20. Jahrhundert
Refine
Year of publication
Document Type
- Journal Article (233)
- Online Publication (226)
- Part of a Book (43)
- Preprint (7)
Is part of the Bibliography
- no (509) (remove)
Keywords
- Forschungsfelder (40)
- Begriffe (29)
- Länder (11)
- Klassiker (6)
- Methoden (6)
- Grundlagen (3)
- Prozesse (2)
- Debatten (1)
- Körper (1)
- Periodisierung (1)
Die Website dokumentiert ein überaus ambitioniertes und in dieser Form konkurrenzloses Projekt gleichen Namens, das von sechs Museen bzw. Forschungseinrichtungen aus ebenso vielen Ländern betrieben wird. Es verzeichnet Erinnerungsorte in Europa, die die Geschichte des Ersten und Zweiten Weltkrieges sowie des Spanischen Bürgerkrieges zum Gegenstand haben bzw. von diesen historischen Ereignissen selbst nachhaltig beeinflusst und geprägt wurden. Das Projekt wurde laut Auskunft eines deutschen Mitarbeiters in nur einem Jahr auf die Beine gestellt - diese Information findet sich jedoch nicht in dem überaus knappen Einführungstext. Daraus ergibt sich bereits ein zentraler Kritikpunkt: Wenn der Besucher der Website etwas mehr Informationen zum Projekt und zur Zielgruppe erhielte, ließen sich etliche Fragen und Unzufriedenheiten vermeiden. Eine Website sollte ohne zusätzliche Informationen verständlich und nutzbar sein.
„Auf einer Weltkarte ist Europa kaum zu sehen“ - so lautet der erste Satz eines Essays zur europäischen Geschichte, den der französische Historiker Fernand Braudel in den 1980er-Jahren verfasste und der erst kurz nach seinem Tod veröffentlicht wurde. Braudel beschränkt sich nicht darauf, jene geographische Ausgangsposition des Kontinents weiter zu erläutern, die in den vergangenen Jahrhunderten den Schauplatz vielfältiger europäischer Geschichte bildete. Vielmehr zeigt er, wie sehr Europa beständig „über seine räumlichen Grenzen hinausgegriffen“ habe. Braudels Europa ist auch im ausgehenden 20. Jahrhundert noch fast überall, obwohl der Kontinent mit dem Ende des Zweiten Weltkriegs und im Zuge der Dekolonisation vermeintlich in seine alten Grenzen zurückverwiesen worden war.
Klischee, Klitterei, Geschichtchen ohne Geschichte - so die schärfsten Vorwürfe in der öffentlichen Debatte um den Historienfilm „Rosenstraße“. Er erzählt die Geschichte des Protestes nichtjüdischer Berliner Frauen gegen die tagelange Inhaftierung und befürchtete Deportation ihrer jüdischen Ehemänner durch Gestapo und SS im Frühjahr 1943. Ein Film im Kreuzfeuer eines Historikerstreites: Die Deportation der jüdischen Ehepartner sei geplant gewesen, erst der weibliche Protest habe zur Freilassung der Mehrzahl der rund 1.500 bis 2.000 Inhaftierten geführt - so die einen (Nathan Stoltzfus, Gernot Jochheim). Die Inhaftierung habe ‚nur’ der Auswahl von Ersatzkräften für zu deportierende „Volljuden“ gedient, die folgende Freilassung der „Mischehen-Partner“ sei bereits beschlossen gewesen - so die anderen (Wolf Gruner, Wolfgang Benz).
Seit Ende 2000 hat die Commerzbank die Zahl ihrer Mitarbeiter um rund 7.000 reduziert. Sie bietet den Entlassenen jedoch einen einmaligen Service: Diese können sich drei Monate auf Kosten der Bank von einem Outplacement-Berater coachen lassen. Das beginnt mit einem fünftägigen Trainings-Seminar, bei dem jeder seine Stärken herausarbeiten soll. Jeder Mensch sei eine Ich-Aktie, deren Wert erst ermittelt werden müsse. Dann gehe es darum, diesen Wert am Markt zu platzieren, wobei dem Marketing entscheidende Bedeutung zukomme: Wer einen niedrigen Wert hat, sich aber besser vermarkte, habe größere Chancen als derjenige, der sich nicht vermarkten könne.
Pathologie der Gesellschaft und liberale Vision. Ralf Dahrendorfs Erkundung der deutschen Demokratie
(2004)
Dahrendorfs „Gesellschaft und Demokratie in Deutschland“ ist in besonderer Weise von den Umständen der noch jungen Bundesrepublik geprägt; das Werk gehört „heute selber zur Frühgeschichte dieses Staates und seiner Gesellschaft“. Der Soziologe Dahrendorf (geb. 1929) hatte eine Zeitdiagnose in nationalpädagogischer Absicht und mit sozialliberalem Impetus verfasst - „politischer Traktat, Einführungsvorlesung und Theorie der Demokratie“ in einem. Seine Untersuchung war „ein Plädoyer für das Prinzip der liberalen Demokratie“ (S. 27). In der Trias von historischer Erklärung, soziologischer Analyse und engagierter politischer Theorie bleibt „Gesellschaft und Demokratie“ bis heute eine Ausnahme und kann wirkungsgeschichtlich kaum überschätzt werden.
Nach einer langen Unterbrechung kehrte die „Geschichte Europas“ im Zweiten Weltkrieg mit Macht auf die Agenda der internationalen Geschichtsschreibung zurück. Erste Anzeichen hierfür hatte es bereits in der krisenhaften Zuspitzung der 1930er-Jahre gegeben. Nicht aber die Historiographie, sondern die Propaganda im weitesten Sinne bestimmte zunächst die Richtung. Als deutungsmächtig erwies sich in Großbritannien insbesondere die Stimme Robert Vansittarts, des ehemaligen beamteten Unterstaatssekretärs im britischen Außenministerium, der seit 1940 über den britischen Rundfunk ein düsteres Gesamtbild der deutschen Vergangenheit zeichnete. In sechs Radiosendungen mit dem Titel „Black Record“ listete er eine Geschichte der deutschen Aggressionen seit den Tagen des Tacitus auf.
Der Mainzer Europa-Kongress im März 1955 war ein publizistisch stark beachtetes Ereignis, zudem dasjenige, mit dem das knapp fünf Jahre zuvor ins Leben getretene Institut für Europäische Geschichte erstmals bewusst den Lichtkegel der Öffentlichkeit suchte. Die Tagung wurde von mehr als 300 Wissenschaftlern und Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens aus 16 Staaten besucht, sprengte die räumlichen Kapazitäten des Instituts bei weitem und musste deswegen an den prominentesten Platz der Rheinstadt verlagert werden, nämlich in das Kurfürstliche Schloss. Schon im Folgejahr, 1956, konnte der Direktor der ausrichtenden Institutsabteilung, Martin Göhring, die gedruckte Dokumentation dieses Kongresses vorlegen. Sie trug denselben Titel wie die Tagung selbst: „Europa - Erbe und Aufgabe“.
In der ersten Hälfte der 1990er-Jahre sahen sich die traditionellen Informationsvermittlungsinstanzen, die Bibliotheken, nicht in der Lage, ihre Mediatorenfunktion in puncto Internet wahrzunehmen. Es blieb in dieser Gründungsepoche der Eigeninitiative selbstloser NetzenthusiastInnen überlassen, für verschiedenste Disziplinen bald so genannte Fachverzeichnisse, Themenkataloge oder Fachportale aufzubauen. Ein Teil von ihnen organisierte sich in der Virtual Library (VL), dem ältesten Web-Suchdienst, ins Leben gerufen durch den WWW-„Erfinder“ Tim Berners-Lee. Sie ist der Versuch, durch eine lose Zusammenarbeit von Experten, die jeweils für ein bestimmtes Schlagwort Indices von Webressourcen erstellen, einen Universalkatalog mit akademischer Ausrichtung zu betreiben. Als Zielgruppen, zu denen sich auch die VL Zeitgeschichte bekennt, sollen vor allem WissenschaftlerInnen, Lehrende und Studierende angesprochen werden. Die VL fordert von ihren RedakteurInnen ein, nur solche Webressourcen aufzunehmen, die bestimmte Qualitätskriterien erfüllen; um in der VL Zeitgeschichte gelistet zu werden, muss daher der „wissenschaftliche Nutzen“ gegeben sein (siehe die Rubrik „Aufnahmekriterien“ der Website).
Three processes provided a dynamic of violence that involved the whole continent of Europe in varying degrees. First, “total war” meant the escalation of violence applied to the entire population of enemy states. Second, “totalitarian” ideologies drew on the experience of war and sought to annihilate their own projected antagonists. Third, the tension between territory, peoples, and nation-states was resolved through ethnic violence. The worst episodes of violence, especially the Holocaust, combined all three processes. Democratic states were affected by the same violence but to a much lesser extent, due to inbuilt restraints. Determining whether this dynamic of violence was distinctively European or one dimension of a wider modernity means rethinking European history in a global historical context.
Laughing at the Dictator. Franco and Franco’s Spain in the Spanish Blockbuster „Mortadelo y Filemón“
(2004)
The Spanish motion picture “La Gran Aventura de Mortadelo y Filemón” (2003) is not a historical film, no matter what definition of ‘historical film’ one might use. Instead, “Mortadelo y Filemón” (M&F) is the cinematic adaptation of the most successful Spanish comic book series ever published2 its significance to Spanish popular culture reflected by the spectacular box office records achieved by its cinematic counterpart. Moreover, and in contrast to the things we usually understand as ‘historical film’ - as well to the conventions of cinematic realism -, M&F is a cartoon-like histrionic comedy like no other; characters get smashed to the ground by a falling piano, only to later be “inflated” back to life, much in the style of the Warner Brothers’ „Loony Toons.“
Die Frage, ob und wie Fotografien als historische Quellen über Ereignisse der letzten rund 150 Jahre genutzt werden können, ist oft gestellt worden.1 Der englische Kulturhistoriker Peter Burke hat in seiner Studie über die „Augenzeugenschaft“ von Bildern allerdings jüngst kritisiert, dass visuelle Darstellungen - seien es Gemälde, Grafiken oder auch Fotos - von Historikern immer noch zu selten dazu verwendet würden, tatsächlich „neue Antworten zu geben oder neue Fragen zu stellen“.2 Es sind zwei bereits häufig reproduzierte Aufnahmen von Robert Capa, dem wohl bekanntesten Kriegsfotografen des 20. Jahrhunderts, die im Folgenden näher betrachtet werden sollen - nicht als Illustrationen von Geschichte, sondern als eigenständige Bildaussagen. Ihre „Relektüre“ dient weniger dazu, neue Antworten zu geben, als in Kenntnis des Publikationskontextes ihre Geschichte und Bedeutung neu zu entschlüsseln.
Europäische Zeitgeschichte beruht auf unterschiedlichen Meisterzählungen, zu denen sie in einem Wechselverhältnis steht. Sie sollte von einem geografischen Begriff von Europa ausgehen, der den Westen wie den Osten gleichermaßen umgreift und keine vorgegebenen ,europäischen Werte" annimmt. Quellenzugang, Fragestellungen und regionaler Forschungsstand variieren beträchtlich. Während die wirtschafts- und politikhistorische Integrationsforschung zu Westeuropa institutionalisiert ist und abgesicherte Ergebnisse aufweist, fehlt dies für die osteuropäische Integration noch weitgehend. In dem Aufsatz werden darüber hinaus unterschiedliche Sektoren einer ver-gleichenden europäischen Geschichte benannt. Hier zeichnen sich neue Wege ab, die zum Teil auch gesamteuropäische Ansätze verfolgen. Durch den Pluralismus von Integrations- und vergleichender Geschichte könnten eindimensionale Meistererzählungen differenziert werden.
Es ist nun über ein halbes Jahrhundert her. Im Januar 1953 eröffnete Hans Rothfels die erste Nummer der Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte mit der epochemachenden Grundsatzbetrachtung "Zeitgeschichte als Aufgabe". Damit setzte eine neue Entwicklung in der langen Tradition der Zeitgeschichtsschreibung ein. Aufsatz und Zeitschrift markieren den Beginn der modernen Zeitgeschichte in Deutschland, die sich nun als historiographische Subdisziplin innerhalb und außerhalb der Universität auch institutionell etablierte.
Von Hobbes können wir uns nicht trennen. Mit ihm (nicht mit Machiavelli) beginnt die moderne politische Philosophie, und von seinem Grundgedanken, daß zum Schutze aller die Gewalt monopolisiert werden müsse, mögen wir uns nicht trennen. Und tlas obwohl wir, auf das vergangene Jahrhundert zurückblickend, ebendieses Gewaltmonopol als den Akteur von Massenmorden ohne Präzedenz erlebt haben. Hier ist nach wie vor die Hauptaufgabe aller Theorie, die sich mit überindividueller Gewalt befaßt: Wie ist das Mittel, ohne das wir nach wie vor nicht meinen, Gewalt erfolgreich eingrenzen zu können, das staatliche Gewaltmonopol, zu einer Quelle zwar nicht grenzenloser, aber beispiellos grenzerweiterter Destruktivität geworden? (Und dann: Warum halten wir dennoch am Programm der Monopolisierung fest?)
The Holocaust and Genocide
(2004)
How does the Holocaust relate to genocide as a concept and an event? This question has caused considerable controversy because scholarly discourse and identity politics cannot be separated neatly. While the term 'genocide' was coined during the Second World War and enshrined in International law in 1948, the Holocaust as a specifically Jewish tragedy did not become an object of consciousness until almost two decades later. Ever since, those highlighting a distinctive experience for European Jewry have sought to separate it from that of other victims of the Nazis as well as other cases of ethnic and racial extermination.
In den über 60 Jahren, die seit den Ereignissen bei Stalingrad von 1942/43 vergangen sind, ist das Geschehen in den Erinnerungskulturen zahlreicher Länder immer wieder neu entworfen, umgewandelt und mit unterschiedlichen Deutungsebenen verknüpft worden. Die Muster der Erinnerung waren und sind eng verbunden mit den gesellschaftlichen Verhältnissen und Bedürfnissen zum Zeitpunkt ihrer Verbreitung, und sie standen bzw. stehen noch immer in einem gespannten Verhältnis zu wissenschaftlichen Erkenntnissen über „Stalingrad“: So ging der Krieg für die Deutschen bereits im Winter 1941 verloren, und es folgten für Deutschland verlustreichere Kriegsphasen. Dass „Stalingrad“ in der deutschen und sowjetischen Erinnerungskultur bis heute eine herausragende Bedeutung einnimmt, steht dazu in offensichtlichem Widerspruch und kann nur gedächtnisgeschichtlich erklärt werden.
Das Thema Migration hat auch in der Museumslandschaft Konjunktur. Auf Konferenzen werden Formen der Erinnerung von Einwanderung diskutiert, Ausstellungen nehmen sich europaweit verstärkt des Themas an, und in neugestalteten oder überarbeiteten Dauerausstellungen wird der Komplex zum integralen Bestandteil musealer Präsentationen. Neben Migration als Thema für das Museum steht dabei zunehmend die Gründung eigenständiger Institutionen im Raum. Der neuartige Typ Migrationsmuseum soll dabei, seinen Vordenkern gemäß, die übergeordnete Relevanz des Themas signalisieren, einen Erinnerungs- und Repräsentationsort schaffen sowie eine Plattform zur Auseinandersetzung über heutige Einwanderungsgesellschaften bieten. Die Gründung solcher Migrationsmuseen betreiben derzeit Initiativen in Deutschland, der Schweiz und Frankreich.
Eine empirisch fundierte Gesamtbewertung des ersten Frankfurter Auschwitz-Prozesses im Kontext des deutschen und europäischen Umgangs mit dem Holocaust steht noch aus. Zweierlei lässt sich jedoch mit einiger Bestimmtheit sagen: Weder handelte es sich bei diesem Strafverfahren um den Wende- oder Höhepunkt einer geläuterten westdeutschen Erinnerungskultur, noch war es in irgendeiner Weise repräsentativ für die NS-Prozesse und Ermittlungen, welche seit Ende der 1950er-Jahre mit vermehrter Intensität betrieben wurden. Exzeptionell war dieses Gerichtsverfahren schon insofern, als es ein einzigartiges Großprojekt in angewandter Oral History darstellte, das weit über die Grenzen der Bundesrepublik hinausstrahlte. Eine vergleichbar hohe Zahl von Opferzeugen (insgesamt 211) aus verschiedenen Ländern und politischen Systemen dürfte es wohl in keinem anderen NS-Verfahren gegeben haben, und allein dieser Sachverhalt garantierte dem Prozess eine weltweite Medienöffentlichkeit. Der hessische Generalstaatsanwalt Fritz Bauer, der entscheidend am Zustandekommen des Prozesses beteiligt war, verband mit den Ermittlungen gegen die Täter von Auschwitz im Wesentlichen zwei Ziele: Zum Ersten ging es ihm darum, die Deutschen zu einer kritischeren Beschäftigung mit ihrer eigenen Geschichte anzuhalten. Zum Zweiten wollte er den Überlebenden Gelegenheit geben, ihre Erlebnisse nach Jahrzehnten des Schweigens öffentlich zu erzählen. Das eine war unmittelbar mit dem anderen verbunden, waren in Politik, Rechtsprechung, Wissenschaft und Medien doch bis dahin Vergangenheitsdiskurse vorherrschend gewesen, die vor allem aus der Perspektive der Täter argumentierten und deren Sichtweisen teils bewusst, teils unbewusst reproduzierten.
The blossoming of military history in Germany offers the chance to set new agendas beyond conventional narratives. The notion of a distinct authoritarian Prusso-German militarism, set against political modernity and civil society, has long served as the master narrative of modern German military history. But this narrative no longer holds any promise. It fails to situate the German experience within a common European and transatlantic military political realm and war culture; it ignores the centrality of technocratic reasoning and industrialized warfare for any understanding of the German military; it offers too overblown and simplistic a portrayal of societal militarization; and it downplays militarist multiplicities and the transformations of the early 20th century. This narrative has the additional disadvantage of cutting off the history of the military and war after 1945 from what came previously.
Dieser Film ist eine Historikerfalle. Denn er lädt mit geradezu offenen Armen dazu ein, seine Historizität zu untersuchen, und hat doch mit Geschichte so viel oder so wenig zu tun wie ein Film über die Meuterei auf der Bounty - allerdings mit der entscheidenden Differenz, dass uns Nazideutschland weit näher liegt als der Alltag britischer Seeleute im 18. Jahrhundert. In dieser Ambivalenz zwischen Geschichte als Erzählung und tatsächlichem Geschehen der Vergangenheit, dem sich Historiker mit unterschiedlichsten Fragen und wissenschaftlichen Methoden widmen, bewegen sich „Der Untergang“ und seine Rezeption. Bei einer Preview auf dem Historikertag in Kiel waren die Meinungen geteilt. Einer der großen alten NS-Forscher, Hermann Graml vom Institut für Zeitgeschichte in München, beurteilte den Film als „ganz hervorragend“; nie habe ein Spielfilm mehr „Einsicht in das Wesen dieses Regimes“ vermittelt. Der Kölner Zeithistoriker Jost Dülffer empfand den „Untergang“ dagegen als „Tabubruch“, der die letzten Tage in Hitlers Bunker als „eine Art Opfergang“ inszeniere. Hans Mommsen, der Doyen der NS-Historiker, merkte an, dass mit dem Bemühen, Hitler so lebensgetreu wie möglich darzustellen, noch keine sinnvolle historische Aussage gemacht sei. Einhellig wurde jedoch die Detailgenauigkeit des Films hervorgehoben.
Eine Geschichte des wissenschaftlichen Fortschritts müsste zugleich eine Geschichte des Verlustes und des Vergessens sein. Zu solchen Überlegungen wird gedrängt, wer die Studien von Joseph B. Schechtman und Eugene M. Kulischer über die Bevölkerungsverschiebungen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts in die Hand bekommt. Bekanntlich ist das Problem von Flucht, Vertreibung, Zwangsumsiedlungen im Zusammenhang der Jugoslawienkriege und anderer „ethnischer Säuberungen“ wieder zu einem brisanten Thema geworden, das die Aufmerksamkeit einer breiteren Öffentlichkeit auf sich ziehen konnte. Für die neuere Forschung – etwa Klaus J. Bades „Europa in Bewegung“ (2000) oder Norman Naimarks „Fires of Hatred“ (2001) – sind Kulischer und Schechtman kein monumentaler Referenzpunkt, sondern nur eine Fußnote.
Seit sich die republikanische Regierungsform in Frankreich endgültig durchgesetzt hatte (1875), waren vier Gruppen von Franzosen Diskriminierungen ausgesetzt, die im Staatsangehörigkeitsrecht festgeschrieben waren: französische Frauen, die Ausländer heirateten; algerische Muslime, Eingebürgerte und Juden. Die Republik erkannte sie als Franzosen an, gewährte ihnen aber nicht in jeder Hinsicht gleiche Rechte. Heute sind diese Diskriminierungen verschwunden. Doch zwei der vier Gruppen – die Juden und die algerischen Muslime – tragen weiterhin die gelebte Erfahrung und die Erinnerung früherer Diskriminierungen, auch wenn sie inzwischen völlig gleichberechtigt sind und zum Teil Anerkennung oder Reparationen erhalten haben. Der Aufsatz soll verstehen helfen, warum dies so ist, und greift dafür auf psychoanalytische Erklärungsansätze zurück. In beiden Fällen gab es ein zweites Ereignis, das die schmerzliche Vergangenheit reaktivierte: eine Rede de Gaulles 1967 bzw. die Reform des Staatsangehörigkeitsrechts 1993. Dieses zweite Ereignis geschah in einer Zeit formaler Rechtsgleichheit und wies dennoch auf die Zeit der Diskriminierung zurück.
Die Geschichte von Flucht und Vertreibung der Deutschen aus den ehemals deutschen Ostgebieten sowie aus Ostmittel- und Osteuropa ist seit den 1990er-Jahren wieder zu einem bedeutenden Thema der breiteren Öffentlichkeit geworden. Dies zeigen verschiedene Publikationen, Fernsehfilme und nicht zuletzt die Debatte um ein „Zentrum gegen Vertreibungen“. Die Hinwendung der Öffentlichkeit zu diesem Thema war von einem Perspektivwechsel in der Geschichtswissenschaft begleitet. Auch hier fand und findet das Thema ein verstärktes Interesse, das sich in zahlreichen Tagungen und oftmals vergleichenden fachwissenschaftlichen Publikationen niederschlägt.
How does the collapse of the Soviet Union alter or confirm existing theories about empires? Perhaps the most important element of the Soviet collapse for theories of empires was the very fact that the Soviet Union was labeled an empire in the first place. After all, the Soviet Union was founded, as Terry Martin has put it, as “the world’s first postimperial state,” to the European imperial system.
1988 publizierte Thomas Nipperdey Religion im Umbruch, einen Vorabdruck des Religionskapitels aus dem I. Band seiner Deutschen Geschichte 1866–1918. Das kleine Bändchen zur Religionsgeschichte des Kaiserreichs gilt seitdem als erster, folgenreicher Anstoß für ein neues Interesse deutscher Historiker an den komplexen Religionsgeschichten der Moderne. Unter dem Einfluß von Modernisierungsdogmatikern, die gesellschaftliche Wandlungsprozesse als progressive Rationalisierung aller Lebensbereiche vorgestellt hatten und deshalb «die Moderne» durch Megatrends wie «Säkularisierung», «Dechristianisierung» oder «Entkirchlichung» bestimmt sahen, hatten die Vertreter der klassischen Sozial- und Gesellschaftsgeschichte die Prägekraft religiöser Lebenswelten in modernen Gesellschaften weithin ignoriert und Glaubensorganisationen wie insbesondere die Kirchen bestenfalls als repressive Moralagenturen, «schwarze Polizei» oder herrschaftslegitimatorische Büttel eines autoritären Obrigkeitsstaates in den Blick genommen.
Die akademische Geschichtswissenschaft steht mit der Präsentation ihrer Erkenntnisse in der Öffentlichkeit heute in einer bisher nicht dagewesenen Konkurrenzsituation. Fernsehsendungen und -serien bereiten vor allem die NS-Vergangenheit, aber auch wichtige Ereignisse der Nachkriegszeit in einer publikumsgerechten Weise auf. Filme erzählen Geschichten insbesondere aus dem „Dritten Reich“, aus Bombenkrieg und Nachkriegsära. Umfangreiche Dokumentationsreihen haben Konjunktur, gut recherchiert, auf die Erzählung von Zeitzeugen gestützt, mit illustrierender Hintergrundmusik dramatisierend aufgemacht, mit zeitgenössischen Photos und Filmstreifen Augen und Ohren ansprechend.
Modern Societies and Collective Violence: The Framework of Interdisciplinary Genocide Studies
(2005)
If discussions on the topicality of research regarding processes of state violence and genocide arc still necessary today, does this not imply that we have failed with respect to a decisive challenge raised by National Socialism, namely the imperative to ensure that such atrocities are not repeated, the commitment to a "never again"?
The semantics of the term "empire" is overloaded with superlatives and loud epithets. The concept of empire is so universal and all-encompassing that it appears to have no particular meaning at all. Indeed, empire embodies the grim totality of unlimited domination and coercion; at the same time, it turns out to be a synonym for the clumsy neologism of "world-system" (or "world civilization") and evokes a unifying principle for a universe surrounded by the destructive elements of chaos and barbarism.
Wenn man sich die Mühe macht und die empirischen Studien zum Geschichtsbewusstsein und zum Geschichtsinteresse von Jugendlichen betrachtet, so gilt für die Einstellung der Schülerinnen und Schüler zum Fach Geschichte noch heute die Einschätzung Klaus Bergmanns, der bereits 1976 pointiert formuliert hatte: „Nach allen empirischen Befunden ist Geschichte für die meisten Schüler langweilig, uninteressant, überflüssig – ein ungeliebtes Schulfach.“ Auch Annette Kuhn fragte zeitgleich in einem programmatischen Aufsatz „Wozu Geschichtsunterricht?“, ob es überhaupt möglich sei, einen Geschichtsunterricht im Interesse der Schüler zu halten. In seinem breit rezipierten Aufsatz über „Begriff und Funktion der Zeitgeschichte“ hat der Autor Eberhard Jäckel bereits 1975 eine heute empirisch nachweisbare Einschätzung abgegeben, mit der er ansatzweise versucht hatte, Antwort auf die Frage zu geben: „Was denn soll jemanden, der Interesse an Geschichte hat, mehr interessieren als die Geschichte seiner Zeit?“ Die empirischen Studien bestätigen diese Aussage. Gerade für die „Periode von 1945 bis heute“ nimmt das Interesse der Jugendlichen an den zeitgeschichtlichen Inhalten deutlich zu. Auch der seit Jahren anhaltende „Geschichtsboom“, die Zuschauerzahlen historischer Spielfime mit zeitgeschichtlicher Thematik wie der „Untergang“, „Hitler – Aufstieg des Bösen“, „Stauffenberg“, das stetig wachsende Interesse an den Knoppschen Dokutainments im Fernsehen und die breite Rezeption zeitgeschichtlicher Kontroversen in der Publizistik scheinen diesen Befund zu stützen.
»Schaulust«, »Bilderwelten«, »Blickwechsel«, »Sehsucht«, »Der Traum vom Sehen«, »Ich sehe was, was du nicht siehst« – so lauten die Titel viel beachteter Ausstellungen der letzten Jahre, die den Sehsinn in den Mittelpunkt stellen. Damit folgt der Museumsbereich einem Trend, ohne dessen Schrittmacher zu sein. Doch diese starke Hinwendung zum Sehen, Schauen und Blicken vernachlässigt eine vermeintlich unbedeutende Tatsache: Voraussetzung für das Sehen ist der Raum, und ohne Raum könnte der so hervorgehobene Sinn nicht zur Entfaltung kommen.
Die Entstehung des modernen Staates und die damit verbundenen Herrschaftstechniken sind das Generalthema von Michel Foucaults Geschichte der modernen Gouvernementalität. In diesem Zusammenhang schreibt er dem Liberalismus eine zentrale Bedeutung zu, weil er ihn nicht als Abwesenheit von Herrschaft ansieht, sondern als eine besondere Form der ‚Regierung‘. Insbesondere der Vorlesungszyklus aus dem Jahr 1979 dient der systematischen Analyse des Liberalismus, beginnend mit dem klassischen Liberalismus des 18. Jahrhunderts bis hin zum amerikanischen „Neoliberalismus“ der 1970er-Jahre. Der Liberalismus - so Foucaults Ausgangsüberlegung - habe die Selbstbegrenzung der Regierung zum Grundprinzip der Herrschaftstechnik erhoben. Die Gouvernementalität des modernen Staates beruhe darauf, dass der Markt als eine Art Kontrollinstanz des Regierungshandelns eingeführt worden sei; das begründe seine eigentliche Stärke. Innerhalb dieser Konzeption habe sich der Liberalismus in drei groben Schritten entwickelt: vom klassischen europäischen Liberalismus des 18. Jahrhunderts über den deutschen und französischen Liberalismus der unmittelbaren Nachkriegszeit hin zum amerikanischen Neoliberalismus.
Gut zwanzig Jahre nach seinem Tod hat Michel Foucault (1926-1984) in der Geschichtswissenschaft Klassikerstatus erreicht. Neben Max Weber, Pierre Bourdieu und anderen wird sein Name gern genannt, wenn es darum geht, Methodenreflektiertheit und Innovation zu demonstrieren. Dies gilt insbesondere im Bereich der Forschungen zur Frühen Neuzeit, da Foucault hier mit seinen eigenen Arbeiten zur Geschichte der Rationalisierung und Sozialkontrolle Standards gesetzt hat. Aber auch im Hinblick auf die Zeitgeschichte finden die Arbeiten Foucaults - etwa in der Historischen Anthropologie oder der Geschlechtergeschichte - weite Beachtung.
Der Begriff „Imperium“ kehrt verstärkt in den historisch-politischen Diskurs zurück, und wer ihn heute benutzt, redet in der Regel über die Vereinigten Staaten von Amerika.1 Während des Kalten Krieges sprach man von „Blöcken“ oder „Lagern“, doch seit Beginn des neuen Jahrhunderts hat der Versuch, Geschichte als eine Folge von Großreichen zu denken, spürbar Aufwind. Eine solche Perspektive ist keineswegs neu; vielmehr kann sie auf eine lange Tradition zurückblicken. Der Klassiker des imperialen Genres ist Edward Gibbons Werk „Decline and Fall of the Roman Empire“ (1776-1788), das man zu seiner Zeit als Kritik an der westlichen Welt und Parabel auf die Krise des britischen Weltreiches lesen konnte.2 Parallel zur Rede über den Niedergang von Imperien diskutierte man seit dem Ende Roms ihre Übertragung. So prophezeite der britische Philosoph George Berkeley bereits 1752 eine transatlantische translatio imperii: „Westward the course of empire takes its way“, schrieb er und meinte die Neue Welt.3 Im 19. Jahrhundert war die Erwartung amerikanischer Größe schon ein Allgemeinplatz des politischen Denkens.4 Mit dem Eingreifen der USA im Ersten Weltkrieg und Woodrow Wilsons Credo, Amerikas Mission sei „to make the world safe for democracy“, endete die von den Gründervätern verordnete Ära der Isolation endgültig. Seit Beginn des 20. Jahrhunderts waren die USA eine globale Weltmacht, und seit Ende des Zweiten Weltkrieges überstieg ihre militärische, ökonomische und kulturelle Macht diejenige anderer Nationalstaaten. Hier setzte die gegenwärtige Rede vom amerikanischen Imperium und dem „US-Imperialismus“ ein.
„History, in general, only informs us what bad Government is“, schrieb Thomas Jefferson, der Verfasser der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung und dritte Präsident der USA, im Juni 1807. Mit der rund drei Jahrzehnte zurückliegenden Loslösung vom britischen Mutterland, mit der Revolution und der Gründung der Republik hatte sich die Frage danach, was „gute“ von „schlechter“ Regierung unterscheide, in Nordamerika mit besonderer Dringlichkeit gestellt. Schließlich hatte man in den ehemaligen Kolonien bewusst den Despotismus verabschiedet und eine Gesellschaftsordnung auf den Weg gebracht, die das Glück des Einzelnen, Freiheit, Unabhängigkeit und Selbstbestimmung zu ihren Grundsätzen erhob. Damit wurden die leitenden Prinzipien der Aufklärung in der politischen und gesellschaftlichen Realität auf die Probe gestellt. John Adams, ein weiterer „Gründervater“ und später zweiter Präsident der Republik, hatte schon einige Monate vor der Unabhängigkeitserklärung geschrieben, mit der Revolution lösten sich sämtliche autoritär strukturierten Herrschaftsverhältnisse, und zwar nicht nur diejenigen zwischen Mutterland und Kolonien, sondern auch die zwischen Herren und Sklaven, Lehrjungen und Meistern oder Eltern und Kindern. Angesichts solcher Veränderungen empfand Adams - wie viele andere auch - nicht nur Freude und Zuversicht, sondern zugleich ein gewisses Unbehagen. Man musste neue Formen der Regierung finden, die die Menschen ohne imperativen Zwang derart führten, dass sie in einer freiheitlichen Ordnung funktionierten.
Niall Ferguson, vormals Fellow and Tutor in Modern History in Oxford und jetzt Professor of International History an der Harvard University, steht ohne Zweifel in der Tradition debattierfreudiger und argumentationsstarker britischer Historiker. Neben fundierten Einzelstudien, vor allem zur Geschichte Hamburgs in der Weimarer Republik und zur Geschichte der Familie Rothschild, zielen seine häufig provozierenden Arbeiten auf eine breite historisch interessierte Öffentlichkeit.1 Mit seiner medialen Präsenz steht er in der Tradition britischer „Tele-Dons“ nach dem Vorbild des Oxford-Historikers A.J.P. Taylor. Der Blick in die Vergangenheit dient auch für Ferguson nicht allein der Aufklärung der Gegenwart, sondern als konkrete Handlungsanweisung in politischen Krisen und damit der Legitimation des Historikers als eines politischen Ratgebers. Dazu kommt die ausgeprägte Lust des Autors an der Dekonstruktion vermeintlich etablierter historischer Wahrheiten. Aber bereits im Falle seines provozierenden Buches über Großbritanniens Rolle im Ersten Weltkrieg2 monierten nicht wenige Rezensenten, dass Ferguson sich verzweifelt bemühe, Türen einzurennen, die seit langem offen stehen.
Foucault war einer der ersten Theoretiker, die die Historizität des Körpers radikal herausgestellt haben; seine Bedeutung für die Körpergeschichte ist entsprechend häufig hervorgehoben worden. Die meisten körperhistorischen Studien im Anschluss an Foucault haben sich auf die in „Überwachen und Strafen“ beschriebenen Disziplinartechniken und seine Überlegungen zur Biomacht in „Sexualität und Wahrheit“ bezogen. Weitgehend unbeachtet blieb in Foucaults Machtanalytik zunächst der Zusammenhang von Zugriffen auf den Körper und modernem Staat - ebenso wie die Dimension des Subjekts. Der in Foucaults Vorlesungen von 1978 und 1979 entwickelte weite Begriff von ‚Regierung‘ ist als Versuch zu verstehen, Staat und Subjekt in seine Machtanalyse zu integrieren.
Die inhärenten Probleme des amerikanischen Imperiums sind nur zu begreifen, wenn man sich dessen tieferliegenden inneren Widersprüchen zuwendet. Dabei rückt vorwiegend eine Schwierigkeit in den Mittelpunkt der Betrachtung: Wie können die USA gleichzeitig ein Imperium und ein an eigenen Sicherheitsinteressen ausgerichteter Nationalstaat sein? Es erscheint nahezu unmöglich, die von Peter Bender ausgemachte „augusteische Schwelle“ zum dauerhaften Imperium zu überschreiten, wenn dieses Problem nicht gelöst wird – sonst droht dem amerikanischen Imperium das gleiche Schicksal wie seinem britischen Vorgänger. Diese These wird in drei Schritten hergeleitet. Erstens verfolgt der Artikel die komplizierten Linien der inneramerikanischen Diskussion über den Begriff des empire. In einem zweiten Schritt werden die zum Teil weit zurückreichenden historischen Entstehungsbedingungen des amerikanischen Imperiums untersucht; dabei ist festzuhalten, dass die USA bereits an der Schwelle zum 20. Jahrhundert den entscheidenden Schritt zum Imperium taten. Drittens wird die These von den strukturellen inneren Widersprüchen des amerikanischen Imperiums näher erläutert.
Vom Wort „Imperium“ geht eine archaische Faszination aus. Es weckt Assoziationen von herrscherlicher Willkür und roher militärischer Gewalt, von oberster Autorität, die keine Gleichberechtigten anerkennt, von kommandierender Verfügung über riesige Räume, schließlich über den Erdball an sich. Das Bildgedächtnis wartet mit Spektakulärem auf: der Brutalität des Nebukadnezar, der Dynamik Alexanders, Peter Ustinovs Kaiser Nero, Chaplins Großem Diktator im Ballett mit dem Globus, Eroberungsschlachten seit Cortez’ Vormarsch gegen die Azteken, Rückzugsgefechten bis Algier 1958 und Saigon 1975. Im Imperium kristallisiert sich der höchste Anspruch auf monopolisierte Macht. Allein aus Gründen symbolischer Politik musste daher jeder US-Präsident nach dem Zusammenbruch des strategischen Gleichgewichts der Supermächte eine imperiale Rhetorik und einen imperialen Gestus annehmen (was George W. Bush in besonders ausgeprägter Weise getan hat).
»Arm« und »Reich« waren keine dominierenden zeitgenössischen Klassifizierungen, um die soziale Ordnung der späten Sowjetunion zu beschreiben. Zumindest sind sie dies in den rückblickenden Erzählungen ehemaliger Sowjetbürger nur selten explizit. Da die Repräsentationen der sowjetischen sozialen Ordnung unmittelbar mit Bewertungen der gegenwärtigen Gesellschaft verbunden sind, rücken sie ganz überwiegend den Aspekt der verlorenen sozialen Gleichheit in den Mittelpunkt. Den Repräsentationen liegen rückblickende Klassifizierungen zugrunde, die von nostalgischen Erzählstrategien geprägt werden. Von den drei Idealtypen nostalgischer Erzählstrategien – restaurativ, reflexiv und synthetisierend –, die hier den analytischen Bezugsrahmen bildeten, dominierte die restaurative. Sie konstruiert traditionale Zugehörigkeiten und knüpft an das erinnerungspolitische Narrativ der »Goldenen 70er Jahre« an. Es lässt weniger Raum für ambivalente Wahrnehmungen der vergangenen sowjetischen Gesellschaft und betont den Verlust der alten Werteordnung.
„Seine Darstellung wird keiner politischen Gruppe der Gegenwart viel Freude machen“, prophezeite Klaus Epstein 1963 in der „Historischen Zeitschrift“. Gemeint war die im Jahr zuvor erschienene Habilitationsschrift des jungen Politikwissenschaftlers Kurt Sontheimer, der sich in der zweiten Hälfte der 1950er-Jahre intensiv mit dem rechten „antidemokratischen Denken“ in der Weimarer Republik auseinandergesetzt hatte. In der Tat: Vor allem national-konservativen Kreisen in Wissenschaft und Publizistik musste Sontheimers Buch ein Ärgernis sein. Sein Gegenstand war eben nicht rein historischer Natur. Das Buch handelte von Deutschlands erstem ernstzunehmendem Experiment mit liberaler Demokratie, das gerade einmal 30 Jahre zuvor gescheitert war. Weimar war - mal mehr, mal weniger evident - integraler Bestandteil des bundesrepublikanischen Erfahrungs- und Deutungshorizonts.
Die Aktualität der Antiquiertheit. Günther Anders’ Anthropologie des industriellen Zeitalters
(2006)
Der Titel von Günther Anders’ philosophischem Hauptwerk, das vor 50 Jahren erschienen ist, macht es leicht, die historische Distanz, die uns heute von diesem Buch trennt, mit seinem eigenen Begriff zum Ausdruck zu bringen: Die „Antiquiertheit des Menschen“ erscheint heute selbst in vielerlei Hinsicht antiquiert. Anders’ „Gelegenheitsphilosophie“ (S. 8) blieb auf spezifische Weise an die Gelegenheit ihres Entstehens gebunden. Seine Studie „über die Seele im Zeitalter der zweiten industriellen Revolution“, so der Untertitel, ist damit zugleich ein Dokument der Zeitgeschichte und der Biographie ihres Autors. Als solches enthält sie aber auch Anregungen für die Zeitgeschichtsforschung, die durchaus noch aktuell sind.
Seit einigen Jahren lässt sich in der Historiographie ein gesteigertes Interesse an der Geschichte von Luft- und Raumfahrt beobachten, das sich auch in Museumsaktivitäten und Ausstellungsprojekten niederschlägt. Zugleich erlebt die Beschäftigung mit dem Thema „Imperium“ einen Aufschwung, insbesondere das Interesse an den USA als imperialer Macht. Die folgende Besprechung der Dauerausstellung des National Air and Space Museum (NASM) bringt beide Untersuchungsfelder zusammen und legt die Untersuchungskategorie „Imperium“ an die Musealisierung von Luft- und Raumfahrt an. Dabei werden zunächst die Sammelschwerpunkte des Museums sowie die Charakteristika der Präsentation betrachtet; in einem zweiten Schritt werden verschiedene Themenfelder der Ausstellung diskutiert, bevor abschließend die Bedeutung des NASM als imperial museum ausgelotet wird, in dem sich der amerikanische Aufstieg zur Weltmacht widerspiegelt.
In der gegenwärtigen Debatte über Imperien wird die konstitutive Bedeutung des Raumes hervorgehoben. Seine Repräsentation in Gestalt von Karten wird aber bisher selten zum Forschungsgegenstand gemacht, obwohl Untersuchungen zum British Empire auf den Zusammenhang von kognitiven und materiellen Karten für die Ausbildung eines Raumbewusstseins innerhalb des Imperiums und in Bezug zur Welt verweisen. In der Sowjetunion war die Produktion und Verbreitung von Karten von Anfang an ein grundlegender Bestandteil imperialer Politik, weil das dokumentierte Wissen über das Territorium, seine Strukturen und Bewohner eine Voraussetzung für eine umfassende Sowjetisierungspolitik darstellte. Einer der sowjetischen „Vermesser“ war der ungarische Kartograph Alexander (Sándor) Radó, der seit den 1920er-Jahren an der Produktion sowjetischer und europäischer Atlanten beteiligt war. Die Karten sind in mehrfacher Hinsicht Dokumente eines imperialen Konstruktionsprozesses, weil sie einerseits als Projektionsfläche genutzt wurden und andererseits die innenpolitische Entwicklung in der Sowjetunion spiegelten und beeinflussten.
Darf die Frage überhaupt noch gestellt werden? Oder vielmehr: Ist sie nicht längst, und zwar in aller Deutlichkeit beantwortet? Denn wer, wenn nicht die Nazis sollten Barbaren gewesen sein. Was dieses Urteil an Gewißheit verspricht, zerrinnt freilich schnell, sobald wir die Dinge näher betrachten und detaillierter nachfragen. Denn zweifellos waren die Nationalsozialisten keine barbarischen Usurpatoren, die aus fernen Ländern hereinbrachen, vielmehr stammten sie mitten aus der zivilisierten Gesellschaft Deutschlands. Wer also konnte zum Barbaren werden? Wie kann Zivilisation in nackte Barbarei umschlagen? Und wie umgekehrt aus Barbarei Zivilisierung entstehen? Die Entschiedenheit der Überzeugung, daß die Nazis Barbaren waren, scheint – so die Ausgangsvermutung dieses Aufsatzes – Vieldeutigkeiten zu verdecken, denen im folgenden nachgegangen werden soll. Insbesondere gilt es, die Rede von den barbarischen Nationalsozialisten mit den barbarischen Reden der Nationalsozialisten in Beziehung zu setzen. Dabei wird sich zeigen, daß auch sie sich des mächtigen Dualismus zwischen Zivilisation und Barbarei nicht entledigen konnten.
Das 19. Jahrhundert war das Jahrhundert der Nationen – das 20. das des Volkes. Ohne Zweifel liegen beide Begriffe eng beieinander, oftmals scheinen ihre semantischen Felder sogar kongruent zu sein – und doch fallen sie nicht in eins. Mit der Gleichsetzung von Volk und Nation geraten die Differenzen aus dem Blick, die das 20. Jahrhundert in seiner spezifischen Gewalttätigkeit vom 19. unterscheidet.
Kap. 2: Gewalt und Staat
(2006)
Die klassische Analyse der Gewalt unterscheidet verschiedene Ebenen. So schlug zum Beispiel in den 1960er Jahren Pierre Hassner drei unterschiedliche Betrachtungsebenen vor. Die erste war die des internationalen Systems, die seiner Ansicht nach damals »vom bipolaren Gleichgewicht durch Abschreckung und in Europa von der territorialen Aufteilung in zwei Blöcke« bestimmt war. Die zweite war die der Staaten mit ihren innenpolitischen und diplomatischen Anliegen und die dritte die der Gesellschaften innerhalb der Staaten mit ihren je eigenen politischen Systemen, Strukturen und ihrer spezifischen Dynamik. Diese Unterscheidung, die ich selbst in meinen Arbeiten über den Terrorismus der 1970er und 1980er Jahre benutzt habe, trifft sicherlich immer noch weitgehend zu. Aber da sie ganz auf den Staat zentriert ist, in dem sie den wahren Problemknoten sieht, wird sie heute auf Grund beträchtlicher Veränderungen in Frage gestellt, die es nötig machen, nach neuen Analysekategorien zu suchen und nicht mehr alles, oder fast alles, auf den Staat zurückzuführen.
Wissenschaftlich scheint die Tragfähigkeit des Genozidbegriffes erschöpft, ironischerweise nicht zuletzt, weil seine Durchsetzung die Aufmerksamkeit auf das Phänomen massiver Gewalt gelenkt und sich unser Kenntnisstand enorm verbreitert hat. Eben weil wir jetzt so viel mehr wissen, legt er der Forschung Fesseln an. Mit seinen nur scheinbar klaren Vorgaben verstellt er den Blick auf die mitunter doch sehr anders gelagerten Realitäten entgrenzter Gewalt. Lässt man ihn für den wissenschaftlichen Diskurs fallen, könnte man sich endlich zu der Einsicht durchringen, dass Gewaltabläufe auch inkonsistent und kontingent, dass die Handlungen der Opfer, des Auslands eine Rolle spielen können für Entscheidungsprozesse der Täter, und dass nicht immer der Wille entscheidend ist, sondern die Tat.
Inwieweit haben Imperien – im weitesten Sinne des Wortes – zur Ordnung Europas beigetragen? Und inwieweit haben imperiale Strukturen zu katastrophalen Verwerfungen geführt, wenn man an zwei Weltkriege mit einem Blutzoll von wohl über 50 Millionen Toten (Asien nicht mitgezählt), an immer neue gewalttätige Konflikte zwischen ethnischen Gruppen und an Kriege in Osteuropa, Irland und auf dem Balkan im Gefolge ihres Zerfalls denkt? (Nicht einbeziehen wollen wir hier die Kriege außerhalb Europas, in Nahost, Südostasien, Afrika usw.)
Staatssymbole sind ein unverzichtbares Attribut souveräner Nationalstaaten. Als visuelle und audiovisuelle Medien geben sie Aufschluss über den Kern staatlichen Selbstverständnisses, was sie zu einer interessanten Quelle für die historische Forschung macht. Symbole wie Flagge, Staatswappen und Nationalhymne repräsentieren den Staat nach außen und unterstreichen seine Souveränität, während sie nach innen der Integration und der Identitätsbildung dienen. Weil Staatssymbolik auf Beständigkeit angelegt ist, wird sie nur selten Modifikationen unterworfen. Meist sind es Systemwechsel, die Veränderungen der symbolischen Ordnung nach sich ziehen. In solchen Umbruchsituationen gilt den üblicherweise kaum bewusst wahrgenommenen Staatssymbolen verstärktes öffentliches Interesse. In der jüngeren Vergangenheit war dies am Beispiel der postsozialistischen Staaten gut zu beobachten. Deren Staatssymbolik lässt wie in einem Brennglas den Wandel des politischen und des Wertesystems erkennen, der seit dem Ende des Staatssozialismus stattgefunden hat.
Wenn man ein Buch nennen müsste, das am meisten zum Zerfall der Sowjetunion beigetragen hat, stünde Solženicyns „Archipel Gulag“ sicher an vorderer Stelle. Aleksandr Isaevič Solženicyn, Jahrgang 1918, war als Offizier wegen einiger abfälliger Briefzeilen über Stalin 1945 verhaftet worden und brachte acht Jahre in sowjetischen Lagern und Haftanstalten zu. Nach seiner Freilassung wurde er nach Kasachstan verbannt und 1956 rehabilitiert. Mit der Publikation der Erzählung „Ein Tag im Leben des Ivan Denisovič“ (1962) gelangte er rasch zu literarischem Ruhm, sah sich aber mit dem Ende des sowjetischen „Tauwetters“ seiner Publikationsmöglichkeiten zunehmend beraubt. Seit 1958 hatte er an dem monumentalen „Archipel Gulag“ gearbeitet, dies aber geheimgehalten. Als der KGB im August 1973 das Manuskript beschlagnahmte, ließ Solženicyn den ersten Band im Pariser Emigranten-Verlag YMCA-Press veröffentlichen. Der zweite und der dritte Band erschienen 1974 und 1976. Im Jahr 1985 folgte eine einbändige, gestraffte Fassung des Werks. In der Sowjetunion konnte der „Archipel Gulag“ erst 1989 veröffentlicht werden. Solženicyn war 1974 aus der Sowjetunion ausgewiesen worden und lebte im amerikanischen Exil, bis er 1994 nach Russland zurückkehrte.