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Die Frage, wie menschliches Verhalten beeinflusst werden kann, ist in der jüngsten Zeitgeschichte virulenter geworden. Auf der Basis verhaltenswissenschaftlicher Erkenntnisse versprechen Expert:innen, Menschen durch subtile Interventionen glücklicher, gesünder und wohlhabender zu machen. Zugleich haben die Digitalisierung und Datafizierung unserer Welt Ängste vor einer umfassenden Verhaltensmanipulation und -kontrolle verschärft. Das Buch zeigt, dass es keineswegs selbstverständlich ist, Menschen nicht als handelnde Subjekte, sondern als sich verhaltende Organismen zu begreifen. Es untersucht, wie seit der Behavioral Revolution in der Mitte des 20. Jahrhunderts in verschiedenen Wissensfeldern, von den Wirtschafts- über die Psychowissenschaften bis zur Kriminologie, ein spezifisches Verhaltenswissen entwickelt wurde. Davon ausgehend analysiert es dessen Bedeutung für den Wandel politischer Steuerungstechniken vor allem in Bezug auf das Umwelt-, Gesundheits- und Finanzverhalten seit den 1970er Jahren.
Museen sammeln Gegenwart für eine künftige Geschichte. Dieses Buch zeigt, wie seit 1900 daraus Vergangenheiten entstanden.
Historische Museen gelten als Orte des Bewahrens von schönen, seltenen oder wertvollen Dingen. Tatsächlich sind sie jedoch keine Orte des Antiquarischen, sondern sammelnd auch der Gegenwart verbunden und gehen dabei höchst unterschiedlich vor: Einsammeln, was zu verschwinden droht, sichern, was aktuelle Ereignisse hervorbringen, aber auch ein Panorama der aktuellen Gesellschaft für die Zukunft zu dokumentieren sind Strategien des Sammelns von Gegenwart. Der Blick der historischen Museen richtet sich damit auf das Heute als künftige Vergangenheit.
Andreas Ludwig analysiert die Entwicklung des Gegenwartssammelns seit 1900 am Beispiel von nationalen Geschichtsmuseen, Stadt- und Heimat- sowie spezialisierten Fachmuseen. Beispiele aus Deutschland und darüber hinaus zeigen die unterschiedlichen Vorstellungen von dem, was es Wert erschien, für die Zukunft bewahrt zu werden. Andreas Ludwig analysiert historisch werdende materielle Archive, das Sammeln für Ausstellungen, Zeitkapseln, das Rapid Response Collecting und partizipative Wege in einer immer diverser werdenden Öffentlichkeit und schlussfolgert: Im Museum zeigt sich nämlich, wann und wie aus Gegenwart Geschichte wird.
Die bereits mit mehreren Preisen ausgezeichnete Düsseldorfer Dissertationsschrift von Acelya Bakir mit dem Titel „Sehen, Hören, Mitmachen. Die mediale Inszenierung der Moskauer Schauprozesse und die Mobilisierungskampagnen in der Sowjetunion (1936-1938)“, die soeben im Stuttgarter Franz Steiner Verlag erschienen ist, stellt die erste Studie zur Bilder- und Symbolwelt der Moskauer Prozesse in ihrer Gesamtheit überhaupt dar. Sie darf daher sowohl im inhaltlichen wie im methodischen Sinne als Pionierstudie gewertet werden. Erstmals überhaupt werden in ihr die Moskauer Prozesse in ihrer Doppelbödigkeit von staatlicher Repression und integrativer Massenmobilisierung in den Blick genommen.
Vera Marstaller legt mit „Heldengesten. Heimat und Front in nationalsozialistischen Kriegsfotografien (1939-1945)“ einen Grundstein für die Erforschung der Bildwelten der „Volksgemeinschaft.“ Anhand von drei Illustrierten, „Die Wehrmacht“, „Berliner Illustrirte Zeitung“ und „Die junge Dame“ (nach 1940 „Kamerad Frau“), analysiert Marstaller die Darstellung der deutschen Wehrmacht in der Massenpresse. Entstanden ist die Studie im Sonderforschungsbereich 948 „Helden – Heroisierungen – Heroismen“, der zwölf Jahre lang Fragen zur sozialen Verfassung von Held:innengestalten aufwarf und beantwortete. Etwa 20.000 Fotografien schaute sich Marstaller für diese Studie an und wählte einige nach den Logiken des Zeitungslesens und des Sehens in Konstellationen (Aby Warburg) aus, insbesondere in sogenannten Geschlechterräumen. Anschließend wurden diese verschlagwortet nach Inhalt, Motiv, Art, Gestaltung, Medialität, Materialität, Bild-Text-Verhältnis oder crossmedialer Rahmung. So geben sie Aufschluss über einen breiteren Kontext, denn mit mehr Verschlagwortung entstehen größere Konstellationen an Bildern.
Als ich auf das Buch „Fotogeschichten und Geschichtsbilder. Aneignung und Umdeutung historischer Fotografien in Tansania“ aufmerksam gemacht wurde, war mein erster Gedanke: endlich! Genau auf diese Kombination von geografischem Fokus (Tansania), historischer Quellenart (Fotografien aus kolonialen Kontexten) und postkolonialen Gegebenheiten (Aneignung und Umdeutung) hatte ich gewartet. Und mein Leseerlebnis wurde nicht enttäuscht. Dabei möchte ich insbesondere Kurmanns weitreichende Recherchen, ihre langjährigen Studien, tiefgehenden Analysen, interdisziplinäre Herangehensweise und diverse Literatur hervorheben.
Jubiläen verdienen ihre Partys. So beging die Hip-Hop-Szene 2023 ihren 50-jährigen Geburtstag mit Pauken und Trompeten, oder besser zwei Turntables und einem Mic. Bezugnehmend auf das mythische Gründungsdatum des Genres, den 11. August 1973, fanden 2023 verschiedene Veranstaltungen und Konzerte statt.[1] Anlässlich dieses runden Geburtstags zeigt die Fotografiska Berlin seit 20. September die Ausstellung „Hip Hop: Conscious, Unconscious“, eine Retrospektive, die mit 200 Fotografien verschiedener Künstler:innen auf die Geschichte des Hip-Hop von 1973 bis heute zurückblickt und dabei dem Pressetext zufolge auf „ikonische Figuren“ der Szene fokussiert. Aber, was haben die Besucher:innen der Ausstellung von dieser Geburtstagsparty?
Historical Comparison
(2024)
In his article for Docupedia, Hartmut Kaelble shows that the methodology and practice of historical comparison – as well as the fields and periods of comparison – have changed considerably in recent decades. Now that the theoretical discussions of the 1990s about historical comparison have largely concluded, it is a firmly established, independent part of transnational history.
Der vorliegende Beitrag zeigt exemplarisch, wie durch die Untersuchung visueller Quellen eine neue Perspektive auf die kultur-, umwelt- und technikgeschichtlichen Dimensionen der Landgewinnung eröffnet werden kann. Anhand ausgewählter Postkarten aus den 1930er Jahren wird dargelegt, dass die Grafiker:innen und Fotograf:innen der lokalen Verlagshäuser die Küstenlandschaft in die zwei klar abgegrenzten Entitäten Meer und Land teilten, die nur durch Deichbau und Landgewinnung voneinander zu trennen waren. Sie zeigten auf den Postkarten aus dem Untersuchungssample stets eine von zwei Perspektiven: erstens den Blick von einem intakten Deich nach Osten auf das ruhige, meist agrarisch genutzte Land; zweitens den Blick nach Westen auf das Meer, das während einer Sturmflut am Deich hinaufsteigt und dem Land gefährlich nahekommt. Die Darstellungen auf den Postkarten konzentrierten sich auf den Deich als Instrument zur Verteidigung des Landes vor den Kräften der Natur, mit dem der Mensch dem Meer neue landwirtschaftliche Flächen abrang. Sie bekräftigten damit das nationalistische Narrativ des „Culturwerke[s] der Landgewinnung“, nach dem „deutsche Ingenieurskunst“ die Marschgesellschaft schützte und dem Staat durch die Erschließung neuer Landwirtschaftsflächen ökonomische Vorteile einbrachte.
In this issue
(2024)
As the sociologist Wolf Lepenies asserts in his ›Brief Cultural History of Re-reading‹, ›The second reading – not the first – determines the value of a book.‹ We have now published one hundred articles under the ›Literature Revisited‹ rubric. Nicolas Berg’s text in our previous issue, which re-examined Victor Klempererʼs The Language of the Third Reich. LTI: Lingua Tertii Imperii. A Philologist’s Notebook (first published in 1947), showed once again how fruitful it can be to take a closer look at the history of the creation, publication and reception of older works, and to view them anew from current vantage points. ›Literature Revisited‹ is not limited solely to the presentation and discussion of oft-cited classics; we also re-read books and essays that may have received less attention upon their original publication, yet, in light of current issues and questions, have earned more focused attention. For the authors of these contributions, ›Literature Revisited‹ can provide an opportunity for renewed engagement with works that the authors, in their early careers, may have already subjected to intense scrutiny; however, some authors are reflecting on publications that they are encountering for the first time. In any case, this format has proved so stimulating that we will of course continue it – with four articles in the current issue.
Zu diesem Heft
(2024)
»Über den Wert eines Buches entscheidet nicht die erste, darüber entscheidet die zweite Lektüre«, betont der Soziologe Wolf Lepenies in einer »kleinen Kulturgeschichte der Relektüre«. In der Rubrik »Neu gelesen« haben wir mittlerweile 100 Beiträge veröffentlicht. Nicolas Bergs Text über Victor Klemperers »LTI. Notizbuch eines Philologen« (Erstausgabe 1947) hat im vorigen Heft erneut gezeigt, wie ergiebig es ist, der Entstehungs-, Publikations- und Rezeptionsgeschichte älterer Werke genauer nachzugehen und sie aus aktuellen Perspektiven neu zu betrachten. Nicht immer sind es solche vielzitierten »Klassiker«, die in dieser Rubrik vorgestellt und diskutiert werden. Eine Relektüre verdienen auch Bücher und Aufsätze, die bei ihrer Erstpublikation weniger beachtet wurden, aber im Lichte heutiger Fragen stärkere Aufmerksamkeit finden. Für die Autor:innen der Beiträge kann »Neu gelesen« eine Wiederbegegnung mit Werken bedeuten, die sie in einer früheren Lebensphase schon einmal intensiv studiert haben; es können jedoch auch Reflexionen über Publikationen sein, bei denen die Neulektüre eine persönliche Erstbegegnung ist. In jedem Fall hat sich die Rubrik als so anregend erwiesen, dass wir sie selbstverständlich fortsetzen werden – im aktuellen Heft nun gleich mit vier Beiträgen.