20. Jahrhundert
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Infrastrukturen
(2020)
Als „Infrastrukturen“ werden seit Mitte des 20. Jahrhunderts Einrichtungen der Versorgung und Entsorgung, der Kommunikation und des Verkehrs bezeichnet, in einem erweiterten Sinne auch solche, die unsere Gesellschaft ökonomisch, sozial, kulturell oder medial miteinander vernetzen. Dirk van Laak rekapituliert die Konjunktur des Begriffs, geht auf die jüngere Geschichte ein und skizziert abschließend ausgewählte Felder, in denen Infrastrukturen momentan erforscht oder weiter analysiert werden könnten.
Die Erklärung der Vereinten Nationen über die Rechte der indigenen Völker (UNDRIP) bildet einen Meilenstein in der Entwicklung der Menschenrechte. Das gilt nicht nur für die jahrzehntelangen Auseinandersetzungen um die Etablierung von indigenen Menschenrechten, sondern auch für das internationale Menschenrecht selbst. Denn die Entwicklung indigener Menschenrechte steht exemplarisch für die Vielfältigkeit und die Multiplizierung des Menschenrechts. Sie zeigt, dass Menschenrechte sich seit der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte 1948 weiterentwickeln, ausdifferenzieren und verändern können, ohne damit die Idee von Menschenrechten zwangsläufig zu unterminieren. Gleichzeitig zeigt sie in all ihren (teilweise nach wie vor bestehenden) Kontroversen, dass die Prozesse der Multiplizierung und Entwicklung von Menschenrechten weder bruchlos noch widerspruchsfrei verlaufen. Indigene Menschenrechte stehen mithin für die sensible Balance zwischen dem Festhalten an der Idee von Menschenrechten einerseits und der Notwendigkeit ihrer zeithistorischen Veränderung und Herausforderung andererseits.
Imperium und Imperialismus
(2010)
Der Begriff des Imperialismus, der während des 20. Jahrhunderts im Zentrum heftiger politischer Deutungskämpfe stand, hat den Blick auf die weltgeschichtliche Rolle der Imperien mehr getrübt als geschärft. Imperiumstheorien sind deswegen eher in kritischer Absetzung gegen Imperialismustheorien zu entwickeln als in deren Gefolge und gemäß deren Vorgaben.
Historisierung (Version 1.0)
(2010)
(Version 1.0, siehe auch Version 2.0)
Der Begriff „Historisierung” stellt sicherlich keine Neuheit in der Diskussion über Geschichtstheorie dar. In der Zeitgeschichte hat er sich insbesondere dank der Auseinandersetzung zwischen Martin Broszat und Saul Friedländer über das zulässige Ausmaß historischer Relativierung des Nationalsozialismus etabliert, und in der Tat würden die meisten Fachkolleginnen und -kollegen den Begriff wahrscheinlich mit diesem intellektuellen Ereignis assoziieren. Dennoch nahm der Begriff bisher keineswegs einen zentralen Platz in den fachhistorischen Debatten ein.
Historischer Vergleich
(2024)
Hartmut Kaelble zeigt in seinem Beitrag für Docupedia, dass sich Methodik, Praxis und damit auch Vergleichsräume und Vergleichszeiträume des Historischen Vergleichs in den letzten Jahrzehnten stark verändert haben. Nachdem die theoretischen Diskussionen der 1990er-Jahre über den Historischen Vergleich als weitgehend abgeschlossen angesehen werden können, ist er heute ein fest etablierter, eigenständiger Teil der transnationalen Geschichte.
Biografie ist ein literarisches und wissenschaftliches Genre, das erst durch theoretische und methodische Reflexionen zu einem konzeptionellen Ansatz der Geschichtswissenschaft wird. Levke Harders beginnt ihren Beitrag mit einer Übersicht zur Entwicklung der Biografik in den (deutsch- und englischsprachigen) Geschichtswissenschaften, thematisiert anschließend die Popularität (sowie die Grenzen) des Genres und stellt einige aktuelle Forschungsfelder der Biografik vor, die sich „neuen“ Subjekten und Themen widmen.
Es mutet paradox an: Nach 1947, dem Jahr, in dem der Alliierte Kontrollrat den preußischen Staat für aufgelöst erklärt hatte, setzte in den deutschen Geschichtswissenschaften, der Publizistik und in der Politik eine Diskussion ein, wann Preußen zu bestehen aufgehört habe.[1] Das so nahe liegende Jahr 1947 vermochte als Schlusspunkt indes wenig zu überzeugen. Diskutiert wurden andere Epochenjahre als Zäsur zwischen Bestehen und Nicht-Bestehen: Hatte Preußen nicht bereits 1945 mit dem Zusammenbruch jeglicher staatlichen Ordnung zu existieren aufgehört? Oder schon 1933/34 mit der Gleichschaltung, die den Ländern ihre Eigenständigkeit beraubte? Oder doch am 20. Juli 1932, als mit dem „Preußenschlag“ die demokratisch gewählte Regierung Otto Brauns abgesetzt und die Staatsgewalt auf den Reichskanzler übertragen wurde? War nicht die Monarchie seit jeher ein integraler Bestandteil preußischer Geschichte gewesen, sodass ihr Ende in den kalten Herbsttagen des Jahres 1918 zu verorten ist, als Wilhelm II. als Kaiser und König abdankte und in das niederländische Exil flüchtete?
Herrschaft und Macht
(2021)
In ihrem Artikel geben Andrea Maurer und Christoph Lau einen Überblick über die Begriffe „Herrschaft“ und „Macht“, wobei sie zunächst wichtige Charakteristika von Herrschaft in Abgrenzung zu Macht und anderen Formen der Über- und Unterordnung (Gewalt) erläutern. Daran anschließend werden Forschungsperspektiven und -desiderata besprochen und die Potenziale einer wissenschaftlich fundierten Herrschaftsdiskussion ausgewiesen.
Herrschaft
(2010)
Herrschaft ist in modernen Gesellschaften ambivalent. Auf der einen Seite finden wir in allen gesellschaftlichen Handlungsfeldern anerkannte hierarchische Formen der Handlungssteuerung wie das moderne Unternehmen oder den Staat; auf der anderen Seite beobachten wir überall Bürokratieversagen, Korruption oder die Auflösung von Herrschaftsstrukturen und deren Übergang in komplexere Regelungsmechanismen.
Auf den ersten Blick ist die Kombination der Werbebanner am imposanten Eingang des Ungarischen Nationalmuseums recht überraschend. Die Plakate machen auf die drei aktuellen Ausstellungen des Museums, die jeweils einen “Helden“ in den Mittelpunkt stellen, aufmerksam: Siebenbürgen-Fürst Gábor Bethlen, Nationaldichter Sándor Petőfi sowie Kriegsfotograf Robert Capa.Die Verbindung zwischen Capa und Budapest, seinem Lebenswerk und seiner Geburtsstadt scheint hergestellt. Aber Capa als der ungarische Nationalheld, als Teil des nationalen Erbes? Glücklicherweise gibt die Ausstellung keine oberflächliche und simple Antwort auf diese Frage. Im Gegenteil: Die Schau, konzipiert durch Èva Fisli, konzentriert sich vielmehr auf einzelne Kategorien, die die Figur “Robert Capa“ und sein Lebenswerk ausmachen. Ganz andere Schwerpunkte, als etwa die Nationalität, stehen dabei im Fokus.
Heimat
(2017)
Das Konzept „Heimat“ lässt sich als scheinbar genauere Bestimmung vor viele Phänomene setzen. In der Unbestimmtheit des Begriffs zeigt sich seine prominente emotionale Seite, die ihn für Marketingzwecke jeder Art – und damit sind auch politische Absichten eingeschlossen – attraktiv macht. Heimat markiert eine lokale Identifizierung, die andere Identifikationen nicht ausschließt, ob es sich nun um regionale, nationale oder transnationale Institutionen, Ideologien oder Glaubensgemeinschaften handelt. Der Artikel behandelt den Begriff „Heimat“ sowie das grundsätzliche Verhältnis zwischen Individuen zu sozialen und geografischen Räumen.
Nach dem Ende der DDR in Ostdeutschland und im gegenwärtigen Großbritannien zeigt sich ein ähnliches Phänomen: In nicht geringem Umfang wurde das Eigentum an Häusern und Wohnungen vom Grundeigentum getrennt. Anders formuliert: Jemand war zwar Haus- oder Wohnungseigentümer*in, aber besaß nicht den Boden, auf dem das Haus stand. Manchmal wussten die Haus- oder Wohnungseigentümer*innen nicht einmal, wem das dazugehörige Grundstück gehört. Daraus entstanden Abhängigkeiten, Ungleichheiten und Konflikte. Wie aber konnte die privateigentumsfördernde britische Politik, vor allem unter Margaret Thatcher, und die privateigentumsstörende DDR-Politik zu ähnlichen Effekten führen? Und macht ein solcher, eher unkonventioneller Vergleich überhaupt Sinn?
In seiner Länderstudie gibt Detlev Mares eine Übersicht über Selbstverständnis und zentrale Periodisierungsfragen der zeithistorischen Forschung in Großbritannien. Dabei weist er darauf hin, dass lange Zeit bestimmende Interpretationsmuster zur britischen Geschichte - Konsens und Niedergang - an Strahlkraft verloren haben und durch eine breit ausdifferenzierte, interdisziplinäre Forschungslandschaft ersetzt wurden.
Gewerkschaftsgeschichte
(2021)
Gewerkschaften sind bis heute als Selbstorganisationen und Interessenvertretungen der Arbeiterschaft ein wichtiger Teil des wirtschaftlichen und sozialen Lebens. Sie waren vor allem im 19. und 20. Jahrhundert bedeutende historische Akteure der Vorgeschichte der Gegenwart. Knud Andresen bietet in seinem Artikel einen Überblick zur Entwicklung der Gewerkschaften mit Schwerpunkt auf Deutschland, besonders der Bundesrepublik ab 1945, aber auch mit Seitenblicken auf die Gewerkschaftsgeschichte der DDR, und der internationalen Verbünde. Verschiedene sozialwissenschaftliche und historiografische Deutungen werden dargestellt und damit das Forschungsfeld skizziert. Auch nach systematischen Potenzialen der zeitgeschichtlichen Gewerkschaftsgeschichte wird gefragt.
Gewalt und Gewaltforschung
(2014)
Weder im alltagssprachlichen Gebrauch noch in der Wissenschaft ist es kaum möglich zu sagen, was Gewalt ist. Entsprechend handelt es sich bei der Gewaltforschung um ein fast unüberschaubares Feld, das sich mit Kriegen bis hin zu sprachlichen Praktiken oder Rollenverteilungen in privaten Räumen beschäftigt. Felix Schnell stellt in seinem Artikel das Spektrum der gängigen Gewaltbegriffe dar, schildert die Entwicklung der relativ jungen Gewaltforschung im engeren Sinne und gibt einen Überblick über aktuelle Forschungstendenzen.
Am 8. März ist Internationaler Frauentag. Im Jahr 2019, 30 Jahre nach der deutschen Einheit, wird er in Berlin, an der Schnittstelle von Ost und West, zum ersten Mal als gesetzlicher Feiertag begangen. Zur Zeit der deutschen Teilung feierte man in der Bundesrepublik den Mutter- und in der DDR den Frauentag. Ohne hier auf ihre ursprünglichen Motivationen und Entwicklungen eingehen zu können, drängen sich hinsichtlich der beiden unterschiedlichen Bezeichnungen Assoziationen zu den Frauenbildern in beiden deutschen Staaten auf, die ihre Auswirkungen bis heute zeigen.
Geschichtstourismus
(2020)
Der Beitrag skizziert ein Forschungsfeld der Public History, das bislang wenig systematische Betrachtung gefunden hat – Geschichte im globalen Tourismus. Ausgehend von Konzepten und Begriffen der Tourismustheorie, der Heritage Studies, der Ethnologie und der Geografie plädiert die Autorin dafür, die Spezifik des touristischen Geschichtskonsums entlang verschiedener Perspektiven zu untersuchen: als transkulturelle Zirkulation von Erinnerung, als performative Praxis im Raum sowie als Ausdruck der Ökonomisierung von Geschichte. Empirisch bieten sich neben Reiseführern, Blogs, Reviewportalen und Werbung auch Stadt- und Museumsführungen zur Analyse raumgebundener und interaktiver Geschichtserzählungen im Tourismus an.
Geschichtspolitik
(2014)
Das Politik- und Forschungsfeld „Geschichtspolitik“ polarisiert. Stefan Troebst diskutiert in seinem Beitrag den Umgang von politischen Akteuren und Instanzen mit der nationalen Geschichtsvermittlung. Der Fokus des Forschungsfelds liegt auf Osteuropa und Deutschland und zeigt eine Lücke in transnational vergleichenden Studien auf. Troebst hebt insbesondere die kulturwissenschaftlich-praktische Herangehensweise hervor und ordnet die „Geschichtspolitik“ im Zusammenhang der Vergangenheits- und Erinnerungspolitik neu ein.
Geschichte der Zukunft
(2023)
Wie ändert sich unser Blick auf das 20. und 21. Jahrhundert, wenn wir sie durch die „Brille“ der Zukunft betrachten? Welchen Mehrwert an Erkenntnis liefert eine Geschichte der Zukunft? Der Beitrag skizziert die Forschungsgeschichte und Analysekategorien sowie die methodischen Ansätze und Erkenntnispotenziale einer Erschließung des vergangenen Künftigen. Der Fokus liegt auf der deutschen, europäischen und amerikanischen Zeitgeschichte im globalen Rahmen.
Geheimdienste sind aus der Perspektive der Nachrichtendienstgeschichte / Intelligence History nicht mehr in erster Linie im Zwielicht wirkende Agentenzentralen, die „tote Briefkästen“ betrieben und Geheimtinte entwickelten. Sie sind außenpolitische Akteure und Produzenten von Wissen für Entscheidungsträger*innen. Rüdiger Bergien entwickelt in seinem Beitrag eine Definition dieses Forschungsfelds. Er zeichnet nach, wie sich die wissenschaftliche Beschäftigung mit Nachrichtendiensten seit dem Zweiten Weltkrieg entwickelt hat, wobei die Frage im Mittelpunkt steht, wie zu unterschiedlichen Zeiten überhaupt Einblicke in die Blackbox Nachrichtendienst gewonnen werden konnten. Schließlich stellt er die Schwerpunkte der bisherigen Forschung vor und benennt Desiderate.
„Generation” ist ein geschichtlicher Grundbegriff. Er verspricht, eine spezifische Ausprägung des Denkens, Fühlens und Handelns zu erklären, indem die unterstellte dauerhafte und gleichartige Wirkung von Sozialisationsbedingungen auf eine Gruppe von Menschen als kollektive Erfahrung aufgefasst wird.
Genozid und Genozidforschung
(2011)
Die vergleichende Genozidforschung hat seit den späten 1990er-Jahren einen erheblichen Aufschwung genommen, doch ist bisher kein einheitliches interdisziplinäres Forschungsfeld entstanden. Wenn man sich mit Genozid beschäftigt, ist es daher nicht möglich, eine Debatte um Definitionen zu vermeiden. Um das Thema zu umreißen, stellt Boris Barth zunächst die Problematik des Völkerrechts vor und geht in einem zweiten Schritt auf die UNO- bzw. UN-Genozid-Konvention ein. Schließlich zeigt er Perspektiven für die zeitgeschichtliche Forschung auf und plädiert dafür, die historische fachwissenschaftliche Diskussion stärker als zuvor aus den Begrifflichkeiten des Völkerrechtes und den dortigen politischen Kontexten zu lösen, um eigenständige, primär an der historischen Methodik orientierte Fragestellungen zu entwickeln.
Der Beliebtheit generationeller Vergemeinschaftungen stehen forschungspraktische Unebenheiten gegenüber, wenn „Generation” nicht mehr nur als Selbstthematisierungsformel, sondern auch als analytische Kategorie dient. Gerade die begriffliche Unschärfe verweist darauf, wie wichtig es ist, danach zu fragen, was die Rede von den „Generationen” in den Blick bekommt, was sie vernachlässigt oder sogar überdeckt. In einer aktuell überarbeiteten und ergänzten Version 2.0 zeigt Ulrike Jureit, welche theoretischen Unwägbarkeiten damit verbunden sind, wenn der kollektive Selbstentwurf nicht allein als Ausdruck eines gesellschaftlichen Erfahrungswandels gedeutet wird, sondern gruppenspezifische Selbstinszenierungen zum zentralen Erklärungsfaktor für bestimmte politische, soziale oder ökonomische Umbrüche werden.
Gedenkstätten
(2018)
An einem historischen Ort staatlicher, terroristischer oder katastrophenbedingter Gewalt erfüllen Gedenkstätten mit ihren materiellen Hinterlassenschaften eine Vielfalt an Aufgaben, womit sie zu mehrschichtigen, multifunktionalen und polyvalenten Einrichtungen des Trauerns, Gedenkens, Erhaltens, Sammelns, Forschens und Vermittelns werden. In diesem Sinne begreift Habbo Knoch Gedenkstätten als kulturelle Artefakte, die sowohl Überreste historischer Geschehnisse beinhalten als auch mehrdeutige Manifestationen politischer und gesellschaftlicher Diskurse verkörpern – und analysiert sie als „Palimpseste“ geschichtspolitischer und erinnerungskultureller Prozesse.
Friedrich Klinsky wurde 1925 in Wien geboren und starb dort im Jahr 2002. Als Zehnjähriger begann er sich für Fotografie zu interessieren, war mit einem billigen Apparat unterwegs und entwickelte in der elterlichen Küche die ersten Bilder selbst. Er hatte bei einem Fotografen einer befreundeten Familie zusehen dürfen. Der Besuch der Höheren Graphischen Bundes-Lehr- und Versuchsanstalt blieb ihm aus Geldmangel verwehrt. Er begann als 17-Jähriger wahrscheinlich eine Lehre als Fotolaborant in der Gaulichtbildstelle der Nationalsozialistischen Volkswohlfahrt (NSV), die er aufgrund einer Lungen-Krankheit bereits nach einem Jahr wieder abbrechen musste. Nach 1945 gelang es ihm, bei diversen Fotoagenturen sowie bei den Tageszeitungen „Bild-Telegraph“, „Express“, „Kurier“ und „Wochenpresse“ seine Arbeit als Fotograf fortzusetzen. Friedrich Klinsky war vierzig Jahre lang von 1946 bis zu seiner Pensionierung 1984 als Pressefotograf in Österreich tätig.
Der erstmals 1942 und 1944 in stark erweiterter Form erschienene „Behemoth” Franz Leopold Neumanns bildete einen Höhepunkt der NS-Interpretation exilierter deutscher Wissenschaftler. Neumann, Jahrgang 1900, hatte in Frankfurt am Main bei Hugo Sinzheimer studiert, war 1928 nach Berlin gekommen, hatte dort eine Anwaltspraxis eröffnet und an der Deutschen Hochschule für Politik gelehrt. Er stand dem linken Flügel der SPD nahe, war ein unnachgiebiger Kritiker des Nationalsozialismus und wurde gleich nach dem 30. Januar 1933 verhaftet.
In allen europäischen Ländern steht die Entwicklung der Zeitgeschichtsforschung in engem Zusammenhang mit nationalen Traditionen und Traumata. In Frankreich hat sich zwischen Forschung und nationalem Selbstverständnis eine besonders enge Interdependenz herausgebildet. Ebenso wirken die spezifisch französischen institutionellen Rahmenbedingungen auf die inhaltliche und methodische Entwicklung der Wissenschaft ein.
Als Francis Fukuyamas Essay „The End of History?” im Sommer 1989 in der Zeitschrift „The National Interest” erschien, brach ein Sturm der Empörung los. Die Vorstellung von einem „Ende der Geschichte” hatte zwar gerade Konjunktur; so kamen in der Bundesrepublik 1989 gleich zwei Bücher heraus, die dieses Thema kritisch beleuchteten. Meist gründete das Interesse an einem „Ende der Geschichte” allerdings auf einer postmodernen Position.
Zum 70. Jahrestag des Warschauer Aufstands ließ die Landeszentrale für politische Bildung in Hamburg in Zusammenarbeit mit dem Arbeitsbereich Public History der Universität Hamburg, dem Museum des Warschauer Aufstands in Warschau sowie dem Verlag Leica Fotografie International eine historisch-fotografische Ausstellung unter dem Titel „Auf beiden Seiten der Barrikade. Fotografie und Kriegsberichterstattung im Warschauer Aufstand 1944“ erarbeiten. Die Ausstellung wurde am 1. Oktober 2014 im Mahnmal St. Nikolai in Hamburg eröffnet und ist seitdem an mehreren Orten in Deutschland präsentiert worden.
Ausgangspunkt für dieses Projekt war die Entdeckung, dass neben deutschen Fotografen, die den Aufstand dokumentiert haben – Mitglieder der Propagandakompanien (PK) der Wehrmacht und SS, die seit den 1930er Jahren standardmäßig mit Leica-Kameras ausgestattet wurden –, auch die Mehrzahl der Fotograf*innen unter den polnischen Kriegsberichterstatter*innen (PSW – Prasowi Sprawozdawcy Wojenni) mit einer Leica in Warschau fotografierte.
Fotograf gesucht
(2024)
Immer, wenn man (historische) Fotos und Fotoalben verstehen möchte, ist eine der zentralen Fragen: Wer hat das Foto gemacht? Nur selten geben private Alben darüber direkt Auskunft. Gleichzeitig geben die Fotos Hinweise, um zumindest Vermutungen anzustellen. Die Beziehung zwischen fotografierender und fotografierter Person ist ein wesentlicher Teil des Entstehungszusammenhangs. Sie kann uns Aufschluss über Hierarchien, Freiwilligkeit oder Zwang und Intention(en) des Fotos geben. Versuchen wir, den Fotografen zu finden.
Der Fotohistoriker und Museologe, Károly Kincses, widmet sich seit über dreißig Jahren der Erforschung der ungarischen Fotografie. Er ist Mitbegründer des Ungarischen Fotomuseums in Kecskemét sowie des Mai Manó-Hauses in Budapest, übernahm vielfältige Aufgaben als Universitätsdozent und Leiter von Fotoworkshops, als Autor sowie Kurator. Kincses berichtet im Interview, wie er die aktuelle Situation des Landes, den tobenden “Kulturkampf“, der auch die Fotografie erreicht, einschätzt. Eine offene Moment- wie auch Bestandsaufnahme aus Ungarn am 6. Dezember 2013.
Fortschritt und Entwicklung
(2012)
Daniel Speich Chassé plädiert in seinem Beitrag für eine globalgeschichtliche und selbstreflexive Analyse der Konzepte Fortschritt und Entwicklung. Die Annahme, Fortschrittlichkeit zu besitzen und diese anderen Kollektiven zu bringen, war eine der zentralen Legitimationsstrategien des europäischen Kolonialismus. Nach 1945 trat der Entwicklungsbegriff stärker in den Vordergrund, der vermeintlich unterentwickelte Kollektive mit Inhabern höherer Entwicklungsstufen auf eine gemeinsame Zeitachse des Fortschritts stellte und den Ausgleich dieser Differenz zum gemeinsamen Zukunftshorizont erhob. Nach Speich Chassé kann die Geschichtswissenschaft auf beide Konzepte kaum verzichten, da historischer Wandel ohne diese Prozessbegriffe schwer zu beschreiben ist.
Fordismus
(2011)
Der „Fordismus” prägte das 20. Jahrhundert maßgeblich und nachhaltig. Doch blieben die Konturen des Begriffs und die hinter ihm stehenden Konnotationen zumeist unscharf. Rüdiger Hachtmann beschreibt die Konzepte und ideologischen Grundhaltungen des Namensgebers Henry Ford sowie die Rezeption des Begriffs und arbeitet dessen wichtigste Bedeutungsebenen heraus. Der besondere sozial- und mentalitätsgeschichtliche Stellenwert des Fordismus und seine Formwandlungen erlauben es, langfristige wirtschaftliche, gesellschaftliche und kulturelle Trends und Dynamiken präziser in den Blick zu nehmen – in einem Jahrhundert, das nach Hachtmann als „fordistisch“ bezeichnet werden kann.
Fiesta Mexicana und Samba de Janeiro. Konstruktionen ‚fremder‘ Kulturen in der deutschen Popmusik
(2023)
Popmusik rückt die Welt nicht nur näher zusammen, ihr grenzübergreifender Charakter wirkt auch auf Identitäten. Sogar als ‚fremd‘ wahrgenommene und deklarierte Kulturen werden mittels popkultureller Produkte und Massenmedien für das Subjekt erfahrbar und Teil der alltäglichen Lebenswelt. Dies geschieht nicht nur durch die Rezeption ausländischer Bands, sondern vielfach auch durch Thematisierungen und Inszenierungen ‚fremder‘ Kulturen in der deutschen Popmusik. Diese Darstellungen gehören in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts über den Schlager hinaus zum Standardrepertoire deutscher (d. h. deutschsprachiger oder in den beiden deutschen Staaten produzierten) Popmusik.
In meinem Forschungsprojekt untersuche ich diese Konstruktionen in der deutschen Popmusik in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, ihre Akteur:innen und Rezeptionsgeschichte sowie ihren Einfluss auf die Gesellschaft der Bundesrepublik und der DDR.
Seit über neunzig Jahren wird über Inhalt und Reichweite des Faschismus-Begriffs gerungen. Fernando Esposito beleuchtet die Entstehung des italienischen Faschismus kursorisch und gibt einen Einblick in das Selbstverständnis der Akteure. Er stellt die Faschismusforschung im Zeichen des Kalten Kriegs vor, erörtert die Ansätze der neueren Faschismusforschung und ihre Themenfelder, um dann in einem abschließenden Fazit den Mehrwert des Faschismusbegriffs vor Augen zu führen.
Exilforschung
(2012)
Exilforschung untersucht die Vertreibung aus dem nationalsozialistischen Deutschland und die damit verbundenen kulturellen und sozialen Transfers. Claus-Dieter Krohn widmet sich in seinem Beitrag der Geschichte der Exilforschung und verweist darauf, dass diese mit ihrem schon in den 1930er-Jahren vorbereiteten Konzept der Akkulturation als ein Wegbereiter der Postcolonial Studies zu gelten hat. Die dezidiert transnationale Perspektive der Exilforschung ist dabei offen für komparative Analysen heutiger Migrationsprozesse und Exile.
Europäisierung
(2010)
In Ihrem Beitrag werfen Ulrike v. Hirschhausen und Kiran Klaus Patel einen kritischen Blick auf "Europäisierung" als empirischen Prozess und analytischen Begriff. Entsprechende sozialwissenschaftliche Diskussionen haben Historiker bislang weitgehend ignoriert - zu Unrecht, so von Hirschhausen und Patel. Beide sehen hier ein lohnendes Feld der Zeitgeschichte, dem sie sich mit einem konstruktivistischen Ansatz nähern: Nur dort, wo historische Akteure konkrete Phänomene als "europäisch" wahrgenommen und benannt haben, kann Europäisierung als Herstellung einer "vorgestellten Gemeinschaft" erforscht werden, ohne mit normativen Voranahmen über einen europäischen "Wesenskern" operieren zu müssen.
Vor dem Hintergrund der gesellschaftspolitischen Erosionen in Ost- und Mitteleuropa seit 1989 und insbesondere der deutschen Wiedervereinigung versäumte es die deutsche Kommunismusforschung lange, den Blick auch gen Westen zu richten. In den letzten Jahren ist allerdings ein Wandel des Forschungsinteresses zu verzeichnen, wie es Nikolas Dörr anhand der Phase des „Eurokommunismus“ in Westeuropa schildert. Den definitorischen Problemen, eine exakte wissenschaftliche Begriffsbestimmung zu leisten, geht der Autor ebenso nach wie Periodisierungs- und Fragen der historischen Semantik.
Das Lebensthema des Religionsphilosophen, Kulturhistorikers und Politikers Ernst Troeltsch (1865-1923) war die „moderne Welt“. In den großen Neuordnungsdiskursen nach 1918 spielte er eine wichtige Rolle in den westeuropäischen, aber auch in den osteuropäischen Kulturtransfers. Gangolf Hübinger und Johannes Bent stellen sein spätes Hauptwerk „Der Historismus und seine Probleme“ vor und betonen die intellektuelle Bedeutung von Troeltsch sowohl für die Demokratiediskurse der ersten deutschen Republik als auch für die Frage nach der Orientierungskraft von „Geschichte“ für die moderne Gesellschaft, insbesondere für die „Europadiskurse“ des 20. Jahrhunderts.
Der Begriff der „Erinnerungsorte” (lieux de mémoire) wurde in den 1980er-Jahren von dem französischen Historiker Pierre Nora geprägt. Er bezeichnet ein spezifisches Forschungsparadigma, das symbolische Repräsentationen meint, die – so nehmen Forscherinnen und Forscher an – in bestimmten Gedächtnis- und Identitätsdiskursen eine signifikante Rolle spielen. Cornelia Siebeck stellt diese Forschungsperspektive vor und beschreibt ihre Genese. Sie skizziert den Erfolg des neuen Ansatzes wie auch die kritischen Einwände und zeichnet die Rezeption und Diskussion nach. Da der inflationäre Gebrauch jedoch auch zu einer theoretisch-methodologischen Unschärfe geführt hat, befasst sie sich abschließend mit aktuellen Versuchen, das Nora'sche Konzept zu präzisieren und seine analytischen Potenziale auszubauen.
Obwohl der Begriff „Erinnerungskultur” erst seit den 1990er-Jahren Einzug in die Wissenschaftssprache gefunden hat, ist er inzwischen ein Leitbegriff der modernen Kulturgeschichtsforschung. Während er in einem engen Begriffsverständnis als lockerer Sammelbegriff „für die Gesamtheit des nicht spezifisch wissenschaftlichen Gebrauchs der Geschichte in der Öffentlichkeit – mit den verschiedensten Mitteln und für die verschiedensten Zwecke” definiert wird, erscheint es aufgrund der Forschungsentwicklung der vergangenen zwei Jahrzehnte insgesamt sinnvoller, „Erinnerungskultur” als einen formalen Oberbegriff für alle denkbaren Formen der bewussten Erinnerung an historische Ereignisse, Persönlichkeiten und Prozesse zu verstehen, seien sie ästhetischer, politischer oder kognitiver Natur.
(Version 1.0, siehe auch Version 2.0) Obwohl der Begriff „Erinnerungskultur" erst seit den 1990er-Jahren Einzug in die Wissenschaftssprache gefunden hat, ist er inzwischen ein Leitbegriff der modernen Kulturgeschichtsforschung.[1] Während er in einem engen Begriffsverständnis als lockerer Sammelbegriff „für die Gesamtheit des nicht spezifisch wissenschaftlichen Gebrauchs der Geschichte in der Öffentlichkeit – mit den verschiedensten Mitteln und für die verschiedensten Zwecke" definiert wird,[2] erscheint es aufgrund der Forschungsentwicklung der vergangenen zwei Jahrzehnte insgesamt sinnvoller, „Erinnerungskultur" als einen formalen Oberbegriff für alle denkbaren Formen der bewussten Erinnerung an historische Ereignisse, Persönlichkeiten und Prozesse zu verstehen, seien sie ästhetischer, politischer oder kognitiver Natur. Der Begriff umschließt mithin neben Formen des ahistorischen oder sogar antihistorischen kollektiven Gedächtnisses alle anderen Repräsentationsmodi von Geschichte, darunter den geschichtswissenschaftlichen Diskurs sowie die nur „privaten" Erinnerungen, jedenfalls soweit sie in der Öffentlichkeit Spuren hinterlassen haben. Als Träger dieser Kultur treten Individuen, soziale Gruppen oder sogar Nationen in Erscheinung, teilweise in Übereinstimmung miteinander, teilweise aber auch in einem konfliktreichen Gegeneinander.
Eliten
(2022)
Neu in einer aktualisierten Version 2.0: Dem Begriff der „Elite“ wohnt eine begriffliche Unschärfe inne, der Morten Reitmayer in seinem Artikel auf den Grund geht. Beginnend bei frühen Elite-Theorien, die die Unterscheidung von Elite und Nicht-Elite als wichtigste gesellschaftliche Trennlinie betrachteten, wendet er sich zentralen Termini zu und grenzt Funktions- und Machteliten voneinander ab. Zentral für Reitmayer sind auch die fruchtbaren kritischen Ansätze von Bourdieu, die für ihn eine potenzielle Bereicherung der Erträge der Eliten-Forschung bereithalten.
Ende der 1970er Jahre tauchte »Preußen« in beiden deutschen Staaten wieder auf. Die »Preußenrenaissance« wurde bislang vor allem als geschichtspolitisches und intellektuellengeschichtliches Phänomen betrachtet. Preußen wurde aber auch, das zeigt der Blick auf die formative Phase der Preußenkonjunktur um 1980, in breiten Bevölkerungsschichten populär. Der nach 1989/90 betriebene Versuch indes, Preußen zur Traditionsstiftung für das vereinigte Deutschland zu nutzen, scheiterte auf lange Sicht. Heute ist Preußen, jenseits der Hohenzollerndebatte, nurmehr punktuell im Rhythmus der Jahrestage präsent.
Ursprünglich anlässlich der Eröffnung des Humboldt-Forums geplant, fiel die Konzeption dieses Themenschwerpunkts in ein Jahr, das, bereits während es noch stattfand, zum einschneidenden Epochenjahr, ja zur historischen Zäsur erklärt wurde. Geprägt von der Lebens- und Arbeitswirklichkeit, den öffentlichen und akademischen Debatten dieses Ausnahmejahres, dehnte sich auch dieses Dossier aus, und sollte nicht länger allein (zeitgeschichtliche Perspektiven auf) postkoloniale Restitution in Deutschland thematisieren, sondern die Besonderheiten und Schwerpunkte seines Entstehungsjahres spiegeln, das postkoloniale Fragen immer wieder und auf mannigfaltige Weise in den Vordergrund spielte. An dieser Stelle möchte ich den unter erschwerten Bedingungen arbeitenden Autor:innen, deren Texte ich im Folgenden einzeln vorstellen werde, herzlich danken.
1981, kurz nach der Amtseinführung von Ronald Reagan als Präsident: Elizabeth und Philip Jennings sind eine Musterfamilie der weißen Mittelschicht in der Vereinigten Staaten. Mit ihrer 13-jährigen Tochter Paige und dem drei Jahre jüngeren Sohn Henry leben sie in einer Suburbia-Siedlung in Washington D.C. und betreiben in der Stadt ein Reisebüro. Als im Haus gegenüber die Beemans einziehen, eine Familie im gleichen Alter, tun sie das, was man dort in solchen Fällen tut: Sie erscheinen mit selbstgebackenen Brownies zum Antrittsbesuch. Doch die Idylle trügt: Elizabeth (Keri Russell) und Philip (Mathew Rhyes) sind sogenannte „Illegale“, vor vielen Jahren eingeschleuste und mit einer falschen Identität ausgestatte Agenten des sowjetischen Auslandsgeheimdienstes KGB. Familie und Beruf sind Teil ihrer perfekten Tarnung. Und die neuen Nachbarn sind für sie ein gewaltiges Problem, denn Stan Beeman (Noah Emmerich) arbeitet für die Spionageabwehr des Federal Bureau of Investigation (FBI), Abteilung Sowjetunion.
Michael Lindenberger, der das Fotoalbum seiner Großeltern dem Jüdischen Museum Berlin stiftete, sprach im Interview über seine bewegte Familiengeschichte, den Nachlass seiner Eltern und seinen Wunsch, die Erinnerungen zu bewahren. Das Fotoalbum der Familie Lindenberger stammt aus dem Jüdischen Museum Berlin, wo es zwar teilweise erfasst, aber noch nicht vollständig erschlossen oder der Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden ist. Aus diesem Grund wurde es für das Projekt ausgewählt.