900 Geschichte und Geografie
Der Erste Weltkrieg ist auch ein Krieg der Bilder, genauer: ein Krieg, in dem erstmals das Medium der Fotografie massenhaft eingesetzt wurde. Schon der „begeisterte“ Abmarsch der deutschen Truppen Anfang August 1914[1] wurde in unzähligen Aufnahmen dokumentiert. Dabei war die Bildberichterstattung stark der Zensur unterworfen. Alle Kriegsparteien hatten zu Beginn oder während des Kriegs eigene Presse- oder Propagandabüros eingerichtet. Die Kriegsberichte und die Fotografien wurden extrem für propagandistische Zwecke eingesetzt; viele Bilder von der angeblichen Front waren zudem gefälscht bzw. in der Heimat nachgestellt worden. Der Krieg war also auch zu einem Medienkrieg geworden. Andererseits blieben die Kriegsaufnahmen nicht mehr auf Bildjournalisten, Fotografen und Propagandaabteilungen beschränkt. Einige Soldaten besaßen inzwischen Kleinbildkameras und dokumentierten ihre Kriegserlebnisse mit eigenen Fotoapparaten.
Als Ende Mai 2013 die Proteste auf dem Taksim-Platz in Istanbul und kurz darauf in vielen Städten der Türkei entflammten, hatten die Hinter- und Beweggründe bereits eine lange Geschichte, deren Einzelheiten und Verflechtungen in der Retrospektive nur schwer zu trennen und rekapitulierbar scheinen. Zur Einordnung der Bildikone The Woman in Red (auch: lady in red oder girl in red) / Kırmızılı Kadın in die Interessenkonflikte um den Gezi-Park empfehlen sich umfassende Abhandlungen der politischen Situation in der Türkei. Die islamisch-konservative AKP (Adalet ve Kalkınma Partisi, zu Deutsch etwa: Partei für Gerechtigkeit und Aufschwung) um Ministerpräsident Recep Tayyip Erdoğan ist seit 2002 ununterbrochen stärkste Partei des Parlaments. Unmittelbar vor Ausbruch der Proteste wurde bekannt, dass die Regierung mit enormen Baumaßnahmen in der Millionenmetropole Istanbul die Volkswirtschaft fördern wollte. Bauarbeiten zur unterirdischen Verkehrsführung am Taksim-Platz, ein transkontinentaler U-Bahn-Tunnel unterhalb des Bosporus und die Errichtung einer der imposantesten Moscheen der Welt hatten zu diesem Zeitpunkt bereits begonnen. Neben den Umbauarbeiten, die den zähen Straßenverkehr am zentralen Knotenpunkt Istanbuls in ein unterirdisches Tunnelsystem verlagern sollten, waren für den 28. Mai 2013 Abholzungen im Gezi-Park geplant. Die städtische Grünanlage grenzt unmittelbar an den Taksim-Platz an und sollte einem weiteren Einkaufszentrum weichen.
Eines seiner wohl berühmtesten Bilder ist zur Ikone geworden – zu einem jener Bilder, in denen Vergangenheit und Zukunft ineinander fallen: der gealterte Nelson Rolihlahla Mandela, der mit tiefen Falten und ergrautem Haar aus dem mit massiven Gitterstäben versehenen Fenster schaut. Den rechten Ellenbogen hat Mandela auf die Fensterbank gelegt, auf seiner linken Brusttasche fällt ein Emblem ins Auge. Das Bild ist 1994 entstanden. Offiziell ist Südafrika ein freies Land, und Mandela ist für das Foto in die Zelle auf Robben Island zurückgekehrt, in der er 18 seiner insgesamt 27 Jahre in Haft verbrachte. Der Fotograf Jürgen Schadeberg erinnert sich: „This was where he studied, did pushups and reflected on the goal of the liberation of his people. He looked out of the bars and when he thought I had finished taking pictures, relaxed somewhat, and turned around to smile.“ Die Photographers‘ Gallery in London hat dieses Foto als eines der fünfzig prägendsten Bilder des 20. Jahrhunderts gewählt.
Das Wissen von Europäern um Südamerika ist seit der frühen Neuzeit, als der Kontinent Ziel der europäischen Expansion wurde, durch Bilder vermittelt worden. Diese Bildüberlieferung erhielt im 19. und frühen 20. Jahrhundert neue Impulse: Fotos und später Bildpostkarten zeigten den Menschen im Deutschen Reich ein ambivalentes Bild des fremden Kontinents, das mit bestehenden Vorstellungen und Projektionen zusammenwirkte, aber auch mit diesen konkurrierte. Die Ambivalenz des Südamerikabildes wird deutlich in den Motiven, denn die Bildmedien zeigten einerseits Eisenbahnen und Bahnhöfe, Stadtansichten, repräsentative Gebäude, Häfen, Zoos und Fabriken. Ein ganz anderes Bild zeichneten dagegen Ansichten von Indigenen und Ruinen. Auf den ersten Blick scheinen die Quellen so insgesamt eine bekannte Dichotomie aus Tradition und Moderne zu zeigen. Aber die genauere Untersuchung ergibt, dass sich hybride Bedeutungen bildeten, deren Sinn je nach Nutzungszusammenhängen oszillierte.
Seit anderthalb Jahrzehnten widmet sich die Geschichtswissenschaft verstärkt dem Thema „Bild“. Dabei wurden zahlreiche, im Zuge des pictorial bzw. iconic turn in der Kunst- und der Kulturwissenschaft entwickelte Bildtheorien in den geschichtswissenschaftlichen Methodenapparat integriert. Einer der unter HistorikerInnen umstrittensten Ansätze ist die von dem Berliner Kunsthistoriker Horst Bredekamp entwickelte Bildakttheorie, die Bilder nicht nur als Ausdruck und Widerschein historischer Vorgänge, sondern als autonome, wirkmächtige Akteure begreift, die historische Prozesse auszulösen in der Lage sind. Philipp Molderings sprach mit Horst Bredekamp über die veränderte Bedeutung von Bildern in der Geschichtswissenschaft, die Skepsis von HistorikerInnen gegenüber der Bildakttheorie und über die Notwendigkeit, verstärkt die historische Eigendimension der Bilder zu erforschen.
Der Fotohistoriker und Museologe, Károly Kincses, widmet sich seit über dreißig Jahren der Erforschung der ungarischen Fotografie. Er ist Mitbegründer des Ungarischen Fotomuseums in Kecskemét sowie des Mai Manó-Hauses in Budapest, übernahm vielfältige Aufgaben als Universitätsdozent und Leiter von Fotoworkshops, als Autor sowie Kurator. Kincses berichtet im Interview, wie er die aktuelle Situation des Landes, den tobenden “Kulturkampf“, der auch die Fotografie erreicht, einschätzt. Eine offene Moment- wie auch Bestandsaufnahme aus Ungarn am 6. Dezember 2013.
Neben der mittlerweile weit verbreiteten Praxis des Reenactments spielen im katholisch geprägten Polen religiöse, aber auch säkulare Symboliken auf Friedhöfen oder im Stadtbild eine wichtige Rolle in der nicht-staatlichen kollektiven und individuellen Erinnerung. Auch Murals und besonders Graffiti sind bereits seit den 1980er Jahren moderne Ausdrucksmittel vor allem jugendlicher Akteure, die ihre Emotionen und Einstellungen durch das Bemalen oder Besprühen öffentlicher Flächen externalisieren. Im Falle der Erinnerung an den Warschauer Widerstand und Aufstand zielt die künstlerische Intervention auf konkret geschichtspolitischem Terrain auf Fragen der Interpretation des Vergangenen und dessen Wert(ung) für die Gegenwart.
Als der Verfasser dieses Textes 2009 seine Dissertation abschloss, lagen insgesamt 49 World Press Photos of the Year vor. Seit 1955 waren sie durch eine in den Niederlanden ansässige Stiftung mit unablässigem Einsatz aus der immer größer werdenden Flut von Einsendungen herausdestilliert worden. Dass 2014 mehr als 5000 professionelle Fotografen rund 100.000 Fotos zur Begutachtung einsandten, illustriert den enormen Stellenwert dieses eigentlich impertinenten Preises. Steht es einem Foto tatsächlich zu, das Pressefoto des Jahres zu sein? Kann es in seiner endlichen Anzahl von Bildelementen die theoretisch unendliche Komplexität eines Jahres dahingehend verdichten, einen absoluten Bezugspunkt in der retrospektiven Betrachtung seiner Zeit zu verankern? Und lassen sich darüber hinaus überhaupt nachvollziehbare Maßstäbe für die Wahl eines Pressefotos des Jahres formulieren, die sich zumindest nachträglich aus der Analyse des Materials ableiten lassen?
Konstitutiv für die Moderne sind Bilder und Visualisierungsprozesse, weil sie in der Lage sind, Interventionsbereiche überhaupt erst sichtbar und zugleich komplexe, abstrakte Zusammenhänge fassbar zu machen. Die Stärke von Bildern ist die Rahmung (framing). Wie bei einem Gemälde werden Formate geschaffen, um Beobachtungen abzugrenzen, zuzuschneiden und zu rahmen. Dadurch wird in den Blick gerückt und zugleich ausgeblendet, und erst so werden Verwerfungen identifiziert und bearbeitbar. Die Ergebnisse können anschließend visuell als verbildlichtes Narrativ einer erfolgreichen Krisenbewältigung repräsentiert werden, d.h. Bilder machen Probleme und Lösungen sichtbar. Für Neuzeithistoriker sollten Bilder deshalb nicht einfach als Illustrationen oder Informationsquelle dienen, sondern sie sollten als Akteur begriffen werden. Bestimmte Bilder zeigen nicht einfach, sondern sie stimulieren Handlungen. Das möchte ich im Folgenden thesenhaft am Beispiel Brasilias skizzieren: Ikonische Bilder der Moderne stimulierten die Gestaltung des Stadtraums, die Stadtskulptur wurde zum Bild ihrer selbst, und beides, materielle Realität wie ihre visuelle Repräsentation, zielte darauf, das Sozialverhalten ihrer Bewohner zu rekonfigurieren.
Eine Besonderheit des Formats der Kino-Wochenschau besteht darin, dass zur Herstellung von authentischen Berichten (im Sinne von „Echtheit“) nicht nur die Vielfalt der filmischen Elemente ausgenutzt wurde, sondern auch gespielte Sequenzen und Filmtricks zum Einsatz kamen. Zuschauerzuschriften zeigen, dass den Kino-Besuchern der 1950er/1960er Jahre bekannt war, dass Teile von Wochenschau-Berichten inszeniert sein konnten. Offenbar führte dies beim Publikum nicht zum Vertrauensbruch, und dem Format wurde von Politik und Wirtschaft ein hoher Einfluss auf die öffentliche Meinung zugestanden. Die Redaktion war sich bewusst, dass die Berichte im In- und Ausland zur Reputation Deutschlands beitrugen. Trotzdem war nicht ausgeschlossen, dass „Scherz“-Sujets eingebracht wurden. Ob die Zuschauer diese leicht oder weniger leicht als solche identifizieren konnten, ist nicht mehr zu belegen. Für den Betrachter von heute stellt sich jedoch manchmal die Frage, ob es sich bei den Filmen um eine Zukunftsvision oder um tatsächliche Errungenschaften des damaligen modernen Lebens handelt. Daran zeigt sich die Variabilität der Zuschreibung von „Authentizität“ im historischen Kontext. Die Praktiken und Strategien der Wochenschau, um die Modernisierung im Alltag, in Wirtschaft und Forschung so zu präsentieren, dass sie von den Zuschauern als glaubhaft wahrgenommen werden konnte, sollen in diesem Beitrag aufgezeigt werden.
Rolf Gillhausen wird am 31. Mai 1922 in Köln geboren, absolviert nach der Schulzeit eine Schlosserlehre und beginnt ein Studium an der Kölner Ingenieur-Fachschule, um später die Maschinenfabrik eines Onkels übernehmen zu können. Doch Kriegsteilnahme und -gefangenschaft verhindern dies, und so sieht sich Rolf Gillhausen in der Nachkriegszeit nach passenden Jobs um. In Heidelberg findet er Arbeit als Organisator von Festivitäten für die U.S. Army und lernt dabei den Fotografen Fred Ihrt kennen, der ihn in die Bedienung einer auf dem Schwarzmarkt eingetauschten Leica einweist.
Sie stehen vor Rathäusern, auf Friedhöfen, auf öffentlichen Plätzen und in Parks. Denkmäler, die an die Konföderierten erinnern, gehören zum typischen Stadtbild in den US-amerikanischen Südstaaten. Was im Zusammenhang mit den Nationalstaaten in Europa plausibel erscheint, wirft im US-amerikanischen Kontext Fragen auf, fand das Gedenken an die Konföderation doch in eben jenem Staat statt, der die Unabhängigkeit des Südens vereitelt hatte. Die Denkmäler können Aufschluss darüber geben, was die Denkmalsstifter für erinnerungswürdig hielten (und was nicht) und wie sich die Monumente in das kollektive Gedächtnis in den Südstaaten einpassten. Aufgrund der Niederlage des Südens ist es umso interessanter, was Denkmäler in den Südstaaten vor dem Hintergrund der Selektivität des kollektiven Gedächtnisses einer Gesellschaft aussagen sollten und wie sich diese Aussage womöglich über die Jahrzehnte hinweg veränderte. Anhand von drei Denkmälern im Bundesstaat North Carolina soll diese Entwicklung exemplifiziert werden.
Comics begleiten die Menschen weltweit schon seit mehr als 100 Jahren in verschiedensten Formen, sei es als Strip in Zeitungen, als klassisches Comic-Heft, als Album und „graphic novel“ oder nunmehr auch in digitaler Form im Internet. Sie sind nicht nur Unterhaltung, sondern immer auch Spiegel unserer Gesellschaften. Als historische Quelle wurden sie jedoch erst relativ spät entdeckt. Wie mit ihnen als Quelle umgegangen werden kann, wird im folgenden Artikel beleuchtet, indem in chronologischer Folge an ausgewählten Beispielen ihre Potenziale als text-bildliche Quelle vorgestellt werden.
Tamás Féner, der 75-jährige Fotograf und Träger des Kossuth-Preises, der höchsten ungarischen Auszeichnung in den Bereichen Kunst und Kultur, ist eine wirkliche Herausforderung. Wenn er erzählt, kommt man auch als Muttersprachler kaum hinterher. Féner verschluckt meist die letzten Silben der Wörter, die Geschwindigkeit seiner Sprache zwingt die Zuhörenden zur Konzentration. Er beginnt einen Satz, und noch bevor er diesen beendet, nuanciert er sogleich seine Aussage mit einem neu begonnenen Gedanken. Die Leidenschaft gegenüber der Fotografie, ihrer Entstehung, Präsentation, Geschichte und Theorie ist in seinen Antworten deutlich zu spüren. Die jiddischen Begriffe, die er in seine Erzählung mit einflechtet, der aufscheinende jüdische schwarze Humor, die Witze aus der Zeit des Sozialismus und die Zitate aus der Weltliteratur – gelegentlich in deutscher, mal in ungarischer Sprache – machen die Gespräche mit ihm zu einem dichten Geflecht. Das folgende Gespräch mit Féner über das neue Robert Capa Zentrum für zeitgenössische Fotografie, den ersten Fotowettbewerb des Zentrums und die großen ungarischen Fotografen ist ein Versuch, dieses dichte Geflecht zu entwirren.
Honeckers Herrscherporträt zeigt in seinen zahllosen einzelnen Varianten weder Emotionen, noch ist es räumlich oder zeitlich klar zuzuordnen. Die Botschaft, die es aussendet, ist abstrakt: Das SED-Parteiabzeichen an Honeckers Revers führt dem Betrachter die kollektive Kraft der kommunistischen Partei vor, lässt in seiner korrekten Kleidung die staatsmännische Handlungssicherheit erkennen und strahlt im unverwandten Blick die ruhige Selbstgewissheit der Herrschaftselite aus. Wenn die Visualisierung des bürgerlichen Politikers im 20. Jahrhundert in seiner Körperlichkeit nacheinander Würde, Leistung und Glaubwürdigkeit präsentierte, wie Thomas Mergel dies am Beispiel deutscher Politikerfotos beschrieben hat,so stellt das kommunistische Funktionärsporträt die überindividuelle Gesetzmäßigkeit der sozialistischen Ordnung vor.
Bildredakteure
(2014)
Die Frage, wie kollektive Bildgedächtnisse entstehen, ist eng verknüpft mit der Frage nach dem ästhetischen und informativen Gehalt derjenigen Bilder, aus denen sich diese Bildgedächtnisse speisen. Häufig repräsentieren sie historisch einschneidende Ereignisse oder Momente: Dies gilt für die oben genannten Bilder ebenso wie für Robert Capas Aufnahmen vom D-Day in der Normandie, das Bild des sogenannten Tank Man in Peking 1989 oder Bilder vom Einschlag der Flugzeuge in das World Trade Center im September 2001. Andere ikonische Bilder zeigen historische Personen in einer Weise, die deren „Wesen“ besonders gut zum Ausdruck bringt (oder zu bringen scheint). Zu dieser Gruppe von Bildern zählen das millionenfach reproduzierte Porträt von Ernesto „Che“ Guevara, ein Schnappschuss von Albert Einstein mit herausgestreckter Zunge oder das Bild von Marilyn Monroe mit fliegendem Rock auf einem U-Bahnschacht. Alle diese Bilder haben ästhetische Qualitäten, die ihre massenhafte Reproduktion und die daraus resultierende Ikonisierung plausibel erscheinen lassen.
Bilder aus Afghanistan und dem dort seit Jahren herrschenden Krieg sind nahezu allgegenwärtig im öffentlichen und wissenschaftlichen Diskurs. Doch unterscheiden sich diese Bilder stark von den privaten Fotografien meines Vaters, der seit über 30 Jahren Bundeswehrsoldat ist und im Rahmen des NATO-Einsatzes International Security Assistance Force (ISAF) bisher fünf Mal an verschiedenen Standorten in Afghanistan für jeweils mehrere Monate eingesetzt war. Durch ihn konnte ich Kontakt zu seinen Kolleg*innen herstellen, und schließlich wurden mir 7159 private Fotografien von drei Bundeswehrsoldat*innen für mein Forschungsprojekt zur Verfügung gestellt.