20. Jahrhundert
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Klischee, Klitterei, Geschichtchen ohne Geschichte - so die schärfsten Vorwürfe in der öffentlichen Debatte um den Historienfilm „Rosenstraße“. Er erzählt die Geschichte des Protestes nichtjüdischer Berliner Frauen gegen die tagelange Inhaftierung und befürchtete Deportation ihrer jüdischen Ehemänner durch Gestapo und SS im Frühjahr 1943. Ein Film im Kreuzfeuer eines Historikerstreites: Die Deportation der jüdischen Ehepartner sei geplant gewesen, erst der weibliche Protest habe zur Freilassung der Mehrzahl der rund 1.500 bis 2.000 Inhaftierten geführt - so die einen (Nathan Stoltzfus, Gernot Jochheim). Die Inhaftierung habe ‚nur’ der Auswahl von Ersatzkräften für zu deportierende „Volljuden“ gedient, die folgende Freilassung der „Mischehen-Partner“ sei bereits beschlossen gewesen - so die anderen (Wolf Gruner, Wolfgang Benz).
Seit Ende 2000 hat die Commerzbank die Zahl ihrer Mitarbeiter um rund 7.000 reduziert. Sie bietet den Entlassenen jedoch einen einmaligen Service: Diese können sich drei Monate auf Kosten der Bank von einem Outplacement-Berater coachen lassen. Das beginnt mit einem fünftägigen Trainings-Seminar, bei dem jeder seine Stärken herausarbeiten soll. Jeder Mensch sei eine Ich-Aktie, deren Wert erst ermittelt werden müsse. Dann gehe es darum, diesen Wert am Markt zu platzieren, wobei dem Marketing entscheidende Bedeutung zukomme: Wer einen niedrigen Wert hat, sich aber besser vermarkte, habe größere Chancen als derjenige, der sich nicht vermarkten könne.
Pathologie der Gesellschaft und liberale Vision. Ralf Dahrendorfs Erkundung der deutschen Demokratie
(2004)
Dahrendorfs „Gesellschaft und Demokratie in Deutschland“ ist in besonderer Weise von den Umständen der noch jungen Bundesrepublik geprägt; das Werk gehört „heute selber zur Frühgeschichte dieses Staates und seiner Gesellschaft“. Der Soziologe Dahrendorf (geb. 1929) hatte eine Zeitdiagnose in nationalpädagogischer Absicht und mit sozialliberalem Impetus verfasst - „politischer Traktat, Einführungsvorlesung und Theorie der Demokratie“ in einem. Seine Untersuchung war „ein Plädoyer für das Prinzip der liberalen Demokratie“ (S. 27). In der Trias von historischer Erklärung, soziologischer Analyse und engagierter politischer Theorie bleibt „Gesellschaft und Demokratie“ bis heute eine Ausnahme und kann wirkungsgeschichtlich kaum überschätzt werden.
Nach einer langen Unterbrechung kehrte die „Geschichte Europas“ im Zweiten Weltkrieg mit Macht auf die Agenda der internationalen Geschichtsschreibung zurück. Erste Anzeichen hierfür hatte es bereits in der krisenhaften Zuspitzung der 1930er-Jahre gegeben. Nicht aber die Historiographie, sondern die Propaganda im weitesten Sinne bestimmte zunächst die Richtung. Als deutungsmächtig erwies sich in Großbritannien insbesondere die Stimme Robert Vansittarts, des ehemaligen beamteten Unterstaatssekretärs im britischen Außenministerium, der seit 1940 über den britischen Rundfunk ein düsteres Gesamtbild der deutschen Vergangenheit zeichnete. In sechs Radiosendungen mit dem Titel „Black Record“ listete er eine Geschichte der deutschen Aggressionen seit den Tagen des Tacitus auf.
Der Mainzer Europa-Kongress im März 1955 war ein publizistisch stark beachtetes Ereignis, zudem dasjenige, mit dem das knapp fünf Jahre zuvor ins Leben getretene Institut für Europäische Geschichte erstmals bewusst den Lichtkegel der Öffentlichkeit suchte. Die Tagung wurde von mehr als 300 Wissenschaftlern und Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens aus 16 Staaten besucht, sprengte die räumlichen Kapazitäten des Instituts bei weitem und musste deswegen an den prominentesten Platz der Rheinstadt verlagert werden, nämlich in das Kurfürstliche Schloss. Schon im Folgejahr, 1956, konnte der Direktor der ausrichtenden Institutsabteilung, Martin Göhring, die gedruckte Dokumentation dieses Kongresses vorlegen. Sie trug denselben Titel wie die Tagung selbst: „Europa - Erbe und Aufgabe“.
In der ersten Hälfte der 1990er-Jahre sahen sich die traditionellen Informationsvermittlungsinstanzen, die Bibliotheken, nicht in der Lage, ihre Mediatorenfunktion in puncto Internet wahrzunehmen. Es blieb in dieser Gründungsepoche der Eigeninitiative selbstloser NetzenthusiastInnen überlassen, für verschiedenste Disziplinen bald so genannte Fachverzeichnisse, Themenkataloge oder Fachportale aufzubauen. Ein Teil von ihnen organisierte sich in der Virtual Library (VL), dem ältesten Web-Suchdienst, ins Leben gerufen durch den WWW-„Erfinder“ Tim Berners-Lee. Sie ist der Versuch, durch eine lose Zusammenarbeit von Experten, die jeweils für ein bestimmtes Schlagwort Indices von Webressourcen erstellen, einen Universalkatalog mit akademischer Ausrichtung zu betreiben. Als Zielgruppen, zu denen sich auch die VL Zeitgeschichte bekennt, sollen vor allem WissenschaftlerInnen, Lehrende und Studierende angesprochen werden. Die VL fordert von ihren RedakteurInnen ein, nur solche Webressourcen aufzunehmen, die bestimmte Qualitätskriterien erfüllen; um in der VL Zeitgeschichte gelistet zu werden, muss daher der „wissenschaftliche Nutzen“ gegeben sein (siehe die Rubrik „Aufnahmekriterien“ der Website).
Three processes provided a dynamic of violence that involved the whole continent of Europe in varying degrees. First, “total war” meant the escalation of violence applied to the entire population of enemy states. Second, “totalitarian” ideologies drew on the experience of war and sought to annihilate their own projected antagonists. Third, the tension between territory, peoples, and nation-states was resolved through ethnic violence. The worst episodes of violence, especially the Holocaust, combined all three processes. Democratic states were affected by the same violence but to a much lesser extent, due to inbuilt restraints. Determining whether this dynamic of violence was distinctively European or one dimension of a wider modernity means rethinking European history in a global historical context.
Laughing at the Dictator. Franco and Franco’s Spain in the Spanish Blockbuster „Mortadelo y Filemón“
(2004)
The Spanish motion picture “La Gran Aventura de Mortadelo y Filemón” (2003) is not a historical film, no matter what definition of ‘historical film’ one might use. Instead, “Mortadelo y Filemón” (M&F) is the cinematic adaptation of the most successful Spanish comic book series ever published2 its significance to Spanish popular culture reflected by the spectacular box office records achieved by its cinematic counterpart. Moreover, and in contrast to the things we usually understand as ‘historical film’ - as well to the conventions of cinematic realism -, M&F is a cartoon-like histrionic comedy like no other; characters get smashed to the ground by a falling piano, only to later be “inflated” back to life, much in the style of the Warner Brothers’ „Loony Toons.“
Die Frage, ob und wie Fotografien als historische Quellen über Ereignisse der letzten rund 150 Jahre genutzt werden können, ist oft gestellt worden.1 Der englische Kulturhistoriker Peter Burke hat in seiner Studie über die „Augenzeugenschaft“ von Bildern allerdings jüngst kritisiert, dass visuelle Darstellungen - seien es Gemälde, Grafiken oder auch Fotos - von Historikern immer noch zu selten dazu verwendet würden, tatsächlich „neue Antworten zu geben oder neue Fragen zu stellen“.2 Es sind zwei bereits häufig reproduzierte Aufnahmen von Robert Capa, dem wohl bekanntesten Kriegsfotografen des 20. Jahrhunderts, die im Folgenden näher betrachtet werden sollen - nicht als Illustrationen von Geschichte, sondern als eigenständige Bildaussagen. Ihre „Relektüre“ dient weniger dazu, neue Antworten zu geben, als in Kenntnis des Publikationskontextes ihre Geschichte und Bedeutung neu zu entschlüsseln.
Europäische Zeitgeschichte beruht auf unterschiedlichen Meisterzählungen, zu denen sie in einem Wechselverhältnis steht. Sie sollte von einem geografischen Begriff von Europa ausgehen, der den Westen wie den Osten gleichermaßen umgreift und keine vorgegebenen ,europäischen Werte" annimmt. Quellenzugang, Fragestellungen und regionaler Forschungsstand variieren beträchtlich. Während die wirtschafts- und politikhistorische Integrationsforschung zu Westeuropa institutionalisiert ist und abgesicherte Ergebnisse aufweist, fehlt dies für die osteuropäische Integration noch weitgehend. In dem Aufsatz werden darüber hinaus unterschiedliche Sektoren einer ver-gleichenden europäischen Geschichte benannt. Hier zeichnen sich neue Wege ab, die zum Teil auch gesamteuropäische Ansätze verfolgen. Durch den Pluralismus von Integrations- und vergleichender Geschichte könnten eindimensionale Meistererzählungen differenziert werden.
„Die Geschichte kehrt an ihre Schauplätze zurück, wird anschaulich und lebendig - und rückt wieder in die Nachbarschaft großer Literatur“, heißt es im Klappentext von Karl Schlögels Buch „Im Raume lesen wir die Zeit. Über Zivilisationsgeschichte und Geopolitik“. Dies ist konventionelle Verlagswerbung, charakterisiert die Arbeiten des 1948 geborenen Historikers aber sehr treffend. Schlögel, der seit 1994 den Lehrstuhl für Osteuropäische Geschichte an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt (Oder) innehat, bemüht sich seit langem darum, die Städte und Regionen des östlichen Europas wieder ins westliche Bewusstsein zu bringen, und er tut dies auf eine Weise, die nicht nur für das Fachpublikum interessant ist.1 Für seine Bücher hat Schlögel diverse Auszeichnungen erhalten; in diesem Herbst werden ihm der Georg-Dehio-Preis des Deutschen Kulturforums östliches Europa sowie der Sigmund-Freud-Preis für wissenschaftliche Prosa der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung verliehen.
Es ist nun über ein halbes Jahrhundert her. Im Januar 1953 eröffnete Hans Rothfels die erste Nummer der Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte mit der epochemachenden Grundsatzbetrachtung "Zeitgeschichte als Aufgabe". Damit setzte eine neue Entwicklung in der langen Tradition der Zeitgeschichtsschreibung ein. Aufsatz und Zeitschrift markieren den Beginn der modernen Zeitgeschichte in Deutschland, die sich nun als historiographische Subdisziplin innerhalb und außerhalb der Universität auch institutionell etablierte.
Von Hobbes können wir uns nicht trennen. Mit ihm (nicht mit Machiavelli) beginnt die moderne politische Philosophie, und von seinem Grundgedanken, daß zum Schutze aller die Gewalt monopolisiert werden müsse, mögen wir uns nicht trennen. Und tlas obwohl wir, auf das vergangene Jahrhundert zurückblickend, ebendieses Gewaltmonopol als den Akteur von Massenmorden ohne Präzedenz erlebt haben. Hier ist nach wie vor die Hauptaufgabe aller Theorie, die sich mit überindividueller Gewalt befaßt: Wie ist das Mittel, ohne das wir nach wie vor nicht meinen, Gewalt erfolgreich eingrenzen zu können, das staatliche Gewaltmonopol, zu einer Quelle zwar nicht grenzenloser, aber beispiellos grenzerweiterter Destruktivität geworden? (Und dann: Warum halten wir dennoch am Programm der Monopolisierung fest?)
The Holocaust and Genocide
(2004)
How does the Holocaust relate to genocide as a concept and an event? This question has caused considerable controversy because scholarly discourse and identity politics cannot be separated neatly. While the term 'genocide' was coined during the Second World War and enshrined in International law in 1948, the Holocaust as a specifically Jewish tragedy did not become an object of consciousness until almost two decades later. Ever since, those highlighting a distinctive experience for European Jewry have sought to separate it from that of other victims of the Nazis as well as other cases of ethnic and racial extermination.
In den über 60 Jahren, die seit den Ereignissen bei Stalingrad von 1942/43 vergangen sind, ist das Geschehen in den Erinnerungskulturen zahlreicher Länder immer wieder neu entworfen, umgewandelt und mit unterschiedlichen Deutungsebenen verknüpft worden. Die Muster der Erinnerung waren und sind eng verbunden mit den gesellschaftlichen Verhältnissen und Bedürfnissen zum Zeitpunkt ihrer Verbreitung, und sie standen bzw. stehen noch immer in einem gespannten Verhältnis zu wissenschaftlichen Erkenntnissen über „Stalingrad“: So ging der Krieg für die Deutschen bereits im Winter 1941 verloren, und es folgten für Deutschland verlustreichere Kriegsphasen. Dass „Stalingrad“ in der deutschen und sowjetischen Erinnerungskultur bis heute eine herausragende Bedeutung einnimmt, steht dazu in offensichtlichem Widerspruch und kann nur gedächtnisgeschichtlich erklärt werden.
Überlegungen zur Vergleichbarkeit von Deutscher Arbeitsfront und Freiem Deutschen Gewerkschaftsbund
(2003)
Ein Vergleich von Diktaturen, nicht zuletzt von »Drittem Reich« und DDR, ist ein schwieriges Unterfangen, ebenso der Vergleich einzelner Institutionen, Organisationen oder anderer, gesonderter Aspekte beider deutscher Diktaturen. Das gilt auch, wenn Organisationen wie die beiden Pseudo- Gewerkschaften Deutsche Arbeitsfront (DAF) und Freier Deutscher Gewerkschaftsbund (FDGB) untersucht werden, die - oberflächlich betrachtet - eine ganze Reihe frappierender Ähnlichkeiten aufwiesen und bereits deshalb einen Vergleich nahelegen.
Bei einer Autopsie der Sowjetunion könnten Historiker auf dem Totenschein vermerken: »Verstorben an Ökozid«. Diese provokante These zweier renommierter westlicher Experten kann den Zerfall der Sowjetunion natürlich nicht hinreichend erklären. Aber aus umweltgeschichtlicher Sicht werden aufschlussreiche Aspekte sowjetischer Geschichte deutlich, die sonst allzu leicht durch das Raster historischer Forschung fallen. So lag die primäre Ursache für den Niedergangsprozess des ersten sozialistischen Staats auf Erden in seinem immer offensichtlicheren Mangel an wirtschaftlicher Leistungskraft, der nicht zuletzt auf den fortgesetzten Raubbau an Natur und Gesellschaft zurückzu-führen ist. Die Sowjetunion erwies sich als unfähig, sich den Bedingungen des postindustriellen Wandels im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts anzupassen. Der britische Historiker Eric Hobsbawm brachte es auf den Punkt, als er schrieb, die Sowjetunion hätte »mit wahrhaft titanischen Anstrengungen die beste Wirtschaft der Welt nach den Maßstäben der I890er-Jahre aufgebaut.« Mit ihrem »ziemlich archaischen, auf Eisen und Rauch beruhenden Industriesystem« geriet sie in den 1970er- und 1980er-Jahren immer tiefer in den Strudel ihres politischen und wirtschaftlichen Niedergangs.
In seiner „Bestandsaufnahme der historischen Friedensforschung" machte Wolfram Wette 1991 den Beginn des Atomzeitalters zum Ausgangspunkt seiner Uberlegungen. Wette konnte angesichts dieser historischen Zäsur feststellen, daß der Krieg seine Funktion als „legitimes und einigermaßen rationnal kalkulierbares Mittel der Politik" verloren habe. Zehn Jahre zuvor plädierte Andreas Herberg-Rothe für eine Militärgeschichte als Friedensforschung und tat dies „angesichts der drohenden Gefahr des Ausbruchs eines alles vernichtenden 3. Weltkrieges". Ein Jahrzehnt nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion hat sich die Situation grundlegend geändert. Die Diskontmmtat der Geschichte, die die Zeitgenossen des Ost-West-Konflikts von der Epoche vor 1945 schied, ist spätestens mit den Kriegen im vormaligen Jugoslawien wieder aufgehoben. Die Negation des Krieges als politisches Leitmotiv der zu Ende gegangenen Nachkriegszeit hat ihren universellen Geltungsanspruch verl?ren. In der Diskussionen über Gewalt und Krieg nach dem Ende der bipolaren Zeitalters kommt vielmehr eine allgemeine Verunsicherung daruber zum Ausdruck, wo die Grenze zwischen unmoralischer Gewaltanwendung und ihrer ethischen Legitimierbarkeit verläuft. Der Soldat des dritten Jahrtausends definiert sich selbst in Deutschland nicht mehr ausschließlich als der bewaffnete Verteidiger des eigenen Landes. Wahrend die einen dies als die Rückkehr zur Normalität begrüßen, befürchten andere den Ruckfall in Großmachtpolitik und Militarisierung.
Im 20. Jahrhundert, dem bisweilen so genannten »Jahrhundert der Gewalt«, ist auch die Wahrnehmung von Gewalt in ihren höchst unterschiedlichen Erscheinungsformen, mithin die Sensibilität für diese Vielfältigkeit, gewachsen. So haben wir gelernt und sind noch dabei zu lernen, Gewalt gerade auch inmitten unserer eigenen sozialen Mitwelt und Umwelt zu sehen und nicht mehr nur in der »Vorwelt« vergangener Zeiten, der Welt anonymer Nebenmenschen und entfernter Fremder, oder schließlich in der antizipierten »Nachwelt« kommender Tage. So gut wie jeder Ort erweist sich, sobald Tabus ausgeräumt sind, kulturelle Semantiken und eine gesteigerte Empfindsamkeit die Wahrnehmungsfähigkeit der einzelnen schärfen, als ein Raum, in den Gewalt einziehen und herrschen kann. Unterschiedlich strukturierte soziale Beziehungen oder Gegensätze - etwa zwischen Ehepaaren, zwischen Erwachsenen und Kindern, zwischen den Geschlechtern, zwischen Hetero- und Homosexuellen, Majoritäten und Minoritäten aller Art, zwischen Zugehörigen und Ekludierten, Etablierten und Außenseitern etc. - werden unter dem Gesichtspunkt gewalttätiger Phänomene, Interaktionen oder Strukturen auf den Prüfstand gelegt, so daß die Topographie der Gewalt erweitert und umstruktunert wird und immer weitere geographisch lokalisierbare Orte und Einrichtungen oder spezielle Lebens- und Handlungsbereiche als Schauplätze der Gewalt in Frage kommen.
Am Ende des Jahrhunderts der totalen Kriege ist die kriegerische Gewalt den meisten Menschen in Deutschland, aber auch sonst in den westlichen Industriegesellschaften sehr fremd geworden und doch auch wieder sehr nah gekommen. Kriege als bewußt herbeigeführtes oder schicksalhaft hingenommenes Mittel der Politik sind umstrittener denn je, und dasselbe gilt für den Soldaten als Akteur und Symbol der kriegerischen Gewalt. Dessen Legitimationsverlust ist an den Diskussionen um die Wehrpflicht, das „Mörder“ - Zitat von Tucholsky oder die Rolle des Deserteurs in der Geschichte, zumal der des Zweiten Weltkriegs, abzulesen. Damit ist ein weitreichender mentaler Wandel gegenüber der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts angesprochen, der in Deutschland nur stärker ausgeprägt war als in anderen Industrienationen. Gleichzeitig aber ist, wie oft gesagt wird, der Krieg nach Europa zurückgekehrt. Das Ende der Ost-West-Konfrontation läutete keinen globalen Frieden ein, es machte vielmehr den Krieg wieder möglich, auch in Europa, vor der Haustür jener Nationen, die sich im Geiste von ihm verabschiedet hatten. Eine Welt oder auch nur ein Europa ohne Krieg – diese Vision hat sich am Ende des 20. Jahrhunderts als Illusion erwiesen.