vergangenheit angesichts der unsicheren Gegenwart gern verklären lässt. Motto: So schlimm war es ja nicht. Der Deutsche-West steht etwas hilflos vor diesem Kessel Buntem, von dem er kaum etwas gesehen oder miterlebt hat.
Die öffentliche Wahrnehmung der Transformationen in den postsozialistischen Ländern ist in zweierlei Hinsicht unterbelichtet: Sie ist räumlich begrenzt, indem sie den Fokus auf jeweils national begrenzte Fälle im ehemaligen Ostblock richtet. Sie ist zeitlich begrenzt, indem sie den Fokus auf die Jahre des raschen Systemumbaus richtet und allenfalls die Jahre unmittelbar davor einbezieht. Transformationen ganzer Gesellschaften, so wollen wir an einer alltagsrelevanten Institution zeigen, greifen aber auch auf Ressourcen zurück, die viel weiter in die Vergangenheit zurückreichen und gerade im zentraleuropäischen Raum schon immer einen zugleich nationalen und transnationalen Charakter hatten. Die Rede ist von der Freiwilligen Feuerwehr als einem seit Mitte des 19. Jahrhunderts in allen Ländern des Deutschen Reichs wie auch der Österreichisch-Habsburgischen Monarchie verbreiteten Muster der lokalen Selbstregierung (self governance). Unsere Beispiele kommen aus Sachsen, den tschechischen Ländern und Slowenien – sie könnten aber auch aus Mecklenburg-Vorpommern, Galizien, der Slowakei oder der Vojvodina stammen. Gemeinsam ist ihnen die erstaunliche institutionelle Kontinuität der Organisation eines freiwilligen Dienstes für die lokale Gemeinschaft über die dramatischen Systemwechsel des 20. Jahrhunderts hinweg. Dabei existieren Freiwillige Feuerwehren immer lokal als Personenvereine mit aktiven (das heißt für die Brandbekämpfung einsatzbereiten) und fördernden Mitglieder*innen, die sich überlokal zu regionalen und nationalen Verbänden zusammenschließen, die wiederum untereinander rege den internationalen Austausch pflegen.
Das Eintauchen in die besondere Welt der „Family of Man“ beginnt für den Besucher bereits bei der Anreise: Erscheint der großformatige Hinweis am Abzweig der Schnellstraße noch als gewöhnliches Hinweisschild, führt die weitere Fahrt über immer verschlungenere Kurven schließlich zu einer Anhöhe, die einen beeindruckenden Blick über das im Tal liegende Städtchen Clervaux eröffnet. Dominant auf der gegenüberliegenden Seite erstreckt sich leicht erhöht das schneeweiße Schloss, das im Juli 2013 nach längerer Renovierung die Wiedereröffnung der permanenten Ausstellung „The Family of Man“ feierte.
Das Thema »Erben« besitzt eigentlich alles, was zur Neugier reizt: prominente Schicksale, sozialen Sprengstoff, in materielle Interessen hineingewirkte Emotionen, familiäre Inventuren und kriminelle Energien. Aus diesen Gründen ist das Erben durch alle literatur- oder filmhistorischen Epochen hindurch zu einem Leitmotiv erzählender Genres geworden – vom »König Lear« bis zu den »Buddenbrooks« und von Balzacs »Eugenie Grandet« bis zum »Gestiefelten Kater«. Für Komödien und Dramen aller Art, von Krimis ganz zu schweigen, ist der Erbfall ein überaus dankbarer Plot. Für die zeithistorische Wissenschaft, zumindest für die deutschsprachige, trifft diese Feststellung überraschenderweise kaum zu. Während für die älteren Epochen der Geschichte das Vererben, die Weitergabe von Land und Besitz, der Umgang mit Mitgiften, strategisches Heiratsverhalten oder die adlige Erbfolge seit langem maßgebliche und sehr gut erforschte Themenfelder sind, gilt dies für das 19. und vor allem für das 20. Jahrhundert nur in einem sehr eingeschränkten Maße.
Impfungen sind ein Traum der Moderne: Sie versprechen den Schutz ganzer Gesellschaften. In den beiden deutschen Staaten wurde dieser Schutz mit unterschiedlichen Methoden vorangetrieben – das Mobilisieren von Ängsten, Appelle an die Sorge um das Gemeinwohl oder die Durchsetzung von Impfpflichten sollten die Gesundheit des Einzelnen und den „Herdenschutz“ der Gesellschaft sichern. Der Aufsatz erkundet die deutsch-deutsche Geschichte des Impfens von den 1950er-Jahren bis 1989/90. Im Fokus stehen Aushandlungen von Risiko- und Sicherheitsvorstellungen, Versuche eines „Emotion Management“ sowie Debatten über das Verhältnis zwischen staatlicher Interventionsmacht und staatsbürgerlicher „Mündigkeit“. Anhand der Konflikte zwischen der Bundesrepublik und der DDR wird zudem gezeigt, dass der Wettlauf um die bessere Immunisierung ein Kampf um die bessere soziale Ordnung war. Andererseits wird belegt, dass es auf dem Gebiet der Impfpolitik gerade in den 1980er-Jahren eine wachsende Tendenz zur deutsch-deutschen und internationalen Kooperation gab.
In der Volksrepublik Ungarn erschien seit 1986 auf Initiative des Zentralkomitees der Ungarischen Sozialistischen Arbeiterpartei (MSZMP) sowie des Politbüros die Publikumszeitschrift »Képes 7« (»Bebilderte Woche« oder »Die bebilderten Sieben«), die den Lesern als Vorzeigeprojekt der modernen sozialistischen Magazingestaltung angekündigt wurde. Anhand des turbulenten ersten Erscheinungsjahrs von »Képes 7« werden unterschiedliche Praktiken des Umgangs mit Fotografien beleuchtet. Wie sah die bislang kaum untersuchte sozialistische Bildpolitik bzw. Bildlenkung im Alltag aus? Die Bandbreite der Haltungen und Handlungen der Akteure reichte von der Übernahme von Fotos aus westlichen Zeitschriften (»Scherenarbeit«) über die Produktion eigener Reportagen bis hin zu massiven Konflikten um einzelne Bilder oder Themenfelder. Näher betrachtet werden Personen und Institutionen, die am Prozess der Bilderzeugung und massenwirksamen Verbreitung beteiligt waren. Der Aufsatz stützt sich auf die veröffentlichten Ausgaben von »Képes 7«, auf zeitgenössisches Archivmaterial sowie auf eigene Interviews mit ausgewählten Akteuren.
Der Beitrag untersucht Arbeitsämter in der Bundesrepublik Deutschland und Großbritannien während der 1970er- und 1980er-Jahre, einer Zeit deutlich gestiegener Arbeitslosenzahlen. Im Fokus stehen die Verwaltungsvorgänge, begriffen als soziale Praktiken und Mensch-Ding-Verhältnisse. Mit der Akteur-Netzwerk-Theorie fragt der Aufsatz nach der Agency der Verwaltungsdinge im Arbeitsamt: den Bürogestaltungen, Aktenordnern, Wartenummern oder Stellenaushängen. Problematisiert wird besonders die in den 1970er- und 1980er-Jahren durchgesetzte Technisierung der administrativen Vorgänge, also der vermehrte Einsatz von Apparaten und EDV-Systemen in bundesdeutschen und britischen Arbeitsverwaltungen. In beiden Ländern wurde »Selbstbedienung« zu einem neuen Verhaltensdispositiv, das sich in den neu eingerichteten britischen Jobcentres jedoch schneller durchsetzte als im traditionellen deutschen Arbeitsamt, wo das passive Warten weiterhin eine vorherrschende Subjektivierungspraxis blieb.
Auch heute, knapp drei Jahrzehnte nach dem Zusammenbruch der DDR und dem Beitritt des kleineren ostdeutschen Staates zur größeren Bundesrepublik hat sich die Zeitgeschichte noch kaum mit der Frage auseinandergesetzt, wie sich das, was seit 1990 auf dem Boden des nunmehr voll-souveränen Deutschlands entstand, in geschichtswissenschaftlicher Perspektive erfassen, verstehen und einordnen lässt. Für die These, dass es sich bei der nach Osten erweiterten Bundesrepublik nicht bloß um eine Fortsetzung von Altbekanntem, sondern teilweise um etwas Neues handelte, sprachen neben dem radikal gewandelten internationalen Kontext schon aus zeitgenössischer Sicht die besonderen Bedingungen des politischen Umbruchs in der spätsozialistischen DDR.
Verglichen mit den kommunistischen Nachbarstaaten waren die Umwälzungen in Ostdeutschland durch ein besonders hohes Tempo geprägt. Binnen weniger Monate kollabierte ein politisches, wirtschaftliches und gesellschaftliches System, welches sich bis dahin – trotz vielfältiger Anpassungsschwierigkeiten und Krisenerscheinungen – durch einen bemerkenswerten Grad an Stabilität und Selbstbewusstsein ausgezeichnet hatte. Neben dem schlagartigen Zerfall des SED-Staats stellte die schnelle Übertragung des politischen und sozioökonomischen Modells der Bundesrepublik die zweite große Besonderheit dar. In der sozialwissenschaftlichen Literatur wird dieser Vorgang wahlweise als eine „von therapeutischen Maßnahmen bereinigte Schocktherapie“, als „natürliches Experiment“ oder als „electric chair therapy“ bezeichnet: Mit dem erklärten Ziel, innerhalb kürzester Zeit eine vollständige Angleichung an westdeutsche Produktivitäts-, Lohn-, Konsum- und Rechtsstandards zu erreichen, wurden sämtliche institutionellen Arrangements der alten Bundesrepublik in die neuen Bundesländer transplantiert. Die Geschwindigkeit, Totalität und Radikalität, in der sich diese Veränderungsprozesse vollzogen, setzten wiederum verschiedene Dynamiken in Gang, für die Jürgen Kocka seinerzeit den Begriff der „Vereinigungskrise“ geprägt hat.