20. Jahrhundert
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Ambivalente Metaphorik. Ein kritischer Rückblick auf Zygmunt Baumans "Dialektik der Ordnung" (1989)
(2017)
Lange vor Baumans »Dialektik der Ordnung« war mir ein Text von Yvonne Hirdman in die Hände gefallen, als ich mich für ein Forschungsprojekt zum »social engineering« in die Forschungsliteratur zur schwedischen Geschichte und Gesellschaftspolitik einzulesen begann. Hirdman, Historikerin, hatte 1989 ein schlankes Buch mit dem aus dem Deutschen abgeleiteten Titel »Att lägga livet tillrätta« publiziert, »Das Leben zurechtlegen«.[1] Die Studie war im Rahmen einer Enquête entstanden, mit deren Hilfe der schwedische Staat sein eigenes Funktionieren untersuchte. Hirdman, die zehn Jahre zuvor eine Geschichte der Sozialdemokratie unter dem selbstsicheren Titel »Wir bauen das Land« verfasst hatte, hielt nun derselben sozialdemokratisch dominierten Gesellschaftspolitik vor, die Menschen systematisch übermächtigt zu haben.
Arbeitsverfassung
(1998)
Die Regeln, nach denen sich Arbeitnehmer und Arbeitgeber als soziale Kontrahenten formieren und ihre Interessen zur Geltung bringen, und ebenso die Modalitäten, nach denen die Arbeitsbeziehungen einem realen oder fiktiven gesamtgesellschaftlichen Interesse zu- und untergeordnet werden, berühren in allen hochindustrialisierten Gesellschaften immer auch den Kern des politischen Gesamtsystems. Zugleich spiegeln die jeweiligen Arbeitsverfassungen das Selbstverständis der herrschenden Eliten wie die allgemein-politischen Konstellationen. Dies gilt nicht zuletzt für die drei deutschen Gesellschaftssysteme, die hier zur Debatte stehen.
Modernisierung
(2010)
Im Einzelnen sehr unterschiedliche modernisierungstheoretische Ansätze – von einer Modernisierungstheorie im Singular sollte nicht gesprochen werden – beanspruchen zu erklären, wie aus traditionalen bzw. vormodernen moderne Gesellschaften entstehen. Dazu wird in der Regel ein Set von mobilisierenden Faktoren präsentiert, die als Kriterium für den Transformationsprozess untersucht werden können. Auf einer weiteren Stufe der Theorieentwicklung wird auch die Modernisierung bereits moderner Gesellschaften als „reflexive Modernisierung" thematisiert.
Der Untergang des Kommunismus war vor allem ein ökonomischer Vorgang; in gewisser Hinsicht kann man auch sagen, die Geschichte habe die Unmöglichkeit eines ökonomischen Experimentes gezeigt. Aber er wurde und wird auf sehr eigentümliche Weise erinnert. Ein großer Teil der öffentlichen Erinnerung bezieht sich vor allem auf die Gerontokratie der Parteiherrschaft und klammert eine Auseinandersetzung mit der Frage weitgehend aus, ob es nicht doch sehr viel grundsätzlichere Punkte waren, die das kommunistische Experiment haben scheitern lassen. Diese Schieflage der Erinnerung ist nicht zufällig: Nur so kann der Untergang des Sozialismus erklärt, aber zugleich die Utopie einer nichtkapitalistischen Alternative aufrechterhalten werden. Und das ist gerade gegenwärtig sehr populär!
Der Begriff der „Erinnerungsorte” (lieux de mémoire) wurde in den 1980er-Jahren von dem französischen Historiker Pierre Nora geprägt. Er bezeichnet ein spezifisches Forschungsparadigma, das symbolische Repräsentationen meint, die – so nehmen Forscherinnen und Forscher an – in bestimmten Gedächtnis- und Identitätsdiskursen eine signifikante Rolle spielen. Cornelia Siebeck stellt diese Forschungsperspektive vor und beschreibt ihre Genese. Sie skizziert den Erfolg des neuen Ansatzes wie auch die kritischen Einwände und zeichnet die Rezeption und Diskussion nach. Da der inflationäre Gebrauch jedoch auch zu einer theoretisch-methodologischen Unschärfe geführt hat, befasst sie sich abschließend mit aktuellen Versuchen, das Nora'sche Konzept zu präzisieren und seine analytischen Potenziale auszubauen.
Aus der Veranstaltungsankündigung: „Im politischen Denken von Marx und Engels gibt es einen archimedischen Punkt: Es sind die verallgemeinernden Rückschlüsse, die die Begründer des „Wissenschaftlichen Sozialismus“ aus der Französischen Revolution von 1789 zogen. Wie tragfähig waren die von ihnen postulierten Analogien zwischen der bürgerlichen und der proletarischen Revolution? Welche praktischen Konsequenzen leiteten sie und später Lenin und die russischen Bolschewiki daraus ab? Was kann die revisionistische Marx-Kritik zum Verständnis des „Ausbleibens der Revolution in den Industriegesellschaften“ (Richard Löwenthal) und zum Wandel der Revolution im 20. Jahrhundert beitragen?"
Menschenrechte sind zur globalen Leitkategorie aufgestiegen. Die wissenschaftliche Erforschung der Geschichte der Internationalisierung von Rechtsansprüchen haben Historiker/innen erst vor einigen Jahren für sich entdeckt. Lasse Heerten skizziert in seinem Beitrag, dass Menschenrechte als ein semantisch äußerst offenes Vehikel unterschiedliche Ideen transportieren können und kritisch historisiert werden müssen. Zentral sind dabei Fragen nach Emergenz, ambivalenten Effekten und der Vielgestaltigkeit von Menschenrechten im Verlauf der Geschichte.
Version 2.0: In der römischen Republik bezeichnete die Diktatur (lat. dictatura) eine Institution des Staatsrechts: Der Senat verlieh einem Diktator in Zeiten des Notstands temporär außerordentliche Autorität, um die staatliche Ordnung zu verteidigen und wiederherzustellen. Diese klassische Bedeutung wurde im 20. Jahrhundert vielfach überformt; Diktatur wurde zu einem schillernden Begriff, dessen semantisches Feld sowohl positive Erwartungen als auch moralische Verdammung umfassen konnte.
Große Kulleraugen, traumhafte Saltkrokan-Ferien oder skrupellose Ausbeutung – Historikerinnen und Historiker, die sich mit Kindheit beschäftigen, treffen nicht selten auf zahlreiche Klischees. Nicht wenige davon haben wir liebgewonnen, und sie bestimmen unser Welt- und Wertebild entscheidend mit. Umso überraschender ist es für Studierende und Forscher/innen oft, wie komplex, differenziert und herausfordernd die historische Kindheitsforschung sich gestaltet.
Stadtgeschichte
(2016)
Das 20. Jahrhundert lässt sich als „urban century” begreifen. Doch besteht bei aller Forschungsdynamik nicht wirklich ein Konsens darüber, was das Feld jenseits seines Gegenstandsbezugs eigentlich zusammenhält. Warum sind Städte gerade in jüngster Zeit zu immer prominenteren Gegenständen der Forschung geworden? Malte Zierenberg stellt Definitionsansätze vor, die zu klären versuchen, was die Stadtgeschichte eigentlich ausmacht, beschreibt interdisziplinäre Einflüsse, die für die moderne Stadtgeschichtsschreibung von Beginn an wichtig waren, und gibt einen Überblick zu aktuellen Forschungsthemen und Begriffen.
Authentizität (Version 3.0)
(2015)
Jetzt in einer vollständig überarbeiteten und erweiterten Neuauflage Version 3.0: Achim Saupe zeigt in seinem Artikel den Aufstieg des neuzeitlichen Authentizitätsbegriffs, der eng mit der Geschichte des modernen Subjekts verknüpft ist, betrachtet ihn vor dem Hintergrund der Entwicklung der modernen Medien- und Konsumgesellschaft und stellt die Frage, wie sich das Politische zum Authentischen verhält. Schließlich wird in methodischer und thematischer Hinsicht die Authentizitätsproblematik in der historischen Forschung dargestellt.
(Version 3.0) Umweltgeschichte ist die Geschichte der Wechselbeziehungen zwischen Mensch und Natur – auf diesen kurzen und allgemeinen Nenner lassen sich die verschiedenen, mehr oder weniger konkreten Definitionsversuche dieses historischen Teilbereichs bringen. Dabei wird beiden Seiten dieses Wechselverhältnisses, sowohl dem Menschen als auch der Natur, ein eigener Stellenwert eingeräumt, auch wenn sie als unauflöslich verschränkt gedacht werden.
„Kulturtransfer wird verstanden als ein aktiv durch verschiedene Mittlergruppen betriebener Aneignungsprozess, der von den Bedürfnissen der Aufnahmekultur gesteuert wird.“ Als die beiden französischen Germanisten und Kulturhistoriker Michel Espagne und Michael Werner Mitte der 1980er-Jahre ihr Forschungsprogramm darlegten, war keineswegs abzusehen, dass dieser Vorschlag einen methodologischen Umbruch auslösen sollte. Matthias Middell zeichnet in seinem Beitrag die Rezeption und Weiterentwicklung der Kulturtransferforschung nach, beschreibt das Verhältnis zum Historischen Vergleich und fragt nach Verflechtungen in der Gegenwart sowie ihrer erst noch globalgeschichtlich zu konstruierenden Vergangenheit.
Zivilgesellschaft gilt als schillernder Projektionsbegriff. Das Konzept wird seit den 1980er-Jahren in den Geistes- und Sozialwissenschaften verwendet und ist fest in der politischen Theorie verankert. Zivilgesellschaft ist im Englischen mit dem Begriff „Civil Society“ verwandt; in Deutschland gibt es enge Verknüpfungen zur „Bürgerlichen Gesellschaft“. Die Global Civil Society untersucht zivilgesellschaftliche Fragestellungen auf globaler Ebene. Die Verwendung der Konzepte ist umstritten, gerade weil die Bürgergesellschaft auf eine gesellschaftliche Mitte abzielt und Distinktionen beinhaltet. Trotzdem lohnt es sich, die normative Seite der Zivilgesellschaft aufzugreifen und diese mit sozialwissenschaftlichen Ansätzen der Dritten-Sektor-Forschung zu kombinieren.
Seit über neunzig Jahren wird über Inhalt und Reichweite des Faschismus-Begriffs gerungen. Fernando Esposito beleuchtet die Entstehung des italienischen Faschismus kursorisch und gibt einen Einblick in das Selbstverständnis der Akteure. Er stellt die Faschismusforschung im Zeichen des Kalten Kriegs vor, erörtert die Ansätze der neueren Faschismusforschung und ihre Themenfelder, um dann in einem abschließenden Fazit den Mehrwert des Faschismusbegriffs vor Augen zu führen.
Jetzt in einer aktualisierten und überarbeiteten Version 2.0: Lange Zeit galt die Sportgeschichte innerhalb der deutschen Geschichtswissenschaft als (schönste) „Nebensache” der Disziplin. Olaf Stieglitz und Jürgen Martschukat zeichnen in ihrem Beitrag nach, wie durch den Einfluss der Cultural Studies Fragen des Sports, der Bewegungskulturen sowie des Körpers und seiner Historizität an Bedeutung gewinnen. „Sportgeschichte”, so der programmatische Ausblick der Autoren, entwickle sich momentan zu einer Körper- und Kulturgeschichte, in deren Kern das Ineinandergreifen von Sport, Körperlichkeiten und Identitätsbildungen sowie deren soziokulturell ordnungsstiftende Mechanismen und Funktionen stehen. Eine solche Geschichte von Körpern in (sportlicher) Bewegung vermag daher auch zu zeigen, dass „Wahrheiten” über Körper letztlich Ergebnisse historischer Aushandlungsprozesse sind.
In einer aktuell überarbeiteten und ergänzten Version 2.0 beschreibt Irmgard Zündorf die Etablierung der Public History als fachwissenschaftliche Antwort auf die mit dem Geschichtsboom verbundenen Herausforderungen. Public History setzt sich mit jeder Form der Geschichtsdarstellung auseinander, die sich an eine breite, nicht vorgebildete Öffentlichkeit richtet, und erforscht diese. In ihrem Docupedia-Beitrag gibt sie einen Überblick über die verschiedenen Definitionen von Public History, zeichnet die institutionelle Entwicklung nach und fragt abschließend, wie akademische und öffentliche Geschichte künftig stärker miteinander verschränkt werden können.
Bürokratie
(2016)
Bürokratie ist heute zu einer Art Unwort geworden. Es wird häufig verwendet, um Organisationen abschätzig zu beschreiben, wenn man ihnen übertriebenen Formalismus, mangelnde Kundenorientierung, das Potenzial der Persönlichkeitsverformung und gestörte System-Umwelt-Beziehungen unterstellt. Dem steht die grundsätzlich positive, wenn auch nicht unkritische Charakterisierung von Bürokratie bei Max Weber als technisch überlegener Organisationsform von Herrschaft gegenüber.
Ohne afroamerikanische Geschichte kann die amerikanische Geschichte und Gegenwart nicht verstanden werden. Ihre Ausrichtung und Forschungsschwerpunkte sind daher stark geprägt von den gesellschaftlichen und politischen Konjunkturen der Zeit. Christine Knauer zeichnet in ihrem Beitrag die Genese der afroamerikanischen Geschichtsschreibung nach und verweist auf die enge Verknüpfung von Geschichtsschreibung, Freiheitskampf und Bürgerrechtsbewegung im 19. und besonders im 20. Jahrhundert. Sie beschreibt die derzeitigen Forschungsansätze und -trends in der afroamerikanischen Historiografie, die auch in der europäischen sowie deutschen Amerikaforschung zunehmend bearbeitet werden.
„Bürger” ist ein geschichtlicher Grundbegriff, der auf die politische Verfasstheit und Teilhabe zielte und sich seit dem 18. Jahrhundert um soziale und kulturelle Dimensionen erweitert hat. Manfred Hettling untersucht in seinem Beitrag die Begrifflichkeit des „Bürgers”, die soziale Formation des „Bürgertums” sowie das eigene Kulturmodell von „Bürgerlichkeit” und stellt Ansätze, Zugriffe und Verfahren der historischen Bürgertumsforschung bis heute vor.