20. Jahrhundert
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Der Titel des Buches „Bilder als Botschaft“ greift eine vielzitierte Formel auf, die Marshall McLuhan bereits vor mehr als 50 Jahren geprägt hat. Danach ist das Medium die eigentliche Botschaft und nicht unbedingt deren Inhalt. Angewandt auf die Illustrierten bedeutet dies, dass sie vor allem via Bilder Botschaften transportieren. Im Unterschied zur Praxis der Visual History, die bislang vor allem die Bildikonen im Blick hatte, geht es Dussel demgegenüber um das Durchschnittliche und Alltägliche des Massenmediums Bild.
Visual History (Version 2.0)
(2012)
(Version 2.0, siehe auch Version 3.0)
In Erweiterung der Historischen Bildforschung markiert Visual History ein in jüngster Zeit vor allem innerhalb der Neuesten Geschichte und der Zeitgeschichte sich etablierendes Forschungsfeld, das Bilder in einem weiten Sinne sowohl als Quellen als auch als eigenständige Gegenstände der historiografischen Forschung betrachtet und sich gleichermaßen mit der Visualität von Geschichte wie mit der Historizität des Visuellen befasst.
Visual History (Version 1.0)
(2010)
(Version 1.0, siehe auch Version 3.0)
In Erweiterung der Historischen Bildforschung markiert Visual History ein in jüngster Zeit vor allem innerhalb der Neuesten Geschichte und der Zeitgeschichte sich etablierendes Forschungsfeld, das Bilder in einem weiten Sinne sowohl als Quellen als auch als eigenständige Gegenstände der historiografischen Forschung betrachtet und sich gleichermaßen mit der Visualität von Geschichte wie mit der Historizität des Visuellen befasst.
Die Bilddiskurse des wiedervereinigten Deutschlands fokussierten zum einen auf die Frage nach dem Umgang mit den Bildern der unmittelbaren deutschen Vergangenheit, denen der NS-Zeit und der DDR wie denen der jüngsten bundesdeutschen Geschichte, zum anderen stellten sie allgemein die Frage nach dem neuen Status der Bilder in der digitalen Gesellschaft.
Anders als während der Weimarer Republik gab es nach 1933 in Deutschland keinen freien Diskurs mehr über die zeitgenössischen Bilderwelten, allenfalls oberflächliche Beschreibungen und zustimmende Kommentare. Diese stammten zum überwiegenden Teil aus dem Umkreis der neuen, sich gerade erst etablierenden Zeitungswissenschaft, begründet u.a. von Emil Dovifat, dem Nestor der Publizistikwissenschaft in Deutschland und Leiter des Deutschen Instituts für Zeitungskunde an der Friedrich-Wilhelms-Universität in Berlin, sowie des von Hans A. Münster geleiteten zeitungswissenschaftlichen Instituts der Universität Leipzig sowie des Münchner Instituts für Zeitungswissenschaft unter Karl d’Ester. Darüber hinaus befasste sich auch die gleichgeschaltete Deutsche Hochschule für Politik in Berlin – eine unmittelbare Reichsanstalt, die mit der Reichspropagandaleitung (RPL) der NSDAP kooperierte und an der u.a. NS-Propagandaexperten wie Hans Weidemann und Fritz Hippler als Dozenten arbeiteten – mit Fragen der Bildpropaganda. Die Themen dieser Institute kreisten vor allem um das Bild als Waffe in Pressefotografie, Karikatur, Plakat und Film.
Von Beginn an wurde das „visuelle Zeitalter“ von Diskursen über Sinn und Unsinn, über Wert und Unwert der jeweils neuen visuellen Erfindungen begleitet – und dies sowohl im Wort als auch im Bild selbst. Diese Diskurse können geradezu als ein Charakteristikum des „visuellen Zeitalters“ gelten. Wissenschaftler beteiligten sich an ihnen ebenso wie Publizisten, Maler und Fotografen. Ihre Stellungnahmen waren sachlicher wie polemischer, systematischer wie sporadischer Art. Fast schon stereotyp finden sich hier Begriffe und Metaphern wie die der „Bilderflut“ und der „müßigen Schaulust“. Erst in den letzten beiden Jahrzehnten scheinen sich die Diskurse versachlicht und institutionalisiert zu haben.
Eine Betrachtung von Berufungen unter der Kategorie Geschlecht eignet sich in besonderem Masse dazu, gleichsam wie in einem Vergrösserungsspiegel, die soziale Bedingtheit von Berufungen aufzuzeigen. Diese werden bis heute von den an Berufungsverfahren Beteiligten wenig oder gar nicht reflektiert, besteht doch die unhinterfragte illusio[1] des akademischen Feldes darin, nach dem vermeintlich harten Kriterium der wissenschaftlichen Leistungsfähigkeit ›die besten Köpfe‹ zu berufen. Bislang gibt es für das 19. und 20. Jahrhundert, d.h. die Phase der sogenannten modernen Universität, keine historische, quellenbasierte Untersuchung zur inhaltlichen Ausgestaltung und zum Wandel von Berufungskriterien. Bisher ist auch das Verhältnis von Berufung und Geschlecht in historischer Längsschnittperspektive nicht systematisch untersucht worden.
Der folgende Beitrag erschien erstmals im Jahr 2012 in der Publikation „Professorinnen und Professoren gewinnen. Zur Geschichte des Berufungswesens an den Universitäten Mitteleuropas“, die von Christian Hesse und Rainer Christoph Schwinges herausgegeben wurde. Mit freundlicher Erlaubnis der Autorin Sylvia Paletschek veröffentlicht zeitgeschichte|online die Einleitung des Aufsatzes. Eine vollständige Version findet sich auf dem freien Dokumentenserver FreiDoks plus, ein Angebot der Universitätsbibliothek der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg und im Material zu diesem Beitrag.
Mareike Otters setzt sich ausgehend von einer Fotografie, die einen gefangenen und nach Sachsenhausen verschleppten Soldaten der Roten Armee zeigt, mit der 2008 eröffneten Dauerausstellung "Das KZ Sachsenhausen 1936-1945. Ereignisse und Entwicklungen" in der Gedenkstätte und dem Museum Sachsenhausen in Oranienburg auseinander. Warum wird das Foto des Mannes in der Ausstellung gezeigt und welche Art der Präsentation wurde gewählt? Sollte die Geschichte des Objekts, also der Fotografie, und die der individuellen Person mit all ihren Ungewissheiten und Komplexitäten in der Ausstellung sichtbarer gemacht werden? Ist die aktuelle, vereindeutigende Nutzung des Fotos als Illustration eines Opfers des Massenmordes nicht vor dem Hintergrund der bestehenden Unklarheiten problematisch? Auf diese und weitere Fragen geht der Artikel ein.
Der erstmals 1942 und 1944 in stark erweiterter Form erschienene „Behemoth” Franz Leopold Neumanns bildete einen Höhepunkt der NS-Interpretation exilierter deutscher Wissenschaftler. Neumann, Jahrgang 1900, hatte in Frankfurt am Main bei Hugo Sinzheimer studiert, war 1928 nach Berlin gekommen, hatte dort eine Anwaltspraxis eröffnet und an der Deutschen Hochschule für Politik gelehrt. Er stand dem linken Flügel der SPD nahe, war ein unnachgiebiger Kritiker des Nationalsozialismus und wurde gleich nach dem 30. Januar 1933 verhaftet.
Die Wiedergutmachung für historisches Unrecht stellt für die Geschichtswissenschaft ein vergleichsweise junges Forschungsfeld dar. Erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts als Schlüsselproblem erkannt, wurde die Wiedergutmachung in diesem Kontext auch zu einem Schlüsselbegriff der politischen und rechtlichen Auseinandersetzung mit der Vergangenheit. Benno Nietzel arbeitet in seinem Beitrag spezifisch geschichtswissenschaftliche Themenfelder und Fragestellungen heraus und zeigt darüber hinaus die Interdisziplinarität und die Internationalität der Forschungen zur Wiedergutmachung auf. Nietzel plädiert dafür, zukünftig die oftmals verstreuten und unzusammenhängenden internationalen Untersuchungen zur Wiedergutmachung in Beziehung zu setzen und sie als Teil eines übergreifenden Diskussionszusammenhanges zu begreifen.
Als Russland am 24. Februar 2022 die Ukraine angriff, näherte sich das russische Kriegsschiff Moskwa der Schlangeninsel. Die Aufforderung an die auf der Insel stationierten ukrainischen Soldaten, sich zu ergeben, wurde mit einem vulgären Ausdruck quittiert, der auf Deutsch sinngemäß (wenn auch bedeutend abgeschwächt) mit „Russisches Kriegsschiff, verpiss dich“ übersetzt werden kann. Umgehend wurde dieser Spruch unter Ukrainer*innen und sich Solidarisierenden aufgegriffen, auf Demonstrationen sowie in den sozialen Medien reproduziert und der Mut des Soldaten gefeiert: Die Schlangeninsel wurde zu einem Symbol von Heldentum, Widerstand und Trotz und ist seitdem in aller Munde. Doch ‚gibt‘ es die Schlangeninsel nicht erst seit dem Februar 2022 – diese Insel spielte auch schon vorher eine Rolle, und das nicht nur für die Ukraine bzw. Russland. Grund genug, auf die Zeit vor der Ankunft des ‚russischen Kriegsschiffes‘ zu schauen.
Ein jüdisches Fotoalbum!?
(2024)
Joseph und Helene Lindenberger kommen aus jüdischen Familien. Im Jahr 1938 flohen sie mit ihren Kindern vor den Nazis nach Palästina. Damit handelt es sich um ein Fotoalbum aus jüdischer Perspektive! Doch wo finden sich vermeintlich jüdische Symbole, Orte oder aber das Wort „jüdisch“? Und wo zeigt sich die Verfolgung durch die Nazis? Welche Hinweise geben uns die eingeklebten Fotos oder die Bildunterschriften darauf, dass es sich um das Fotoalbum einer jüdischen Familie handelt?
Über Ski, Boote und Autos
(2024)
Auf acht Fotos im Album der Familie Lindenberger fahren die Fotografierten Ski, Schlittschuh oder Schlitten. Auf zwei Bildern sitzen sie auf einer Kutsche und dreimal in einem Boot. Einmal zeigen sie sich mit einem Pferd, zweimal mit einem Fahrrad sowie zehnmal mit einem Auto. Auf 26 der insgesamt 95 Abzüge posieren die Fotografierten mit Fortbewegungsmitteln oder bewegen sich selbst mit ihnen fort.
Was macht ein Foto privat oder öffentlich? Laut Fachliteratur ist dies abhängig vom Kontext: der Entstehung und Verwendung des Bildes. Entscheidend für die Bestimmung sind demnach der Fotograf, das Motiv, die Absicht des Fotografen sowie die Intentionen der abgebildeten Personen und nicht zuletzt der nachfolgende Gebrauch der Fotografie.
Joseph und Helene am 1. Mai?
(2024)
Auf dem vorliegenden Bild posiert Joseph vor einem Lastwagen. Helene schaut zusammen mit einem Kind aus der Fahrerkabine in die Kamera. Auf der Ladefläche stehen weitere Kinder sowie eine abgeschnittene größere Person. Die Abgebildeten tragen weiße Hemden und einige der Kinder auch weiße Hüte – sie wirken aufgeregt. Mindestens zwei der Kinder halten kleine einfarbige Fahnen in ihren Händen.
Imperium und Imperialismus
(2010)
Der Begriff des Imperialismus, der während des 20. Jahrhunderts im Zentrum heftiger politischer Deutungskämpfe stand, hat den Blick auf die weltgeschichtliche Rolle der Imperien mehr getrübt als geschärft. Imperiumstheorien sind deswegen eher in kritischer Absetzung gegen Imperialismustheorien zu entwickeln als in deren Gefolge und gemäß deren Vorgaben.
Wir werden das Königliche Schloss – manche sagen Humboldt-Forum – wohl nicht mehr los. Nun steht es da, das Kreuz obendrauf und die selfie-süchtigen Menschenmassen zu Füßen. Die Historikerin Hedwig Richter schlägt vor, wir sollten uns damit arrangieren. In der deutschesten aller Kompetenzen, der „Empörungskompetenz“, haben wir verlernt, uns an der einfachen Schönheit des Baus zu erfreuen. Richter prognostiziert: Vielleicht wird das Ding ja zum „Volksbau schlechthin?“
Nein, weder Schloss noch Nachbau waren dem Volk – wie auch immer es definiert sein mag – gewidmet. Das Original war eine Herrscherresidenz, sein Replikat ist architektonischer Ausdruck einer Nationalromantik, die die Berliner Republik heimsucht.
Die deutsche Zeitgeschichtsschreibung hat den Ruf, sich über Jahre hinweg nicht ernsthaft mit der extremen Rechten in der Bundesrepublik und der DDR beschäftigt zu haben, während Studien zur Geschichte des Nationalsozialismus ganze Bibliotheken füllen. Der zu früh verstorbene Zeithistoriker Axel Schildt bekundete, dass „die Geschichtswissenschaft bisher sehr wenig zur Analyse rechtsextremer Bewegungen nach 1945 beigetragen“ habe. Doch stimmt dieser Befund in seiner Pauschalisierung überhaupt?
Eine schwarz-weiße Fotografie mit neun Personen, die zu einem Gruppenbild versammelt sind: Sieben Personen stehen, zwei sitzen. Alle tragen einen Lendenschurz, der den Blick auf die untergewichtigen, ausgezehrten, geschwächten Körper freigibt. Drei Personen stützen sich mit einem Stock ab, einige tragen Halsketten als Schmuck. Auch Ringe um die Knöchel sind zu sehen. Es ist unklar, ob es sich dabei vielleicht um Eisenketten handelt. Die Blicke sind meist auf den Betrachtenden gerichtet, nur die sitzenden Personen scheinen die Augen geschlossen zu haben. Im Hintergrund sieht man eine karge Landschaft; ein Zelt am rechten oberen Bildrand fällt ins Auge. Weitere Details sind bei näherem Hinsehen erkennbar, ohne den Betrachtenden genauen Aufschluss über die Personen, den Ort oder die Zeit der Aufnahme zu geben. Man ist auf Spekulationen angewiesen: „Afrikaner“, dem Aussehen nach? Der Landschaft zufolge möglicherweise ein Ort im südlichen Afrika. Material und Art der Aufnahme lassen auf einen lange zurückliegenden Entstehungszeitraum schließen.
Michael Lindenberger, der das Fotoalbum seiner Großeltern dem Jüdischen Museum Berlin stiftete, sprach im Interview über seine bewegte Familiengeschichte, den Nachlass seiner Eltern und seinen Wunsch, die Erinnerungen zu bewahren. Das Fotoalbum der Familie Lindenberger stammt aus dem Jüdischen Museum Berlin, wo es zwar teilweise erfasst, aber noch nicht vollständig erschlossen oder der Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden ist. Aus diesem Grund wurde es für das Projekt ausgewählt.
Ausgehend von der These, dass die Internationalen Organisationen im Zeitalter der Dekolonisation nach 1945 auf die Erfindung einer neuen Bildsprache angewiesen waren, die uns bis heute zutiefst vertraut ist und inzwischen selbstverständlich anmutet, fragt das Projekt nach Akteuren, Politik und Praxis des Fotojournalismus im Mid-Century. Die Geschichte der Internationalen Organisationen ohne ihr Bildprogramm erklären zu wollen, läuft daher zumindest für die nach unserem heutigen Verständnis naiv-optimistischen 1950er Jahre ins Leere: Bilder waren die Sprache, welche weltweit verstanden werden konnte, und sie waren – vieles weist darauf hin – anders als die „Weltsprachen“ Englisch oder Französisch zumindest zeitgenössisch als herrschaftsfreie Ausdrucksformen weitgehend akzeptiert.
„Kulturtransfer wird verstanden als ein aktiv durch verschiedene Mittlergruppen betriebener Aneignungsprozess, der von den Bedürfnissen der Aufnahmekultur gesteuert wird.“ Als die beiden französischen Germanisten und Kulturhistoriker Michel Espagne und Michael Werner Mitte der 1980er-Jahre ihr Forschungsprogramm darlegten, war keineswegs abzusehen, dass dieser Vorschlag einen methodologischen Umbruch auslösen sollte. Matthias Middell zeichnet in seinem Beitrag die Rezeption und Weiterentwicklung der Kulturtransferforschung nach, beschreibt das Verhältnis zum Historischen Vergleich und fragt nach Verflechtungen in der Gegenwart sowie ihrer erst noch globalgeschichtlich zu konstruierenden Vergangenheit.
Zwar begann mit der Diskussion um eine Kulturgeschichte der Politik kein völlig neues Zeitalter; auch davor gab es Untersuchungen, die ähnliche Fragen stellten und vergleichbare Erklärungshorizonte hatten. Die theoretische und methodische Diskussion der letzten zehn Jahre hat aber eine Schärfung des methodischen Arsenals und ein klareres Bewusstsein von Kontinuität und Bruch im Verhältnis zu den älteren Ansätzen der Politikgeschichte erzeugt. Kulturgeschichte der Politik kann sich heute, soweit sie sich als Methode versteht, als eine Alternative zu herkömmlichen Politikgeschichten präsentieren.
(Version 1.0, siehe auch Version 2.0)
Zwar begann mit der Diskussion um eine Kulturgeschichte der Politik kein völlig neues Zeitalter; auch davor gab es Untersuchungen, die ähnliche Fragen stellten und vergleichbare Erklärungshorizonte hatten. Die theoretische und methodische Diskussion der letzten zehn Jahre hat aber eine Schärfung des methodischen Arsenals und ein klareres Bewusstsein von Kontinuität und Bruch im Verhältnis zu den älteren Ansätzen der Politikgeschichte erzeugt. Kulturgeschichte der Politik kann sich heute, soweit sie sich als Methode versteht, als eine Alternative zu herkömmlichen Politikgeschichten präsentieren.
Die Erklärung der Vereinten Nationen über die Rechte der indigenen Völker (UNDRIP) bildet einen Meilenstein in der Entwicklung der Menschenrechte. Das gilt nicht nur für die jahrzehntelangen Auseinandersetzungen um die Etablierung von indigenen Menschenrechten, sondern auch für das internationale Menschenrecht selbst. Denn die Entwicklung indigener Menschenrechte steht exemplarisch für die Vielfältigkeit und die Multiplizierung des Menschenrechts. Sie zeigt, dass Menschenrechte sich seit der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte 1948 weiterentwickeln, ausdifferenzieren und verändern können, ohne damit die Idee von Menschenrechten zwangsläufig zu unterminieren. Gleichzeitig zeigt sie in all ihren (teilweise nach wie vor bestehenden) Kontroversen, dass die Prozesse der Multiplizierung und Entwicklung von Menschenrechten weder bruchlos noch widerspruchsfrei verlaufen. Indigene Menschenrechte stehen mithin für die sensible Balance zwischen dem Festhalten an der Idee von Menschenrechten einerseits und der Notwendigkeit ihrer zeithistorischen Veränderung und Herausforderung andererseits.
Die Volksrepublik China, die Mongolei, Nordkorea und Japan – vier von insgesamt vierzehn direkten Nachbarn Russlands sind ostasiatische Staaten. Im Allgemeinen wird Russland als geografisches, politisches und kulturelles Bindeglied zwischen Asien und Europa verstanden. Allerdings wird Russland in Ostasien und „in Japan nicht primär als europäische, sondern als asiatische Macht wahrgenommen.“ Aus Japans Sicht führt die asiatische Großmacht Russland unter Missachtung territorialer Grenzen einen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg gegen die Ukraine mit Auswirkungen auf Japans politische Agenda.
Das seit April 2017 laufende Dissertationsprojekt untersucht den sich wandelnden Medieneinsatz und Stellenwert von Visualisierungen in lokalen Stadtplanungsdebatten der Berliner Öffentlichkeit im Laufe des 20. Jahrhunderts. In der sozial- und medienhistoriografischen Arbeit werden anhand ausgewählter Beispiele der Berliner Bebauungsgeschichte aus verschiedenen Zeitphasen (zwischen1910 und 1990) schlaglichtartig zeitgenössische Schnittpunkte zwischen Stadtplanung, Gesellschaft, Öffentlichkeit sowie Medientechnologie und -einsatz erforscht. Um die historischen Prozesse von Mediatisierung und Medienwandel einzuordnen, sollen die Erkenntnisse zu Nutzung und Stellenwert von visuellen Medien aus den Fallbeispielen in Form einer diachronen Vergleichsgeschichte systematisch kontextualisiert werden.
Herrschaft und Macht
(2021)
In ihrem Artikel geben Andrea Maurer und Christoph Lau einen Überblick über die Begriffe „Herrschaft“ und „Macht“, wobei sie zunächst wichtige Charakteristika von Herrschaft in Abgrenzung zu Macht und anderen Formen der Über- und Unterordnung (Gewalt) erläutern. Daran anschließend werden Forschungsperspektiven und -desiderata besprochen und die Potenziale einer wissenschaftlich fundierten Herrschaftsdiskussion ausgewiesen.
Ende der 1970er Jahre tauchte »Preußen« in beiden deutschen Staaten wieder auf. Die »Preußenrenaissance« wurde bislang vor allem als geschichtspolitisches und intellektuellengeschichtliches Phänomen betrachtet. Preußen wurde aber auch, das zeigt der Blick auf die formative Phase der Preußenkonjunktur um 1980, in breiten Bevölkerungsschichten populär. Der nach 1989/90 betriebene Versuch indes, Preußen zur Traditionsstiftung für das vereinigte Deutschland zu nutzen, scheiterte auf lange Sicht. Heute ist Preußen, jenseits der Hohenzollerndebatte, nurmehr punktuell im Rhythmus der Jahrestage präsent.
In seiner Länderstudie gibt Detlev Mares eine Übersicht über Selbstverständnis und zentrale Periodisierungsfragen der zeithistorischen Forschung in Großbritannien. Dabei weist er darauf hin, dass lange Zeit bestimmende Interpretationsmuster zur britischen Geschichte - Konsens und Niedergang - an Strahlkraft verloren haben und durch eine breit ausdifferenzierte, interdisziplinäre Forschungslandschaft ersetzt wurden.
(Version 2.0, siehe auch Version 1.0) The field of Migration History looks at both ends of human mobility and the complex and diverse processes of migration. In her article Barbara Lüthi defines human migration, which can be either international or internal, and gives a short overview of the history of migration in the 20th century. After a discussion of the approaches and perspectives on the research field Lüthi closes with an examination of the current topics in Migration History: refugees and so-called illegal migrants.
Disability History
(2014)
Obwohl andere Kategorien sozialer Ungleichheit wie Klassenzugehörigkeit, Geschlecht und „Ethnizität” bereits intensive wissenschaftliche Aufmerksamkeit erfahren haben, ist „Disability History” trotz der offensichtlichen Relevanz ihres Gegenstands erst seit wenigen Jahren ein expandierendes und dynamisches Forschungsfeld. Gabriele Lingelbach und Sebastian Schlund legen in ihrem Beitrag, ausgehend von der Genese des Forschungsansatzes Disability History und der Präsentation der in verschiedenen Zeiträumen und wissenschaftlichen Diskussionen dominanten Modelle von „Behinderung”, den Fokus auf die Geschichte von Menschen mit Behinderung in beiden deutschen Staaten zwischen 1945 und 1990.
Durch die theoretischen Einflüsse der Postcolonial Studies hat sich die Neuere Kolonialgeschichte insgesamt tiefgreifend gewandelt: Zunehmend wird von einer verflochtenen, reziproken Geschichte des Westens und des „globalen Südens” ausgegangen, ältere Perspektiven wie ein einseitiger Einfluss Europas oder eine verspätete Moderne des Südens treten in den Hintergrund. Nach einem Überblick über die wesentlichen theoretischen Ansätze geht Ulrike Lindner insbesondere auf neuere Forschungen zur deutschen Kolonialgeschichte ein, die verstärkt kulturgeschichtliche Aspekte einbeziehen, Verflechtungen zwischen Kolonien und Mutterland herausarbeiten und die Einflüsse von kolonialen Strukturen, Diskursen und Vorstellungen in der deutschen Gesellschaft aufzuzeigen versuchen.
Bewegungsorientierte Themen liegen im Trend. Der Beitrag stellt Mobilitätsgeschichte als heterogenen Querschnittsbereich vor. Dieser erfasst mehrere Forschungsfelder wie die Verkehrs-, Umwelt-, Migrations-, Tourismus- und Globalgeschichte. Im Beitrag werden theoretisch-methodische Überlegungen aus den interdisziplinären Mobility Studies rekapituliert und Schlaglichter auf aktuelle Forschungsthemen, Potenziale und Grenzen der Mobilitätsgeschichte geworfen.
Herrschaft
(2010)
Herrschaft ist in modernen Gesellschaften ambivalent. Auf der einen Seite finden wir in allen gesellschaftlichen Handlungsfeldern anerkannte hierarchische Formen der Handlungssteuerung wie das moderne Unternehmen oder den Staat; auf der anderen Seite beobachten wir überall Bürokratieversagen, Korruption oder die Auflösung von Herrschaftsstrukturen und deren Übergang in komplexere Regelungsmechanismen.
Selten trafen im deutsch-deutschen Vereinigungsprozess Ost- und Westdeutsche so unmittelbar aufeinander wie in den brandenburgischen Gutsdörfern, wo nach 1990 zurückgekehrte Adelsfamilien ein Auskommen mit der sozialistisch geprägten Dorfbevölkerung finden mussten. Beide Gruppen sind durch eine geteilte Vergangenheit bis zur Enteignung 1945 miteinander verbunden, waren aber in den folgenden vierzig Jahren voneinander getrennt. Im früheren Gutsdorf wurden wie unter einem Brennglas spezifische Probleme und Dynamiken sichtbar, die in der Transformationszeit überall im Osten Deutschlands auftraten.
Für dieses Projekt wurden 21 Interviews mit adligen Rückkehrer*innen und Dorfbewohner*innen unterschiedlicher Generationen in drei ausgewählten Dörfern geführt. Alle Personen- und Ortsnamen in dieser Studie wurden anonymisiert, um nach den Standards der Oral-History-Forschung die Persönlichkeitsrechte der Befragten zu wahren. Ergänzt wurden die mündlichen Erzählungen mit schriftlichen Überlieferungen aus brandenburgischen Kreisarchiven und dem Landesarchiv in Potsdam.
In den drei untersuchten Dörfern versuchten die westdeutschen Adelsfamilien, die nach dem Ende der DDR in das Gutsdorf ihrer Vorfahren zurückgekehrt waren, sich den Raum des früheren Gutes wieder anzueignen. Da die Enteignungen zwischen 1945 und 1989 von staatlicher Seite aus nicht rückgängig gemacht wurden, verhandelten nun Dorfbewohner und Adlige miteinander über den Verkauf, die Verpachtung und die weitere Nutzung der Immobilien des früheren Gutes. In den Erzählungen der befragten Interviewpartner*innen über die Umgestaltung der Schlösser, Gutshäuser, Kirchen, Friedhöfe, Felder und Wälder offenbarten sich die neuen sozialen Beziehungen nach dem Ende der DDR.
Version 2.0: Was genau bezeichnet der Diskursbegriff? Mit welchen Inhalten verbindet sich die Diskursgeschichte? Welche Forschungsthemen sind in diesem Bereich relevant, welche Kontroversen haben sich entwickelt und welche zukünftigen Aufgaben stellen sich? – Achim Landwehr nimmt in seinem Beitrag eine Bestimmung des Diskursbegriffs vor, stellt wichtige Forschungsfelder der Diskursgeschichte vor und zeigt, welchen Nutzen die analytische Kategorie des Diskurses für die Geschichtswissenschaften hat.
Darstellungen zur Diskursgeschichte setzen nahezu immer am selben Punkt an (und müssen dies wohl auch tun): beim Begriff des Diskurses selbst. Während in romanischen Sprachen oder im Englischen discours, discorso, discourse etc. zur Alltagssprache gehören, ist dies im Deutschen nicht der Fall – oder: noch nicht.
Seit der Gründung der Deutschen Presse Agentur (dpa) 1949 halten die Fotograf:innen von Deutschlands größter Nachrichtenagentur Tag für Tag das Geschehen in der Bundesrepublik fest. Insofern ist das Bildarchiv der dpa in Frankfurt am Main ein wertvolles Zeitzeugnis und eine wichtige Quelle zur pressebildlichen Überlieferung in der Bundesrepublik von 1949 bis heute. 14 Millionen Negative, Dias und Prints der dpa und der in der Nachkriegszeit gegründeten Vorläuferagenturen Dena (Deutsche Nachrichtenagentur), Südena (Süddeutsche Nachrichtenagentur) und Deutscher Pressedienst sind Teil der Pressebild-Geschichte der Bundesrepublik und dokumentieren wichtige historische Ereignisse, bedeutende Persönlichkeiten und gesellschaftliche Entwicklungen im Land.
Infrastrukturen
(2020)
Als „Infrastrukturen“ werden seit Mitte des 20. Jahrhunderts Einrichtungen der Versorgung und Entsorgung, der Kommunikation und des Verkehrs bezeichnet, in einem erweiterten Sinne auch solche, die unsere Gesellschaft ökonomisch, sozial, kulturell oder medial miteinander vernetzen. Dirk van Laak rekapituliert die Konjunktur des Begriffs, geht auf die jüngere Geschichte ein und skizziert abschließend ausgewählte Felder, in denen Infrastrukturen momentan erforscht oder weiter analysiert werden könnten.
Infrastructures
(2021)
Since the middle of the 20th century, the term “infrastructure” has been used to describe facilities for supply and disposal, communication and transport, and in a broader sense also those that interconnect our society economically, socially, culturally or medially. Dirk van Laak recapitulates the current status of the term, looks at its recent history and concludes by outlining selected fields in which infrastructures are currently being researched or could be further analysed.
Die Stasi führt ein intensives Nachleben, zumindest auf der Leinwand. Im Kino erfreut sich der ostdeutsche Geheimdienst schon seit vielen Jahren einer anhaltend großen Beliebtheit, vor allem in Filmen über die DDR-Vergangenheit, in denen Stasi-Figuren meist den repressiven Charakter der SED-Diktatur symbolisieren. Doch die Zeiten, in denen Stasioffiziere als simple Bösewichte mit grauen Anzügen und schlechtsitzenden Frisuren in Erscheinung traten, scheinen vorbei zu sein. Die Ambivalenz der Figuren hat in den vergangenen Jahren deutlich zugenommen, auch positiv besetze Heldenfiguren sind keine Seltenheit mehr. Das Spektrum der Filme reicht dabei von authentischen Annäherungen an widersprüchliche IM-Biografien („Gundermann“, 2018, Regie: Andreas Dresen) über radikal stilisierte Dramen („Nahschuss“, 2021, Regie: Franziska Stünkel) bis hin zu grotesk überzeichneten Satiren („Stasikomödie“, 2022, Regie: Leander Haußmann).
Während die DDR-Geschichte bislang meist im Genre der Komödie oder des Familiendramas erzählt wurde, zeigt sich in neuen filmischen Inszenierungen eine Offenheit für andere Formen. Dabei rückt wieder die Staatssicherheit in den Mittelpunkt. Mit „Kleo“ zeigt Netflix aktuell eine Serie über eine Profikillerin im Dienst des MfS, die mit Anspielungen auf die Popkultur der 1980er und 1990er Jahre gespickt ist. „Kleo“ knüpft dabei an die erfolgreichen Erzählmuster der Serie „Deutschland 83/86/89“ (2015-2020) an, die eine Agenten-Story mit einem ironischen Blick auf das MfS verknüpfte. Doch während die Geschichte von „Deutschland 83/86/89“ noch vor einem realen historischen Hintergrund angesiedelt war, geht „Kleo“ ein ganzes Stück weiter: Die Serienmacher nutzen die DDR-Vergangenheit nur noch als Aufhänger für eine blutig inszenierte und trashig überspitzte Rachegeschichte im Stil amerikanischer B-Movies. Das wirft die Frage auf, was einen an sich eher biederen Geheimdienst wie das MfS anschlussfähig für das Genre-Kino und die zeitgenössische Popkultur macht.
Matt Groening, der bekannte Schöpfer der Animationsserien „Die Simpsons“ und „Futurama“, hat sich mit „Disenchantment“ nun der Geschichte zugewandt. Die Serie (2018ff.) besteht bislang aus zwei Staffeln, von denen zum jetzigen Zeitpunkt dreißig von vierzig Folgen auf Netflix veröffentlicht wurden. Am 9. Februar 2022 sollen die letzten zehn Folgen der zweiten Staffel veröffentlicht werden. Die Serie spielt in einer vormodernen Welt. Vielfach werden zwar Elemente genutzt, die eher der Frühen Neuzeit (oder auch der Antike) zuzuordnen wären, aber es ist eindeutig erkennbar, dass die Zuschauenden hier vor allem in ihren Vorstellungen vom europäischen Mittelalter angesprochen werden sollen. Es überrascht daher kaum, dass Fantasy-Elemente, wie Drachen und Elfen etc., prominent einbezogen werden. Hauptfiguren sind die trunksüchtige Prinzessin Bean mit dem Halbelfen Elfo und dem Dämon Luci im Königreich Dreamland.
Exilforschung
(2012)
Exilforschung untersucht die Vertreibung aus dem nationalsozialistischen Deutschland und die damit verbundenen kulturellen und sozialen Transfers. Claus-Dieter Krohn widmet sich in seinem Beitrag der Geschichte der Exilforschung und verweist darauf, dass diese mit ihrem schon in den 1930er-Jahren vorbereiteten Konzept der Akkulturation als ein Wegbereiter der Postcolonial Studies zu gelten hat. Die dezidiert transnationale Perspektive der Exilforschung ist dabei offen für komparative Analysen heutiger Migrationsprozesse und Exile.
Natürlich gibt es Bilder der Shoa, die voll des Grauens sind und auf den ersten Blick Einhalt gebieten. Die Gewalt, die in ihnen ist – die Gewalt, die die Bilder zeigen und/oder die das Machen der Bilder ausdrückt – springt sofort ins Auge. Der Fotograf oder (viel seltener) die Fotografin war Teil der Tat oder stand den Tätern nahe. Die Kamera war zur Waffe geworden, die die Betroffenen zusätzlich entwürdigte. Oft ist die abgebildete Gewalt solcherart, dass die Betroffenen sie nicht überlebt haben können. Sie können also ihre Zustimmung zum Zeigen der Fotos nicht mehr gegeben haben. Doch wurden auch jene, die überlebt haben, in der Regel nicht gefragt, was sie von einer Veröffentlichung der Fotos halten.
Die nationalsozialistische Machteroberung basierte zu einem nicht zu unterschätzenden Anteil auch auf einer erheblichen Selbstmobilisierung im ländlichen Raum. Sichtbare Zeichen jener „nationalen Revolution“ waren nicht selten „symbol- und raumpolitische Überschreibungen“ innerhalb der Dörfer und Kleinstädte. So rasch sich diese Überschreibungen ereigneten, so rasch wurden sie meist unmittelbar nach Kriegsende – ob im vorauseilenden Gehorsam oder aber auf Befehl der Besatzungsmächte – wieder aus dem Stadtraum getilgt. Umso wertvoller sind fotografische Dokumentationen jener Praxis der nationalsozialistischen Raumaneignung.
In der vergleichenden Forschung zu politischer Gewalt in Deutschland spielen Unterscheidungen, die sich auf die weltanschauliche oder strategische Ausrichtung der Gewalt beziehen, eine zentrale Rolle. Gewalt gilt als ‚politisch‘, wenn sie auf die Herstellung oder Veränderung einer gesellschaftlichen Ordnung zielt, oder in diesem Sinne gedeutet wird. Und da es sehr verschiedene politische Visionen und Utopien gibt, erscheint es wichtig, diese begrifflich voneinander abzugrenzen. Der politische Horizont der Gewaltakteure wird dabei häufig zu einem Attribut der Gewalt selbst. So ist etwa von ‚linker Gewalt‘ und ‚rechter Gewalt‘ die Rede, die von ‚sezessionistischer Gewalt‘, ‚djihadistischer Gewalt‘ oder auch ‚ökoterroristischer Gewalt‘ unterschieden wird.
In der Regel dienen diese Formulierungen dazu, den Gegenstandsbereich einzugrenzen. Sie signalisieren, dass hier das (Gewalt-)Handeln jeweils bestimmter Bewegungen untersucht wird, die sich politisch spezifischen Ideologien oder Weltsichten zuordnen lassen. Gewalt gilt als ‚rechts‘, wenn sie von Rechtsextremist:innen verübt wird oder sich in den Horizont rechtsextremistischer Weltvorstellungen einordnen lässt, nicht weil unterstellt wird, die Dynamik der Gewalt selbst weise Merkmale auf, die sie eindeutig als dem rechtsextremen Spektrum zugehörig identifizieren. In der Regel verweisen die zitierten Attribute also auf den Horizont der Gewaltakteure; selten stehen dahinter starke gewalttheoretische Thesen über den spezifischen Charakter der Gewalt der genannten Gruppen.
Gedenkstätten
(2018)
An einem historischen Ort staatlicher, terroristischer oder katastrophenbedingter Gewalt erfüllen Gedenkstätten mit ihren materiellen Hinterlassenschaften eine Vielfalt an Aufgaben, womit sie zu mehrschichtigen, multifunktionalen und polyvalenten Einrichtungen des Trauerns, Gedenkens, Erhaltens, Sammelns, Forschens und Vermittelns werden. In diesem Sinne begreift Habbo Knoch Gedenkstätten als kulturelle Artefakte, die sowohl Überreste historischer Geschehnisse beinhalten als auch mehrdeutige Manifestationen politischer und gesellschaftlicher Diskurse verkörpern – und analysiert sie als „Palimpseste“ geschichtspolitischer und erinnerungskultureller Prozesse.
Ohne afroamerikanische Geschichte kann die amerikanische Geschichte und Gegenwart nicht verstanden werden. Christine Knauer zeichnet in ihrem Beitrag die Genese der afroamerikanischen Geschichtsschreibung nach und verweist auf die enge Verknüpfung von Geschichtsschreibung, Freiheitskampf und Bürgerrechtsbewegung im 19. und besonders im 20. Jahrhundert. Sie beschreibt die derzeitigen Forschungsansätze und -trends in der afroamerikanischen Historiografie, die auch in der europäischen sowie deutschen Amerikaforschung zunehmend bearbeitet werden.
Ohne afroamerikanische Geschichte kann die amerikanische Geschichte und Gegenwart nicht verstanden werden. Ihre Ausrichtung und Forschungsschwerpunkte sind daher stark geprägt von den gesellschaftlichen und politischen Konjunkturen der Zeit. Christine Knauer zeichnet in ihrem Beitrag die Genese der afroamerikanischen Geschichtsschreibung nach und verweist auf die enge Verknüpfung von Geschichtsschreibung, Freiheitskampf und Bürgerrechtsbewegung im 19. und besonders im 20. Jahrhundert. Sie beschreibt die derzeitigen Forschungsansätze und -trends in der afroamerikanischen Historiografie, die auch in der europäischen sowie deutschen Amerikaforschung zunehmend bearbeitet werden.
African American History
(2023)
America’s past and present cannot be understood without taking into account the history of African Americans. Christine Knauer traces the genesis of African American historiography and points out the close link between historiography, the fight for freedom and the civil rights movement in the nineteenth and especially the twentieth century. She describes the current trends and research approaches in African American historiography, ones increasingly being adopted in Europe and Germany in the context of American studies.
Friedrich Klinsky wurde 1925 in Wien geboren und starb dort im Jahr 2002. Als Zehnjähriger begann er sich für Fotografie zu interessieren, war mit einem billigen Apparat unterwegs und entwickelte in der elterlichen Küche die ersten Bilder selbst. Er hatte bei einem Fotografen einer befreundeten Familie zusehen dürfen. Der Besuch der Höheren Graphischen Bundes-Lehr- und Versuchsanstalt blieb ihm aus Geldmangel verwehrt. Er begann als 17-Jähriger wahrscheinlich eine Lehre als Fotolaborant in der Gaulichtbildstelle der Nationalsozialistischen Volkswohlfahrt (NSV), die er aufgrund einer Lungen-Krankheit bereits nach einem Jahr wieder abbrechen musste. Nach 1945 gelang es ihm, bei diversen Fotoagenturen sowie bei den Tageszeitungen „Bild-Telegraph“, „Express“, „Kurier“ und „Wochenpresse“ seine Arbeit als Fotograf fortzusetzen. Friedrich Klinsky war vierzig Jahre lang von 1946 bis zu seiner Pensionierung 1984 als Pressefotograf in Österreich tätig.
Im Jahr 2004 erschien mein Artikel „Zeitgeschichte als moderne Revolutionsgeschichte. Von der Geschichte der eigenen Zeit zur Zeitgeschichte in der ungarischen Historiographie des 20. Jahrhunderts”. Der folgende Beitrag enthält eine leicht gekürzte und überarbeitete Version dieses Textes, da er, wie ich meine, weiterhin einen nützlichen Einblick in das Verständnis der ungarischen Zeitgeschichte, vor allem in der Zeit zwischen 1945 und 1989, vermittelt. Zunächst werde ich aber kurz darstellen, wie sich heute, sieben Jahre nach Publikation des Artikels, die Situation der ungarischen Zeitgeschichtsforschung darstellt. Das politische und gesellschaftliche Klima haben sich seit 2004 stark verändert, was sich bereits jetzt auf die institutionellen Rahmenbedingungen für zeithistorische Forschung auswirkt.
In dem Projekt „Visual Histories“ werden unter dem Motto „Alte Bilder, neuer Blick“ die Geschichten und die Geschichte hinter den Bildern in unterschiedlichen Reiseberichten ergründet. In Form eines Podcasts werden Untersuchungen von Reiseberichten aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts präsentiert. Im Vordergrund stehen dabei nicht nur die Reiseberichte von neun verschiedenen Autor*innen, sondern auch vier Weltregionen, die China, Japan und Korea, Afrika sowie Australien und Neuseeland umfassen.
Die öffentliche Wahrnehmung der Transformationen in den postsozialistischen Ländern ist in zweierlei Hinsicht unterbelichtet: Sie ist räumlich begrenzt, indem sie den Fokus auf jeweils national begrenzte Fälle im ehemaligen Ostblock richtet. Sie ist zeitlich begrenzt, indem sie den Fokus auf die Jahre des raschen Systemumbaus richtet und allenfalls die Jahre unmittelbar davor einbezieht. Transformationen ganzer Gesellschaften, so wollen wir an einer alltagsrelevanten Institution zeigen, greifen aber auch auf Ressourcen zurück, die viel weiter in die Vergangenheit zurückreichen und gerade im zentraleuropäischen Raum schon immer einen zugleich nationalen und transnationalen Charakter hatten. Die Rede ist von der Freiwilligen Feuerwehr als einem seit Mitte des 19. Jahrhunderts in allen Ländern des Deutschen Reichs wie auch der Österreichisch-Habsburgischen Monarchie verbreiteten Muster der lokalen Selbstregierung (self governance). Unsere Beispiele kommen aus Sachsen, den tschechischen Ländern und Slowenien – sie könnten aber auch aus Mecklenburg-Vorpommern, Galizien, der Slowakei oder der Vojvodina stammen. Gemeinsam ist ihnen die erstaunliche institutionelle Kontinuität der Organisation eines freiwilligen Dienstes für die lokale Gemeinschaft über die dramatischen Systemwechsel des 20. Jahrhunderts hinweg. Dabei existieren Freiwillige Feuerwehren immer lokal als Personenvereine mit aktiven (das heißt für die Brandbekämpfung einsatzbereiten) und fördernden Mitglieder*innen, die sich überlokal zu regionalen und nationalen Verbänden zusammenschließen, die wiederum untereinander rege den internationalen Austausch pflegen.
As the biggest commercial city in Tanzania today, Dar es Salaam features a number of German colonial memory sites which range from buildings, statues to open spaces. Formerly existing as a small caravan town exclusively owned by the Arab Sultan of Zanzibar, Dar es Salaam was further developed by the Germans who used it as their capital (Hauptstadt) beginning in the late 19th century. After the WWI, the city continued to serve as the capital in British mandate period until it was inherited by the independent government of Tanzania in 1961.
Byron Metos is a Greek collector based in Thessaloniki, whose interest focuses on war photography and more specifically on the photography of the two World Wars in Greece. Part of his collection is titled Balkan und Griechenland (Balkans and Greece) and comprises photographs taken mostly by German soldiers and officers, though also including those by itinerant photographers, during the years of the Nazi Occupation in the Balkans, which have originated from photo albums of German soldiers. During the postwar era, these were acquired by an officer who had served in Greece as a member of the Health Service of the German army. Many years after the War, he decided to trace his own route through the war by adding the photographs of his fellow soldiers to his own photographic souvenirs. After his death, the collection passed to his daughter, who, a year later, sold the section relating to Greece, namely almost three thousand (3,000) photographs, to Byron Metos. The focus of the present paper will be on photos of the “tourist destination” Thessaloniki.
Historischer Vergleich
(2024)
Hartmut Kaelble zeigt in seinem Beitrag für Docupedia, dass sich Methodik, Praxis und damit auch Vergleichsräume und Vergleichszeiträume des Historischen Vergleichs in den letzten Jahrzehnten stark verändert haben. Nachdem die theoretischen Diskussionen der 1990er-Jahre über den Historischen Vergleich als weitgehend abgeschlossen angesehen werden können, ist er heute ein fest etablierter, eigenständiger Teil der transnationalen Geschichte.
Heimat
(2017)
Das Konzept „Heimat“ lässt sich als scheinbar genauere Bestimmung vor viele Phänomene setzen. In der Unbestimmtheit des Begriffs zeigt sich seine prominente emotionale Seite, die ihn für Marketingzwecke jeder Art – und damit sind auch politische Absichten eingeschlossen – attraktiv macht. Heimat markiert eine lokale Identifizierung, die andere Identifikationen nicht ausschließt, ob es sich nun um regionale, nationale oder transnationale Institutionen, Ideologien oder Glaubensgemeinschaften handelt. Der Artikel behandelt den Begriff „Heimat“ sowie das grundsätzliche Verhältnis zwischen Individuen zu sozialen und geografischen Räumen.
Heimat (english version)
(2018)
The concept of Heimat can be used in conjunction with many phenomena and sometimes seems to have a precise definition. The very vagueness of the concept bespeaks its emotional aspect, one that makes it rather appealing for a wide range of marketing and propaganda purposes. Heimat denotes a local identification that is not exclusive of other identifications, whether regional, national or transnational institutions, ideologies or religious communities. The Article will address the concept and its varied meanings and it will also examine the fundamental relationship between individuals with respect to their social and geographic spaces.
Der Zweite Weltkrieg ist bis heute in der deutschen und europäischen Erinnerungskultur präsent und wird auf individueller wie kollektiver, medialer Ebene mit ganz bestimmten Bildern assoziiert. Auf deutscher Seite waren vor allem die Propagandakompanien (PK) der Wehrmacht die wichtigsten Bildlieferanten zeitgenössischer Medien. Ihre Fotografien durchliefen eine doppelte Zensur: eine militärische sowie die durch das Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda (RMVP). Die PK-Fotografen waren aber zumeist aufgrund ihrer Ausbildung, oft auch ihrer ideologischen Prägung nach, in ihrer fotografischen Praxis darauf ausgerichtet, vom Regime gewünschte Bildvorstellungen umzusetzen.
Der Beliebtheit generationeller Vergemeinschaftungen stehen forschungspraktische Unebenheiten gegenüber, wenn „Generation” nicht mehr nur als Selbstthematisierungsformel, sondern auch als analytische Kategorie dient. Gerade die begriffliche Unschärfe verweist darauf, wie wichtig es ist, danach zu fragen, was die Rede von den „Generationen” in den Blick bekommt, was sie vernachlässigt oder sogar überdeckt. In einer aktuell überarbeiteten und ergänzten Version 2.0 zeigt Ulrike Jureit, welche theoretischen Unwägbarkeiten damit verbunden sind, wenn der kollektive Selbstentwurf nicht allein als Ausdruck eines gesellschaftlichen Erfahrungswandels gedeutet wird, sondern gruppenspezifische Selbstinszenierungen zum zentralen Erklärungsfaktor für bestimmte politische, soziale oder ökonomische Umbrüche werden.
Als Francis Fukuyamas Essay „The End of History?” im Sommer 1989 in der Zeitschrift „The National Interest” erschien, brach ein Sturm der Empörung los. Die Vorstellung von einem „Ende der Geschichte” hatte zwar gerade Konjunktur; so kamen in der Bundesrepublik 1989 gleich zwei Bücher heraus, die dieses Thema kritisch beleuchteten. Meist gründete das Interesse an einem „Ende der Geschichte” allerdings auf einer postmodernen Position.
Zeitzeugin / Zeitzeuge
(2022)
Zeitzeug*innen sind nicht mehr wegzudenken aus der deutschen und internationalen Erinnerungskultur. Der Artikel von Steffi de Jong beschäftigt sich mit der Frage, wie die Zeitzeug*in zu einer derart populären Figur werden konnte. Der erste Teil behandelt den Begriff der Zeitzeug*in, im zweiten wird eine mögliche Genealogie von der Französischen Revolution bis ins digitale Zeitalter vorgeschlagen, und im dritten Teil geht es um die wissenschaftliche Beschäftigung mit der Zeitzeug*in als Quelle, als Untersuchungsgegenstand und als Geschichtsvermittler*in, um schließlich in einem Ausblick nach der zukünftigen Rolle von Zeitzeugenschaft zu fragen.
Je nach Perspektive wird die „Geschichte der Medizin“ als Teildisziplin der Geschichte oder die „Geschichte in der Medizin“ als Prozess der Selbstreflexion und Selbstvergewisserung in der Medizin betrachtet. Nach einer chronologischen Einordnung der Zeitgeschichte der Medizin folgt ein kurzer Abriss zur Geschichte des Fachs sowie zu seinem Wandel und den damit verbundenen Kontroversen. Anschließend stellen die Autor*innen Themen, Methoden und theoretische Zugriffe sowie Akteur*innen vor und fragen nach dem aktuellen Verhältnis von Medizingeschichte und Medizinethik.
Das Lebensthema des Religionsphilosophen, Kulturhistorikers und Politikers Ernst Troeltsch (1865-1923) war die „moderne Welt“. In den großen Neuordnungsdiskursen nach 1918 spielte er eine wichtige Rolle in den westeuropäischen, aber auch in den osteuropäischen Kulturtransfers. Gangolf Hübinger und Johannes Bent stellen sein spätes Hauptwerk „Der Historismus und seine Probleme“ vor und betonen die intellektuelle Bedeutung von Troeltsch sowohl für die Demokratiediskurse der ersten deutschen Republik als auch für die Frage nach der Orientierungskraft von „Geschichte“ für die moderne Gesellschaft, insbesondere für die „Europadiskurse“ des 20. Jahrhunderts.
Welche Impulse kann das Werk Max Webers der Zeitgeschichte liefern? Wie haben sich Zeithistoriker/innen im 20. Jahrhundert und bis in die Gegenwart bei der gedanklichen Ordnung ihrer Probleme von Weber inspirieren lassen? Ausgehend von der „Vielfalt der Perspektiven“, aus denen Webers Themen und Begrifflichkeiten fruchtbar gemacht werden, zeichnet Gangolf Hübinger die Bedeutung Max Webers für wechselnde zeitgeschichtliche Problemstellungen nach und zeigt, was seinen Denkstil letztlich ausmacht: die Verknüpfung von Universalgeschichte und Gegenwartsdiagnose.
In allen europäischen Ländern steht die Entwicklung der Zeitgeschichtsforschung in engem Zusammenhang mit nationalen Traditionen und Traumata. In Frankreich hat sich zwischen Forschung und nationalem Selbstverständnis eine besonders enge Interdependenz herausgebildet. Ebenso wirken die spezifisch französischen institutionellen Rahmenbedingungen auf die inhaltliche und methodische Entwicklung der Wissenschaft ein.
Youth Organizations
(2019)
Hitler Youth, Komsomol, Boy Scouts – no grand narrative of the twentieth century can ignore these youth leagues and their millions of members. For some these organizations meant fun and games or adventure, for others rigid hierarchies and political indoctrination. These stereotypes notwithstanding, historians have nevertheless succeeded in painting a nuanced picture of this pedagogical innovation. This contribution outlines the key developments in scholarly debate and shows how addressing youth organizations can benefit core working areas of contemporary history.
Jugendorganisationen
(2018)
Hitlerjugend, Komsomol, Boy Scouts – keine Großerzählung zum 20. Jahrhundert kommt ohne diese millionenstarken Jugendverbände aus. Für die einen bedeuten Jugendorganisationen Spiel, Spaß und Abenteuer, für die anderen straffe Hierarchien und politische Indoktrination. Ungeachtet dieser Stereotypen ist es der historischen Forschung gelungen, ein differenziertes Bild dieser pädagogischen Innovation zu zeichnen. Der Beitrag stellt die wichtigsten Etappen der Forschungsdiskussion vor und zeigt, welchen Erkenntnisgewinn die Beschäftigung mit Jugendorganisationen für zentrale Arbeitsfelder der Zeitgeschichte haben kann.
Informations- und Kommunikationstechnologien durchdringen gegenwärtig alle Lebensbereiche. Dabei haben sich mit dem Anbruch des digitalen Zeitalters auch die Vorstellungen von Öffentlichkeit, Privatsphäre und Partizipation stark gewandelt. Techniken des „e-Governments“ steuern politische und soziale Prozesse. Computer regulieren den globalen Finanzmarktkapitalismus, berechnen (und manipulieren) Wahlergebnisse, lenken globale Kommunikationsströme, optimieren industrielle Produktions- und logistische Vertriebsprozesse und speichern überdies das Wissen von Verkehrsbetrieben, Krankenhäusern, Polizeibehörden und Geheimdiensten. Mit dieser Form der „Verdatung der Welt“ sind in den letzten Dekaden neue Wissensräume entstanden. Computer, Suchmaschinen und Datenbanken ordnen unsere moderne Welt.[1] Sie regeln den öffentlichen Raum und stecken zugleich die Sphäre des Privaten ab.
Russlands Krieg gegen die Ukraine enthüllte nicht nur den imperialen Großmachtanspruch herrschender Eliten in Russland, sondern auch ein generelles kulturelles Überlegenheitsgefühl gegenüber Ukrainer:innen. Darüber hinaus beklagen immer wieder Stimmen aus Kasachstan, Georgien und Usbekistan den kolonialistischen Habitus einiger geflüchteter Russ:innen. Diese Einstellungen haben ihre Wurzeln im russländischen Imperium, denn die Revolution und Gründung der Sowjetunion brachen nur bedingt mit dem imperialen Erbe des Zarenreiches. Spätestens seit den 1930er Jahren stand, nach einigem nationalpolitischen Hin- und Her, das russische Volk auch in öffentlichen Diskursen an der Spitze der sowjetischen Völker. In einem kurzen, aber besonders repräsentativen Beispiel möchte ich zeigen, wie in der Zwischenkriegszeit diese Hierarchisierung durch öffentlich publizierte Fotografien suggestiv vermittelt wurde.
Europäisierung
(2010)
In Ihrem Beitrag werfen Ulrike v. Hirschhausen und Kiran Klaus Patel einen kritischen Blick auf "Europäisierung" als empirischen Prozess und analytischen Begriff. Entsprechende sozialwissenschaftliche Diskussionen haben Historiker bislang weitgehend ignoriert - zu Unrecht, so von Hirschhausen und Patel. Beide sehen hier ein lohnendes Feld der Zeitgeschichte, dem sie sich mit einem konstruktivistischen Ansatz nähern: Nur dort, wo historische Akteure konkrete Phänomene als "europäisch" wahrgenommen und benannt haben, kann Europäisierung als Herstellung einer "vorgestellten Gemeinschaft" erforscht werden, ohne mit normativen Voranahmen über einen europäischen "Wesenskern" operieren zu müssen.
„Bürger” ist ein geschichtlicher Grundbegriff, der auf die politische Verfasstheit und Teilhabe zielte und sich seit dem 18. Jahrhundert um soziale und kulturelle Dimensionen erweitert hat. Manfred Hettling untersucht in seinem Beitrag die Begrifflichkeit des „Bürgers”, die soziale Formation des „Bürgertums” sowie das eigene Kulturmodell von „Bürgerlichkeit” und stellt Ansätze, Zugriffe und Verfahren der historischen Bürgertumsforschung bis heute vor.
Magdeburg, 18. September 1985: Das neue Schuljahr in der DDR ist zwei Wochen alt, als eine junge Lehrerin für die Vertretungsstunde in der 9. Klasse eingeteilt wird. Ihren Englischunterricht kann sie nicht fortsetzen und so gibt sie den Schüler:innen spontan eine andere Aufgabe: „Schreibt doch mal auf, wie ihr euch das Leben im Jahr 2010 vorstellt!“ Im Gegensatz zum regulären Unterricht macht sie den Jugendlichen keinerlei Vorgaben, was der Text beinhalten soll, und wartet gespannt auf die Ergebnisse. Als sie die Aufsätze am Abend liest, überraschen die Zukunftsträume der Jugendlichen sie völlig. Die Schüler:innen träumen von offenen Grenzen, von schnellen Autos und dem Besitz eines Eigenheims. „Wenn das deine Parteisekretärin findet, dann ist deine Karriere ja ganz schnell vorbei!“[1], befürchtet sie und beschließt daher, die 23 Texte für sich zu behalten.
Über 30 Jahre später blicken wir nicht nur auf das Jahr 2010, sondern auch auf die untergegangene DDR zurück.
Ein Familienfest
(2024)
Welche Geschichte kann ein Bild erzählen? Am Beispiel eines Fotos aus dem Album der Familie Lindenberger, auf dem sich mehrere Generationen der Familie zu einem besonderen Anlass versammelt und diesen Moment für die Erinnerung künftiger Generationen festgehalten haben, möchte ich eine kurze Geschichte dieser Familie erzählen. Trotz wechselnder Lebensumstände ist es der Familie gelungen, ihre Geschichte fotografisch zu dokumentieren.
Wertewandel
(2012)
Wie haben sich Normen und Werte in modernen Industriegesellschaften verändert? Isabel Heinemann beschäftigt sich in ihrem Beitrag über den Begriff des „Wertewandels“ mit der Frage, welche Möglichkeiten für eine kritische Historisierung des ursprünglich sozialwissenschaftlichen Konzepts bestehen. Sie plädiert dafür, den Begriff aus seiner vorherrschenden Fixierung auf die 1960er- und 1970er-Jahre als vermeintlicher Kernphase des Wertewandels zu lösen, um durch den Vergleich von Phasen intensiven Wandels mit Perioden von größerer sozialer und normativer Kontinuität die Bedeutung und Reichweite von Wertewandelprozessen besser erschließen zu können.
Technikgeschichte
(2018)
In den vergangenen Jahren hat sich die deutschsprachige Technikgeschichte inhaltlich und konzeptionell selbstbewusst präsentiert und ihre Position als eine eigenständige Disziplin des historischen Fächerkanons bekräftigt. Eike-Christian Heine und Christian Zumbrägel stellen zentrale Perspektiven, Begriffe und Theorien vor, die die Technikgeschichte im Laufe des 20. Jahrhunderts prägten, und benennen technikhistorische Themen, die aus zeitgeschichtlicher Perspektive besonders zukunftsträchtig erscheinen.
Menschenrechte sind zur globalen Leitkategorie aufgestiegen. Die wissenschaftliche Erforschung der Geschichte der Internationalisierung von Rechtsansprüchen haben Historiker/innen erst vor einigen Jahren für sich entdeckt. Lasse Heerten skizziert in seinem Beitrag, dass Menschenrechte als ein semantisch äußerst offenes Vehikel unterschiedliche Ideen transportieren können und kritisch historisiert werden müssen. Zentral sind dabei Fragen nach Emergenz, ambivalenten Effekten und der Vielgestaltigkeit von Menschenrechten im Verlauf der Geschichte.
Bis in die 1990er Jahre wurde die Rolle von Maria Eisner als „Secretary and Treasurer“ immer wieder mit Sekretärin und Schatzmeisterin oder Büroleiterin im Gründerkreis der legendären Magnum-Männer übersetzt. Jubiläumsschriften, Dokumentationen und Kurzbiografien weisen Eisner bis heute immer wieder als italienische Fotografin aus, verschweigen dabei aber Teile ihres Werdegangs oder deuten ihren Einfluss auf die von ihr gegründeten Agenturen und der dort arbeitenden Fotografen nur vage an. Infolge ihres frühen Rückzugs aus dem Agenturgeschäft im Jahr 1951 sind ihre Verdienste um Assignments, Editionen und Bildrechte im frühen Bildermarkt sowie ihre Bedeutung als wichtige Mentorin bedeutender Fotograf:innen bis heute wenig beachtet.
Biografie ist ein literarisches und wissenschaftliches Genre, das erst durch theoretische und methodische Reflexionen zu einem konzeptionellen Ansatz der Geschichtswissenschaft wird. Levke Harders beginnt ihren Beitrag mit einer Übersicht zur Entwicklung der Biografik in den (deutsch- und englischsprachigen) Geschichtswissenschaften, thematisiert anschließend die Popularität (sowie die Grenzen) des Genres und stellt einige aktuelle Forschungsfelder der Biografik vor, die sich „neuen“ Subjekten und Themen widmen.
Österreich - Die Dominanz des Staates. Zeitgeschichte im Drehkreuz von Politik und Wissenschaft
(2011)
Seit März 2011 können auf Docupedia-Zeitgeschichte unter der Rubrik "Länder" die ersten Beiträge abgerufen werden. Bei den veröffentlichten Texten handelt es sich um überarbeitete und durch Kommentare erweiterte Wiederveröffentlichungen aus dem von Alexander Nützenadel und Wolfgang Schieder herausgegebenen Sammelband „Zeitgeschichte als Problem. Nationale Traditionen und Perspektiven der Forschung in Europa“, der 2004 bei Vandenhoeck & Ruprecht in Göttingen publiziert wurde. Auf Docupedia sind nun zunächst die Beiträge zur Zeithistorischen Forschung in den Niederlanden von Christoph Strupp, zu Österreich von Ernst Hanisch, zur Schweiz von Christof Dipper sowie zu Spanien von Walther L. Bernecker und Sören Brinkmann veröffentlicht worden. Überblicke zum Stand der Zeithistorischen Forschung in weiteren Ländern sind in Planung.
Version 1.0: Theorie ist ein genuines Element des Forschungssettings wissenschaftlicher Erkenntnisarbeit. Der Begriff wird heute in verschiedenen, sich teils widersprechenden Definitionen verwendet. Mit dem jeweiligen Theorieverständnis verbunden sind Grundentscheidungen über Form und Anwendungspraxis wissenschaftlicher Methoden.
Verfassungsgeschichte
(2020)
In seinem Beitrag befasst sich Christoph Gusy mit der Disziplin „Verfassungsgeschichte“, die als Teildisziplin der Rechtsgeschichte von der Geschichts- und Rechtswissenschaft betrieben wird. Die Geschichte der Verfassungen behandelt zentrale Normen der Legitimation, Organisation und Ausübung hoheitlicher Gewalt, die so erst seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert gelten. Für die Verfassungsgeschichte gilt dementsprechend: Sie versteht sich ganz überwiegend als „Verfassungsgeschichte der Neuzeit“. Dies ermöglicht und erschwert zugleich die Herausbildung einer Zeitgeschichte der Verfassungen.
Verfassungsgeschichte
(2010)
Verfassungsgeschichte begreift sich als Teildisziplin der Rechtsgeschichte. Spätestens seit der Wende zum 20. Jahrhundert steht sie im Schnittpunkt von Geschichts- und Rechtswissenschaft und wird von beiden Disziplinen betrieben. Ihr Gegenstand sind zentrale Normen der Legitimation, Organisation und Ausübung hoheitlicher Gewalt (= Verfassungen im materiellen Sinne), insbesondere die diesbezüglichen ranghöchsten Regelungen in den Rechtsordnungen (= Verfassungen im formellen Sinne).
Comics begleiten die Menschen weltweit schon seit mehr als 100 Jahren in verschiedensten Formen, sei es als Strip in Zeitungen, als klassisches Comic-Heft, als Album und „graphic novel“ oder nunmehr auch in digitaler Form im Internet. Sie sind nicht nur Unterhaltung, sondern immer auch Spiegel unserer Gesellschaften. Als historische Quelle wurden sie jedoch erst relativ spät entdeckt. Wie mit ihnen als Quelle umgegangen werden kann, wird im folgenden Artikel beleuchtet, indem in chronologischer Folge an ausgewählten Beispielen ihre Potenziale als text-bildliche Quelle vorgestellt werden.
Als „Historikerstreit" wird eine sowohl öffentlich als auch fachwissenschaftlich geführte Debatte bezeichnet, die sich im Sommer 1986 in Folge eines Artikels des Sozialphilosophen Jürgen Habermas in der Hamburger Wochenzeitung „Die Zeit" entfachte. In seinem Artikel griff Habermas führende Neuzeithistoriker der Bundesrepublik an, denen er apologetische Tendenzen im Umgang mit dem Holocaust vorwarf.
Religionsgeschichte
(2018)
Religion gibt es immer nur im Plural ihrer konkreten empirischen Ausprägungen. Das gilt auch für die Religionsgeschichte als wissenschaftliche Praxis. Betrieben wird sie zumeist als Erforschung konkreter Glaubensgemeinschaften. Die Grenzen dessen, was noch sinnvoll als „Religion“ bezeichnet werden kann, sind dabei fließend. Klaus Große Kracht zeigt auf, welche Ansatzpunkte sich für eine zeithistorische Religionsforschung anbieten, die sich selbst als Teil einer „Problemgeschichte der Gegenwart“ versteht.
Musik begleitete die Souveränitätskämpfe und Nationsbildungsprozesse der Ukraine im 20. und 21. Jahrhundert und brachte dabei eines der zentralen Narrative der ukrainischen Geschichte zum Klingen: die Geschichte vom langen Kampf um die Unabhängigkeit. Sie erzählt von der ukrainischen Behauptung gegen die polnisch-litauische Adelsrepublik, die Habsburgermonarchie, das russische Zarenreich und die Sowjetunion. Schützen- und Rebellenlieder begleiteten die ukrainischen Befreiungskämpfe rund um den Ersten und Zweiten Weltkrieg. Sie sind bis heute aktuell. Ertönten in der ersten Hälfte des Jahrhunderts patriotische Marschlieder, so änderte sich der Klang der Musik in der zweiten. Barden- und Kobsarenmusik wurden zum Ausdruck von Dissens besonders in der Sowjetukraine, als auch in der gesamten Sowjetunion. Und auch im Übergang der Ukraine vom sowjetischen zum postsozialistischen Staat war die Musik Teil der aufflammenden zivilgesellschaftlichen, kulturellen und politischen Souveränitätsbewegung. Im Vorfeld des Eurovision Song Contest, den die Ukraine wegen des Krieges in Großbritannien ausrichtet, lohnt sich ein Blick zurück auf die Verschränkung von Musik und Politik in der unabhängigen Ukraine.
(Version 1.0, siehe auch Version 2.0)Zeit ist die grundlegendste Kategorie der Geschichtswissenschaft. Historikerinnen und Historiker untersuchen, so könnte man in erster Annäherung formulieren, Wandel in der Zeit; ohne Zeit bzw. eine bestimmte Konzeption von Zeit gäbe es keine Vorstellung von Geschichte und damit auch keine wissenschaftlichen Versuche, sie zu erfassen. Auch wer behauptet, nicht Wandel, sondern Zustände zu untersuchen, interessiert sich für diese als Bedingungen für Wandlungsprozesse.
Als der Verfasser dieses Textes 2009 seine Dissertation abschloss, lagen insgesamt 49 World Press Photos of the Year vor. Seit 1955 waren sie durch eine in den Niederlanden ansässige Stiftung mit unablässigem Einsatz aus der immer größer werdenden Flut von Einsendungen herausdestilliert worden. Dass 2014 mehr als 5000 professionelle Fotografen rund 100.000 Fotos zur Begutachtung einsandten, illustriert den enormen Stellenwert dieses eigentlich impertinenten Preises. Steht es einem Foto tatsächlich zu, das Pressefoto des Jahres zu sein? Kann es in seiner endlichen Anzahl von Bildelementen die theoretisch unendliche Komplexität eines Jahres dahingehend verdichten, einen absoluten Bezugspunkt in der retrospektiven Betrachtung seiner Zeit zu verankern? Und lassen sich darüber hinaus überhaupt nachvollziehbare Maßstäbe für die Wahl eines Pressefotos des Jahres formulieren, die sich zumindest nachträglich aus der Analyse des Materials ableiten lassen?
(Version 1.0, siehe auch Version 2.0)
Keine Epoche und kein Gegenstand der Zeitgeschichte ist vor transnationalen Fragestellungen sicher, gleich ob wir im Falle Deutschlands über die die alte Bundesrepublik, die DDR, Weimar, den Nationalsozialismus oder das Kaiserreich forschen. Auch für Europa stellt sich die Frage, ob dieses sich „transnational schreiben” lässt.
Im 20. Jahrhundert fanden es die Deutschen kaum verwunderlich, dass es wenig Zuwanderung aus den (ehemaligen) Kolonien gab. Aus Politik, Gesellschaft und Wissenschaft kam niemand auf die Idee, überhaupt die Frage nach (post-)kolonialer Einwanderung zu stellen. Die ausbleibende Verwunderung lässt sich durch die Selbstverständlichkeit erklären, mit der man annahm, Weiß-Sein sei eine Bedingung für Deutschsein und die deutsche Nation „kein Einwanderungsland” (Zitat Helmut Kohl, 1992). Beim Blick nach Frankreich und Großbritannien hätte man zwar ein Defizit bei der nachkolonialen Einwanderung nach Deutschland feststellen können (1974 gab es in Frankreich regulär über eine Million Menschen allein aus den ehemaligen afrikanischen Kolonien). Das Gegenteil war jedoch der Fall. Man bemühte in Deutschland den Vergleich mit Frankreich und Großbritannien lediglich, um zu behaupten, dass das deutsche Kolonialreich nur kurze Zeit existierte und zeitlich zu weit zurück lag, um einen dauernden Einfluss zu hinterlassen. Kohls Zitat, das deutsche Einwanderungsbehörden schon seit 1945 zum Leitmotiv ihrer Arbeit gemacht hatten, war weniger deskriptiv als präskriptiv gemeint. Bei der Zuwanderung nach Deutschland sollte es weder einen „Kolonialbonus“ für Auswanderungswillige aus den ehemaligen Überseegebieten geben, noch kam die deutsche Regierung auf die Idee, durch Bevorzugung von Migrant:innen oder „Gastarbeiter:innen“-Rekrutierung aus den ehemaligen Kolonien Wiedergutmachungspolitik zu betreiben, wie es zum Beispiel die englische Regierung mit der Einladung an die „Windrush-Generation“ aus karibischen Ländern zwischen 1948 und 1971 getan hatte.
Der versäumte Abschied von der Volksgemeinschaft. Psychoanalyse und „Vergangenheitsbewältigung“
(2011)
Mit dem Essayband „Die Unfähigkeit zu trauern” legten Alexander und Margarete Mitscherlich 1967 einen Schlüsseltext für die „Bewältigung” der NS-Vergangenheit in der Bundesrepublik vor. Der von dem Ehepaar gemeinsam verfasste Titelessay, der ein knappes Viertel des Buches füllte, brachte den seit den späten 1950er-Jahren zunehmend diskutierten moralischen Skandal der „unbewältigten” NS-Vergangenheit auf den – psychoanalytischen – Begriff. Dass das Buch über weite Strecken schwer lesbar war und ist, stand der raschen Verbreitung zumindest seines eingängigen Titels nicht entgegen. (...)
Wiederveröffentlichung von: Tobias Freimüller, Der versäumte Abschied von der Volksgemeinschaft. Psychoanalyse und „Vergangenheitsbewältigung“, in: Jürgen Danyel/Jan-Holger Kirsch/Martin Sabrow (Hrsg.), 50 Klassiker der Zeitgeschichte, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2007, S. 66-70.